Eine freie Gesellschaft braucht ein Fundament. Teil 41 (Ehrenamtlichkeit der Gewählten, Minderheitenintegration)

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Bevor wir uns an die letzten Teile #freie-gesellschaft begeben, in welchen es dann um Folgerungen und Perspektiven geht, müssen wir im heutigen Teil 41 noch um 2 Aspekte kümmern, die bei der kandidatenfreien Persönlichkeitswahl zum tragen kommen.

Ehrenamtlichkeit der Gewählten

Die Professionalität der Ombudsleute und Juroren schließt die Fähigkeit ein, Aufgaben an geeignete Fachleute zu delegieren, z. B. an geeignete Wirtschaftsprüfer oder an geeignete Rechtsgutachter. Selbst wenn ein gewählter Repräsentant eines Antimonopols Teile seines Funktionsbereichs delegiert, beispielsweise allfällige Betriebsprüfungen bei den Monopolen, die Verantwortung trägt er allein.

Aufgrund solcher Delegation können sich die Ombudsleute und Juroren auf ihre Kernfunktion konzentrieren: das Fällen von politischen Entscheidungen. Ihr Zeitaufwand dafür ist gering. Es lässt sich jede politische Funktion in der Freien Gesellschaft aufgrund eines normalen Organisationstalents so gestalten, dass deren Verantwortungsträger von zeitlicher Inanspruchnahme weitgehend frei sind.

Die Delegation von Funktionsbereichen ihres Amtes gestattet es den Repräsentanten, dass sie nahezu unbeeinträchtigt ihrem bürgerlichen Beruf nachgehen können. Seine Existenzsicherung bestreitet jeder, der in den Antimonopolen ein Wahlamt bekleidet, aus seinem angestammten Broterwerb. Er kann das, weil er in seinem Antimonopol lediglich als Entscheidungs- und Verantwortungsträger fungiert. Im Zeitalter der digitalen Kommunikation muss er für das Treffen von Entscheidungen seinen alltäglichen Wirkungskreis selten verlassen.

Die Regiefunktion der gewählten Repräsentanten besteht also lediglich darin, die von Fachleuten erarbeiteten Ergebnisse zur Kenntnis zu nehmen, zu prüfen und aufgrund dessen die notwendigen Entscheidungen zu treffen. Solche Prüfung bedingt einen Arbeitsaufwand, den wirklich qualifizierte Leute ehrenamtlich bewältigen. Außerdem: Man benötigt für diese Aufgaben für jedes Monopol nur eine Person. Denn man kann aufgrund des speziellen, hier vorgestellten neuen Wahlsystems von einer großen Professionalität dieser Person ausgehen. Dadurch ist eine optimale Entscheidungseffizienz gesichert. Eine erschwatzte Harmonie der Kompromisse gibt es nicht. Die Mitglieder eines Antimonopols können aber, durch sofortige Abwahl ihrer Repräsentanten jede ihrer Fehlentscheidungen zeitnah revidieren.

Ehrenamtlichkeit politischer Regiefunktionen ist nicht nur möglich, sondern auch nötig. Denn die volle Freiheit der Wahl ist nur durch Votationspermanenz zu sichern. Das bedeutet, ein durch die freie Persönlichkeitswahl erlangtes öffentliches Amt kann die bürgerliche Existenz nicht sichern, weil es jeden Tag verloren gehen kann. Existenzsicherung erfordert Kontinuität, und die kann durch Ämter, die durch permanentes Wählen besetzt werden, nicht geboten werden. Eine politische Wahl kann nicht wahrhaft demokratisch sein, wenn dadurch Ämter zur Existenzsicherung besetzt werden.
Dass ein gewerbliches Sich-Einrichten in politischen Ämtern unmöglich gemacht wird, ist einer der wichtigsten Effekte der kandidatenfreien Persönlichkeitswahl. Andernfalls müsste ein Abfindungssystem geschaffen werden, welches das im heutigen Parlamentsbetrieb übliche bei weitem übertrifft. (Übrigens: Ein Güterabnehmer zahlt ja auch keine Abfindung an seinen bisherigen Güteranbieter, wenn er diesen zugunsten eines Mitbewerbers verlässt.)

Die Auffassung, dass politische Entscheidungsträger aus ihrer politischen Funktion Profit ziehen müssten, geht von der irrigen Annahme aus, dass Politik „Arbeit“ im Sinne bürgerlicher existenzsichernder Arbeit sei. Politik erfordert persönliche Reife. Wie sollte Reife aber als Arbeit eingeordnet und als solche bezahlt werden? Arbeit ist bezahlbar, Persönlichkeit nicht. Ohne die ist aber vernünftige Politik nicht zu machen. Also entweder leistet Politik etwas, das nicht bezahlbar ist, oder sie leistet nichts Vernünftiges. Politik im hier herausgestellten Sinne und Arbeit können geradezu als Antipoden angesehen werden.

Bezahlbar ist die Arbeitsleistung der Funktionsträger, die in den Monopoleinrichtungen Dienst tun. Diese haben einen regulären Beruf gewählt, mit dem sie ihre bürgerliche Existenz bestreiten. Sie müssen immer zur Stelle sein. Die politischen Verantwortungsträger hingegen werden nur dann tätig, wenn es Störungen gibt, wenn Verträge mit den Monopobetrieben neu ausgehandelt werden müssen, wenn Streit entsteht, wenn eine Grenzsituation eintritt, wenn besondere Aufsicht erforderlich ist, wenn sich Widersprüche auftun usw.. Dann ist Persönlichkeit gefragt. Und die muss dann eingreifen - mit einer originären und von ihr selbst verantworteten Entscheidung.

Ein eventuell durch den politischen Einsatz bedingter und nachgewiesener Verdienstausfall oder Eigentumsnachteil eines Repräsentanten kann allemal abgegolten werden, ob und in welcher Höhe, das müssen die Wähler entscheiden. Aber eine eigenständige Erwerbsquelle kann und darf daraus nicht entstehen.

Mit dem Verschwinden des Polit-Gewerbes, das die kandidatenfreie Persönlichkeitswahl bewirkt, kann übrigens auch die Heimlichtuerei bei den gewählten Machthabern ein Ende haben. Ehrenamtlichkeit stärkt den Geist der Offenheit. Von keiner Existenznot getrieben, werden die Gewählten viel freier zu sich selber, ihren Vorstellungen und Fehlern stehen können. Der gestelzte Krampf und die freudlose Bürde lohnabhängiger Würdenträgerschaft entfallen: „Wählt mich nicht, wenn ihr mich so nicht wollt“. – „Nur unter der und der Bedingung bin ich bereit, euer Interesse zu vertreten.“

Der Umstand, dass Politik heute ein Beruf im bürgerlichen Sinne ist, also ein Mittel der persönlichen Existenzabsicherung und Bereicherung, hat nicht unerhebliche Folgen für die Art der Handlungsziele und Motivationshorizonte der Gewählten. Die beschämendsten und entwürdigendsten Opportunismen und Populismen, die wir kennen, entstehen auf dem Felde der Berufspolitik. Wo die politischen Machthaber von der Politik leben, verkommt Politik früher oder später zum Räubertum oder zur Gefälligkeitsveranstaltung. Meistens ist sie beides.

Heutzutage, also Jahrhunderte nach der eidgenössischen und der amerikanischen Revolution, muss erst wieder Verständnis dafür geweckt werden, dass der Stand eines frei gewählten politischen Entscheidungsträgers der ehrenwerteste Stand innerhalb der Gesellschaft ist. Es muss wieder Verständnis dafür geweckt werden, dass jedes auf Dauer und auf Geldverdienst eingerichtete Festsitzen in einem politischen Amt von hochgradiger Gefahr für die Gesellschaft ist. Kein Mensch ist davor gefeit, seine einmal erlangte Macht zu seinen persönlichen Gunsten abzusichern und auszunutzen.

Aus dem Gewähltsein folgt, dass kein Repräsentant in Haftung dafür genommen werden darf für das, was er in Ausübung seines Amtes tut bzw. entscheidet. Die volle politische Verantwortung liegt bei einem rational demokratisch eingerichteten Wahlsystem in der Hand der Wähler. Sie müssen die Last politischer Fehlentscheidungen selber tragen. Denn solche Entscheidungen sind letztlich - Wahlfehlentscheidungen. Die heutigen „Volksvertreter“ würde man aus solcher Haftung nicht entlassen dürfen, weil sie entlohnte Funktionsträger, also Berufstätige sind. Sonst hätten sie ein Privileg allen anderen Berufstätigen gegenüber, die für das, was sie tun, die Verantwortung tragen müssen.

Minderheitenintegration

Bei meiner früheren öffentlichen Stellungnahme zur Frage der Mitbestimmung von Minderheiten (2008) habe ich darauf aufmerksam gemacht, dass die Sensibilität in Richtung Mitbestimmung innerhalb der freien leistungsteiligen Tauschgesellschaft und ihrer Usancen entstanden ist. Wo Markt und Wettbewerb funktionieren, sind Minderheiten besser geschützt als unter dem Regime der Majoritätsideologie.

Nirgends entfalten sich Auswahlentscheidungen so ungehemmt basisnah, wie auf einem großen Markt auswählbarer Produkte und Dienstleistungen. Ein entwickelter Markt zeichnet sich dadurch aus, dass er auch die Bedürfnisse von Kleinstgruppen und sogar von Einzelnen befriedigen kann.

Bei den Entscheidungsprozessen des Marktes finden wir eine Entscheidungs- und damit Auswahl-Kette, die von der „Basis“ bis nach ganz oben zu den Rohstofflieferanten reicht (s. Teil 39 in #freie-gesellschaft). Das Wesentliche an dieser Kette ist, dass die Entscheidungen, die von den Basisbedürfnissen ausgehen, insgesamt in die mittelbaren ökonomischen Entscheidungen und schließlich in die obersten ökonomischen Entscheidungen eingehen. Im Idealfall bleiben keine unberücksichtigten Bedürfnisse übrig.

Was wir in einem nicht durch Zwänge beengten Marktgeschehen beobachten (wobei dieses Geschehen natürlich mannigfachen, und zwar berechtigten Zwängen, z. B. denen des Eigentums- oder des Naturschutzes unterliegt), ist eine weitreichende Berücksichtigung individueller Bedürfnisse, also ein beispielhafter Minderheitenschutz.

Es sind vor allem zwei Momente, die die Entscheidungsstruktur des Marktes im Hinblick auf die Minderheiten auszeichnen: die Entscheidungsrichtung „von unten nach oben“ (in Verbindung mit der Nachrangigkeit der obersten Entscheidungen; Votationsaszens) und die Entscheidungsübertragung (Votationstransfer). Beide hängen eng miteinander zusammen und sind unabdingbar für den Minderheitenschutz. Die Übertragung der Entscheidungen von unten nach oben bewirkt die Integration aller Minderheitsentscheidungen in den Gesamtentscheidungsprozess. Die Nachrangigkeit der oberen Entscheidungen bewirkt, dass die Minderheitsentscheide nicht durch Mehrheitsentscheide abgebügelt werden können. Sie gehen ungehindert und insgesamt in das komplexe Geflecht des Entscheidungsganzen ein und damit auch in die obersten Entscheidungen. Im Idealfall bleiben keine unberücksichtigten Minderheitsentscheide übrig.

Übertragen wir diese Gegebenheiten auf die Entscheidungsvorgänge bei Persönlichkeitswahlen, zunächst auf die kandidatengebundene Listenwahl. Schon bei oberflächlicher Betrachtung fallen die Abweichungen ins Auge. Bei kandidatengebundenen Wahlen gibt es keinen Entscheidungstransfer „von unten nach oben“ mit dem ihm eigentümlichen Offenliegen aller Optionen auf der jeweiligen Entscheidungsebene. Die obersten Entscheidungen sind dort nicht nach-, sondern vorgeordnet (s. Teil 36 in #freie-gesellschaft.

Bei der kandidatengebundenen Listenwahl dominieren eindeutig die Mehrheiten die Minderheiten. Aber nicht nur das. Bestimmte Wahlgesetze schließen mit unterschiedlichen „Prozent-Hürden“ gesellschaftliche Minderheiten komplett aus dem politischen Geschehen aus. (In Deutschland ist das vor allem dem §6/4 BWahlG zu verdanken.) Die besten Köpfe der Minderheiten müssen über ganze Wahlperioden hinweg ein politisches Schattendasein führen. Das bedeutet, dass eine Reihe von qualifizierten Leuten keine politische Einflussmöglichkeit hat. Eine Demokratie im Sinne von Mehrheitsherrschaft lässt prinzipiell keinen Minderheitenschutz zu.

Dabei ist es gar nicht nötig, bei Demokratien immer nur auf Mehrheitsentscheide zu setzen. „Das Mehrheitsprinzip ist… im Begriff ‚Demokratie’ nicht notwendig impliziert“ (Robert Nef, 2012). Bei dem hier vorgestellten Modell der kandidatenfreien Persönlichkeitswahl sind u. a. auch die beiden Strukturmerkmale Votationsaszens und Votationstransfer konstitutiv. Sie bewirken gemeinsam die Integration jeder Minderheit. Die Entscheidungen der Minderheiten gehen voll und ganz in den Gesamtentscheidungsprozess des Wahlvorgangs ein. Jede Minderheit, jede Opposition hat eine Chance. Ja, eine Opposition im üblichen Sinne kann es gar nicht geben. Denn alle Wählerstimmen gehen in den Entstehungsvorgang der Gewähltenrangordnung ein. Das Mehrheitsprinzip ist zwar gewahrt: bei der Ermittlung der Stimmenanzahl für jeden Gewählten. Aber es ist mit dem Minderheitenschutz versöhnt.

Ab dem nächsten Beitrag gehen wir in die Endrunden der Serie #freie-gesellschaft. Dort betrachten wir „Folgerungen und Perspektiven“, denn die gibt es auch.

In werter Hochachtung

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