Eine freie Gesellschaft braucht ein Fundament. Teil 42 (Folgerungen und Perspektiven, Folgerungen aus den Analysen Teil 1-41)

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Folgerungen und Perspektiven

Manche Leser mussten sich bei der Kenntnisnahme der Inhalte der vorigen Teile #freie-gesellschaft in eine ihnen fremde Welt hineindenken. Aber diese Welt ist nicht neu. Viele ihrer Topoi finden sich - mehr oder weniger explizit - in früheren Werken kenntnisreicher Forscher. Ich habe ihre Untersuchungsergebnisse, sofern sie auf Beobachtung und auf Analyse des Beobachtbaren beruhen, in meinen Ausführungen umfänglich berücksichtigt.

Ich behalte mir vor, die in meinen Teilen vorgetragenen Thesen als seriöse Forschungsergebnisse gelten zu lassen, und zwar so lange, bis sie jemand begründet widerlegt. Sie werden sicher nicht den Weg in jedes Herz finden. Jedenfalls sollten sie aber den Blick schärfen für die Defizite der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation.

Kommen wir nun auf die Dritte der in Teil 8 #freie-gesellschaft gestellten Fragen. Sie ist zwar teilweise in den vorangegangenen Abschnitten schon behandelt worden; aber eine endgültige Antwort steht aus. Die Frage lautet:

„Kann der etablierte Staatsbetrieb die freie Lebensentfaltung des gesellschaftlich lebenden Ich gewährleisten?“

Die bisher vorgestellten Analyseergebnisse lassen vermuten, dass er es nicht kann. Zu viele Erscheinungen mussten als defizitär bzw. revisionsbedürftig wahrgenommen werden.

Für ein abschließendes Urteil über die Freiheitstauglichkeit der Staatsgesellschaft soll in einem kurzen Überblick gezeigt werden, in welchen Merkmalen sie von der Idee der Freien Gesellschaft abweicht. Damit lässt sich auch die Frage nach der Konvergenz der Staatsgesellschaft zum Naturrecht beantworten (im Folgenden: siehe unten). Ist das geschehen, kann eine konkrete Vision vom Leben in der Freien Gesellschaft eröffnet werden (im Folgenden: erst im nächsten Teil der Serie #freie-gesellschaft). Schließlich ist Rechenschaft zu geben über die Chancen der Verwirklichung eines freien Lebens in faktisch unfreien Gesellschaften. Hier stellt sich die Frage: Welche Aussicht besteht, dass sich das von mir herausgearbeitete Ideal eines Tages überall Realität verschafft (im Folgenden: Teil 44 wird sich damit befassen)?

Folgerungen aus den im Abschnitt B dargestellten Untersuchungsergebnissen

Ist ein Bewusstsein einmal mit Vorstellungen der in den 421 Teilen beschriebenen Art infiziert, hat es sich mit den dort beschriebenen Beobachtungen vertraut gemacht, erwachsen ketzerische Fragen:

Braucht eine Gesellschaft freier Menschen Monopoleinrichtungen in solcher Fülle, wie sie in Staatsgesellschaften üblich ist?
Braucht sie einen zentralen öffentlichen Verwaltungsapparat?
Wie soll die für die Zügelung des Monopolismus so dringliche Machtaufteilung in einem Parteienstaat verwirklicht werden? Wie ist die Professionalität gewählter Repräsentanten zu sichern?
Kann eine Staatsgesellschaft einen wirklich freien Markt, ein wirklich freies Rechtswesen und eine wirklich freie Politik unversehrt verkraften?
Hat es nicht eher mit der Verschlafenheit unseres Geistes und der Richtungslosigkeit unserer Sinne zu tun als mit der Machtgier politischer Funktionäre und der Unfähigkeit obrigkeitsfrommer Intellektueller, dass wir das Heiligtum „Staat“ über uns überhaupt noch dulden?
Ist die Staatsgesellschaft nicht ein überfälliges Auslaufmodell?
Die Teile 1 - 41 #freie-gesellschaft sind das Kernstück der vorliegenden Serie. Bei der Zusammenschau der dort dargestellten Inhalte ergibt sich:

  1. Die Staatsgesellschaft ist so organisiert, dass sie:
  • für die Befriedigung der Kollektivbedürfnisse einen Monopolkonzern mit Einheitskasse hat;
  • zur Vergütung der Kollektivbedürfnisse anstelle eines ordentlichen Rechnungswesens ein längst abgelebtes Abgabewesen konserviert
  • den Gütertausch durch Subvention und Intervention verzerrt;
  • das auf dem Naturrecht basierende Eigentumsrecht untergräbt;
  • zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung neben fremdbewirkten Verbotszwang auch fremdbewirkten Gebotszwang zulässt (Gebotsdiktatur);
  • die Schöpfung des positiven Rechts einem zentralen Institut überträgt;
  • Den Gerechtigkeitsbegriff bis zur Unkenntlichkeit verzerrt;
  • Die Gerichte der Exekutive unterstellt;
  • einen Parteiparlamentarismus duldet, was zwangsläufig eine Fassadendemokratie hervorbringt;
  • ihre politischen Instanzen über ein unfreies und ungleiches Zweiklassenwahlsystem bestückt, dass die Unmittelbarkeit des Wählens zur Farce macht.
  1. Die Freie Gesellschaft ist so organisiert, dass sie:
  • für die Befriedigung der Kollektivbedürfnisse wirtschaftlich unabhängige Einzelbetriebe mit getrenntem Kassenwesen hat;
  • zur Vergütung der Kollektivbedürfnisse ein ordentliches Rechnungswesen pflegt;
  • den Gütertausch zwischen den Individuen nicht privilegiert;
  • das Naturrecht und die darauf basierende freie Eigentumsnutzung ungeschmälert schützt;
  • zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung nur fremdbewirkten Verbotzwang, nicht aber fremdbewirkten Gebotzwang gestattet;
  • die Schöpfung des positiven Rechts individueller Vertragsgestaltung überlässt;
  • den Gerechtigkeitsbegriff seiner natürlichen Bedeutung nicht beaubt;
  • die Gerichte als eigenständige Institutionen einrichtet;
  • den widernatürlichen und vom Demokratiestandpunkt aus untragbaren Parteiparlamentarismus verhindert;
  • zur Bestückung ihrer politischen Instanzen einen Wahlmodus verwendet, der den drei Rechtsprinzipien Freiheit, Gleichheit und Allgemeinheit Geltung verschafft und der die Forderung nach Unmittelbarkeit erfüllt.

Die zuerst genannten Merkmale sind die Tragpfeiler der Staatsgesellschaft. Die danach genannten Merkmale sind die unerlässlichen Bedingungen für eine Gesellschaft frei miteinander lebender Menschen. Beide Merkmalsklassen stimmen nicht überein. Sie weichen sogar wesentlich voneinander ab. Sie widersprechen sich geradezu.

Aus der Zusammenschau der Merkmale folgt:

Die Staatsidee, die aus der norditalienischen „lo stato“-Tradition stammt, die die Existenz einer Obrigkeit beinhaltet und die bis heute unsere Vorstellung von Staat bestimmt, steht der Idee der Freien Gesellschaft diametral entgegen. Vom Standpunkt freier Gesellschaftlichkeit erscheint die Staatsgesellschaft als Fehlkonstruktion. Staatsgesellschaft und Freiheit schließen einander aus. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Staatsspitze eine Obrigkeit „von Gottes Gnaden“ ist, oder eine Obrigkeit, die durch das Votum einer Mehrheit in ihre Position gelangt.

Die meisten heutigen Intellektuellen, auch die Schöpfer gesellschaftspolitischer Theorien, halten die Existenz des Staates für unumgänglich und rechtfertigen ihn. Ganz anders die Sicht einiger hervorragender Persönlichkeiten aus der Vergangenheit. Schon vor vielen Jahren konnte man Sätze lesen wie:

  • „Immerhin hat das den Staat zur Hölle gemacht, dass ihn der Mensch zu seinem Himmel machen wollte“ (Friedrich Hölderlin).
  • Der Staat „ist die Hölle des Glücks“ (John Henry Mackay).
  • Auf der Erde ist nichts Größeres als ich: der ordnende Finger bin ich Gottes - also brüllt das Untier. Und nicht nur Langgeohrte und Kurzgeäugte sinken auf die Knie!“ (Friedrich Nietzsche).
  • „Der grausamste, unheilvollste Aberglaube ist das Vaterland, der Staat“ (Leo Tolstoi).
  • „Es gehört nicht notwendig zum Menschen, einen Staat zu haben; aber es gehört zum Menschen, mit anderen zusammenzuarbeiten, weil er als Einzelner die Aufgaben, die ihm das Leben und sein Geist stellen, nicht bewältigen kann.“ (Emil Brunner, Schweizer Theologe)
  • „Der Staatsapparat ist ein Zwangs- und Unterdrückungsapparat. Das Wesen der Staatstätigkeit ist, Menschen durch Gewaltanwendung oder Gewaltandrohung zu zwingen, sich anders zu verhalten, als sie sich aus freiem Antriebe verhalten würden.“ (Ludwig von Mises, österreichischer Ökonom).
  • „Das größte Problem, nicht nur in Amerika, nicht nur in Russland, nein, auf der ganzen Welt, ist dieses: Wie können wir den Bürger schützen vor dem modernen Staat?“ (Herbert Hoover, amerikanischer Präsident).

Der vielzitierte Kirchenvater Augustinus bezeichnet den Staat als Hort einer „organisierten Räuberbande“. So auch später der amerikanische Jurist Lysander Spooner. Franz Oppenheimer diagnostiziert beim Staat eine „parasitäre Natur“ (1990). Albert Jay Nock spricht vom Staat als „our enemy“ (2012). Andere beurteilen ihn aufgrund persönlicher Erfahrungen als eine „kriminelle Organisation, geführt von Banditen“ (Gerard Radnitzky, 2006, Roberto Natale Haslinger 1999, 2008, 2019). Für den libertären Ökonomen Murray Rothbard und seine Anhänger ist er ein „bissiger Köter…, der dich überfällt und belästigt, wo du stehst und gehst“ (2012).

Eine ganz andere Auffassung vom Staat kommt in dem Satz „Der Staat ist die von Gott gestiftete Erhaltensordnung“ zum Ausdruck. Die sich hierin äußernde Erkenntnis blieb Fabian von Schlabrendorff vorbehalten, einem staatspolitischen Erfolgsmenschen, der laufbahnmäßig bis ganz nach oben kam. (Er hat es bis zum Verfassungsrichter geschafft.) Von Schlabrendorff schließt sich dem Staatsrechtler Friedrich Julius Stahl an. Auch für ihn ist der Staat eine „göttliche Institution“. Andere Gläubige halten es mit dem Philosophen Friedrich Hegel, der im Staat „die Verwirklichung der sittlichen Idee“ sieht.

Der Staat ist so ziemlich das Widersinnigste, was sich das Menschenhirn im Hinblick auf eine schlüssig-human organisierte Gesellschaftlichkeit hat ausdenken können. Das zeigt sich vor allem auch - und deutlicher noch als im Wirtschafts- und Rechtwesen - im öffentlichen Bildungswesen, das wir hier ausgespart haben (s. aber der Verf., 2018 hier auf Steemit).

Man braucht kein Anarchist zu sein, um die Staatsgesellschaft nicht zu mögen. Eine hinreichend kritische Analyse gibt zu erkennen, dass Staat und Freie Gesellschaft nicht zusammengehen können. Für den konsequenten Befürworter der Freien Gesellschaft ist es ein unhaltbarer Zustand, dass es in ihr so etwas wie Staat gibt: einen Monopolkonzen mit Einheitskasse, der mit Hilfe von Gebotsdiktaten vorgibt, eine vernünftige gesellschaftliche Ordnung herstellen zu können.

Jeder mag seine Gründe haben, weshalb er für oder gegen eine staatlich organisierte Gesellschaft ist. Eine wahrhaft freie Gesellschaft wird eine Gesellschaft ohne Staat sein müssen. Aber es gilt auch: die Staatsgesellschaft wird eine wahrhaft freie Gesellschaft nicht sein können.

Bedeutet der komplette Verzicht auf den Staat, dass wir keine Richter, keine bewaffneten Wachmannschaften, keine ausgebauten Verkehrswege, keine Ermittlungsdienste usw. mehr brauchen? Nein, wir brauchen all das, aber eben nicht wie bisher als Pauschalangebot eines Monopolkonzerns mit Einheitskasse, erst recht nicht unter der Standarte der Hoheitlichkeit.

Das Ich als freies braucht Einrichtungen wie Feuerwehr, Straßenwacht, ärztlichen Notdienst, Verkehrs- und Kommunikationsnetze und beteiligt sich - natürlich immer in der Position des „Königs Kunde“ - an ihrem Unterhalt. Aber es braucht die staatliche Obrigkeit nicht darin. Es braucht einen Schutzdienst gegen zwischenmenschliche Gewalt und hätte diesen gern abrufbereit wie die Feuerwehr. Aber es braucht die Obrigkeit nicht darin. Es braucht für den Fall, wo es sich nicht mit seinem Nachbarn gütlich einigen kann, oder ihm Unrecht zugefügt wurde, Gerichte, deren Entscheidungen und Sühneauflagen es sich unterwirft. Aber es braucht die Obrigkeit nicht darin. Das Ich braucht Vieles, was heute eine Obrigkeit als „kollektives Gut“ mehr schlecht als recht in die Gesellschaft einbringt, aber es braucht die Obrigkeit nicht darin.

Der Staat, war von seinen Anfängen an (in Form von lo stato!) immer gedacht als obrigkeitliche Instanz und stets entsprechend aufgebaut. Und er ist es, wie wir sehen konnten, auch heute noch. Eine wahrhaft freie Gesellschaft wird sich, will sie sich selbst treu bleiben, von einem Gebilde trennen müssen, das derart organisiert ist, wie der Staat.

Das Feld, das der heutige Staat bestellt, ist groß. Die Herauslösung des Staates als gesellschaftspolitische Instanz hinterlässt zunächst einmal ein Loch im gesamtgesellschaftlichen Leistungsgefüge. Das Loch entsteht in den Bereichen, die die politischen Machthaber bislang unter ihrer Regie hatten. Wenn Erneuerungsvorschläge im Sinne freier Gesellschaftlichkeit tragfähig sein sollen, dann wird gezeigt werden müssen, wie die heute vom Staat besetzten Leistungsbereiche ohne Staat zu organisieren sind, und zwar so, dass wirklich Freiraum für die Bürger entsteht und sich ihr Zusammenleben verbessert. Ein Konzept dazu wurde in den Teilen 1-41 #freie-gesellschaft entwickelt. Dort wurde gezeigt, wie Güter von allgemeinem Interesse ohne Staat in die Gesellschaft eingebracht werden können.

Es führen inzwischen auch bessere Technologien dazu, dass „der Bereitstellung von Leistungen durch den Staat immer mehr die Grundlage entzogen wird…Die Regierung (hat) angesichts des technologischen Fortschritts immer weniger Vorwände und Rechtfertigungen zur Bereitstellung kollektiver Güter“ (Fred Foldvary, 2009). Das oft zitierte sogenannte Trittbrettfahrerproblem, dass angeblich bei der Nutzung öffentlicher Güter bestehe und daher eine staatliche Einheitskasse erforderlich mache, ist weder ein ökonomisches, noch ein politisches, sondern lediglich ein technisches Problem. Noch vor wenigen Jahrzehnten gab es viele Trittbrettfahrer beim Stromverbrauch. Heute redet keiner mehr davon. Die Technik hat das Problem gelöst.

Es muss erst wieder gelernt werden, dass die gesellschaftliche Obrigkeiten-Untertanen-Struktur erst verschwindet, wenn die Lieferanten der „kollektiven Güter“, also die obligaten Monopole, effektiv entmachtet sind und infolgedessen die Möglichkeit besteht, mit ihnen auf ordentliche Weise Tauschverträge abzuschließen. Diese Einsicht liegt heute völlig außerhalb des obrigkeitshörigen Allgemeinbewusstseins. Immer noch bewegt man sich im Denkmodell eines „contrat sozial“, den angeblich die Untertanen mit ihrer Obrigkeit fiktiv und auf ewig abgeschlossen haben.

Auch muss gelernt werden, dass die gesellschaftliche Obrigkeiten-Untertanen-Struktur erst verschwindet, wenn das positive Recht kein Gegenstand einer zentralen Institution (z. B. eines Parlaments) ist, sondern eine vertragsbasierte individuelle Angelegenheit („Selbstgesetzgebung“). Mit dieser Erkenntnis tun sich die Etatisten aller Couleur besonders schwer. Sie wird behindert vor allem durch das Unvermögen, die Handlungsnormen Gebot und Verbot begrifflich klar voneinander zu trennen und durch einen mangelhaft rezipierten Freiheitsbegriff.

An den oben aufgelisteten Merkmalen der Staatsgesellschaft ist abzulesen: Ihr Aufbau erfüllt fast jede Voraussetzung für eine Freiheitsberaubung. Sie ist ein Hort des Despotismus. Nun ist krasser Despotismus heute kaum noch anzutreffen. Die meisten Staaten haben das ursprünglich wilde Wesen des Despotismus gezähmt. Der Despotismus ist zu einer samtpfotigen Hauskatze geworden. Aber sein Wesen hat er damit nicht eingebüßt. Denn nicht nur Gewaltherrschaft und rigide Diktatoren verrohen das gesellschaftliche Terrain, auch weiche Insuffizienzen bewirken das.

Einen Staat als Staat verwerfen, das meint nicht das Aufzeigen irgendwelcher Fehler oder Missgestaltungen. Ebenso wenig meint es die Entehrung, Befleckung oder Beleidigung des Staatspersonals. Es meint auch nicht das Nörgeln und Herumzerren an bestimmten politischen Zuständen. Es meint ganz nüchtern das absolute Aus des Staates als Bezugsgröße positiven persönlichen Verhaltens. Und wo der Staat gestorben ist, befürchtet der ehemalige Staatspolitiker Erhard Eppler (2015), „weckt kein Mensch ihn mehr auf“.

Es fallen alle Vorstellungen darüber, dass ein Staat existieren müsse, dem Prüfstein konsequent kritischen Analysierens zum Opfer. Die Annahme der Notwendigkeit eines Staates für die Erhaltung der Ordnung in der Gesellschaft ist ein folgenschwerer Irrtum (Hans-Hermann Hoppe, 2004). Murray Rothbard diagnostiziert sogar, „dass alle drückenden Probleme unserer Gesellschaft mit Tätigkeiten des Staates zusammenhängen“ (2012). Solche Aussagen erschüttern die Grundlagen unseres gesellschaftspolitischen Denkens. Aber sie ergeben sich zwingend aus den in den Hauptabschnitten Teil 1-41 angestellten Überlegungen.

Wer die These von der Abdingbarkeit, ja notwendigen Auflösung des Staates absurd findet, widersetzt sich der Logik der bisherigen Gedankenführung. In einem vom Denken ohnehin nicht sehr verwöhnten Zeitalter fällt es Vielen schwer, die Folgerung aus dem bisher Dargestellten zu ziehen: Entweder Freie Gesellschaft oder Staatsgesellschaft; tertium non datur.

Das sei auch jenen ins Stammbuch geschrieben, die um der Freiheit willen nur „ein Bisschen“ Staat haben wollen. Die Überlegungen in dieser Serie #freie-gesellschaft zeigen, dass die Vorstellungen der Minimalstaatler durch das Raster eines konsequent auf die Freiheit des Individuums ausgerichteten Denkens fallen. Auch der Minimalstaat ist ein Monopolkonzern mit Einheitskasse. Wie will man verhindern, dass er seine Bürger ausbeutet (Siehe Teil 11+12) und tyrannisiert? Die Minimalstaatler haben bisher keine stimmige und schlüssige Lösung des Problems gezeigt. Wir wissen heute, dass z. B. die von den politischen Parteien bestückten Parlamente in dieser Hinsicht völlig versagt haben. Außerdem: Der sogenannte „marktkonforme Ordnungsrahmen“ (Ordo), den die Minimalstaatler anstreben, wurde noch nirgends klar und deutlich definiert bzw. dargestellt (Weiteres zum Thema „Freiheit und Minimalstaat“ im Anhang dieser Serie).

Der Staat mag seine Zeit gehabt haben. Vor dem Hintergrund der Geschehnisse in den letzten hundert Jahren muss gesagt werden: Es war keine gute Zeit. Im 20. Jahrhundert haben Staatsmänner 162 Millionen ihrer eigenen Bürger umgebracht. Dagegen nehmen sich die - ebenfalls von diesen Männern zu verantwortenden - in zwei Weltkriegen gefallenen - 20 Millionen Soldaten geradezu bescheiden aus (Gerard Radnitzky, 2006). „Wenn wir in das Schwarzbuch des Massenmordes, der Ausbeutung und der Tyrannei sehen, die von Staaten im Laufe der Jahrhunderte über die Gesellschaft gebracht wurden, dürfen wir nicht zögern, den Staat…abzuschaffen…und die Freiheit zu versuchen“ (Murray Rothbard, 2012).

Eines ist seltsam: Obwohl noch gut in Erinnerung ist, wie die Obrigkeiten der abendländischen Nationen immer wieder wie die Bestien übereinander hergefallen sind, ist der tiefe Glaube an deren Vernunft bis heute ungebrochen.

„Die ‚unbefleckte Empfängnis’ des Staates gibt es nicht. Weder seine Entstehung, noch der weitere Verlauf seiner Entwicklung kann auch nur entfernt den Eindruck vermitteln, dass der Staat zum Schutze der Freiheit des Einzelnen da sei. Erfüllt er diese Aufgabe dennoch ab und zu, und mehr schlecht als recht, so hat dies nur etwas mit Relikten aus vorstaatlicher Zeit zu tun, die eher ein Fremdkörper in seinem Gefüge sind“ (Detmar Doering, 1995).

Wenn einem nicht geradezu aufgezwungen wird, es als Verdienst zu werten, dass die Behinderung der individuellen Lebensentfaltung durch den Staat sich noch in erträglichen Grenzen hält, dann wird man sagen müssen: Der Staat muss weg. „Gerechtigkeit und wirtschaftliche Vernunft verlangen… eine vollständige Entstaatlichung... der Gesellschaft“ (Hans-Hermann Hoppe, 1995; Gerard Radnitzky, 1995).

Mit dieser Forderung ist keine Boshaftigkeit bei den Staatsfunktionären unterstellt, die zu tilgen wäre. Es geht darum, die offensichtlichen Widersprüche der derzeitigen gesellschaftlichen Situation zu beseitigen, die so etwas wie Obrigkeit möglich machen. Das führt am Ende zwangsläufig zu der Einsicht, dass ein Staat (im Sinne von lo stato) in eine freie Gesellschaft nicht hineingehört.

Dass sich die politischen und medialen Eliten gegen diese Einsicht sträuben, ist nicht verwunderlich. Gerade bei ihnen ist eine abenteuerliche Unwissenheit über die Wesenszüge des Zusammenlebens der Menschen an der „Basis“ zu verzeichnen. Deswegen glauben viele von ihnen allen Ernstes an Wert und Nutzen des gesellschaftstheoretischen Verwirrspiels, das sie miteinander betreiben. Dafür kann man ihnen nicht einmal böse sein. Trotz beflissen einstudierter Eloquenz gebärden sie sich ahnungslos wie die Kinder.

Dass der Wunsch nach Abschaffung des Staates automatisch zur baldigen Auflösung heutiger Staaten führe, darf nicht erwartet werden. Solange sich die Untertanen in ihrer Rolle als „Staatsbürger“ von Funktionärsgangs wie eine Viehherde klaglos hin und her treiben lassen, ist eine Änderung der gesellschaftlichen Verhältnisse und ihres politischen Niederschlags nicht in Sicht. Das Ende der Staaten würde erst eingeleitet, wenn die Untertanen damit begännen, ihr Verhalten zu reflektieren und - als Folge davon - zu wahren Freien zu werden (s. der Verf., 2007, 2008). Die staatliche Obrigkeit kann nur auf den Schultern eines ihn duldsam tragenden Volkes überleben. „Ließe sich niemand mehr knechten, gäbe es keine Herren mehr“ (Max Stirner, Nachdruck 1972).

Nun hat das Flaggschiff „Staat“ schon einiges an Takelage eingebüßt. Es fährt nicht mehr mit vollen Segeln. Einige Staaten stehen schon heute, wenn auch nicht ideologisch, so doch ökonomisch am Abgrund. Andere werden ebenfalls bald dort stehen. Es bröckelt allenthalben. Auch das Ansehen der politischen Klasse sinkt immer mehr. Das Allensbach-Institut stellte vor wenigen Jahren bei den deutschen Staatsbürgern bezüglich der Akzeptanz der Politiker einen eklatanten Tiefstand fest (SPIEGEL, Nr. 50/ 2013).

Trotzdem steht die Staatsideologie noch in voller Blüte. Das ist vor allem dem Eifer der die Obrigkeit hofierenden meinungsbildenden Intelligenzia in den Medien und an den Hochschulen zu verdanken, jener „verehrungsvolle(n) und kriecherische(n) Haltung, mit der Intellektuelle ihren Herrschern begegnen“ (Murray Rothbard, 2012). Der sie alimentierende Staat „hat es den Intellektuellen ermöglicht, eine Apologie der staatlichen Herrschaft zu schaffen, die es an Okkultismus mit den alten Priesterkasten… aufnehmen kann“ (a. a. O.). Intellektuelle sind fast ausschließlich überzeugte Etatisten.

Das Aus für den Staat bedeutet natürlich auch die Entthronung der Funktionsträger staatlicher Monopolökonomie, der Chefs „öffentlich-rechtlicher“ Betriebe. Dort haben Misswirtschaft und Inkompetenz Ausmaße erreicht, die in staatsunabhängigen Betriebsbereichen längst zum Kollaps und zu rechtlichen Konsequenzen bei den Verantwortlichen geführt hätten.

Inkompetenz, aufgeblähte Bürokratien, Vetternwirtschaft, obrigkeitlicher Privilegiengenuss und Geldverschwendung in Milliardenhöhe, vor allem aber der überall verbreitete Gebotszwang, das sind nur einige der Defizite der Staatsgesellschaft, die wache Leute an der „Basis“ inzwischen offen anprangern und deren Folgen für die Gesellschaft sie besorgt diskutieren. Die Redewendung „Politik als Ärgernis“ stellt geradezu eine Verharmlosung und Abschwächung dessen dar, was Mancher empfindet, wenn er mit den Defiziten obrigkeitlicher Aktivitäten konfrontiert ist.

Aber nicht nur erwächst Ärger in dem Sinne, dass der große Abstand der gesellschaftspolitischen Realität zu einer wie auch immer vorgestellten Idealität missfällig wäre. Ärgerlich ist auch das wohlgefällige Knechtsverhalten von uns allen, sei es aufgrund von Nachlässigkeit und Trägheit, oder aus Furcht vor den „Bajonetten der Exekutive“.

Die Freie Gesellschaft kann nicht nur auf den Staat als solchen, sondern auch auf so kryptische Begriffe wie Nation, Hoheitlichkeit, Parlament, Beamte, Fiskus, Steuern usw. verzichten, ohne unwirklich zu erscheinen. Der Umstand, dass die genannten Begriffe bei der hier beabsichtigten Grundlegung alternativer Gesellschaftlichkeit nicht vorkommen, gibt Anlass zu der Frage, ob ihnen nicht längst überholte Vorstellungen zugrunde liegen. Vielleicht gehören sie in die Auseinandersetzung um ein innovatives Gesellschafts- und Politikverständnis nicht mehr hinein. Die Lösung des Freiheitsproblems könnte erfordern, dass sich die Gesellschaft von ihnen und von der durch sie getragenen Ideologie ganz verabschiedet.

Dass die Begriffe bei der Darstellung der Freien Gesellschaft keine Berücksichtigung finden, hat keinen anderen Grund als den, dass sie zur vollständigen Beschreibung bereinigter gesellschaftlicher Verhältnisse nicht notwendig sind. Es ist auch nirgends ein Schlupfloch zu entdecken, durch das sie sich wieder hereinschleichen und unentbehrlich machen könnten. Ich überlasse es meinen Lesern, zu entscheiden, ob sie sich ein befriedigendes und freies Zusammenleben der Menschen vorstellen wollen ohne sie oder mit ihnen. Vor dem Hintergrund der hier formulierten Theorie sind sie nichts als herumgeisternde Gespenster.

Der Staat wird nicht selten so hingestellt, als sei er etwas Naturgegebenes. Demgegenüber muss daran erinnert werden, dass die Menschheit schon im Paradies und noch lange danach ohne hoheitliche Obrigkeit auskam. „Als Adam grub und Eva spann, wo war da der Edelmann?“ lautete einer der Slogans der Bauernkriegszeit, einer Periode, in der auf deutschem Boden die Notwendigkeit einer von der übrigen Gesellschaft mitversorgten Obrigkeit zum ersten Mal massiv in Frage gestellt wurde. (Die Prägung dieses Slogans wird dem englischen Prediger John Ball zugeschrieben.)

Bezugnehmend auf den ersten Weltkrieg, in den die Menschen von ihren Staatsoberen gehetzt wurden, schreibt Franz Oppenheimer: „Wer an einen bewussten Zweck in der Geschichte glaubt, mag sagen: die Menschheit musste erst noch durch eine neue Leidensschule gehen, ehe sie freigesprochen werden konnte… Die geschichtsphilosophische Betrachtung, die die Tendenz der Staatsentwicklung, und die volkswirtschaftliche Betrachtung, die die Tendenz der Wirtschaftsentwicklung beobachtete, kommen demnach zu dem gleichen Ergebnis: das ökonomische Mittel siegt auf der ganzen Linie, das politische Mittel schwindet in seiner ältesten und lebenszähesten Schöpfung aus dem Gesellschaftsleben… Das ist der Leidens- und Erlösergang der Menschheit, ihr Golgata und ihre Auferstehung…vom Raubstaat zur Freibürgerschaft“ (Nachdruck 1990). Hätte Oppenheimer einen Zeitpunkt für den Untergang des Staates genannt, er hätte ihn sicher zu früh angesetzt.

Der Gedanke an das Aus des Staates ängstigt viele. Die Angst wird von den Staatsprofitlern kräftig geschürt. Denn auch hier ist es wie überall: „Den Lohn der Angst kassieren die Angstmacher” (Roland Baader, 1995). Unter dem Druck aufgeblähter Warnungen vor Anarchie und Chaos ziehen auch die weiter am Karren des Staates, die ihm längst die Faust zeigen wollten: Was soll werden ohne Staat? Muss dann nicht alles in einem politischen Hexensabbat enden?

Die Freie Gesellschaft braucht Politik, was in den was in der Serie #freie-gesellschaft gezeigt und ausführlich begründet wurde. Sie braucht Politik aber in einer ganz anderen Gestalt als wir sie heute haben. Alle Rechtfertigungsversuche dafür, dass in einer Gesellschaft so etwas wie Staat oder „parlamentarische Demokratie“ existieren müsse, damit Politik angemessen etabliert werden kann, stehen im Widerspruch zu einer konsequent auf das freie Ich hin ausgerichteten Denkungsart. Sie stehen im Widerspruch zu einer schlüssig-humanen Lebensform des in Gesellschaft lebenden Menschen (s. Teil 1-6).

In einer meiner früheren Schriften (1999, 2007), 2008) hatte ich Szenarien beschrieben und Gründe genannt, wie und warum die sogenannte „parlamentarische Demokratie“ an ihren inneren Widersprüchen zu zerbrechen droht und der Staat somit, etwa in der Art des ehemaligen Sowjetreichs, implodiert und kollabiert,

Dass ein politisches System trotz der Schärfe der „Bajonette der Exekutive“ in sich zusammenbrechen kann, haben wir Deutschen aus der jüngsten Geschichte gelernt. Die „wachsende Unregierbarkeit in Stadt und Land“, die bereits 1983 von Günter Schmölders für den damaligen westdeutschen Staat diagnostiziert wurde, gibt einen Vorgeschmack solchen Kollapses. Auch wirtschaftlich steht es nicht gut um den hochverschuldeten Staat. Er „rast auf eine ökonomische Kernschmelze zu“ (Hans-Hermann Hoppe, 2004). Aber der Niedergang des Staates muss den Individuen nicht mehr Freiheit bringen, wie die Geschichte lehrt. Denn „der Zusammenbruch des Staates führt …nicht zu einem Zusammenbruch des Prinzips Staat“ (Stefan Blankertz, 2012).

Mit einem bloßen Zusammenbruch wäre also für die Freiheit nichts gewonnen. Zumindest sollte man aber wissen, dass freie Menschen, vorbehaltlich einiger noch erforderlicher Lernprozesse, ihre gesellschaftlichen, vor allem ihre gesellschaftspolitischen Angelegenheiten in die eigenen Hände nehmen können. - Eine Gesellschaft ohne Staat wird gesunden, aufleben und gedeihen. Der Beweis wird nicht lange auf sich warten lassen.

Wer den Standpunkt einer Präferenz der gesellschaftlichen „Basis“, also der Leute wie du und ich, konsequent verficht, muss die Obrigkeit aus der Gesellschaft verbannen, muss Politik zur Sache der gesellschaftlichen „Basis“ machen. Und die „Basis“, das sind wir alle: Das mit Freiheit begabte einzelne Ich und das in dieser Hinsicht dem Ich gleiche Du.

Mit den Inhalten meiner Serie #freie-gesellschaft glaube ich, ein brauchbares Fundament zur Stützung der Behauptung von der Überflüssigkeit eines die Gesellschaft regierenden Staatsapparats gelegt zu haben. Es wäre also zu fragen: Wozu noch Staat, wozu der Wucher der Apparate in „Bund, Ländern und Gemeinden“, wozu dieser ungeheuerliche Verschleiß an Menschen und Material?

Die Freie Gesellschaft kann ohne den überkommenen Staatsapparat durchaus bedarfsgerecht existieren, auch dann, wenn sie aus den genannten Gründen politisch aktiv sein muss. Außerdem: ohne Staat kann die Spaltung der Gesellschaft in die Klasse der herrschaftsbegünstigten Obrigkeiten und in die Klasse der herrschaftsbenachteiligten Untertanen verschwinden.

Euer Zeitgedanken

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