Vier Tage im Dezember: Rilke und ich, ich und Rilke

in Deutsch Unplugged2 years ago

Vier Tage im Dezember: Rilke und ich, ich und Rilke

Manche Gedichte von Rilke finde ich echt gut, das möchte ich vorausschicken, bevor der Eindruck entsteht, ich könne rein gar nichts mit seinen Werken anfangen. „Der Panther“ und „Die Aschanti“, um diese beiden zu nennen, sind großartig, finde ich.

https://de.wikisource.org/wiki/Der_Panther
https://de.wikisource.org/wiki/Die_Aschanti

Wie es kam, dass ich auf einige der frühen Gedichte von Rilke gestoßen bin und mich von ihnen provoziert fühlte, weiß ich gar nicht mehr. Die Provokation wollte ich ins Kreative wenden, sie hervortreten lassen und zeigen, und da erschien es mir naheliegend, vier Gedichte zu „übersetzen“. Ich transferierte sie also von Rilke-Stil nach ty-ty-Schreib und blieb dabei inhaltlich so nahe als mir möglich am Original. Anders gesagt: Ich schrieb sie um. Ich ließ sie auf mich wirken und gab sie dann in gewisser Weise wieder. Mein „Übersetzungsversuch“ ist also jeweils eine Art Dekonstruktions-Text oder ein Text über einen Text.

Nachfolgend vier frühe Gedichte von Rilke mit meinen davon provozierten Reaktionen, welche ich weiterhin „Übersetzungsversuche“ nennen möchte. Das grenzt auch ein bisschen ab von einem anderen Text-zu-Text-Projekt, das ich in der damaligen Zeit begonnen hatte: „kontra-Texte“. Das sind Texte von mir zur Gedichtsammmlung „Das Königsspiel des Lebens“ (von einem hier bekannten Weißen Raben). Diese „kontra-Texte“ sind nämlich gezielte Antworten, während die Rilke-„Übersetzungsversuche“ – um Beethoven zu zitieren – „mehr Ausdruck der Empfindung“ sind.

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[Foto ty-ty]

Nachtgedanken

Weltenweiter Wandrer
walle fort in Ruh
Also kennt kein andrer
Menschenleid wie du

Wenn mit lichtem Leuchten
du beginnst den Lauf
schlägt der Schmerz die feuchten
Augen zu dir auf

Drinnen liegt als riefen
sie dir zu: versteh
tief in ihren Tiefen
eine Welt von Weh

Tausend Tränen reden
ewig ungestillt
und in einer jeden
spiegelt sich dein Bild

Rilke: Frühes Gedicht, 1894



Durch Flüsse Prärien und Wälder
Über Pässe Gebirge und Meere
Suchst du die Stelle der Stille
Im Andern im Ich im Du

ty-ty: „Übersetzungsversuch“, 12.12.2017

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[Foto ty-ty]


Das Märchen von der Wolke

Der Tag ging aus mit mildem Tone,
so wie ein Hammerschlag verklang.
Wie eine gelbe Goldmelone
lag groß der Mond im Kraut am Hang.

Ein Wölkchen wollte davon naschen,
und es gelang ihm, ein paar Zoll
des hellen Rundes zu erhaschen,
rasch kaut es sich die Bäckchen voll.

Es hielt sich lange auf der Flucht auf
und sog sich ganz mit Lichte an; -
da hob die Nacht die goldne Frucht auf:
Schwarz ward die Wolke und zerrann.

Aus: Larenopfer (Rilke:1895)



Es fiel der Hammer in der Schmiede
Wohl tausendmal mit hellem Klang
Bis eine Silberscheibe glühte
Und rollt‘ den Berg hinan
Von wo sie in die Wolken sprang

Ein Wölkchen badet sich im Glanz
Ergibt sich dieser Wonne ganz
Und löst sich darin auf
Hin zum Nirvana und ins Sein
Das die so ganz und gar nicht schau’n
Die stets nur ihren Augen trau‘n

ty-ty: „Übersetzungsversuch 2“, 13.12.2017

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[Foto ty-ty]


Als ich die Universität bezog

Ich seh zurück, wie Jahr um Jahr
so müheschwer vorüberrollte;
nun endlich bin ich, was ich wollte
und was ich strebte: ein Skolar.

Erst Recht studieren war mein Plan;
doch meine leichte Laune schreckten
die strengen, staubigen Pandekten,
und also ward der Plan zum Wahn.

Theologie verbot mein Lieb,
konnt' mich auf Medizin nicht werfen,
so daß für meine schwachen Nerven
nichts als Philosophieren blieb.

Die Alma mater reicht mir dar
der freien Künste Prachtregister,
und bring ich‘s nie auch zum Magister,
bin was ich strebte: ein Skolar.

Aus: Larenopfer (Rilke:1895)



Und lern‘ ich ohne Zweck und Nutzen
So doch nicht ohne Ziel und Sinn
Ergreif‘ die Welt mit meinem Tasten
Um dann zu spüren wer ich bin

Die Helle freien Spiels mit Wissen
Führt mich dahin wo ich nie war
Zum Forschen tief in die Erkenntnis
Versteh‘n ist nie und nirgends klar

ty-ty: „Übersetzungsversuch 3“, 14.12.2017

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[Foto ty-ty]


Motto

Das ist die Sehnsucht: wohnen im Gewoge
und keine Heimat haben in der Zeit.
Und das sind Wünsche: leise Dialoge
täglicher Stunden mit der Ewigkeit.

Und das ist Leben. Bis aus einem Gestern
die einsamste Stunde steigt,
die, anders lächelnd als die andern Schwestern,
dem Ewigen entgegenschweigt.

Aus: Frühe Gedichte
Rainer Maria Rilke, 3.11.1897, Berlin-Wilmersdorf



Ja zu dem Fuß
Der die Welt der Andern
Nicht betritt und kaum berührt
Ja zu dem Schweben
Das die Taten solcher
Respektiert doch nicht ergreift
Nein zum Erschwelgen
Eigner Selbstgenügsamkeit
Nein zum Erträumen
Falscher Vorvergangenheit
Ja zu dem Du
Dessen Kuss mich wieder weckt
Dessen Wort mein Schweigen füllt
Dessen Hand mein Auge schließt

ty-ty: „Übersetzungsversuch 4“, 15.12.2017

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 2 years ago 

So, so. Dann hätte ich doch gern mal die Kontra-Texte zum "Pferd mit Flügeln" und zu "Liebe?" (Heißt der dann "Liebe!"?). Wenn die auch so gut sind wie die Originale oder diese Übersetzungsversuche, ist Lesegenuss mal wieder vorprogrammiert... :-))

 2 years ago 

I misdid me.
Ich habe mich ein bisschen vertan.
Sie heißen "konter Texte", und ich gebe dir gerne die erwünschte Leseprobe.
Mal sehen, wie und wo - vielleicht als Post mit Drumrumgeschwafel und hier beim ungepflügten Deutsch. Ferdl mit Pflügen und !E-Beil.

 2 years ago 

Das kriegen wir sicher geregelt ;-))

 2 years ago 

Bei meiner heutigen Begegnung mit Rilke in einer gut sortierten Buchhandlung musste ich an dich denken 😊

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Am Rilke im Sammelbandschuber wäre ich früher wohl achtlos vorbei gegangen...

 2 years ago 

;-))

 2 years ago 

Rilke neben "Krieg und Frieden". Gewagte Sortierung ;-))

 2 years ago 

Adlerauge! Krieg und Frieden war mir gar nicht aufgefallen... ich war so fixiert ;-)
Muss man ja fast hervorheben, dass das Buch an prominenter Stelle angeboten und nicht mit Russland-Bezug sanktioniert wird...

 2 years ago 

Der alles wissende Schatz wies mich darauf hin, daß es sich um eine ausgefuchste und strategische Platzierung handeln könnte: Rilke und Tolstoi trafen und kannten sich ;-))

 2 years ago 

Dem fachkundigen Personal in einer Buchhandlung würde ich derartiges Wissen ebenfalls zutrauen. Das findet man dort öfter als in anderen Handelsbereichen, in denen es eher ums Verkaufen als ums Beraten geht...

 2 years ago 

#CHRISTINEKOSCHEL , ja , die hat #Es ´mal gesuchtet, in den MittAgspAusen der ElekTricKeriSanz .
Also #Es muss die Texte oben ins "Prosa" übersetzen , beim Lesen , das nervt.
Ja und ist aber auch kein Mist , das #RILKE , hihi .

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 2 years ago 

Zeit, von der Schaukel zu springen.

Klingt als Motto besser als "Du musst dein Leben ländern."

 2 years ago 

Schaukel bestimmt auch , und an WindsChädel erinnert #Es #Sich auch , und das war wohl auch so , wie #Es das in der damalslichen Zeit gut brauchen konntete , aber halt .
#HAMMWAHIER ´n samstäglichen Plausch , was , nix beSsreS am Hut ´was , hihi haha .
christiane ballert wybrianiets oderso , das genaue GegenteÏ war modern , hoho , damals .
Was mir aber so im GedäChtnÏs blieb , von der , war ebent die HinsChreÏbÏerung.
Nicht unbedingt wegen des VerstEhens der AussAgen , hihi , nene , des AusdRuckes weGen konnte #Es das so fein schön immer wiederlich so lesen .

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