Buchvorstellung: Karl Jaspers, Einführung in die Philosophie.
Buchvorstellung: Karl Jaspers, Einführung in die Philosophie.
Zwölf Radiovorträge. Zürich 1950
„Wenn Philosophie den Menschen als Menschen angeht, so muss sie auch allgemein verständlich bleiben können. Zwar nicht die schwierigen Entfaltungen philosophischer Systematik, wohl aber einige Grundgedanken sollten auch in Kürze mitteilbar sein. Ich wollte von der Philosophie etwas fühlbar werden lassen, was jedermann angeht.“
Karl Jaspers
Mit dieser Einstellung und diesem Anspruch konzipierte Karl Jaspers zwei Vorlesungsreihen, die man heute dem sogenannten „Studium Generale“ zurechnen könnte, nämlich Vorträgen, die sich an Studierende aller Fachbereich sowie auch an die allgemeine Öffentlichkeit wenden. Die erste dieser beiden Reihen wurde im Schweizer Rundfunk ausgestrahlt, die schriftliche Publikation der „Einführung in die Philosophie“ folgte sogleich danach (beides in 1950).
Es ist eine sehr persönliche Einführung in die Philosophie, die Karl Jaspers damals vorlegte. Ich habe manche Einführungen in die Philosophie vor Augen gehabt, die meisten verfahren nach dem sicherlich auch bewährten Rezept, einen kommentierten Überblick über geschichtliche Verläufe innerhalb der Fach-Philosophie zu geben. Das tut Jaspers aber nicht. Stattdessen nimmt er von der ersten Seite an die Lesenden (oder Hörenden – die Audio-Dateien existieren noch) bei der Hand und beginnt zu philosophieren. Die erste Frage lautet (als Thema der ersten der zwölf Vorlesungen bzw. Kapitel): „Was ist Philosophie?“
„Für einen wissenschaftsgläubigen Menschen ist das Schlimmste, dass die Philosophie gar keine allgemeingültigen Ergebnisse hat, etwas, das man wissen und damit besitzen kann.“
Karl Jaspers, Einführung in die Philosophie, S. 9
Dieser Satz ist von großer Bedeutung. Jaspers spricht es auch so aus: „Philosophie heißt: auf dem Weg sein.“
Oder: „Philosophisches Denken ist Praxis, aber eine einzigartige Praxis.“
Natürlich kommt Jaspers in der zweiten Vorlesung auch auf die Geschichte der Philosophie zu sprechen, aber er stellt die Frage anders, wenn er ihr die Überschrift „Ursprünge der Philosophie“ gibt. Die Untersuchung der Ursprünge der Philosophie führt auf die Unterscheidung zwischen Anfang und Ursprung, und den Ursprung sieht Jaspers jederzeit in den Menschen gegeben. Drei Bereiche, drei Quellen des Philosophierens macht er aus: das Staunen, den Zweifel und die sogenannten Grenzsituationen.
Seinen wohl schwierigsten Begriff, vor allem für Einsteiger in das Gebiet des Philosophierens, entfaltet Jaspers im dritten Kapitel: „Das Umgreifende“. Dieses musste ich mehrmals lesen, bevor ich es endlich verstanden hatte (zu verstehen glaubte). Überhaupt habe ich die ganze „Einführung“ mehrmals gelesen, aber dieses Kapitel erforderte bei meiner ersten Lektüre von mir am meisten Konzentration und Aufmerksamkeit.
„Der Gottesgedanke“, „Die unbedingte Forderung“, „Der Mensch“ und „Die Welt“ sind die folgenden Kapitel jeweils überschrieben, und auch noch die weiteren fünf Kapitel-Überschriften aufzulisten, erspare ich euch. Wer Interesse hat, schaut bitte in den beigefügten Screenshot. Lediglich „Die Welt“ möchte ich noch kurz ansprechen. Darin geht es unter anderem um die sogenannte „Erscheinungshaftigkeit des Daseins“.
Diese „Erscheinungshaftigkeit des Daseins“ steht einerseits in einem Bezug zu dem oben erwähnten „Umgreifenden“, andererseits geht sie – wie „Die unbedingte Forderung“ – zurück auf die Philosophie von Immanuel Kant. Kant unterscheidet zwischen dem, was wir sehen, hören, riechen, schmecken, ertasten können, also der sinnlich wahrnehmbaren Realität einschließlich unserer Gefühle und unseres Denkens, und dem, was wirklich IST. Die Welt ist für Kant in diesem Sinne eine Erscheinung dessen, was ist, eine Erscheinung des Seins, aber nicht das Sein selbst. Das Sein selbst wird in diesem Gedanken außerzeitlich und außerräumlich vorgestellt. Es ist damit für uns empirisch unzugänglich, jenseits aller Erfahrung, aber dennoch die Bedingung dessen, dass wir Erfahrungen machen, Sinnes-Eindrücke haben, eine Welt in uns und außerhalb von uns erleben können. Die Welt zu deuten als Erscheinungsform des Seins macht die Welt nicht zu einem Schein, nicht zu einer Illusion. In diesem Zusammenhang ist die „Erscheinungshaftigkeit des Daseins“ ebenso wenig eine Täuschung, von der wir uns zu befreien hätten, als vielmehr ein Horizont, über den hinaus zu denken wir eingeladen sind. Dabei geht es nicht um Jenseits-Spekulation, sondern gerade um deren Abwehr.
Zum Abschluss noch ein Zitat anlässlich des fünfzigsten Todestages von Karl Jaspers:
„Karl Jaspers hat, auf den einfachsten Nenner gebracht, in einer Zeit der Orientierungslosigkeit gezeigt, was Philosophie ist und warum Philosophie nottut – nicht irgendeine Philosophie, sondern jene, die mit Sokrates beginnt und die den «kleinen» Unterschied zu machen weiss zwischen dem, was man wissen und dem was man nicht wissen kann.“
Neue Zürcher Zeitung (Anton Hügli), 24.02.2019
https://www.nzz.ch/feuilleton/karl-jaspers-ein-philosoph-der-aufs-ganze-geht-ld.1460196
Mir selbst ist Jaspers’ „Einführung in die Philosophie“ zu einem Wendepunkt meines Lebens geworden, zu einer „Umwendung“, wie Jaspers es nennt. Dabei hatte ich das Glück, auf sie zu stoßen im Verbund eines Jaspers-Lesebuchs, in welchem außer der vollständigen „Einführung“ auch Auszüge aus anderen Werken versammelt sind, insbesondere der Auszug „Philosophie und Unphilosophie“, welcher aus „Der philosophische Glaube“ stammt, über den ich bereits ein paar Zeilen geschrieben habe.
PS
Der Piper-Verlag, gewissermaßen der „Haus-Verlag“ von Karl Jaspers, hat es vor allem in neuerer Zeit für tunlich gehalten, die Umschläge seiner Jaspers-Publikationen mit Fotos zu gestalten, die ich persönlich nur als theatralisch-altbacken bezeichnen kann. Die früheren Buch-Umschläge waren ansprechender gestaltet. Lasst euch von den Alt-Herren-Fotos also nicht abschrecken – die Inhalte sind alles andere als altbacken!
Links:
https://www.piper.de/buecher/einfuehrung-in-die-philosophie-isbn-978-3-492-20013-4
https://www.piper.de/buecher/was-ist-philosophie-isbn-978-3-492-30199-2
https://jaspers-stiftung.ch/de/karl-jaspers/einfuehrung-in-die-philosophie
https://www.deutschlandfunk.de/die-kunst-zu-philosophieren.1148.de.html?dram:article_id=180186
https://www.nzz.ch/feuilleton/karl-jaspers-ein-philosoph-der-aufs-ganze-geht-ld.1460196
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Menno, ich bin doch noch gar nicht so richtig beim letzten Jaspers hinterhergekommen... ;-)
Toll, dass du am Ball bleibst und... Schankedön!
LG Chriddi
Schiddebähn!
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