Ein (zukünftig) rätselhafter archäologischer Fund / A (future) mysterious archaeological finding

in Deutsch Unpluggedlast year (edited)

english below...

Im Jahr 4032 n.Chr., im wärmsten jemals aufgezeichneten April, bricht ein Forscherteam, bestehend aus Archäologen, Paläontologen, Historikern und Anthropologen zu einer Baustelle in Mitteleuropa auf. Gelegen im sehr viel früher (als es noch Nationalstaaten gab) als Deutschland bezeichneten Gebiet. Aufgrund einer Benachrichtigung des Warnsystems, das neue Baugründe routinemäßig vor Beginn der von spezialisierten Baurobotern auszuführenden Arbeiten nach möglichen Artefakten abscannt, die von historischer Bedeutung sein könnten..

Schon die Anreise gestaltete sich recht abenteuerlich; nördlich der einzigen größeren Metropole, die es noch im Bereich des vormaligen Deutschland gab – Bielefeld, war das Vorwärtskommen eine echte Herausforderung. Wo in anderen Regionen ausgeklügelte Verkehrssysteme riesige Entfernungen völlig unkompliziert überbrücken halfen, schien hier die Zeit stehen geblieben zu sein. Es gab Schienenfahrzeuge, die in unregelmäßigen Abständen bestimmte Strecken abfuhren, dabei wenig planmäßig hielten und mehrheitlich überfüllt waren. Aufgrund dieser unerfreulichen Umstände nutzten viele Menschen, die Erledigungen in diesen nahezu verwaisten Landstrichen vor sich hatten, nach wie vor den altertümlichen Individualverkehr. Alleine oder in Kleinstgruppen zwängten sie sich in Blechkisten und fuhren damit weitgehend orientierungslos vage in die angepeilte Richtung. Manchmal erreichten sie auf diese Art sogar ihr Ziel…

Das war letzten Endes auch das Mittel der Wahl unseres Expeditionsteams, nachdem alle anderen Versuche, zur ruhenden Baustelle zu gelangen, gescheitert waren. Die Stimmung unter den Teilnehmern der Forschungsreise war daher von Beginn an etwas… aufgeladen.

Nun ja, sie alle waren erfahrene Forscher und natürlich erreichten sie den Ort, an dem es so ungewöhnliche Ergebnisse des Baugrund-Scans gab. So ungewöhnlich, daß die Künstliche Intelligenz, welche die Scans normalerweise auswertet und anschließend die Flächen für die jeweiligen Baumaßnahmen freigibt, genau das in diesem Fall nicht tat. Sie alarmierte stattdessen die Universität für Globale Altertumsforschung in Machu Picchu. Die in der Meldung enthaltenen Hinweise auf sehr, sehr mysteriöse Funde in den oberen Sedimentsschichten hatten alle wissenschaftlichen Mitarbeiter sofort elektrisiert. Alle wollten an der Expedition teilnehmen und es war eine Ehre, letztlich zu den Auserwählten zu gehören. Die selten gewordene Gelegenheit, Ruhm als Entdecker zu erwerben, war auch zu verlockend…!

Was aber hatte denn der Scan genau ergeben? Eben – etwas Unerklärliches. Es waren elektronische Bauteile sondiert worden. In auffällig großer Anzahl auf verhältnismäßig kleiner Fläche. Alle ähnlich in ihrer äußeren Form. Alle in etwa so groß wie ein Tricorder, nur flacher. Alle in ziemlich exakt gleicher Tiefe – die naheliegende Vermutung, daß alle dieser Gegenstände zur gleichen Zeit in den Erdboden eingebracht wurden, gab viele Rätsel auf. Die angespannte Stimmung wich auch sehr schnell dem Forscherdrang und das Team hielt sich nicht lange mit den Vorbereitungen für ihr Camp auf, sondern stürzte sich eifrig in die Felduntersuchung.

Der mitgebrachte Grabungsroboter bekam zunächst genaue Anweisung über das Raster, innerhalb dessen er Probelöcher graben und Ausschachtungen vornehmen sollte. Der Bautrupp hatte nach der ersten Auswertung des Bodenscans bereits alle möglichen Fundstellen markiert. Es sollte sich nur um wenige Stunden handeln, bis etwas Klarheit in das rätselhafte Phänomen gebracht war…

Der Roboter arbeitete exakt seine Anweisungen ab. Er ließ sich nicht von der scheinbaren Sinnlosigkeit seines Tuns beeindrucken; unbeirrt schaufelte er eine Mehrkomponentenplatte nach der anderen aus dem Erdboden. Es ließ sich sehr schnell feststellen, daß sie nicht alle genau gleich waren, sondern sich geringfügig in den Abmessungen, dem Gewicht, der ursprünglichen Farbe und dem eigentlichen Material unterschieden. Dennoch wäre es für einen menschlichen Grabungshelfer sicher ermüdend, so viele gleichartige Dinge anzuhäufen. 1.970 genau genommen. Nicht, daß damit die vollständige Bergung abgeschlossen war. Nein, die Forscher haben beschlossen, daß schlicht keine anderen Erkenntnisse zu erwarten wären, wenn noch mehr dieser … Teile geborgen würden. Sie wollten sich bis zum Vorliegen sicherer Erkenntnisse über den Zweck dieser antiken Utensilien und den Grund ihrer Versenkung im Erdreich mit dieser repräsentativen Stichprobe zufrieden geben.

Und sie waren begierig, mit ihren Untersuchungen des Fundes zu beginnen. Was recht schnell festzustellen war: es handelte sich ausnahmslos um elektronische Geräte aus den frühen Jahren der Durchdigitalisierung aller Lebensbereiche. Die stoffliche Zusammensetzung der Gegenstände aus verschiedenen Kunststoffen, Metallen, seltenen Erden und teilweise Glas, die erkennbare Struktur von Platinen und Chips, die bemerkenswert gut erhaltenenen diversen Anschlußmöglichkeiten… - eine kurze Suche in einschlägigen Datenbanken ließ keinen Zweifel aufkommen: es handelte sich um Smartphones unterschiedlicher Typen in größerer Anzahl.

Warum diese aber in dieser Häufung genau dort vergraben worden sein könnten, ließ sich beim besten Willen nicht ermitteln. Der Fundort hatte weder besondere Merkmale noch irgendeine historische Relevanz. Wenn man den alten Aufzeichnungen glauben durfte (und in diesem früheren Deutschland nahm man es damit bis heute sehr genau), war dort seit Beginn der amtlichen Erfassung nie etwas anderes als… eine Wiese. Kein Friedhof, wie die Forscher zunächst vermutet hatten. Seltsame Gegenstände in der Erde und das in hoher Anzahl weisen schließlich meist auf Grabbeigaben hin. Aber mitnichten. Außerdem wurde auch nichts außer diesen „Handys“ gefunden.

Die Sache blieb unverständlich. Recherchen in Literatur aus der fraglichen Zeit ergaben, daß diese Geräte Statussymbole gewesen sind, von denen man sich nicht freiwillig getrennt hätte. Daß so gut wie jeder eins besaß, die meisten Menschen sogar mehrere. Daß darauf viel Zeit mit dem Studium sogenannter Sozialer Netzwerke und mit dem Spielen alberner Spielchen verbracht wurde. Was hingegen nicht zu finden war: irgendein Ritual, das den immer bemerkenswerteren Fund irgendwie erklären konnte.

Leider waren die Speichermodule der antiken Fundstücke von Feuchtigkeit und Erosion so angegriffen, daß sie auf keinen Fall jemals wieder ausgelesen werden könnten. Das war eine weitere zerstörte Hoffnung der Forscher, als sie mit ihren Ermittlungen nicht weiter kamen: die um Hilfe gebetene Fraktion der Elektronikingenieure und der Informationstechniker streckten ihre Waffen, als sie die hoffnungslos zerstörten Chips sahen.

Das mit großen Hoffnungen gestartete Forscherteam mußte sich nach geraumer Zeit geschlagen geben: dieses Rätsel der Vergangenheit war nicht schlüssig aufzuklären. Einer von ihnen, ein schmächtiger, langhaariger und eher altmodischer Anthropologe, tanzte etwas aus der Reihe und veröffentlichte einen Aufsatz, für den er allerdings weithin verlacht wurde und seinen akademischen Ruf vollends verdarb. Er verstieg sich zu der Annahme, daß viele, viele Tausende Menschen sich dort auf dem freien Feld für ein paar Tage versammelt hatten, um unkonventioneller Musik zu lauschen. Er nannte sie „Heavy Metal“ und meinte damit eine Form des Rock n‘ Roll, zu der aber nicht neckisch getanzt wurde, sondern etwas ausgeübt, das die Insider „Headbanging“ nannten. Er selber praktiziere das manchmal heimlich, gab er einmal in einem Interview zu… Wie auch immer: bei diesem Treffen soll es so stark geregnet haben, daß der ganze Erdboden tief verschlammt und aufgeweicht war.

Bedingt durch den ausufernden Alkoholkonsum (das war so ein Rauschmittel, das völlig legal erworben und getrunken werden konnte, obwohl es unglaubliche Schäden am Organismus hervorrief) muß es fast zwangsläufig dazu gekommen sein, daß Smartphones in großer Anzahl versehentlich im Schlamm versenkt wurden – und für immer unauffindbar blieben.

Aber wie gesagt, das nahm niemand ernst. Der Kollege landete in einer psychiatrischen Anstalt, wurde dort irgendwann als austherapiert entlassen. Er faselte weiter von „seiner Entdeckung“ und suchte ein Publikum für seine wirren Theorien.

In den Protokollen der Universität steht seit der Expedition folgende kryptische Eintragung: „Die Menschen des frühen 21. Jahrhunderts führten offenbar eine unklare und diffuse Beziehung zu ihren technischen Geräten. Inwieweit diese der Befriedigung archaischer Bedürfnisse dienten, bleibt uns weiterhin verborgen...“

~~

Das Wacken Open Air 2023 war vor allem gekennzeichnet durch viele regenbedingte Probleme. Eins der größten war das Befahren der Campingflächen für die Festivalbesucher, die letztendlich mit Traktoren auf die Flächen geschleppt wurden; das Aufstellen der Zelte und Caravans, das verletzungsfreie Passieren der Schlammflächen und die Tatsache, daß nicht alle Ticketinhaber auf das Gelände gelassen wurden, schlossen sich thematisch in der Problemsammlung der Pleiten-, Pech- und Pannenshow an. Gefeiert wurde trotzdem oder gerade deswegen um so heftiger. Neben zahlreichen Verletzungen gab es innerhalb der ersten vier Tage nach Ende des kultigen Heavy Metal – Festivals 1.970 Schadensmeldungen an Versicherungen über den unwiderbringlichen Verlust von Smartphones im Zusammenhang mit dem Festivalbesuch…

Und ganz bald ist Gras darüber gewachsen… ;-))

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Photo: Philipp Hilgenberg

english versions:

In the year 4032 AD, in the warmest April ever recorded, a team of researchers consisting of archaeologists, palaeontologists, historians and anthropologists set out for a construction site in Central Europe. Located in what was much earlier (when there were nation states) known as Germany. Based on a notification from the warning system that routinely scans new construction sites for possible artefacts that could be of historical significance before the work to be carried out by specialised construction robots begins...

Even getting there was quite adventurous; north of the only major metropolis that still existed in the area of former Germany - Bielefeld, getting around was a real challenge. Where in other regions sophisticated transport systems helped to bridge huge distances in a completely uncomplicated way, here time seemed to have stood still. There were rail vehicles that ran at irregular intervals on certain routes, made few scheduled stops and were mostly overcrowded. Due to these unpleasant circumstances, many people who had errands to do in these almost deserted areas still used the old-fashioned individual transport. Alone or in small groups, they squeezed into tin boxes and drove vaguely in the direction they wanted to go. Sometimes they even reached their destination this way…

In the end, this was also the means of choice for our expedition team, after all other attempts to get to the dormant construction site had failed. The mood among the participants of the research trip was therefore somewhat... loaded right from the start.

Well, they were all experienced researchers and of course they arrived at the site with such unusual results of the building ground scan. So unusual that the Artificial Intelligence, which normally evaluates the scans and then approves the areas for the respective construction measures, did not do exactly that in this case. Instead, it alerted the University of Global Antiquities in Machu Picchu. The references in the report to very, very mysterious finds in the upper sedimentary layers had immediately electrified all the scientific staff. Everyone wanted to take part in the expedition and it was an honour to ultimately be one of the chosen ones. The rare opportunity to gain fame as an explorer was also too tempting...!

But what exactly had the scan revealed? Exactly - something inexplicable. Electronic components had been probed. A conspicuously large number on a relatively small area. All similar in their outer shape. All about the size of a tricorder, only shallower. All at pretty much exactly the same depth - the obvious assumption that all of these items had been placed in the ground at the same time posed many mysteries. The tense mood also very quickly gave way to an exploratory urge and the team did not dwell long on preparations for their camp, but eagerly plunged into field investigation.

The excavation robot they had brought with them was first given precise instructions about the grid within which it was to dig test holes and excavate. After the first evaluation of the soil scan, the construction team had already marked all possible sites. It should only be a matter of a few hours until some clarity was brought to the mysterious phenomenon…

The robot works exactly according to its instructions. It was not impressed by the apparent futility of what it was doing; undeterred, it shovelled one multi-component plate after another out of the ground. It could be seen very quickly that they were not all exactly the same, but differed slightly in dimensions, weight, original colour and actual material. Still, it would certainly be tiring for a human excavation worker to pile up so many of the same kind. 1,970 to be exact. Not that this completed the full recovery. No, the researchers decided that simply no other insights could be expected if more of these ... pieces were recovered. They wanted to be content with this representative sample until there was more certain knowledge about the purpose of these ancient utensils and why they were buried in the ground.

And they were eager to begin their investigation of the find. What could be determined quite quickly: without exception, these were electronic devices from the early years of the digitalisation of all areas of life. The material composition of the objects made of different plastics, metals, rare earths and partly glass, the recognisable structure of circuit boards and chips, the remarkably well preserved various connection possibilities... - a short search in relevant databases left no doubt: they were smartphones of different types in large numbers.

But why they could have been buried there in such an accumulation could not be determined with the best will in the world. The place of discovery had neither special features nor any historical relevance. If the old records were to be believed (and in this former Germany they were very precise about this until today), there had never been anything other than... a meadow since the beginning of official recording. Not a cemetery, as the researchers had initially assumed. Strange objects in the earth, and in large numbers, usually indicate grave goods. But not at all. Moreover, nothing was found except these "Mobiles".

The matter remained incomprehensible. Research into literature from the period in question revealed that these devices had been status symbols that people would not have voluntarily parted with. That just about everyone owned one, most people even several. That a lot of time was spent on them studying so-called social networks and playing silly games. What was not to be found, however, was any ritual that could somehow explain the increasingly remarkable find.

Unfortunately, the memory modules of the ancient finds had been so attacked by moisture and erosion that there was no way they could ever be read out again. This was another dashed hope of the researchers when they got no further with their investigations: the fraction of electronic engineers and information technicians who had been asked for help stretched out their arms when they saw the hopelessly destroyed chips.

The research team, which had started with great hopes, had to admit defeat after some time: this riddle of the past could not be conclusively solved. One of them, a lanky, long-haired and rather old-fashioned anthropologist, stepped out of line and published a paper, for which he was widely ridiculed and which completely spoiled his academic reputation. He went so far as to hypothesise that many, many thousands of people had gathered there in the open field for a few days to listen to unconventional music. He called it " Heavy Metal" and meant a form of Rock n' Roll, which was not danced to teasingly, but practised in what the insiders called " Headbanging". He himself sometimes practised it secretly, he once admitted in an interview... Anyway: at this meeting it is said to have rained so hard that the whole ground was deeply muddy and soggy.

Due to the excessive consumption of alcohol (which was a drug that could be legally purchased and drunk, although it caused unbelievable damage to the organism), it must have been almost inevitable that large numbers of smartphones were accidentally sunk in the mud - and remained untraceable forever.

But as I said, nobody took it seriously. The colleague ended up in a psychiatric institution, where he was eventually discharged as having failed treatment. He continued to babble about "his discovery" and was looking for an audience for his crazy theories.

Since the expedition, the university's protocols contain the following cryptic entry: "The people of the early 21st Century apparently had an unclear and diffuse relationship with their technical devices. The extent to which these served to satisfy archaic needs continues to elude us..."

~~

The Wacken Open Air 2023 was mainly characterised by many rain-related problems. One of the biggest was the driving onto the camping areas for the festival visitors, who were finally dragged onto the areas with tractors; the pitching of the tents and caravans, the injury-free passing of the muddy areas and the fact that not all ticket holders were allowed onto the site joined thematically in the collection of problems of the flop, bad luck and breakdown show. The party was all the more intense in spite of this, or perhaps precisely because of it. In addition to numerous injuries, within the first four days after the end of the cult Heavy Metal Festival, there were 1,970 damage reports to insurance companies about the irretrievable loss of smartphones in connection with the festival visit...

And very soon it will blow over... ;-))

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 last year 

Hauptsache, die Veranstalter bekommen wegen deiner Offenbarung nun aktuell keine Sammelklage wegen illegaler Elektroschrottentsorgung an den Hals… ;-)

Sehr coole Verarbeitungsidee der Misere, noch coolere, amüsante Umsetzung… :-))

 last year 

Och, ich denke eher, da werden ein paar Sondengänger demnächst einen guten Schnitt machen...

 last year 

Hihi, sicherlich einen besseren Schnitt als (sonst) die Second-Hand-Igluzeltverkäufer… ;-)

 last year 

Höhö .

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