2. And now to something completely different: Du machst mich wütend!

in #kommunikation8 years ago (edited)

Diesen Satz hat wohl jeder schon einmal gehört.
Was da alles drinliegt… Unglaublich eigentlich. Da gesteht jemand einem anderen Menschen, dass dieser eine starke Macht über einen selbst hat – er kann starke Emotionen hervorrufen, einfach so. Hat dieser Mensch das gelernt? Ist er richtig gut darin? Ist es vielleicht nur ein besonderes Talent?
Funktioniert das vielleicht auch anders herum? In einer anderen Weise? Könnte dieser Jemand eventuell auch glückliche Zustände hervorrufen?

Meist ist das Statement „Du machst mich wütend“ nicht unbedingt als Kompliment gemeint sondern eher als Anschuldigung.
Aber was bedeutet dies? Im eigentlichen Sinne bedeutet dies, dass jemand einem anderen Menschen die Verantwortung für die eigenen Stimmungslagen überträgt oder besser aufbürdet.

Stellen wir uns doch einmal eine entsprechende Situation vor:
Die meisten Menschen werden jetzt an eine Beziehungssituation denken, die derzeit nicht besonders glücklich läuft. Der eine Part ist wütend,aber was macht der andere Part? Was ging dem Statement voraus?

Stellt euch doch kurz mal eine solche – vielleicht selbst erlebte - Situation vor. Was würde euch selbst wütend machen?

Exemplarisch möchte ich ein mögliches Szenario herausgreifen: In diesem Szenario unternimmt der wütend machende Part eigentlich nichts, er sitzt in einer etwas geladenen Situation lediglich herum und sagt eher gar nichts, wirkt eher etwas unbeteiligt.

Dieses Szenario – welches wohl auch jeder Mensch schon einmal aktiv und passiv erlebt hat, zeigt eigentlich eine Verweigerung von Kommunikation – er sagt ja nichts… Ist das wirklich so?

Ein kluger Mensch (Paul Watzlawick) hat einmal gesagt, man könne nicht nicht kommunizieren.
Was also kommuniziert dieser nur so dasitzende Mensch und vor allem wie? Und wie stellt er es an, dass mit dem eigentlichen Nichtstun eine Wut im Gegenüber erzeugt wird?

Kommunikation findet also nicht nur durch Worte statt, sie funktioniert sogar völlig ohne Worte.
Also stellen wir uns noch einmal die Situation vor: Beziehungsstress, ein Part ist ziemlich außer sich, der andere Part, um den es jetzt geht, sitzt auf dem Sofa und tut völlig unbeteiligt, macht den Mund nicht auf.
Sehen wir genauer hin: Wie ist seine Körperhaltung? Freundliches Gesicht, herzlich lächelnd, entspannte Körperhaltung, insgesamt offen und zugewandt wirkend? Ähm ja… wohl eher nicht wirklich. Wie dann? Übergeschlagene Beine, verschränkte Arme, Mund und Augen eher etwas verkniffen, Gesichtsmuskulatur verspannt, Blickrichtung an die Wand, auf den Boden, auf das Handy aber eher nicht zu der anderen Person gerichtet? Gesichtsfarbe eher gerötet oder etwas zu blass? So kann man sich das eher vorstellen.
Auch dies ist Kommunikation. Ohne Worte, aber enorm deutlich.

Gut, setzen wir noch einen drauf. Der andere Part steht auf, geht stapfend zu dem wütenden Part hin, versucht eine etwas steife Umarmung und sagt „natürlich habe ich dich lieb“.
Ob er das in diesem Moment so meint?
Auch das ist Kommunikation – allerdings eine völlig missglückte, da das, was er sagt, nicht zu seiner übrigen Kommunikation passt.

Eine unschöne Vorstellung die wir dort gerade hatten!

Denkt mal bitte an etwas ganz anderes, an eine wunderbare Kommunikation mit einem Menschen, den ihr mögt, eine Kommunikation, die ohne Missverständnisse lief, wie von selbst, ohne dass ihr viel sagen musstet, ihr habt euch einfach ganz natürlich verstanden, wart völlig auf der gleichen Wellenlänge.
Stellt euch das genau vor – wie war das? Wo war das, was hattet ihr an, was war das Thema, wie sah euer Kommunikationspartner aus? Wie war seine Haltung, wie war sein Gesichtsausdruck? Wie klang seine Stimme? Konntet ihr ihn riechen?

OK, ihr fragt euch gerade, wieso ich nach dem Geruch frage?
Ganz einfach, dies ist eine der ältesten Formen der Kommunikation. Das sogenannte Riechhirn ist einer der entwicklungsgeschichtlich ältesten Anteile des Gehirns und dient vielen Tieren zur Vermittlung von Kommunikation. Warum markieren Hunde ihr Revier? Damit sie errochen werden.
Auch der Mensch kann riechen, im Zusammenhang mit Kommunikation eher unbewusst aber doch eindrücklich. Wozu würde man Duftwässerchen verwenden wenn dies sinnlos wäre?
Jeder Mensch hat einen Eigengeruch, der durch die momentane Situation,in der er sich befindet, modifiziert wird.
Ihr kennt sicherlich Menschen, die ihr „gut riechen“ könnt.

Um es auf den Punkt zu bringen: Kommunikation läuft über alle uns zur Verfügung stehenden Sinneskanäle ab: Wir sehen, hören, riechen, fühlen, schmecken.
Der Begriff Kommunikation bezieht sich also nicht nur auf Worte sondern auf die Gesamtheit aller Äußerungen und Veränderungen unseres Körpers einerseits und die Wahrnehmung dieser Äußerungen und Veränderungen anderer Menschen.

Kommunikation gibt es also auch ohne Sprache, die Kommunikation über Worte ist sogar eher nur ein kleiner Ausschnitt, vielleicht manchmal das Sahnehäubchen, oft allerdings der ünnötigste Teil.
Wenn die gesprochenen Worte nicht zum Rest der gesamten Kommunikation passen, empfinden wir das als merkwürdiges Gefühl – da stimmt dann etwas nicht.

Aber was bedeutet „passen“ eigentlich? Wieso haben wir so oft das Gefühl, dass uns etwas gesagt werden soll aber der Inhalt sich nicht mit dem deckt, was wir aus der gesamten Kommunikation entnehmen?

Zurück zur Ausgangssituation: „Du machst mich wütend“. Woran liegt das? Wie schafft der andere Part das?

Wir leben alle in unserer eigenen Welt, jeder in seiner, und jede dieser individuellen Welten unterscheidet sich von der Welt der anderen. Etwa vergleichbar mit den individuellen Fingerabdrücken. Finger haben die meisten Menschen, die meisten können sie auch bewegen, haben Gefühl in den Fingerspitzen. Finger sehen allerdings unterschiedlich aus, es gibt lange und kurze, dicke und dünne, es gibt Finger mit Arthrose, mit Narben, manche Menschen haben fehlende Fingerglieder. Finger haben bei allen Menschen eine vergleichbare Funktion. Jeder Finger hat sein ganz individuelles Hautmuster.
Es gibt also viele Gemeinsamkeiten von Fingern, viele Unterschiede und ganz individuelle Ausprägungen.
Vergleichbar hiermit ist die individuelle Welt, in der jeder von uns lebt. Jeder besitzt eine solche Welt, bei manchen Menschen ist die Welt in der Ausdehnung eher überschaubar, bei anderen sehr weitläufig. Die meisten Gegenden unserer inneren Welt sind unserem direkten gedanklichen Zugriff nicht zugänglich sondern offenbaren sich erst, wenn sie benötigt werden.
In dieser Welt existiert eine individuelle Ordnung, bestimmte Begriffe haben ihren festen Platz.

Denken wir einmal an den Begriff der Liebe. Ein einziges Wort kann so viel enthalten. Was stellt sich ein Kind unter diesem Begriff vor? „Mami, ich hab dich lieb“ wäre eine Ausprägung.
Wie sieht das ein Teenager im Sturm der ersten großen Liebe?
Wie empfinden Eltern diesen Begriff?
Wie sehen das frisch verheiratete Ehepaare? Wie interpretieren frisch Geschiedene diesen Begriff?

Es ist also definitv nicht so, dass man mit dem Begriff „Liebe“ wirklich etwas Genaues aussagt. Aber warum verwendet man dann solche Worte?

In der schottischen Sprache fand man 421 verschiedene Worte für Schnee. Das finde ich beeindruckend, offenbar bestand immer wieder die Notwendigkeit, verschiedene Schneearten genau zu klassifizieren.

Worin liegt also der Sinn, manchen Begriffen eher einen großen Spielraum für Interpretationen zu lassen und anderen eher nicht? Und warum besteht überhaupt ein Sinn darin, etwas zu interpretieren? Wäre es nicht klüger, sich so genau auszudrücken, dass es keinerlei Interpretationsspielraum gibt?

Der Sinn von solchen Sammelbegriffen liegt darin, mit wenigen Worten viel Inhalt zu transportieren. „Ich liebe dich für immer und möchte mein gesamtes Leben mit dir verbringen“.
Eine schöne Aussage. Wirklich?
Nun sind wir mal ganz böse…

Hinterfragen wir diesen Satz doch mal: Wer ist „Ich“? Weiß jeder, wer er/sie ist? Es gibt durchaus multiple Persönlichkeiten… Liebe? Was bedeutet „Liebe“ in diesem Kontext? Bedeutet die Liebe in diesem Fall vielleicht, dass jemand nicht alleine sein kann und endlich jemanden gefunden hat, der ihn erträgt? Ist das eine selbstlose Liebe oder liebt jemand nur die Annehmlichkeiten die ihm geboten werden? Für Immer? Wie lange ist das? Was die längste Beziehung, die diese Person hatte? Kam in dieser Beziehung auch das Wort „Immer“vor? „Ich möchte“ ist ein Ausdruck einer momentanen Stimmungslage, was möchten wir nicht alles… „Mein gesamtes Leben“ kann kurz sein oder auch sehr lang, welchen Zeitraum kann sich der Sprechende überhaupt vorstellen? Ist er 17 oder 77 Jahre alt? „Mit Dir“? Wer ist das, was gehört dazue, oder was eben nicht. Nur mit dir, ohne deine Kinder? „Verbringen“ kann viel bedeuten, zusammen leben oder sich oft sehen?

Ein Klassiker ist auch der Ausspruch „wir schaffen das“. Wer ist wir? Die Sprecherin eher nicht…Was bedeutet „schaffen“? Was ist „Das“ was geschafft werden soll?

Beiden Aussprüchen wohnt eine Absicht inne: Es soll im Kopf des Angesprochenen ein Bild entstehen. Die Aussagen selbst enthalten keinerlei Details sondern stellen lediglich leere Hülsen dar, die im Kopf des Angesprochenen wirken sollen.
Hierfür ist es notwendig, das in der Welt des Angesprochenen diese Worte eine tiefere Bedeutung besitzen, dass sich beispielsweise bei dem Wort „Liebe“ eine ganze Reihe von positiven Assoziationen, Wünsche, Hoffnungen und Erwartungen entfalten.
„Ich liebe dich für immer“ ist etwas, dem man kaum etwas entgegensetzen kann, eine Abweisung wäre gerade in einer Beziehung doch recht schwierig. Es handelt sich genau genommen um ein Versprechen, dessen eigentlicher Inhalt sich lediglich in der Welt des Angesprochenen entfaltet, was in letzter Konsequenz schwierig werden könnte – der Versprechende meint vielleicht etwas völlig anderes als der Empfänger.

„Wir schaffen das“ ist auch ein Versprechen, dessen Inhalt sich in der Welt der Angesprochenen findet und entfaltet, es enthält keinerlei genauere Angaben und ist aus genau diesem Zweck bewusst vage gehalten. Es soll lediglich eine positive Wirkung im Sinne einer gesteigerten Zuversicht entfalten.
Solche Methoden bezeichnet man gemeinhin als manipulativ.

Oh, nochmal böse…

Nun, das machen wir alle so, den ganzen Tag, fast jedes Mal, wenn wir etwas sagen.
Es ist ganz einfach, man nehme eine Verallgemeinerung ohne konkreten Inhalt wie Wohlstand, Glück, Zufriedenheit, schönes Wetter, Liebe oder Ähnliches und baue sie in die Kommunikation ein.

Warum funktioniert das überhaupt?

In unserer Welt sind viele Begriffe sozusagen fest verdrahtet, je nach Kontext und persönlicher Erfahrung. Mit vielen Begriffen verbindet sich eine bestimmte emotionale Färbung, der Begriff „Liebe“ ist meist positiv geprägt, der Begriff „Hass“ durchgehend negativ. Beides sind starke Emotionen die durchaus miteinander verwandt sind.
Die „Verdrahtung“ geht noch viel weiter, manche Begriffe oder die dadurch ausgelösten Vorstellungen lösen unmittelbar emotionale oder auch körperliche Reaktionen aus.
Man nennt dies eine Konditionierung.

Klassisches Beispiel für eine Konditionierung ist der Speichelfluss und die freudige Erwartungshaltung eines Hundes, wenn man so tut,als würde man ihm gleich sein Futter servieren. Eigentlich reicht auch das Schütteln einer Packung Frolic aus, der Hund fängt (wenn er das kennt) sofort an zu sabbern.

Die meisten Menschen besitzen solche an bestimmte Begriffe gebundenen Konditionierungen, die positiv besetzten kann man für die Erzeugung positiver Emotionen nutzen, die negativ besetzten eben anders herum.
In einer Beziehung den (sorry) weiblichen Part zu fragen, ob gerade das prämenstruelle Syndrom wieder zuschlägt ist sicherlich eine der probatesten Methoden, sich und dem Partner den Tag zu vermiesen. Konditionierung…

Wie schafft man es also, jemanden wütend zu machen?
Indem man mehr oder weniger bewusst die bekannten Konditionierungen des Anderen aktiviert. Das geht ganz einfach, man muss nur das entsprechende Knöpfchen drücken. Manchmal reicht ein einziges Wort…

Wie schafft man es, der willkürlichen Fremdbestimmung der eigenen Emotionen zu entgehen?
Indem man sich die zugrunde liegenden Kommunikationsmuster sowie die dahinter stehende Absicht genau ansieht, seine eigenen Reaktionen darauf registriert und die Sinnhaftigkeit der eigenen Konditionierungen überprüft.

Sort:  

Wiedermal eine gute sache mister salzigegans!

Hi! This post has a Flesch-Kincaid grade level of 8.8 and reading ease of 57%. This puts the writing level on par with Leo Tolstoy and David Foster Wallace.

Du bringst mich zum nachdenken. Danke !

Coin Marketplace

STEEM 0.17
TRX 0.15
JST 0.028
BTC 60025.27
ETH 2417.33
USDT 1.00
SBD 2.42