España unida und ein paar Tage in Katalonien

in #deutsch6 years ago






 Es folgt mein Reisebericht aus dem Urlaub, der erstaunlich politisch  geworden ist, weil wir uns ein politisches Ziel unbewusst ausgesucht  hatten. Ehrlicherweise muss ich sagen, dass Katalonien und der  Unabhängigkeitskampf dort aus meinem Gedächtnis verbannt wurden, weil  aktuellere und dringlichere Themen Vorrang genießen durften. Aber als  meine Freundin und ich in Barcelona landeten und mit dem Zug in Richtung  Bahnhof Passeig de Gràcia fuhren, konnte ich nicht anders. Ich fasste den Entschluss, dass über diesen Kurzurlaub berichtet werden musste.   


 In abendlicher Frische, wenigstens für mediterane Verhältnisse im Oktober, stiegen wir am Bahnhof Passeig de Gràcia   aus und fanden uns auf einer dicht befahrenen Kreuzung wieder, wo die  Architektur eines Gaudi uns schon begrüßte. Barocke Gebäude und  seltsame, scheinbar dem Meer enthobenen Fassaden, die so typisch für  diese Stadt zu sein schienen. Das Problem an mir selbst ist, dass es mir  tatsächlich unmöglich ist nicht zu beobachten und nicht die Dinge mit  politischen Augen zu sehen, mal völlig abzuschalten. Bereits am  Flughafen, im Zug und nun gleich am erstbesten Supermercat,  einem kleinen Eckladen, fiel es mir auf: Es gibt sehr viele Muslime in  Barcelona. Vor allem arabische, aber auch pakistanische und  schwarzafrikanische Muslime. Bereits im ersten Geschäft, besagtem  Supermarkt, kauften wir unser Wasser bei einem wahrscheinlich dem  indischen Subkontinent entflohenem Muslim. Warum weiß ich, dass es sich  um einen Muslim gehandelt hat? Als wir zahlten, stand ich über ihm an  der Theke, während er saß und sich ohne sich zu schämen Videos von  salafistischen Predigern ansah. Hätte ich ein Buch geschrieben, hätte  ich eine solche Begegnung als für zu absurd abgetan, um glaubwürdig zu  sein. Aber so ist es geschehen gegen 19:50 Ortszeit am Passeig de Gràcia . Meine Freundin und ich waren im Mindesten verwirrt und ein wenig erschrocken. Es sollte sich herausstellen, dass fast alle kleinen Supermärkte  einen Pakistani oder indischen Muslim als Besitzer bzw. Verkäufer haben.  Ähnlich wie bei uns die Dönerläden, die meist in türkischer bzw.  kurdischer Hand sind.   Die Stadt Barcelona an sich ist unglaublich schön, die Architektur  der Jahrhunderte angenehm fürs Auge und das Essen mehr als fantastisch.  Tapas, Churros und dergleichen sind unheimlich köstlich und allein dafür  sollte man eine Reise dorthin wagen. Weine und Biere sind ebenfalls  nicht zu verachten, wenn man dergleichen zum berühmten Iberico-Schinken  konsumieren will. Die Abwesenheit eines McDonalds alle zwanzig Meter hat  hier angenehm überrascht und dafür gesorgt, dass man tatsächlich in die  örtliche Lokalküche eintauchen konnte, die historisch durch Einflüsse  aus Europa und Nordafrika geprägt zu sein scheint. Die Nähe zu  Frankreich ist hier ebenfalls von Bedeutung, was sich ebenfalls in der  Anwesenheit vieler Franzosen niederschlägt, die dort heimisch geworden  sind. 

 Im Gegensatz zu den Städten Mitteleuropas, wo viel durch den letzten  Weltkrieg zerstört wurde, ist die Architektur in Barcelona zwar  abwechslungsreich, aber keinesfalls lückenhaft. Man kann die Epochen  noch an den Häusern erkennen und träumen, wie die Menschen wohl hier vor  Jahrhunderten oder Jahrzehnten gelebt haben. Die Stadt erwies sich  insgesamt als schön und erstaunlich multikulturell in einer noch guten  Art und Weise, sodass man sich zumindest als Tourist nicht wie in Angola  fühlt, sondern wie in einer europäischen Großstadt, wie sie sein  sollte. Wir erkundeten Barcelona fast vollständig zu Fuß und haben  deshalb mehr als nur die touristisch überlaufenen Orte zu sehen  bekommen. Letztendlich können wir sagen, dass wir die ganze Stadt  inklusive der industriellen Bezirke und der ärmeren Viertel gesehen  haben. 



 España unida?

 Kommen wir zu dem eigentlichen Grund, warum ich über Barcelona und  die Katalanen schreiben wollte. Die Lage dort ist immer noch höchst  politisch und ich würde sogar sagen, dass sie unter der Oberfläche  Spannung aufbaut. Das Referendum der Katalanen bezüglich ihrer  Unabhängigkeit war letztendlich trotz der Zustimmung der Katalanen nicht  positiv für sie ausgegangen. Spanien hat seine Einheit als Nation  erhalten – für den Moment. Aber in Barcelona erwies sich, dass diese  Bevölkerung zwar relativ links zu ticken scheint, dem Lokalpatriotismus  aber nicht abgeneigt ist. Katalanen sind Stolz darauf, dass sie  Katalanen sind und zeigen das auch. Die Beflaggung der Balkone und  Fenster mit der Fahne ist normal, während die Flagge Spaniens fast  nirgendwo zu sehen ist. Eher noch die der EU.  «Bullenschweine» oder  «Scheiss Polizei» finden sich übrigens als Aufkleber oder Schmiererei  fast überall. Ähnlich wie Bekenntnisse zu Flüchtlingen, Feminismus und  Antifaschismus – die Katalanen sehen sich scheinbar in einer  republikanisch-sozialistischen Tradition ihrer gescheiterten Republik,  die im letzten Bürgerkrieg Spaniens von den Anhängern Francos besiegt  wurde. Barcelona selbst hat wirklich etwas von Kreuzberg im Großformat.  Schwule, Feierwütige und junge Leute dominieren das Stadtbild in der  Nacht. Mitunter kam es mir vor, als sei die halbe Homosexuellen-Szene  Spaniens dort unten versammelt. Den Menschen selbst sah man trotzdem  immer an, dass sie iberischer Abstammung sind. Die Gesichter der  europäischen Katalanen, die womöglich noch eine Mehrheit stellen, waren  sich erstaunlich ähnlich und meistens hübsch anzusehen (bei den Frauen). 


Ansonsten war mir schnell klar geworden, dass Barcelona mehrere  Migrationswellen erlebt hatte. Es gab kubanische, südamerikanische und  andere spanischsprachige Migranten, die optisch nicht ganz zum Rest der  Europäer passten, aber vom Verhalten her nicht auffällig wirkten. Dann  muss es im Verlauf der letzten Jahrzehnte große Mengen als Ostasiaten  gegeben haben, die etliche Asia-Restaurants eröffneten und jetzt  kulinarisch mancherorts in der Stadt sogar dominieren. Zuletzt sind die  afrikanischen, asiatischen und arabischen Muslime zu nennen, die im  Stadtbild eine beachtliche Minderheit darstellen, wenngleich das nicht  sofort ersichtlich ist. Kopftuchfrauen und mit roten Henna-Bärten  herumlaufende Moslems sind jedoch häufig unsere Begleiter auf der Straße  gewesen. Amüsanterweise entpuppte sich der Kioskverkäufer im Eckladen  neben unserem Hotel ebenfalls als Anhänger einer eher dubioseren  Auslegungen des Koran. Die Geschichte dazu ist kurz, aber witzig und  daher will ich sie hier erzählen. 



Nach meinem kleinen Erlebniss mit dem Pakistani am Passeig de Gràcia  war ich erpicht darauf herauszufinden, wie tief ich als Tourist in  diese kleine, aber scheinbar interessante Gemeinde der Muslime  vordringen könnte. Beim Eckladen neben unserem Hotel beim Bahnhof Glories sprach  ich den ebenfalls dunkelhäutigen, indisch aussehenden Verkäufer mit  «Salam» an. Ganz erstaunt und scheinbar erfreut erwiederte er die  Begrüßung und musterte mich, nachdem ich dort meine Bananen eingepackt  hatte. Kurz tat ich so, als würde ich bei den Chips auf die Zutaten  gucken, um festzustellen, ob die Lebensmittel vielleicht mit dem  «Halal-Symbol» gekennzeichnet waren. Der Kioskbesitzer lächelte mir  dabei nur zu und als ich bezahlen wollte, fragte er mich kurzerhand  woher ich denn käme. Ich antwortete auf Englisch und sagte ihm, dass ich  aus Russland käme, weil das vielleicht am ehesten glaubwürdig erschien  angesichts meiner eurasischen Optik. Nach einem kurzen Gespräch, das  nicht mehr als eine Minute dauerte, empfahl er mir eine Moschee irgendwo  nahe La Rambla. Da müsse man Bescheid wissen, so der  Kioskbesitzer, sonst käme man nicht hinein. Denn sie sei wohl nicht  ausgeschildert und den Autoritäten nicht bekannt. So kam es also, dass ich binnen weniger Minuten mit einer kleinen  Lüge in den äußeren Zirkel einer Moscheegemeinde vorgedrungen war, die  sich zumindest nicht öffentlich unter den Augen der Autoritäten treffen  wollte. Vielleicht ist es ja kein Zufall, dass auf der Straße bei La Rambla  der Anschlag von Barcelona verübt wurde, der im letzten Jahr Dutzende  Menschen tötete. Die Islamisten haben sich Katalonien nicht umsonst als  ihren sicheren Operationshafen ausgesucht. «Many believers here in the City», sagte ich dem Verkäufer am Ende  noch und er antwortete mit folgenden Worten: « Yes,  many more I hope  …very soon.» 


In einem anderen Leben wäre ich vielleicht ein guter Ermittler  geworden. Unser Urlaub durch Barcelona brachte noch viele weitere  Erkentnisse. Beispielsweise die Beobachtung, dass das Leben blüht, der  Lebensstandard für die meisten Leute hoch scheint und die Stadt ein  Zentrum für Industrie und Technik ist, das Spanien nicht einfach  hergeben will – verständlicherweise.  Unser Kellner beim  Tapas-Restaurant entpuppte sich später als heimlicher Verehrer der Falagne,  wie ein Tattoo auf seinem Nacken unmissverständlich deutlich machte.  Und irgendwann auf dem Rückmarsch zum Hotel fuhr ein Auto über die  Straße, das mit spanischen Fahnen beflaggt war und aus deren Fenstern  mehrere Männer ein lautstarkes «España unida!» brüllten, bevor sie von  den anderen Verkehrsteilnehmern, vermutlich Katalanen, weggehupt wurden.  Der Kampf um Katalonien ist noch nicht vorbei. Auf dieser Note möchte  ich enden und allen eine Reise nach Barcelona empfehlen. Man sollte es sehen, bevor es nicht mehr zu sehen ist. 

https://younggerman.com/index.php/2018/10/23/espana-unida-und-ein-paar-tage-in-katalonien/

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Hi @younggerman, toller Reisebericht aus Barcelona, super geschrieben. Ist ja auch eine beeindruckende Stadt. Upvote und follow anbei. Schönes Wochenende Alexa

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