Fotogedanken - Der Rest ergibt sich von ganz alleine

in #fotogedanken6 years ago

Hauptsache der neue Teppich bleibt sauber.



Nicht der Wind, das böse Kind, erst recht keine Laune der Natur, weder dpa noch Reuters hatten hier die Finger im Spiel. Ein genauerer Blick in die jüngste Historie der Steemit-Geschichte reicht aus, um zu erkennen, dass Kadna (@kadna) kurzerhand am Sonntag einen Trumpf aus dem Ärmel zog, der sogar mich, der den Buchstaben gegenüber eher skeptisch eingestellt zu sein scheint, dazu veranlasste, meine Prinzipien und Vorbehalte über die Reling zu werfen und im See der Wörter und Fantasien abzutauchen.

Aus gesammelten Erfahrungen klug werden

Haris Sukalo hat die letzten zwanzig Jahren damit verbracht seine Familie, insbesondere seine Frau Esma zu vermissen, bei einer Baufirma nahe Wetzlar Erfahrungen am Bau zu sammeln und ganz nebenbei das Geld zu verdienen, mit dem er nun nahe Tuzla seinen Traum verwirklichen möchte. Esma und die Kinder sollen endlich raus aus dem ehemals sozialistischen Plattenbau, in dem sie nach dem Krieg eine Bleibe gefunden hatten.

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Haris Sukalo baut seiner Familie ein Eigenheim!

Was dem handwerklich gewieften Bosniaken extrem gut in die Karten spielt, ist der Umstand, dass die Familie vor den Toren der Bezirkshauptstadt eine kleine Parzelle besitzt, die erst kürzlich, nachdem Haris beim Bürgermeister mit ein paar kleinen Zuwendungen seine Liebe zur Stadt und dessen obersten Repräsentanten bekundet hatte, von Acker in Bauland umgewandelt wurde. Nun steht er auf seinem winzigen Stück Land und schlägt kleine Pfähle in die Erde, an der die Bodenplatte für das geplante Eigenheim ausgerichtet werden soll. Den Bauplan hat Haris übrigens selbst gezeichnet. Zu viel Zeit hat er in Hessen auf Baustellen verbracht, um jetzt einem dahergelaufenen bosnischem Architekten sein Anliegen anzuvertrauen. Möglicherweise sogar einem, der sich sein Diplom erkauft hat.
So steht für ihn fest: Selbst ist der Mann, dann gibt es am Abend auch kein langes Überlegen, wen es zu loben gilt. Außerdem können so diverse Planänderungen auch ohne langwierige Diskussionen vollzogen werden. Ein weiterer Grund zum Verzicht auf Fachpersonal in Sachen Statik ist wohl auch Haris Geiz zu verdanken, der einen nicht unwesentlichen Teil in der Finanzverwaltung einnimmt. Volle Unterstützung erfährt er in dieser Hinsicht von Esma, die seit dem Krieg keiner Bank und keinem Nachbarn mehr über den Weg traut. Wo genau sie ihr Erspartes aufbewahrt weiß nur sie selbst. Sogar ihr Haris ist vollkommen ahnungslos. Der weiß nur, wenn die Kohle gebraucht wird und auch seine Esma der Investition positiv gegenübersteht, zückt sie die Scheine wie aus dem Nichts.

Ein weiteres Beispiel für ihre bewundernswerte Weitsicht liefert die Mutter zweier Kinder mit dem, was sie im Schuppen ihres Großonkels, der keine zwei Kilometer (nicht der Großonkel, sondern der Schuppen) vom Baugrundstück fast unscheinbar in der Landschaft steht, zusammengetragen hat. Das, was früher Ziegen und Schafen als Unterkunft diente, ist heute bis unters Dach mit Ziegelsteinen vollgestopft, die Esma im Laufe der Jahre von den Parzellen abgezwackt hat, deren Einwohner damals geflohen oder nach Serbien vertrieben wurden. Und so fügt sich zusammen, was nun einmal zusammen gehört: Angelernte hessische Fachwerkbaukunst in Vollendung und bosnisches Hamsterten im Dienst der Familie.

Am Abend, die Kinder sind schon längst horizontal zwischengelagert, sitzt das Ehepaar Sukalo am Küchentisch, auf dem der Bauplan ins heimische Glück ausgebreitet ist - wie fast an jedem Abend übrigens. Doch am heutigen Abend gilt es Entscheidungen zu treffen, denn für morgen hat sich der Bautrupp angesagt, um endlich Strom auf die Beton-Mischmaschine zu legen. Jetzt ist es also höchste Zeit ein essenzielles Problem vom Tisch zu wischen, welches das ganze Projekt noch in Gefahr bringen könnte.
Natürlich ist es nichts Ungewöhnliches, wenn es zwischen den Bauherren zu Meinungsverschiedenheiten kommt, wenn es um die Planung dessen geht, was vielleicht in ein paar Jahren der Bank gehören wird. Doch bei Esma und Haris, wo die Bank vielleicht später nur im Garten stehen wird, nehmen immer mehr weibliche Ängste Einfluss auf den Grundriss, denn Esma besteht auf Sicherheit. Nicht ganz ohne Grund, wenn einem das eigene Elternhaus von ehemaligen Nachbarn unterm Hintern verwüstet und unbewohnbar gemacht wurde. Esma besteht also darauf, dass um das neue Eigenheim zuerst eine Mauer gebaut wird, denn niemandem soll es erlaubt sein, an ihrer Haustür zu klingeln, ihr hinterlistig freundliche Worte zu schenken, um sie zwei Minuten später mit Prügel aus dem eigenen Heim zu treiben.

Für Haris beginnt somit eine ganz heikle Mission. Als ausgewiesener Kenner der Dreidimensionalität ist ihm bewusst, was eine Schutzmauer für sein neues Eigenheim bedeuten würde. Nicht genug damit, dass kein Passant einen Blick auf das werfen könnte, in was er Schweiß und Blut gesteckt hat, die Mauer würde auch das besetzen, was ihm besonders am Herzen liegt - ein kleiner Garten und ein Grill vom Feinsten, der als letzte Ruhestätte für so manches Lamm angedacht ist. Obwohl die Vorteile einer Mauer auch ihm bewusst sind, da sich die Chinesen unter Garantie nicht so viel Mühe gemacht, Walter Ulbricht nicht so viele Maurer ausgebildet und Donald Trump so viele Claqueure hätte, jedoch spielten bei keinem der drei Baumeister in ihrer Entscheidungsfindung zur Mauer ein Gartengrill die entscheidende Rolle. Doch Haris wäre nicht Haris, würde ihm in letzter Sekunde nicht die rettende Idee kommen.

“Wir bauen das Haus auf die Mauer!”

Kaum hat Esma die Botschaft ihres Mannes vernommen, nehmen Bilder, aufgenommen aus verschiedensten Perspektiven, vor ihrem inneren Auge Gestalt an. Übereinandergelegt, doppelt belichtet oder im Negativ betrachtet, das Ergebnis ist übereinstimmend. Esma ist von der Genialität ihres Mannes überwältigt und beweist ihm dies bis weit nach Mitternacht weit entfernt vom Küchentisch und dem Bauplan.

Zwei Monate nach Fertigstellung des neuen Eigenheimes ziehen Esma und Haris Sukalo Bilanz.
Der Hausherr steuert auf die Erhebung zum besten Grillmeister rund um Tuzla zu. Seine bosnisch-hessischen Kreationen erweisen sich als Magnet für die ganze Vorortgemeinde.

Esmas ehemals aufgetauchte Sorgen um die Sicherheit in und um ihr Eigenheim scheinen wie weggeblasen. Was sich unten im Garten abspielt, stört sie nur beiläufig, Viel wichtiger ist ihr, dass niemand an der Haustür klingeln kann, um anschließend den Dreck an den Schuhen aus dem eigenen Garten auf ihrer IKEA-Auslegware zu verteilen.

Etwas blöd ist lediglich, dass Familie Sukalo seit zwei Monaten in dem Schuppen schläft, in dem vorher die Ziegen und Schafe und danach die Backsteine ein gemütliches Zuhause fanden. Was jedoch bei den Hauseigentümern Hoffnung aufkeimen lässt, ist das Versprechen von Tuzlas Wehrführer, der versprach das Feuerwehrauto mit der Drehleiter zukünftig neben dem Haus auf der Mauer zu parken.

Natürlich nur gegen eine innige Bekundung der Liebe zu Stadt, Land und der Freiwilligen Feuerwehr.

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Am Chaos Wohlgefallen finden1.png

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Wenn du alle Eindrücke in deinem Alltagsleben mit derart umfassenden inneren Bildern und Geschichte aufnimmst, kann ich dir nur meine tiefe Bewunderung ausdrücken dafür, dass du deinen GesamtAlltag meistern kannst! Grandiose Geschichte, amüsant, Bilder- und Wortreich und ein Vergnügen zu lesen. Ich danke @larissalisa für dieses Foto!!!! Schön dass du mal wieder dabei bist und ein dickes Danke an dich!!!! Lieben Gruß Kadna

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Hallo Kadna,

mit einer solchen Inspiration gefüttert, kann auch ich nicht dem aufkommenden Sturm von Ideen und Wörtern nichts entgegensetzen. Was raus muss, muss dann raus!
Liebe Grüße
Wolfram

Herrlich! Genau so wird es sich zugetragen haben! Stand ich doch vor etwa zwei Wochen mit ??? in den Augen vor dem Gebäude.
Mal schauen, ob ich im Laufe der nächsten Woche noch eine andere Erklärung finde.
Ich könnte auch klingeln und nachfragen, allein ich kann den Klingelknopf nicht erreichen.

Nur etwas Geduld. Die Drehleiter müsste jeden Moment einsatzbereit sein. Es sei denn Haris findet nicht das richtige "Schmiermittel".

Hast du eine Ahnung wie schmal die Straße an dieser Stelle ist?

Larissa, warst du jemals in den Außenbezirken von Tuzla? Da bist du froh, wenn du nicht auf eine Landmine trittst. An ausgebaute Straßen ist erst zu denken, wenn der tödliche Schrott entsorgt ist. Das heißt: Die breite Straße sprengt sich selbst ihren Weg.

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