Keine Bedienungsanleitung, aber eine Reihe Antworten... / No operating instructions, but a series of answers...

in Deutsch Unplugged3 years ago

english below...

Gestern habe ich mich etwas über meine Vorstellung von Eigenverantwortung, speziell bezüglich einer Patientenverfügung ausgelassen. Einige Kommentare habe ich direkt beantwortet wie immer, ein paar Fragen scheinen etwas mehr Beachtung zu verdienen:

Ja, ich trage im Portemonnaie, zusammen mit Geldkarten und anderen wichtigen Dokumenten, einen "Warnhinweis" für Ersthelfer bei mir. Ähnlich könnte man das mit einem Armband oder einer Tätowierung lösen, wie es für Epileptiker, Allergiker oder Diabetiker bekannt ist. Da mir etliche Johanniter-Unfallhelfer und Feuerwehrleute bestätigten, daß die Taschen immer nach Ausweisen und solchen Dokumenten durchsucht werden, wenn der Patient alleine und nicht ansprechbar ist, scheint mir meine Lösung durchaus praktikabel. Die Warnung verweist neben der sofortigen Unterlassungsaufforderung auf die gleichfalls mitgeführte ausführliche Patientenverfügung und auf den Bevollmächtigten, der sie im Zweifel bestätigen und durchsetzen würde. Natürlich habe ich damit keine 100%-ige Sicherheit, daß in jedem Fall entsprechend auf meinen Willen Rücksicht genommen wird - die gibt es aber bekanntlich sowieso nicht. Und mit meinen Dokumenten habe ich zumindest Rechtssicherheit...

Die andere Frage betraf gerichtliche Befreiung von Gurt- und Helm- sowie Krankenversicherungspflicht.

Dazu müssen wir ein bißchen weiter ausholen und schauen, warum es solche gesetzlichen Pflichten überhaupt geben kann. Immerhin greifen sie ja direkt in eigentlich freie und persönliche Entscheidungen ein. Es geht einmal mehr um Geld, und zwar das der Beitragszahler innerhalb der sogenannten Solidargemeinschaft der Krankenversicherten.

Natürlich führen Institutionen Statistiken über Kosten, die ihnen entstehen, und deren Verursacher. Mit Einführung von Automodellen, die serienmäßig Sicherheitsgurte enthielten, konnte man relativ deutlich abbilden, wie unterschiedlich der Schweregrad der zu erwartenden Unfallverletzungen und damit die aufzuwendenden Behandlungskosten bei angeschnallten und nicht angeschnallten Fahrzeuginsassen jeweils ausfallen. Nachdem diese Nachweisführung über viele Jahre in eine eindeutige Richtung führten, war die Einführung einer allgemeinen Gurtpflicht legitim mit dem Argument der unproportional höheren Kosten für die Solidargemeinschaft der Beitragszahler bei Verletzten, die nicht angegurtet waren. Herunter gebrochen: der finanzielle Schaden, die der Einzelne bei Fahrten ohne Gurt im Verletzungsfall der Allgemeinheit zufügt, rechtfertigt die gesetzliche Verpflichtung des Einzelnen, dem entgegen zu wirken. Analog verhielt es sich bei der Einführung der Helmpflicht bei Motorradfahrern.

Eine ähnliche Geschichte war die Einführung der Krankenversicherungspflicht. Vor dieser Neuerung war irgendwie jeder Arbeitnehmer gesetzlich krankenversichert, jeder Bezieher von Transferleistungen desgleichen. Bei Selbständigen war es eher wahlfrei, ob man die sehr hohen Kosten für freiwillig gesetzliche oder private Krankenkasse aufbringt. Es gab des weiteren Beitragsausfälle, die dazu führten, daß betroffene Beitragsschuldner gar nicht mehr angenommen wurden von einer Krankenkasse. Es gab Rückkehrerschwernisse von der Privatversicherung in die gesetzliche, die zu teils unzumutbaren Härten für den Einzelnen führten. In der Summe dieser Fakten ergab sich eine Vielzahl medizinischer Behandlungen von nicht versicherten Personen, die der Solidargemeinschaft der Beitragszahler zur Last fielen und entsprechend zur Beitragserhöhung führten. Dieser Ungerechtigkeit sollte mit der Krankenversicherungspflicht und einigen begleitenden Neuregelungen abgeholfen werden.

Abgesehen davon, daß ich das in Gänze für mißlungen halte - es gibt heute in Deutschland ca. 311.000 Personen ohne Krankenversicherung und weiter große Ungleichheit im System selbst - stellte sich für mich in diesem Moment die Frage: ist diese gesetzliche Verpflichtung tatsächlich bindend für mich, obwohl ich rechtsverbindlich jede Leistung, die von dieser Versicherung abgedeckt wäre, ablehne. Mein Anwalt und in Folge auch das Gericht befanden, daß ich der Solidargemeinschaft nicht zur Last falle und daher der Eingriff in meine persönliche Entscheidungsfreiheit nicht zulässig wäre. Mit der gleichen Begründung wurde mir bereits viele Jahre zuvor die Gurt- und Helmpflicht erlassen.

Heutzutage gibt es bereits die Möglichkeit, regulär einen Antrag auf Befreiung von der Krankenversicherungspflicht zu stellen, ohne dafür ein Gericht anzurufen: hier wären religiöse oder weltanschauliche Gründe die passende Grundlage. Selbstverständlich wird man dann in jedem Fall einer medizinischen Konsultation zum Selbstzahler. He - meine Entbindungen im Geburtshaus haben jeweils ca. 380 DM bzw. 280€ gekostet und für einen Augenarzttermin muß ich um die 120€ hinlegen. Wenn ich mit einem Bandscheibenvorfall (2005) zu einem indianischen Heiler gehe, möchte der auch Geld dafür haben, daß er mir hilft. Es gibt jedoch bis heute keine Krankenkasse, die solche Leistungen ansatzweise übernehmen würde. Insofern: ich lebe gut damit.

Mein konsequenter Verzicht auf die reguläre medizinische Versorgung ist sicher kein gängiger Weg für Jedermann. Aber er ist möglich...

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english version:

Yesterday, I went on a bit of a rant about my idea of personal responsibility, specifically regarding a living will. Some comments I answered directly as usual, a few questions seem to deserve a bit more attention:

Yes, I carry in my wallet, along with cash cards and other important documents, a "warning" for first responders. A similar solution could be found with a bracelet or a tattoo, as is known for epileptics, allergy sufferers or diabetics. Since several St John Ambulance first aiders and firefighters have confirmed to me that pockets are always searched for IDs and such documents when the patient is alone and unresponsive, my solution seems quite practicable to me. In addition to the immediate cease and desist order, the warning refers to the detailed living will that is also carried and to the proxy who would confirm and enforce it in case of doubt. Of course, this does not give me 100% certainty that my will will be taken into account in every case - but as we know, there is no such thing anyway. And with my documents I at least have legal certainty...

The other question was about judicial exemption from seatbelt and helmet and health insurance obligations.

For this we have to go a little further and look at why such legal obligations can exist at all. After all, they directly interfere with free and personal decisions. Once again, it is a question of money, namely that of the contributors within the so-called solidarity community of the health-insured.

Of course, institutions keep statistics on the costs they incur and who causes them. With the introduction of car models that included seat belts as standard, it was possible to map relatively clearly how different the severity of the accident injuries to be expected and thus the treatment costs to be incurred were for belted and unbelted vehicle occupants in each case. After this evidence led in a clear direction for many years, the introduction of a general seat belt obligation was legitimate with the argument of the disproportionately higher costs for the solidarity community of contributors in the case of injured persons who were not wearing a seat belt. Broken down: the financial damage that the individual causes to the community in case of injury when driving without a seatbelt justifies the legal obligation of the individual to counteract this. The introduction of compulsory helmets for motorcyclists was similar.

A similar story was the introduction of compulsory health insurance. Before this innovation, somehow every employee was covered by statutory health insurance, every recipient of transfer payments likewise. In the case of the self-employed, it was rather optional whether to pay the very high costs of voluntary statutory or private health insurance. In addition, there were shortfalls in contributions, which meant that those who owed contributions were no longer accepted by a health insurance fund. There were difficulties in returning from private to statutory health insurance, which in some cases led to unreasonable hardship for the individual. The sum of these facts resulted in a large number of medical treatments of uninsured persons, which were a burden on the solidarity community of contributors and led to a corresponding increase in contributions. This injustice was to be remedied with compulsory health insurance and some accompanying new regulations.

Apart from the fact that I consider this to be a complete failure - there are about 311,000 people without health insurance in Germany today and there is still great inequality in the system itself - the question arose for me at that moment: is this legal obligation really binding for me, although I legally refuse any service that would be covered by this insurance. My lawyer and subsequently also the court found that I was not a burden on the solidarity community and therefore the interference in my personal freedom of choice was not permissible. With the same reasoning, I had already been exempted from compulsory seat belts and helmets many years before.

Nowadays, it is already possible to apply regularly for exemption from compulsory health insurance without going to court: here, religious or ideological reasons would be the appropriate basis. Of course, one then becomes a self-payer in every case of a medical consultation. Hey - my births in the birth centre cost about 380 DM and 280 € each, and I have to pay about 120 € for an eye doctor's appointment. When I go to an indigenous healer with a slipped disc (2005), he also wants money for helping me. However, there is still no health insurance that would cover such services. In this respect: I live well with it.

My consistent renunciation of regular medical care is certainly not a common path for everyone. But it is possible...

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 3 years ago 

Danke. Spannend... :-))
Ich werde dir nicht nachahmen, doch interessant ist es auf jeden Fall, um die Möglichkeiten zu wissen.

 3 years ago 

Ja nee, man sollte mich auch nicht nacheifern ;-)))

 3 years ago 

DU wird ja immer mehr "beschrieben". :-) Leider habe ich gerade in den letzten Tagen zu wenig Zeit zum Kommentieren und Lesen. Aber wenn sich die Möglichkeit ergibt... so wie jetzt... dann geht's los :-)

Das von dir Beschriebene war mir in der Tat neu.
Es ist schon sehr interessant, wie frei man in D dann doch in seinen Handlungen ist... wenn man die Konsequenzen daraus ebenfalls trägt. Leider ist genau dies meist der Knackpunkt bei all der Freiheit, die man gern für sich proklamiert.
Insofern: Hut ab für deine Konsequenz! :-)

Interessant, und gut zu Wissen was möglich ist.

Ich bedanke mich für die Information. Hätte ich im Leben nicht gedacht, dass dies überhaupt möglich ist. Kann man mal sehen, wie der durch das Hirn gezogenen Stacheldraht funktioniert. Man stellt einige Thema nicht einmal mehr in Frage. Danke!

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 3 years ago 

Hmm, interessant, ja .

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