Constant evolution - SI-Einheiten im Wandel

in #metrologie6 years ago (edited)


Große Ereignisse werfen am heutigen Tag des Messens ihre Schatten voraus. Vier Einheiten aus dem SI-System, dem internationalen Einheitensystem (Système international d’unités), werden aller Voraussicht nach noch in diesem Jahr auf Basis von Naturkonstanten neu definiert. Das ist die größte und grundlegendste Überarbeitung des internationalen Einheitensystems, seit die französische Akademie der Wissenschaften 1790 erstmals den Auftrag zur Vereinheitlichung der Maße und Gewichte bekam.

Der Tag des Messens (World Metrology Day)

Seit dem Jahr 2000 feiern Metrologen weltweit am 20. Mai den Tag des Messens. Um sämtlichen Missverständnissen vorzubeugen: Metrologie ist die Wissenschaft des Messens. Nur in Randbereichen überlappt sie mit der Meteorologie, der atmosphärischen Wetterkunde, deren Namensähnlichkeit häufig zu Verwechslungen führt.

Der 20. Mai ist für Metrologen deshalb ein bedeutsames Datum, da an diesem Tag im Jahr 1875 die internationale Meterkonvention unterzeichnet wurde. Ein Vertrag, der den Grundstein zur Vereinfachung wissenschaftlicher Kooperationen legte. Auf die Bedeutung der Metrologie für Wirtschaft und Gesellschaft weisen nationale und internationale Institute am Tag des Messens daher mit einer Vielzahl an Veranstaltungen hin.

Grund genug für mich, auf Steem ebenfalls die immensen Anstrengungen zu beleuchten, die Wissenschaftler rund um den Globus im Verborgenen für den Erhalt und die Weiterentwicklung des metrischen Systems betreiben. Ferner gebe ich einen Ausblick auf die Änderungen, die uns im November erwarten.


Der Beginn der Meterkonvention


Um den Erfolg der SI-Einheiten zu verstehen, reicht ein kurzer Blick in deren Historie. Unsere Vorväter verstanden es meisterhaft, die Wissenschaft von den Zwängen der Politik und Wirtschaft zu trennen, um den Erfolg der Meterkonvention zu sichern.

17 Länder unterzeichneten am 20. Mai 1875 einen Vertrag, der als Ziel die internationale Einigung und die Vervollkommnung des metrischen Systems hatte. Die unterzeichnenden Staaten waren:

  • Argentinien
  • Belgien
  • Brasilien
  • Dänemark
  • Deutsches Reich
  • Frankreich
  • Italien
  • Österreich-Ungarn
  • Osmanisches Reich
  • Peru
  • Portugal
  • Russland
  • Schweden-Norwegen
  • Schweiz
  • Spanien
  • USA
  • Venezuela

Zum Erreichen der Ziele wurde jedoch eine Verpflichtung zur Übernahme des metrischen Systems bewusst ausgelassen. Der Vertrag regelte lediglich die Gründung und Finanzierung jener Institute, die für Definition und Überwachung der Standards verantwortlich sind. Ein kluger Schachzug, der noch heute die USA zur Mitfinanzierung des metrischen Systems bewegt, ohne es für das eigene Land adaptiert zu haben.


Die internationalen Organe der Meterkonvention


Vornehmlich leiten drei internationale Organe die Geschicke um die SI-Einheiten. Die dreigeteilte Verantwortungsverteilung ist der Grundstein, auf dem nationale Metrologie-Institute ihre Arbeit verrichten.

Conférence générale des poids et mesures (CGPM)

Die internationale Generalkonferenz für Maß und Gewicht ist das beschlussfassende Organ für alle Entscheidungen rund um die SI-Einheiten. Alle 4 bis 6 Jahre treffen sich Bevollmächtigte der Mitgliedsstaaten der Meterkonvention am Sitz des Internationalen Büros für Maß und Gewicht (BIPM) in Paris. Sie wählen dann die 18 Mitglieder des Internationalen Komitees für Maß und Gewicht (CIPM) und stimmen über Resolutionen zu grundlegenden Fragen des internationalen Einheitensystems ab.

Comité International des Poids et Mesures (CIPM)

Das Internationale Komitee für Maß und Gewicht tagte ursprünglich jährlich, seit 2011 jedoch zweimal im Jahr. Es steuert und überwacht die Aufgaben des Internationalen Büros für Maß und Gewicht (BIPM) nach den Vorgaben der Generalkonferenz CGPM. Mit nur 18 gewählten Mitgliedern ist das Komitee ein entscheidungskräftiges Gremium zwischen der CGPM und dem BIPM.

Bureau International des Poids et Mesures (BIPM)

Das Internationale Büro für Maß und Gewicht ist das ausführende Organ der Meterkonvention. Im Keller des Büros in Paris lagern physikalische Standards wie das Urmeter oder das Urkilogramm. Das BIPM überwacht und koordiniert darüber hinaus die nicht-physikalischen Standards und richtet sowohl die Generalkonferenz CGPM, wie auch das halbjährliche Zusammentreffen des Komitees CIPM aus.

Die DACH-nationalen Institute

Unterstützung erfährt die Meterkonvention im deutschsprachigen Raum durch die drei nationalen Institute zur Überwachung des Messwesens. In Deutschland ist das die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig, in Österreich das Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen (BEV) in Wien und in der Schweiz das Eidgenössische Institut für Metrologie (METAS) in Wabern.


Die großen Sieben


"SI" steht nicht nur für SteemIt. Das Internationale Einheitensystem SI definiert sieben unterschiedliche Basiseinheiten, mit denen wir die uns bekannte physikalische Welt beschreiben, vermessen und verstehen. Diese sind:

  1. Der Meter zur Längenbeschreibung
  2. Das Kilogramm zur Massenbeschreibung
  3. Die Sekunde zur Zeitbeschreibung
  4. Das Ampere zur Beschreibung der Stromstärke
  5. Das Kelvin zur thermodynamischen Beschreibung der Temperatur
  6. Das Mol zur Beschreibung einer Stoff- oder Substanzmenge
  7. Die Candela zur Lichtstärkenbeschreibung

Alle anderen Einheiten, die wir in Wissenschaft, Technologie, Ingenieurwesen oder anderen Disziplinen wiederfinden, lassen sich durch geschicktes Auflösen auf diese sieben Basiseinheiten zurückführen.

Im Laufe der Jahrzehnte fanden die Organe der Meterkonvention für fast alle Basiseinheiten Methoden, die eine reproduzierbare Definition über messbare Werte zulässt. Die Definition über messbare Naturkonstanten hat den Vorteil, dass eine Definition erhalten bleibt, selbst wenn der dazugehörige Etalon, die definierende Maßverkörperung der Einheit, verloren geht. Einzig für das Kilogramm fehlte bisher eine solche Definition über Naturkonstanten.


Das prekäre Kilogramm


Seit 1889 schlummert im Tresor des BIPM das internationale Kilogrammprototyp, sorgsam durch zwei Glasglocken und eine klimaregulierte Umgebung von der aggressiven Außenwelt abgeschirmt. Der 39 Millimeter hohe Zylinder mit einem 39 Millimeter Durchmesser besteht aus einer weitgehend inerten Legierung aus 90 % Platin und 10 % Iridium. Damit widersteht er beim sehr selten vorkommenden Herausholen Veränderungen durch Abrieb oder Oxidation.

Dennoch stellten Metrologen 2011 einen Masseverlust beim Urkilogramm fest, der sich im Laufe der Jahrzehnte auf mittlerweile 50 Mikrogramm summiert hatte. Das entspricht in etwa der Masse eines Sandkorns. Nicht allein für Metrologen ist das eine katastrophale Entwicklung, denn eine unabhängige Definition über Naturkonstanten fehlt bisher für das Kilogramm.



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Der Weg aus der Ungewissheit


Seither diskutieren Metrologen auf der ganzen Welt über Auswege aus dieser Misere. Welche Naturkonstanten sollen das Kilogramm definieren? Welche Messmethoden sind geeignet, um zur Bestimmung der Konstanten herangezogen zu werden. Mit welcher Genauigkeit müssen in den Gleichungen verwendete Konstanten und Terme vorliegen.

Um hier international auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, war ein gewaltiger organisatorischer Aufwand und extreme Kooperationsbereitschaft unter allen Beteiligten erforderlich. Umso erstaunlicher, dass nach weniger als einem Jahrzehnt eine umfassende Lösung vorliegt, die schon im November der Generalkonferenz CGPM zur Abstimmung vorgelegt wird.


Neudefinition der SI-Einheiten


Das Komitee CIPM spricht im Abschlussbericht ihres Jahrestreffens am 26. Oktober 2017 eindeutig ("unequivocal") eine Empfehlung an die Generalkonferenz CGPM aus, sämtliche SI-Einheiten auf Basis von Naturkonstanten neu zu definieren. Ein bisher einmaliges Vorkommen seit Unterzeichnung der Meterkonvention.

Wer den Abschlussbericht im Original nachlesen möchte, kann dies hier tun:


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Vier Einheiten, darunter das problematische Kilogramm, sollen laut Empfehlung eine angepasste Neudefinition erhalten. Die drei übrigen Definitionen sollen widerrufen und identisch neu definiert werden. Letzterer Schritt dient vermutlich der Vereinheitlichung des Definitionsdatums, einem üblichen Vorgehen im Vermessungswesen.


Was bleibt, was ändert sich?

In unveränderter Weise sollen folgende Einheiten neu definiert werden:

Sekunde

Die Sekunde wird definiert als das 9.192.631.770-Fache der Periodendauer der Strahlung, die dem Übergang zwischen den beiden Hyperfeinstrukturniveaus des Grundzustandes von Atomen des Nuklids 133Cs entspricht.

Meter

Der Meter wird definiert als Länge der Strecke, die das Licht im Vakuum während der Dauer von 1 / 299 792 458 Sekunden zurücklegt.

Candela

Die Candela wird definiert als die Lichtstärke in einer bestimmten Richtung einer Strahlungsquelle, die monochromatische Strahlung der Frequenz 540·10^12 Hz aussendet und deren Strahlstärke in dieser Richtung 1 / 683 Watt pro Steradiant beträgt.


Auf eine neue Basis sollen dagegen diese Einheiten gestellt werden:

Kilogramm

Das Kilogramm wird definiert als Berechnung über den feststehenden Wert der Planck-Konstante h als 6,626 070 15 × 10⁻³⁴ Js, ausgedrückt als Äquivalent kg m² s⁻¹, mit Meter definiert über c und Sekunde definiert über ∆νCs.

Ampere

Das Ampere wird definiert als Berechnung über den feststehenden Wert der Elementarladung e als 1,602 176 634 × 10⁻¹⁹ C, ausgedrückt als Äquivalent As, mit Sekunde definiert über ∆νCs.

Kelvin

Das Kelvin wird definiert als Berechnung über den feststehenden Wert der Boltzmann-Konstante k als 1,380 649 × 10⁻²³ JK⁻¹, ausgedrückt als Äquivalent kg m² s⁻² K⁻¹, mit Kilogramm definiert über h, Meter definiert über c und Sekunde definiert über ∆νCs.

Mol

Das Mol wird definiert als Berechnung über den feststehenden Wert der Avogadro-Konstante NA als 6,022 140 76 × 10²³ mol⁻¹ , ausgedrückt als N/n, mit N definiert als Anzahl der Elementar-Entitäten und n definiert als Stoffmenge.

Damit sind dann alle Basiseinheiten allein über unveränderliche Naturkonstanten definiert.



Der Fahrplan

Der Abschlussbericht des Jahrestreffens des CIPMs vom 26.10.2017 liegt vor. Nun liegt es an der Generalkonferenz CPGM über die Empfehlungen zu entscheiden. Diese wird turnusgemäß vom 13. bis 16. November 2018 zusammenkommen und gemäß Roadmap


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über die Revision entscheiden. Kommt die Generalkonferenz zum Entschluss, dass die neuen SI-Definitionen das Internationale Einheitensystem in der erforderlichen Güte festlegen, wird sie die Neuerungen als verbindliche Definitionen beschließen.

Das offizielle In-Kraft-Treten der Revision erfolgt dann mit dem nächsten Tag des Messens am 20. Mai 2019.


Fazit

Heute, am 20.5.2018 ist der internationale Tag des Messens. Es ist aller Voraussicht nach der letzte, den Metrologen in aller Welt in einem Einheitensystem feiern, welches zumindest zu Teilen auf Etalons (Maßverkörperungen) basiert. Über Jahre hinweg haben Messinstitutionen rund um den Globus daran gearbeitet, das metrische System allein über Naturkonstanten zu definieren. Dieses System wird aller Voraussicht nach am nächsten Worldmetrologyday 2019 in Kraft treten.


Quellen und Linksammlung:
[1]: http://www.worldmetrologyday.org/
[2]: https://de.wikipedia.org/wiki/Metrologie
[3]: https://de.wikipedia.org/wiki/Meteorologie
[4]: https://de.wikipedia.org/wiki/Meterkonvention
[5]: http://www.worldmetrologyday.org/events.html
[6]: https://de.wikipedia.org/wiki/Generalkonferenz_für_Maß_und_Gewicht
[7]: https://www.bipm.org/en/committees/cipm/
[8]: https://de.wikipedia.org/wiki/Internationales_Büro_für_Maß_und_Gewicht
[9]: https://www.ptb.de/
[10]: http://www.bev.gv.at/
[11]: http://www.metas.ch/
[12]: https://de.wikipedia.org/wiki/Kilogramm#Urkilogramm
[13]: https://derstandard.at/1295570722119/Mysterium-mit-Folgen-Masseverlust-beim-Urkilogramm-in-Paris
[14]: https://www.bipm.org/en/publications/si-brochure/second.html
[15]: https://www.bipm.org/en/publications/si-brochure/metre.html
[16]: https://www.bipm.org/en/publications/si-brochure/candela.html
[17]: https://www.bipm.org/utils/common/pdf/SI-roadmap.pdf


Bilder erstellt mit mangelnden GIMP-Kenntnissen als Eigenkreationen, zum Teil mit Elementen von pixabay.com oder bei PDF-Dateien als Screenshots der jeweils verlinkten Dokumente.

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Danke für diesen wirklich sehr gelungenen Artikel. Man glaubt gar nicht, wie wichtig es für die Wissenschaft ist, dass sich alle Forschenden auf die gleichen, unveränderlichen Einheiten beziehen.

"Constant Evolution" - was ein schöner, wenn auch dezenter Name für eine so grundlegende Änderung. Ausschließlich Naturkonstanten sind jetzt die Grundlage für die Maßeinheiten, damit sind sie die SI-Einheiten für jeden -der über entsprechende Messgeräte verfügt- nachvollziehbar.

Danke für Deinen spannenden Artikel und die interessante, historische Perspektive!

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