Was so ist, wenn man 10 ist...
Mein Jedi erkundet das feindliche Schiff und muss gegen General Grevious kämpfen.
Ich will es unbedingt ins nächste Level schaffen. Kaum habe ich mich warm gespielt, kommt meine Mutter herein – schon wieder. „Mach bitte aus, es reicht jetzt.“, sagt sie. Ich hab das Gefühl, gerade erst angefangen zu haben und maule. Dann verlege ich mich aufs Betteln und sage: Ach, nur noch fünf Minuten, bitte!“ Ich setze mein liebstes Gesicht auf. Hilft aber nichts, sie besteht darauf, dass ich aufhöre. Zusammen mit einem Comic und ein paar Keksen fläze ich mich aufs Bett und krümele es voll, während ich die Seiten umblättere.
Im Wohnzimmer telefoniert meine Mutter mit jemandem. Dann höre ich eine Weile nichts mehr und als ich zu ihr gehe, sitzt sie vor ihrem Laptop. Auf dem Bildschirm tanzen schwarz-weiße Reihen geschriebener Wörter – totaaaal uninteressant. „Mir ist langweilig“, sage ich. Dieser typische Blick von ihr. Ich will, dass sie Zeit für mich hat, darum lehne ich ab, was sie mir gerade rät. „Kannst du was mit mir spielen?“ Sie schüttelt mit dem Kopf und deutet auf das Laptop. „Keine Zeit.“ Ich bin böse auf sie. „Dann eben nicht!“, rufe ich und meine Tür knallt.
Manchmal hilft das und sie kommt hinterher. Redet dann immer in diesem höflichen Ton, bei dem ich aber genau weiß, dass da was nicht stimmt. Ich seh's an ihren Augen und an dem, wie sie ihren Körper hält. Sie schlingt dabei einen Arm um ihre Hüfte und den anderen stemmt sie dagegen. Heute nicht. Ich schleudere mein Schlaftier in eine Zimmerecke, wo es hinters Bett fällt. Ich traue es mich nicht wieder hervorzuholen, weil dort unten Staub und Spinnen sind. Ich nehme meine Legofiguren und fange an, mit Ironman einen Kampf gegen Loki zu führen. Ich versenke mich darin, mache mit dem Mund Flug- und Explosionsgeräusche, vernichte alle mit meinem Anzug aus Technik, den Toni sich selbst in seinem Labor gemacht hat.
Irgendwann wird es langweilig. Halbfünf. Ich gehe zurück ins Wohnzimmer und frage meine Mutter, die noch immer vor ihrem Laptop sitzt, ob sie mir was zu essen machen kann. Sie blickt nur kurz auf und sagt, dass es bald Abendbrot gibt und ich mich gedulden soll. Wieder werde ich böse und gehe zurück in mein Zimmer.
Blöde Arbeit! Ich versteh nicht, was an der Arbeit immer so wichtig sein soll. Diese komische Arbeit scheint ihr aber keinen Spaß zu machen. Sie sagt ja auch immer, dass sie arbeiten „muss“. Ich hab schon verstanden, dass das genauso wie mit der Schule ist. Als ich in die erste Klasse gekommen bin, hab ich mich gefreut und war ein bisschen stolz. Jetzt bin ich schlauer. Mittlerweile weiß ich, dass eine Regierung den Leuten erzählt, was sie dürfen und was sie nicht dürfen. Meine Eltern sind nicht die einzigen, die mir befehlen können. Außer denen gibt es da noch den Bürgermeister und die Bundeskanzlerin. Und meine Mathelehrerin.
Ich mag meine Mathelehrerin nicht und Mathe mag ich auch nicht. In der Schule geht es darum, Smileys hinter seine Aufgaben zu bekommen. Wenn man keine kriegt, dann ist das auch wirklich nicht zum Lachen. Ich weiß schon ganz viel, aber wenn ich was zuhause erzähle, dann sagt meine Mutter: „Es ist gut, dass du die Namen von den Dingen kennst, aber Namen zu kennen, bedeutet noch lange nicht, wirklich zu wissen, worum es sich handelt, wenn du zu einem Baum „Eiche“ sagst.“ Und dann sagt sie: „Nicht mal ich weiß wirklich, was eine Eiche eigentlich ist. Sie ist ein Lebewesen, das ist es, was ich weiß. Aber ist das genug?“
Darauf weiß ich meistens nichts zu sagen. Manchmal freut sie sich auch, wenn ich was sage, was sie sehr klug findet. Sowas schreibt sie dann in ein kleines Buch. Ich mag das Buch. Daraus liest sie mir vor, wenn wir uns abends zusammenkuscheln im Bett. Ich möchte immer wieder und wieder hören, was ich mit drei Jahren gesagt hab. Ich weiß, dass meine Mama mich liebt. Oft hab ich aber das Gefühl, dass ich irgendwie nicht gut genug bin.
Oh, sie ruft mich. Es gibt Essen.
written by: @erh.germany
Ich bedanke mich bei @relationtrip für die tolle Anregung! Prima Idee, einen Schreibcontest zu machen. Ich hoffe, die Geschichte gefällt euch! Hier gehts zum Contest:
Hey @future24 , das ist eine wirklich gute Geschichte :)
da hast du wohl was verwechselt? :-)
Super @erh.germany wir, die Crew freuen uns dass du deinen Beitrag zum Wettbewerb geschrieben hast. Eine sehr wahre Geschichte, die leider in vielen Haushalten täglich passiert.... Upvoted
Besten Dank! Ich freue mich über den Wiedererkennungswert. Euch viel Spaß bei der Auswertung. Danke auch fürs Upvoten!