angepasstes mitläufertum und konformität

Meinsi, du glaubst das Leben und die Menschen zu kennen. Wir könnten uns sicher nicht so angeregt unterhalten, hätte ich nicht auch einmal so über die Zeitgenossen gedacht. Für vieles aus dieser Lebensepoche schäme ich mich heute noch.

Es waren immer nur kleine, unwürdige Situationen, die aus diesem Denken entstanden sind. Stets initiiert von unangemessen harten, überheblichen Gedanken z. B. in der Schlange vor einer Kasse. Wenn in der knappen Mittagspause ein Mütterchen die Münzen einzeln hinlegte und freundlich, besonders langsam mit der Kasse sprach. Oder im öffentlichen Nahverkehr, wenn einer was nicht checkte, zu langsam war, oder empathiefreies Verhalten an den Tag legte. Von meinem inneren Mr. Hyde im Autoverkehr ganz zu schweigen. Ich war das Lenkrad Gottes und in anderen Autos saßen nur Anfänger oder unerträgliche Idioten. Oh, ich war so oft zornig. Weil ich in den Menschen immer zuerst das Blöde gesucht habe.

Bedenke, dieser sinnlose Krieg findet überall statt. Wirklich überall, wo Menschen sich über den Weg laufen. Es sei denn, man ist einigermaßen konform und läuft agressionsfrei mit. Dann perlen diese zornigen Testosteronbomber einfach ab. Ey, dann tiriliert das Leben. Da ist plötzlich Raum für Begegnung und Austausch. In einem Klima gesellschaftlicher Anpassung, die in einem gewissen Maß auf Konformität beruht, lässt es sich wunderbar gemütlich leben. Ganz kuschelig. Was natürlich nichts für Existentialisten ist. Die kennen das Leben als Individualität bis zur Selbstverleugnung. Leider führt die übersteigerte Form davon zur Einsamkeit.

Ich glaubte auch, die Menschen zu kennen und mein Urteil war so vernichtend, wie deins, Meinsi. Doch dann habe ich im Laufe der Zeit erfahren, dass genau diese Einstellung dem Mitmenschen gegenüber gewollt ist. Dieser Zorn ist ein Teil aus dem Werkzeugkasten des Systems, in dem wir leben. Du lebst da übrigens auch. Da kann sich niemand ausklammern und glaube nicht etwa, dass die Welt zynisch zu betrachten, dich diesem System etwa entfremdet.

Verurteilen, hacken, scheißen, Ellbogen ausfahren, verachten, das ganze Programm ist systemimmanent. Tut mir leid. Ich habe auch ganz blöd geguckt, als ich dem Ding auf die Schliche gekommen bin. Seitdem ist mir zunehmend nichts menschliches fremd und jeder erstmal gleich gut. Ist ein interessanter Ansatz. Den sollte jeder versuchen, bevor man die Menschheit konforme Mitläufer schimpft. Die geistig Gesunden unter uns wollen alle nur gemütlich und in Frieden leben und sich reproduzieren. Ganz fertig bin ich mit dem Ding allerdings auch noch nicht.