So baut man eine mongolische Jurte

in #deutsch5 years ago (edited)

Ich bin gerade zum 5. Mal in der Mongolei und möchte Euch zeigen, wie eine mongolische Jurte gebaut wird. Mit „gebaut“ meine nicht nicht nur „aufgebaut“, sondern auch „hergestellt“, denn ich bin nun schon zum 5. Mal in der kältesten Hauptstadt der Welt, Ulan Batar, um Jurten bauen zu lassen.

Ich arbeite für einen Schweizer Jurtenhändler und bin dafür verantwortlich, dass die Jurten, die in der Schweiz verkauft werden, fast Schweizer Qualität haben und, ganz wichtig, mit den mitteleuropäischen Klimabedingungen klarkommen. Importiert man nämlich eine mongolische Jurte „einfach so“ nach Mitteleuropa, hat man daran nicht wirklich lange Freude: das Holz quillt auf und überall klemmt es, die Materialien beginnen zu schimmeln und faulen und die traditionelle Behausung, die in der Mongolei Generationen hält, ist schnell vergammelt. Wie entsteht als so eine Jute?

Eine mongolische Jurte besteht aus zwei grundlegenden Komponenten: dem Holzgerüst und den dazugehörigen Textilien. In der Mongolei gibt es Werkstätten, die nur die Holzarbeiten machen, Nähereien, die sich auf die Textilien spezialisiert haben und Betriebe, in denen Filze hergestellt werden. Meist handelt es sich um kleine Familienbetriebe.

Die Holzteile werden traditionell aus Kiefer gefertigt, für größere Jurten verwendet man auch gerne Lärchenholz aufgrund seiner größeren Stabilität. Aus gutem, trockenem (!) Holz werden dann die einzelnen Teile gefertigt und per Hand bemalt:

Die Holzgitter, die hier „Wände“ heißen und an denen die Größe einer Jurte bestimmt wird, sind der "tragende Teil" der Jurte. Die Gitterwände sind besonders stabil, wenn das Holz gespalten und nicht gesägt wurde. Eine Jurte mit 4 Wänden hat einen Durchmesser von etwa 5m und beherbergt in der Mongolei eine ganze Familie. Es gibt aber auch wesentlich kleinere und riesengroße Jurten, in denen Feste gefeiert - oder in Europa Cafes eröffnet werden. :-)

Die einzelnen Latten werden mit Kamelleder verknotet. Dazu wird das Leder in dünne Riemen geschnitten und in Wasser eingelegt. Nach dem Verknoten härtet das Leder aus und verbindet die Latten dadurch fest und dennoch flexibel.

Um in die Jurte hinein zu kommen, braucht es natürlich eine Tür. Diese wird immer gen Süden ausgerichtet und hat traditionell keine Fenster. Wer mag, kann sich in Europa auch Fenster einsetzen lassen, aber auch ohne Fenster ist es in einer Jurte nicht dunkel.

Die Wandgitter werden ineinandergesteckt, mit Seilen aus Naturhaar (Pferdehaar oder eine Mischung mit Kamelhaar) verbunden und an der Tür befestigt. Eine Jurte wird niemals geschraubt oder genagelt, denn sie wird von den Nomaden oft auf- und wieder abgebaut.

In der Mitte einer jeden Jurte tragen zwei, bei großen Jurten auch vier Stützen das zentrale Dachrad. Auch das Dachrad wird nicht fest mit den Stützen verschraubt, sondern nur mit Seilen fixiert. Das Dachrad dient zur Belüftung, lässt Licht hinein und trägt die Dach“latten“.

In der Mitte des Dachrades befindet sich ein Ring, in den ein Seil eingehängt wird. An diesem Seil wird bei Sturm ein Eimer Wasser oder Sack Sand befestigt, um zu verhindern, dass die Jurte abhebt und davonfliegt.

Die Dachstangen sind an einem Ende spitz zulaufend und passen idealerweise ohne Anspitzen in die Öffnungen des Dachrades. Das ist wichtig, denn beim Anspitzen wird der Lack entfernt und somit kann Feuchtigkeit ins Holz gelangen. Das lässt das Holz aufquellen, den Lack absplittern und die Jurte vergammelt.

Am breiten Ende befindet sich ein stabiles Rosshaarseil, welches die Stangen am Wandgitter fixiert. Die Stangen liegen in den Gitterkreuzen auf und bilden das Dachgerüst. Stangen, Gitter und Dachrad sind alle etwas "auf Zug" miteinander verbunden, sodass nichts geschraubt werden muss, um trotzdem sicher zu halten. Passgenauigkeit vorrausgesetzt. :-)

Jetzt steht das Grundgerüst der Jurte und sie muss nur noch „angezogen“ werden! Auf das Dach kommt ein dünner Baumwollstoff, der „Himmel“ genannt wird. Meist ist er nur wie eine Art „Badekappe“ auf den Dachstangen, ab und zu auch als „Morgenmantel“ über das gesamte Holzgerüst gezogen. Dieser „Himmel“ schützt die darüber liegenden Materialien vor Verschmutzung durch Kochdünste etc. und kann auch bei aufgebauter Jurte schnell ausgetauscht werden.

Über den Himmel kommt dann eine Lage Filze. Eine gute Filzqualität ist richtig dick und besteht aus langen Schafwollfasern, die ungebleicht und nur mit Wasser gewaschen miteinander verfilzt werden. Das natürliche Wollfett darin sorgt für eine Imprägnierung und tolle Klimaregulierung.

Naturfilze können viel Feuchtigkeit aus der Luft aufnehmen und wieder abgeben und regulieren so das Raumklima in der Jurte. Die ganze Jurte wird so in dicken, vor Kälte und Hitze isolierenden Filz "eingepackt". Je besser die Filzqualität, desto besser das Klima in der Jurte!

Innen wird vor die Wandgitter dann ein Vorhang gehängt, der wie eine Art Tapete zu verstehen ist. Diese Vorhänge gibt es, wie Tapeten, in unterschiedlichen Designs. Man kann ihn aber auch weg lassen, um das schöne Holzgerüst zu sehen. Dann empfiehlt es sich aber, zwischen Wandgitter und Filz noch eine dünne Stoffbahn zu legen, die den Filz vor Verschmutzung schützt.

A propos "schönes Holzgerüst": es gibt auch "Edeljurten" mit kunstvollen Schnitzereien, die für wichtige Feste aufgestellt oder als "Prachtjurten" an reiche Städter verkauft werden.

Traditionell sticken Frauen einen Wandbehang in mühevoller Handarbeit, welcher zur Hochzeit fertig ist und die Wand der neuen Jurte des jungen Ehepaars schmückt. So ein Wandbehang schmückt natürlich auch Wohnzimmerwände oder Sofas :-) Das ist mein eigener Wandbehang:

Diese handgefertigten Wandbehänge sind heute nur noch als Vintageware erhältlich (zum Beispiel fair trade in der Mongoliei bei Mary&Martha oder in Europa beim Jurtenkönig), die heutigen Wandbehänge stickt frau mit der Nähmaschine.

Über die Filze kommt dann der Regenschutz. Traditionell ist das ein ganz fest gewebter Baumwollstoff, der dadurch wasserdicht wird, dass die Baumwollfasern bei Nässe aufquellen und sich das Gewebe so selbst abdichtet. Heutzutage sind auch Baumwollmischgewebe üblich. Je weniger atmungsaktiv der Stoff, desto größer die Schimmelgefahr!

Wichtig ist auch, dass der Nähfaden zumindest baumwollummantelt ist, damit die Nahtlöcher bei Regen dicht werden. Wer mag, kann das Regenübertuch zur Sicherheit noch imprägnieren. Entweder mit einer wachshaltigen Imprägnierung wie "Nikwax" oder mit einer silikonbasierten Imprägnierung.

Als letztes bekommt die Jurte einen „Ziermantel“ mit unterschiedlichen Dekoren umgelegt, das Außentuch. Ganz klassisch ist ein blaues Muster, welches es in einfachen bis komplizierten Varianten gibt.

In der Mongolei wird das Tuch auf dem Markt „to go“ angeboten und günstig in Plastiktüten verkauft. Die durchschnittliche mongolische „to go“ Qualität hält jedoch nur ein Jahr, sodass die meisten Jurten jeden Frühling in frischem Weiß erstrahlen. Es gibt aber auch Qualität, die länger hält :-)

Jetzt ist die Jurte zwar rundum „eingepackt“, aber das Dach ist noch offen! Die Öffnung in der Mitte des Dachrades wird durch ein Vierecktuch verschlossen, welches an seinen vier Ecken mit Naturhaarseil am Boden festgezurrt wird.

Jeden Morgen wird das Vierecktuch so aufgezogen, dass sich das Dachrad über die Hälfte der Fläche öffnet. So kann Licht in die Jurte und feuchte Luft nach außen strömen. Das ist wichtig, damit die Jurte nicht feucht wird!

Die einzelnen Segmente des Dachrades können auch mit Fensterrahmen und Plexiglasscheiben bestückt sein, die dazu dienen, dass auch an Regen- oder Schneetagen Licht in die Jurte gelangt. Sobald kein Niederschlag mehr fällt, müssen diese Rahmen entfernt werden, damit die Jurte wieder „atmen“ kann! Das Foto zeigt: so hell ist es in einer fensterlosen Jurte, wenn das Vierecktuch zur Hälfte aufgeklappt ist. Dass eine Jurte Fenster brauche, ist eine sehr europäische Vorstellung :-)

Damit alles nicht wegfliegt, wird die Jurte dann mit breiten Bändern wie ein Sahnetörtchen umlaufend geschnürt. Fertig ist die mobile Behausung! Zum Aufbau der Jurte braucht man mindestens drei, besser vier Personen. Mongolen schaffen das in etwa einer Stunde, bei größeren Jurten (wie dieser mit 10 Wänden auf dem obigen Foto) dauert es entsprechend länger.

Eine Jurte ist im Winter und Sommer gleichermaßen behagliche Wohnstätte. An heißen Sommertagen werden die Textilien rundum einfach etwas vom Boden angehoben, um eine ständige Luftzirkulation zu gewährleisten, im Winter wird geheizt. Die passenden Jurtenmöbel sehen natürlich auch in rechteckigen Wohnbehausungen Europas hübsch aus :-)

Dazu steht in der Mitte der Jurte ein Jurtenofen, auf dem auch gekocht wird. Das Ofenrohr führt durch das Dachrad nach außen und man kann am aufsteigendem Rauch schon immer von Weitem erkennen, ob eine Jurte gerade bewohnt wird oder nicht, denn entweder wird gerade gekocht oder geheizt.

Jetzt wisst Ihr, wie man Juten baut. Um zu erfahren, wie gut man in einer Jurte schläft, kommt doch einfach Mal in die Mongolei, es lohnt nicht nur für Jurten! Viele Grüße aus der kältestes Hauptstadt der Welt!

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Vielen Dank für den wirklich interessanten Bericht! Die Bemalung dieser Jurte ist ja wirklich wunderschön.

Was sagen die Mongolen denn eigentlich dazu, dass Jurten nach Europa exportiert werden?

Die Fotos sind von 4 oder 5 erschiedenen Jurten. :-) Aber ja, die sind alle schön. Dass Jurten nach Europa exportiert werden, ist ziemlich normal, das kommt hier öfter vor, man sieht die nur nicht in Europa, wenn man nicht weiß, wo die alle sind. :-)

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Super schön'! Also ich kenne bislang aus der Realität nur eine Jurte von den Pfadfindern, aber das hier ist ja eine ganz andere Nummer. Liegt wohl auch am anderen Einsatzzweck ;) Wunderschön mit den Verzierungen und den Farben!

Naja, Pfadfinder spielen in ihren Jurten ja nur "Outdoor Leben", in der Mongolei findet in den Jurten das richtige Leben, der Alltag zu jeder Jahreszeit statt :-)

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