Der Zeigarnik-Effekt oder warum du deine Schubladen schließen solltest

in #productivity5 years ago (edited)

Hast du dir schon mal blaue Flecken von offenen Schubladen, Kanten und Ecken von Möbeln geholt? Dass das ganz schön schmerzhaft sein kann, weiß ich aus eigener Erfahrung.

Zeigarnik-Effekt

Das Bild mit den offenen Schubladen hat mit dem sog. Zeigarnik-Effekt zu tun. Die russische Psychologin Bljuma Wulfowna Seigarnik hatte als erste entdeckt, dass man Aufgaben die unerledigt sind, besser erinnert, als abgeschlossene.

Will heißen, wenn du einiges an unerledigten Aufgaben hast, dann sind das jede Menge offener Schubladen in deinem Kopf. Jedesmal wenn du quasi an diese Schublade rempelst, fällt dir die noch nicht erledigte Sache ein.

Was weiter bedeutet, wenn du eine laaaaange Liste an offenen To-Dos hast, ist bereits jede Menge deiner Gedanken damit ausgefüllt, die ganzen Schubladen offen zu lassen und dich an die zugehörige Aufgabe zu erinnern.

Das gibt es dann in verschiedenen Abstufungen. Z.B. wenn dir siedend heiß einfällt, dass du diesen Anruf vergessen hast, und das nur eines von gefühlten 8.349 Dingen ist, dann hast du – bei niedrigem Blutdruck – eine tolle Art gefunden, deinen Kreislauf in Schwung zu halten ;-)

Oder dir geht eine unangenehme schriftliche Angelegenheit immer wieder durch den Kopf, bei der du dran wärst mit antworten oder du schiebst möglicherweise schon eine ganze Weile einen lästigen Bericht vor dir her, der mit steigendem Termindruck auch nicht angenehmer wird.

Und so beschäftigen wir uns munter mit Dingen die wir noch nicht erledigt haben, was jedoch nicht unbedingt dazu führt, dass wir sie dann auch endlich abarbeiten.

Es scheint, dass jeder so seine ganze persönliche Art von Schubladen hat, die er gern offen stehen lässt. Bei dem einen mögen es unerledigte Mails oder Rückrufe sein, bei der anderen schriftliche Stellungnahmen und Berichte und beim dritten ist es alles was mit Zahlen zu tun hat.

Ob es sich dabei nun um große oder kleine Schubladen, pardon natürlich Aufgaben handelt, eines haben sie alle gemeinsam: so lange sie offen stehen, steht uns nur ein Teil unserer Gedankenkraft und -konzentration zur Verfügung, denn es bedarf auch Anstrengung, sich an alle offenen Schubladen zu erinnern.

Und auf der anderen Seite?

Wollen wir doch mal einen Blick auf das gegenteilige Szenario werfen. Wie hast du dich gefühlt, als du das letzte Mal eine Sache, die du schon ewig vor dir hergeschoben hast, endlich erledigt hattest, endlich diese vermaledeite Schublade zugemacht hast?

Das ist im Normalfall ein Gefühl der Erleichterung und Befreiung. Und beides trifft zu. Denn je mehr Schubladen wir schließen, um so mehr können wir uns wieder auf Anderes konzentrieren oder sogar auf kreative und neue Gedanken kommen.

Schubladen-Schließ-Strategien

Wie lässt sich nun mit dieser Angelegenheit umgehen? Wenn es dir nichts ausmacht oder egal ist, dass du ständig im Zickzackkurs durch dein Gehirn wanderst um den Kanten und Ecken auszuweichen, dann kannst du hier aufhören zu lesen und deinen Parcour weiter üben :-)

Wenn du jedoch eine persönliche Schubladen-Schließ-Strategie suchst, dann lass uns dazu verschiedene Ansätze durchgehen.

Der Nachtwächter

Ähnlich wie bei einem abendlichen Rundgang durchs Haus, bei dem Fenster und Türen nochmal kontrolliert werden, lässt sich ein Ritual schaffen, bei dem täglich oder wöchentlich alle offenen Aufgaben gelistet und mit dem nächsten Schritt festgelegt werden. Dieser nächste Schritt sollte ein baby-step sein und kein Riesenaufwand. Denn die wenigsten Menschen mögen unüberschaubare Tätigkeiten.

Du kannst bei diesem gedanklichen Rundgang durch deine offenen Schubladen auch auf die Idee kommen, dass du manches davon gar nicht bearbeiten musst oder willst und kannst damit die Schublade auch sofort schließen. Nicht jede unerledigte Aufgabe muss auch wirklich erledigt werden. Manchmal ist es besser, sich von der Erledigung zu verabschieden, einen Haken dranzusetzen und die Schublade zuzuknallen.

Lass dich von der Menge an Schubladen nicht überwältigen, die dir begegnen mögen, wenn du als dein eigener Nachtwächter durch die Gänge streifst. Hier geht es um das Ritual, das regelmäßig zu machen.

Wer sich genügend blaue Flecken geholt hat, dem fällt ein Nein bei der nächsten Anfrage, die bei der ältesten Kommode womöglich die Schublade öffnet, um einiges leichter.

Darum gehts nämlich auch, sich immer wieder bewusst machen, was alles zu tun ist, verbunden mit der Erkenntnis, dass der Tag nunmal nicht mehr als 24 Stunden hergibt.

Du wirst dadurch beginnen, besser auf deine Kräfte zu achten.

Der Psychiater

Eine weitere interessante Strategie ist, sich mal genauer anzusehen, was für Arten von Schubladen wir denn gern immer wieder offen lassen.

Sind es Gespräche, die wir führen müssten und schieben? Lässt du gern regelmäßig zu erstellende Aufstellungen und Zahlenkolonnen liegen? Fallen dir immer wieder mal Termine durch’s Raster? Was sind deine Hauptschubladen?

Mach doch mal gedankliche oder auch wirkliche Strichlein, wenn dir Ähnlichkeiten auffallen und wenn du deinen Schubladentyp ausgemacht hast, dann leg ihn auf die Couch. Werde zu deinem eigenen Schubladen-Psychiater.

Was genau ist das Gemeinsame? Was für ein Gefühl taucht da aus der Schublade auf? Eine peinigende Angst, Fehler zu machen? Oder ein bockiger Widerstand, der sich einfach quer stellen muss um nicht das zu tun, was man ihm sagt? Ist es vielleicht ein nagendes Gefühl der Unsicherheit? Oder ein Gefühl der maßlosen Erschöpfung und Überforderung?

Denk daran, dass du nur in die Schublade hineinsiehst, nicht anfassen und gleich mitfühlen, nur gucken. Und wenn du dir das Innere jetzt so ansiehst, frag dich als Schubladen-Psychiater doch mal, was ein gangbarer Schritt wäre, um die Aufgabe trotz allem ein wenig mehr zu erledigen und die Schublade damit ein Stückchen mehr zu schließen.

Wichtig ist wiedermal, der Blick auf den babystep. Wir suchen die kleinen Schritte, nicht die Siebenmeilengänge. Wenn du z.B. Mails erst oft spät beantwortest, weil du in dem Moment in dem sie eingeht, (gefühlt) noch nicht perfekt antworten kannst, dann überleg dir ob du dir nicht eine Teilbeantwortung angewöhnen kannst. Und überleg dir die Form jetzt als Schubladen-Psychiater, der von außen gucken und Möglichkeiten ausprobieren kann.

Dieses Schauen von außen bietet dir den Abstand, den du brauchst um in eine Handlung zu gelangen. Und als Psychiater weißt du auch, dass das gefühlte Innere der Schublade, nicht unbedingt etwas mit der jetzigen Situation zu tun haben muss, sondern in diesem Schubladentyp eben schon sehr lange schlummert.

Was das genau ist, muss man gar nicht unbedingt wissen, nur den Gedanken im Kopf behalten, dass die Situation heute bewältigbar ist, weil du viel mehr Wissen und Erfahrung hast als zu der Zeit als die Kommode mit diesem Schubladentyp in deinem Kopf erstellt wurde.

Du wirst dadurch beginnen, Emotionen mit Abstand betrachten zu können und damit zu einer prompteren Handlung zu gelangen.

Der Schreiner

Kannst du dich noch an die Werbung der Handwerkskammer von vor einigen Jahren erinnern? „Nur ein Schreiner kann eine Frau glücklich machen“?

Heute wollen wir uns im Rahmen der Schubladen-Schließ-Strategien noch als Schreiner unsere Schubladen näher ansehen und uns damit selbst glücklich machen.

Vielleicht sind die offenen Schubladen bei dir auch gleichzeitig die schwersten und wuchtigsten. Möglicherweise auch welche, die sich immer sperren und nicht zugehen wollen. Was übertragen auf den Inhalt bedeutet, dass wir oft den Fehler machen, große Aufgaben nicht zu teilen, sprich auf kleinere Schubladen aufzuteilen. Oder wir stolpern immer über die gleiche Wissenslücken und da wird’s natürlich sperrig.

Die Lösung kann hier einfach bedeuten, bestehende Aufgaben aufzuteilen und sich bewusst zu machen, dass auch Teilschritte Erfolge sind und damit Schubladen geschlossen werden können. Und zum anderen es meistens Sinn macht, uns über fehlenden Eigenkompetenzen klar zu werden, sich Informationen darüber zu holen, wie sich diese Lücken schließen lassen und damit den Schubladen wieder wachsweichen Schwung beim Schließen zu geben.

Du wirst dadurch beginnen, auf die Maße deiner Aufgaben und fehlenden Bestandteile zu achten und wie sich das fachgerecht ändern lässt.

Zusammenfassende Empfehlungen zum Ausprobieren:

Schaff dir einen festen Zeitpunkt, an dem du wie ein Nachtwächter durch deine Schubladenlandschaft gehst und dir über die Anzahl einen Überblick verschaffen. Entscheide, welche Schubladen du schließen kannst, auch wenn die zugehörige Aufgabe nicht erledigt ist. Und bestimme bei anderen babysteps, die bewältigbar sind.

Auf dass sich möglichst viele Schubladen schließen werden!

Posted from my blog: https://www.wissensagentur.net/der-zeigarnik-effekt-oder-warum-sie-ihre-schubladen-schliesen-sollten-1197.html

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Ich fühle mich ertappt. ;-P

Super Post, werden das mit de-stem/steemstem voten. Du kannst nächstes mal auch den #de-stem Tag verwenden, damit wir dich nicht übersehen. ;-)

Danke dir, schön, dass ich dich ertappen konnte ;) ich dachte, dass die #de-stem Tags nur Themen aus diesen Bereichen umfassen dürfen: Wissenschaft, Technologie, Ingenieurswesen und Mathematik
oder hab ich da was falsch verstanden?

Prinzipiell richtig, aber Psychologie geht bei uns als Wissenschaft durch. ;-)

Siehe auch @abigail-dantes, die das sehr erfolgreich auf Englisch macht und regelmäßig von steemstem gevoted wird.

Alles klar, danke!

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