Heiner Hirsch lebt jetzt gesund ;-))

in Deutsch Unplugged2 years ago

"So, so... Taxifahrer sind Sie also. Na, wo fehlt es denn sonst noch?"

Heiner versucht vergeblich, es sich auf dem Designerstuhl des Arztes bequem zu machen. Schlimmer als bei der regelmäßigen Gesundheitsprüfung für den P-Schein konnte es ja nicht werden. Dieses Ziehen im Kreuz haben die Kollegen meist auch zu verzeichnen, und bisher hat er jedenfalls noch keinen Kutscher im Streckverband kennengelernt. Heiners alter Freund Kutte gab ihm schon einmal seinen „fachmännischen“ Rat, der da lautete: "Wenn's hinten weh tut, soll man...", mit irgendwas aufhören. Mist, jetzt hatte er den Rest glatt vergessen!

"Tja, Herr Hirsch... Sie bewegen sich einfach zu wenig. Haben Sie vielleicht ein Fahrrad?"

Klar hat Heiner ein Fahrrad, ein tolles 18er mit Dreigang-Kettenschaltung. Hat er schließlich zur Einsegnung bekommen und damals war es das schnellste und beste Rad in der ganzen Straße. Daß damals noch Adenauer Bundeskanzler war, verdrängt Heiner etwas verschämt aus seiner Erinnerung. Aber daß er dieses Schmuckstück irgendwo im Keller, hinter den alten Illustrierten, gelagert hat, weiß er genau.

Tatsächlich kostet es auch nur drei Stunden, etwas Schweiß und reichlich Flüche - und das Gefährt steht gewienert zur ersten Ausfahrt bereit. Heiners Frau winkt fast mit Tränen in den Augen ihrem sportlichen Mann hinterher, während seine Kinder sich mit hochroten Köpfen vor ihren Freunden verstecken.

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Foto: Netzfund

Offenbar ist er noch ganz gut in der Übung… Schnittig, wie er mit seinen knapp 98 Kilo in der engen Radlerleggins und dem T-Shirt aussieht, umrundet er bald den Großen Stern und schaltet rasant in den dritten Gang, als hinter ihm schrilles Klingeln ertönt. Drei Radsportler strampeln in geschlossener Front von hinten auf Heiner zu.

‚Haben sich wohl doch ein paar Regeln geändert, zu meiner Zeit mußte man noch hintereinander fahren.‘ Überlegt er sich so, als die drei wie Lützows wilde verwegene Jagd vom Radweg nach rechts ausweichen, die dort stehenden Kinderwägen umkurven und unter lauten Drohungen die dazugehörigen Mütter in die Flucht schlagen.

Heiner spürt einen Einschlag am Kopf. Er wird von einer Babyflasche mit gaumengerechtem Sauger an der Schläfe getroffen, als eine der Mütter ihn als einzigen noch greifbaren Radfahrer attackiert. Nach einigen tausend Entschuldigungen darf er dann auch weiterfahren, nur um an der Klopstock-Ecke auf eine rote Ampel zu treffen. Mit dumpfem Rubbeln drückt sich der Gummi seiner Bremse auf den Vorderreifen und es gelingt ihm im gerade noch, vor der weißen Linie zum Stillstand zu kommen.

"Dämlicher Idiot!", grüßen zwei junge Mädchen auf schicken neuen Rädern, während sie ihn umrunden und selbst beherzt über die Straße jagen. Die Pneus kreischen, als ein Taxi-Kollege, irrtümlich auf seine grüne Ampel vertrauend, in die Eisen steigt. Heiner winkt ihm kollegial-mitleidig zu und erntet dafür ein wenig dankbares: "Sch... Radfahrer!"

Mit einem etwas nachdenklichen Gesicht wartet er auf das Erscheinen des grünen Lichtes und tritt weiter in die Pedale auf seinem langen Weg zum Ernst-Reuter. Aber nur für etwa dreißig Meter. Am Bahnhof Tiergarten wird wieder 'mal gebaut. "Radfahrer absteigen", steht da. Klar, Heiner ist ja heute Radfahrer. Also steigt er ab und schiebt sein Rad an der Baustelle vorbei. Ungläubig erntet er die „Anerkennung“ seiner neuen Sportfreunde: "Blöder Hund! Fahr' doch weiter, die Autofahrer schieben ihre Stinkekarren ja auch nicht!"

Den Flohmarkt vor‘m Charlottenburger Tor umgehen die anderen Zweiradlenker weiträumig, wobei sie die beiden rechten Fahrspuren lässig blockieren. Das Hupen der intoleranten Autofahrer spornt sie nur zu neuem Eifer an, und Heiner beobachtet mit großen Augen ballettreife Einlagen, bei denen einzelne Autotüren durch gezielte Tritte freundlichst geschlossen werden.

Endlich hat er wieder den Radweg erreicht und schwingt sich erneut auf sein Vehikel. Zügig strampelnd erreicht er den Reuterplatz und umkreist diesen unbehelligt von der Tatsache, daß er an jeder roten Ampel überholt und beschimpft wird. Jedenfalls von den Radlern, die den Radweg benutzen, während die Fußweg- und Fahrbahnbefahrer ihn nicht besonders tangieren.

Als er nach einer Umrundung wiederum auf die Straße des 17. Juni einbiegt, spürt er, wie sein Adrenalinspiegel langsam aber sicher ans Limit gerät. Den Rückweg legt er ziemlich einsam zurück, da es offensichtlich unter echten Radsportlern verpönt ist, den Radweg zu benutzen. Überflüssig zu sagen, daß er auch in der Bartningallee fast alleiniger Benutzer dieser Einrichtung ist. Lediglich einer mit Rennrad ohne Licht, Schutzbleche und funktionsfähige Bremsen begegnet ihm.

---- Leider auf seiner Spur und frontal.

Die Ärzte in der Notaufnahme lachen sehr herzlich, als sie hörten, daß Heiner seiner Gesundheit zuliebe mit dem Radfahren begonnen hat. "Kreuzschmerzen haben sie? Nehmen sie lieber Massagen, die sind gesünder."

Seitdem sind Heiners Kreuzschmerzen ebenso weg wie sein Fahrrad. Und wenn es nur ein wenig im Rücken piekt, schaut er nachdenklich zu den Narben an seinem Schienbein und schon massiert ihm seine Frau sorgend den Rücken.

Fazit: Wenn Ihr Euch wieder mal über einen Radfahrer ärgert, der bei Rot, im Dunkeln ohne Licht oder in der Fußgängerzone Euren Weg kreuzt, bedauert ihn einfach! Er hat halt niemanden, der ihm den Rücken massiert...

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 2 years ago 

Herrlich! 👍
Man kann sich den bemitleidenswerten Zeitgenossen förmlich vorstellen mit seinen gut gemeinten Aktivitäten und wenig überraschenden Begegnungen in der Großstadt.
Das Ende ist dann aber doch überraschend und wohltuend zugleich... 😀

 2 years ago 

Ist ja auch gar nicht bös gemeint: ich bin schon überzeugt, daß alle, Autofahrer, Radler und Fußgänger, für sich genug Möglichkeiten haben müssen, auch und gerade in Großstädten. Aber diese §1-Sache mit der gegenseitigen Rücksichtnahme funktioniert nun mal nicht ohne Gegenseitigkeit. Und die Parteien nehmen sich da gar nix im gelebten Verkehrsalltag...

 2 years ago 

Insofern fand ich die Stelle, in der Heiner dem Taxi-Kollegen zuwinkt und ein "freundlicher" Gruß retour kommt, sehr gut... Sobald man auf der Gegen-Seite steht, ist es vorbei mit Freundlichkeit...

 2 years ago 

Leider ist es so.
Theoretisch lassen alle - sowohl die Radfahrer als auch die Autofahrer - den Gegenpart "gerne" passieren, sogar die Vorfahrt, obwohl man...

Leider ist es hier wie in allen Situationen.
Die Menschen machen nicht das was sie sagen, sondern handeln fast immer gegensätzlich.

Keiner lässt den Hundekot liegen.
Keiner wirft Müll weg.
Oder spuckt Kaugummi aus.

Nein! Wir machen das nicht!

Ich behaupte seit Jahren, dass es Ausserirdische unter uns geben mus die das machen.
Wir nachen das nicht!
Tolle Story

 2 years ago 

Das ist allerdings ein seltsames Phänomen!
Eigentlich dürfte es solche Situationen als gar nicht geben... vielleicht steuern uns die Außerirdischen auch irgendwie... ;-)

 2 years ago 

Sag ich ja.
Ich werde gerade wieder zur Keksdose gezwungen😂😁
Ooaahh.... jetzt muss ich die auch noch essen.

 2 years ago 

Oh ich kenn das Foto, machte früher in Whatsapp die Runde ...

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