Bücher die man nicht gelesen haben muss

in #literature7 years ago
  1. Elfriede Jelinek: Lust (1989)
    „Es ist ekelhaft und abstoßend, nicht zuletzt wegen einer Sprache, die gegen sich selbst wütet; und wenn man sie zu Ende gelesen hat, diese schiefe, holzschnittartige, sexuelle Groteske über einen Mann und eine Frau und ein Kind und noch einen Mann, dann breitet sich ein flaues, schales Gefühl aus.“ Das Feuilleton irrt, das schale Gefühl breitet sich für einen Durchschnittsleser (der nicht bereits abgehärtet ist durch regelmäßiges Rezensieren moderner Literatur) schon während des Lesens aus, nicht erst danach. Ansonsten ist der seltene Fall gegeben, dass ich mit dem FAZ-Schreiber übereinstimme. Das Buch lässt einen in üble Abgründe der Autorin blicken, Abgründe, die man besser nicht beleuchtet sieht. Man fragt sich unwillkürlich: Was muss diese Frau an Gewalt erlebt haben, um so zu schreiben, um eine Beziehung zwischen zwei Menschen auf eine derart übelkeiterregende Weise zu porträtieren? Achtung: Bitte nur lesen, wenn Sie eine ausgeprägte Neigung zu Selbstbestrafung in sich spüren.

  2. James Joyce: Ullysses (1922)
    Es mag zutreffen, dass Ullysses tatsächlich der bedeutendste Roman des 20. Jahrhunderts ist, dass er ein Meilenstein war, prägend für viele spätere Bücher und dass in Ullysses das Konzept des „Bewußtseinsstroms“ (stream of consciousness) erstmals angewendet wurde. In der Liste der 100 besten englischsprachigen Romane des 20. Jahrhunderts der Modern Library steht Ulysses auf Rang eins. Gleichzeitig ist Ullysses aber auch das berühmteste ungelesene Buch der Welt: Wie viele Menschen gibt es wohl, die es zunächst euphorisch zur Hand genommen haben und dann früher oder später resigniert gescheitert sind? Kurt Tucholsky verglich den Roman mit Fleischextrakt: „Man kann es nicht essen. Aber es werden noch viele Suppen damit zubereitet werden.“ Ich rate Ihnen daher, sofern Sie nicht endlos Zeit haben, nützen Sie diese für etwas Wertvolleres als den Versuch, dieses Werk ergründen zu wollen, so lohnend es auch sein mag.

  3. Das Tagebuch der Anna Frank (1945)
    Anne Frank (damals 13 bis 15 Jahre alt) führte ein Tagebuch vom Juni 1942 bis zum 1. August 1944, anfänglich in ihrer Wohnung, den größten Teil aber in einem geheimen Hinterhaus (dem heutiges Anne-Frank-Haus) in Amsterdam. Dort versteckte sie sich zwei Jahre lang mit anderen jüdischen Familienangehörigen und Bekannten vor den Nationalsozialisten. Anne, deren schriftstellerische Begabung von ihrem Vater Otto Heinrich Frank stets gefördert wurde, schrieb es anfänglich als rein privates Tagebuch, arbeitete es später jedoch bewusst in Hinblick auf eine mögliche Veröffentlichung um. In der Tat wurde es nach ihrem Tod in einem KZ (nachdem das Versteck verraten worden war) von ihrem Vater, der wie ein Wunder den Holocaust als einziges Familienmitglied überlebt hatte, vermarktet und wurde in den 1950ern zum meistverkauften Taschenbuch in der Bundesrepublik Deutschland. Es wurde in 70 Sprachen übersetzt und machte die Autorin zu einem der bekanntesten Opfer des Holocausts (und ihren Vater wohlhabend). 2009 wurde das Tagebuch von der UNESCO in das Weltdokumentenerbe aufgenommen. Gerüchte, wonach das Tagebuch der Anne Frank eine Fälschung sei, sind mehrmals aufgekommen und nie wirklich verstummt. Zumindest weiß man heute, dass Annes Vater vor der Veröffentlichung Eingriffe in den Text vorgenommen hatte. Letztlich war und ist das Tagebuch ein wichtiges Werkzeug der "Holocaust-Industrie" (ein Begriff von Norman G. Finkelstein) . Jeder muss selbst beurteilen, ob er sich das antun soll oder sich dem Thema lieber auf eine sachliche Weise nähern will.

  4. Charlotte Roche: Feuchtgebiete (2008)
    Feuchtgebiete ist Roches Debutroman, der dadurch dass sie als Fernseh-Moderatorin recht erfolgreich war, schnell eine breite Öffentlichkeit bekam und Bestseller wurde (Motto: sex sells). Die Handlung selbst ist vernachlässigbar (18-Jährige kommt ins Krankenhaus, erzählt von einigen intimen Details und verliebt sich in einen Pfleger) - das Besondere ist, dass Dinge „in Großaufnahme“ erklärt werden, über die vorher noch nie in dieser Form berichtet wurde (Menstruationsblut, Urin, Eiter, Sperma, etc.) sondern stattdessen wohlweislich zumindest in der Literatur der vornehme Mantel des Schweigens gehüllt war. Roche versucht, im Streben aufzufallen, möglichst plakativ Tabus zu brechen, was ihr auch gelungen ist. Dennoch kann ich Ihnen die Lektüre nicht anraten, es sei denn, Sie sind extrem ekelresistent, haben einen guten Magen und gehören zu der Sorte Mensch, die (wie ein Rezensent so treffend schrieb) die Überreste eines überfahren Froschs fasziniert begutachten kann.

aus dem Lexikon der nicht empfehlenswerten Dinge, unpubliziert

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Na gott sei Dank, dass ich mich nicht habe überreden lassen Ullyses oder Feuchtgebiete zu lesen. Das Tagebuch der Anne Frank fand ich eigentlich spannend, mir war nur nicht dieser Hintergrund mit der Fälschung bekannt.
Gerne weitere solcher Posts :)

Zum Buch Nummer 3 stellte der Spiegel im Jahr 1980 fest:

Ein Gutachten des Bundeskriminalamts belegt: Im „Tagebuch der Anne Frank“ ist nachträglich redigiert worden. Die Echtheit des Dokuments wurde damit weiter in Zweifel gezogen.

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-14317313.html

Eine Freundin hat sich tatsächlich durch Ullysses gequält, hat aber sehr gezetert dabei ;) Das Anne Frank Tagebuch habe ich gerade erst als Hörbuch gehört und ich fand es soweit ok, allerdings auch nicht weltbewegend. Feuchtgebiete hatten wir tatsächlich als Schullektüre. Aber nein, das muss man nun wirklich nicht lesen.

Als Schullektüre, echt? :D Interessant, das hätte ich nun wirklich nicht erwartet.

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