Unterbrochenes Pegelsaufen

Bis zum Wochenende wusste ich nicht, was "Pegelsaufen" bedeuten soll. Bei mir gab es nur: saufen oder halt nicht saufen.

Kleine Anmerkung am Rande: War bekannt, dass es nur in wenigen Sprachen eine Unterscheidung für die Nahrungsaufnahme zwischen Menschen und Tieren gibt? Ein sehr nützliches Gimmick im Deutschen, wie mir scheint. Denn wie anders als "fressen" oder "saufen" soll man das, was einige Menschentiere diesbezüglich so abliefern, bitte bezeichnen?

Es war nämlich mal wieder Herrentagswochenende. Wie üblich begaben sich Leroy und seine zwei alten Schulkumpels mit ihren Kindern (weibliche Personen nur bis 12 Jahre zugelassen, es sei denn als Au Pair oder bedienendes Personal) zum Chaos-Wochenende über Christi Himmelfahrt in Klausur.

Diesmal unter deutlich erschwerten Bedingungen. Wejen die Pandemie. Denn eine Horde Berliner und Brandenburger Asis darf ja im Moment keiner aufnehmen. Es musste also umdisponiert werden: Wir schlugen das Lager in Leroys Datsche auf. Der größte Schnarcher und seine zwei Jungs hatten Pech, die mussten draußen pennen, sonst hätte bei den Pappwänden keiner ein Auge zugemacht, selbst im Koma nicht.

Selbstverständlich haben wir uns alle fünf Mal impfen lassen vorher, von Pfizer über Astra bis hin zu Moderna und Sputnik; und jeden Morgen haben wir einen PCR-Test gemacht und abends noch nen Schnelltest obendrauf.

Dann eben Brandenburg bei Schiet-Wetter

Normalerweise lief das so ab, dass wir vier Tage dauerbreit waren und uns benahmen wie damals als Teenager. Wobei natürlich jeder seine damalige Position einnehmen musste und die ihm angedichteten Klischees erfüllen, die meist Grundlage des entsprechenden Spitznamens bildeten. Spätere Erfolge oder Misserfolge im bürgerlichen Leben spielen keine Rolle. Man ist derselbe kleine Dumm-Asi wie früher. Im Gegensatz zu den heutigen Playstation-Zombies ließen wir es ja zu den seligen Zeiten der Herrschaft Helmut Kohls noch richtig krachen.

Letztlich war es diesmal nicht anders. Aber man wird halt älter und es fällt uns immer schwerer, das Extremprogramm zu exerzieren. Außerdem kann ich den Fraß vom Lieferdienst nicht mehr essen.

Wir einigten uns also zähneknirschend und unter dem Gejohle der pubertierenden Jungs auf Selberkochen, Grillen, Wandern und eben: Pegelsaufen. Das hatte Peter vorgeschlagen. Pegelsaufen heißt, dass man morgens zum Frühstück bereits das erste Bier trinkt und spätestens nach dem Frühstück einen Schwipps hat. Das Niveau muss dann den ganzen Tag gehalten werden. Nicht drunter, aber auch nicht drüber.

Das fordert einem einiges ab. Wie soll einerseits bei der täglichen Wanderung von mindestens 20 Kilometern der Pegel gehalten werden, wenn alle Gasthäuser geschlossen sind bzw. gar keine da? Wegen Brandenburg und so. Wie soll man anderseits im kollektiven Drang sichergehen, dass man nicht aus Versehen übers Ziel hinausschießt und dann nur noch pennen will?

Wir haben es ganz gut hingekriegt. Ergebnis war, dass diesmal keiner kotzen musste - sehr zum Leidwesen der Jungs, die ihre Smartphones im Dauereinsatz hatten, um jede peinliche Situation aufzunehmen und vor ihren Kumpels mit ihren bescheuerten Alten zu prahlen. Wir standen um sechs Uhr auf und gingen um 11 ins Bett. Essen gab es zwei Mal am Tag frisch und selbst gekocht. Zähneputzen war auch Pflicht.

Ansonsten wären wir sicher allesamt sofort verhaftet worden, wenn da eine Kamera mitgelaufen wäre. Und desinfiziert noch obendrein. Die drei aus dem Zelt sahen nach dem dritten Tag auch nicht gerade geküsst aus. Sie haben, wie immer, durchgehalten.

Jedes Jahr dasselbe. Jedes Jahr sind wir vollkommen fertig danach. Und freuen uns spätestens nach einer Woche dann doch wieder auf die Wiederholung der Wiederholung - nächstes Jahr.