Im Land der Wehrtürme: Swanetien

in #deutsch6 years ago (edited)

Meine Annäherung an Georgien erfolgte vor gut 5 Jahren über das Essen in einem georgischen Restaurant in Oberhausen. Das war einfach: in dieses Land wollte ich, um jeden Tag solche Köstlichkeiten schlemmen zu können! 2016 kaufte ich in Southampton spontan den Reiseführer – und hatte ihn bis zur Landung in Düsseldorf schon fast auswendig gelernt. Besonders faszinierte mich nach dem Lesen eine Region: Svanetien. Eine Region in einem tief eingeschnittenen Tal des Kaukasus, umgeben von Gletschern und schneebedeckten Gipfeln und mit hunderten Wehrtürmen „dekoriert“. In Svanetien baute sich früher jede Familie einen Wehrturm, sodass es extrem schwer war, die Region zu erobern, da nicht nur eine Festungsmauer überwunden werden musste, sondern Wehrturm für Wehrturm. Das wollte ich sehen! Obwohl wir Mitte Juni ganz in der Nähe dieser Region nach Georgien eingereist sind, haben wir uns erst jetzt „getraut“. Jeder, der in den vergangenen drei Monaten dort war, berichtete von Touristenmassen in Mestia und Ushguli und auf Youtube konnten wir genervte Urlauber im Stau voller kleiner weißer Touristenbusse zwischen den beiden Hauptorten sehen. Wir hörten, dass es so überfüllt sei mit Touristen, dass man abends keinen Platz im Restaurant bekam. Das schreckte uns ab. Ich war stellenweise sogar davon überzeugt, dass ich dort gar nicht mehr hin will. Doch wir planten, gegen Ende September einen Versuch zu starten, wenn überall die Schule wieder angefangen hat und absolute Nachsaison ist. Nun war es Ende September und von Gori aus machten wir uns auf Richtung Svanetien.

Wir wollten von Lentheki über Ushguli nach Mestia fahren. Eine Fahrtrichtung, von der wir gehört hatten, dass sie „nicht geht“. Außerdem hatten wir noch in Gori erklärt bekommen, auf dieser Strecke gäbe es Pfützen, die seien „tischkantentief“. Ich muss komisch geschaut haben, denn zur Bekräftigung klopfte er auf den Esstisch im Restaurant. „Tischkantentief“! Es handelte sich also definitiv nicht um Couchtische. Aber, ich hatte gelernt: da wollte jemand mir mit seinen eigenen Ängsten oder Problemen nur Angst machen!

Trotzdem hatte ich das alles im Hinterkopf, als wir den Asphalt verließen. Im Wald war es tatsächlich matschig und da es sich um Schiefergestein handelt, fuhr es sich im Schlamm wie auf Schmierseife. Insbesondere mit meinen abgefahrenen Reifen. Wir machten Scherze darüber, dass wir 10 Jahre lang für solche Schlammschlachten als Startgeld bei der Breslau Rallye viel Geld bezahlt haben und dass gerade zeitgleich die Balkan Offroad Rallye stattfindet. Wir fuhren heute in der „Soziaklasse“, scherzten wir weiter: das Gepäck und Mehrgewicht des Reisemotorrades ist wie „Rallye mit Sozia“.

Ja, wir hatten Spaß, obwohl wir schnell aussahen wie die Wildschweine. Sobald wir aus dem Wald heraus kamen, öffnete sich der Blick auf den Gletscher und schneebedeckte Gipfel. So schön! Es wurde steinig. Richtig steinig, teilweise waren die Steine kindskopfgroß. Es gab auch Felsen, die wie Stufen aus dem Weg heraus ragten und wir verstanden, wie man zu der Annahme kommen könnte, diese Strecke nur in umgekehrter Richtung fahren zu können. Bloß: „tischkantenhoch“ waren keine Kanten und keine Pfützen. Mit Kittymobil wären wir auch überall durchgekommen, da Kittymobil die nötige Bodenfreiheit hat.

Wir hatten Fahrspaß wie sehr lange nicht mehr! Wir genossen das Glück, vor einer traumhaften Bergkulisse etwas anspruchsvolleres Gelände zu fahren, es dabei fliegen zu lassen, die Steine weg zu bügeln und uns nach jeder Kurve über die Intercoms „wow!“ oder „guck mal da!“ und „wie schön!“ zuzurufen. Wer mit der Strecke liebäugelt: in der Gegenrichtung (Ushguli – Lentheki) absolut gut machbar! Und wenn es „Tische“ gibt, dann handelt es sich um Couchtische. Und davon stehen wenige im Weg herum. Und runter hopst da jedes Motorrad ganz von alleine. Versprochen.

Ushguli besteht aus vier Dörfern, die sich über etwa 2km ein Tal entlang ziehen. Wir kamen im obersten Dorf an und gönnten uns bei einem Opa erstmal leckere Teilchen und Limos, bevor wir ins nächste Dorf rollten, in dem die Touristenkarawane schon angekommen war. Allerdings nicht zu Unrecht, denn Ushguli mit seinen unzähligen noch intakten Wehrtürmen liegt wirklich bilderbuchhaft im Tal vor einem Gletscher.

Die Straße zwischen Ushguli und Mestia hatten andere Motorradreisende als „45km Schlammschlacht“ beschrieben. Wir wissen nicht, ob da der Tacho kaputt war oder der Herr übertrieben hat, denn von der gesamten Strecke sind nur 16km unbefestigt. Und wir sind sicher, dass nächsten Sommer alle 45km betoniert sind. Die Schlammschlacht allerdings kann tatsächlich 16km lang sein. Wenn es regnet. Da wir aber nicht bei Regen fahren, beschränkte sich die Schlammschlacht auf vereinzelte kurze Stellen im schattigen Wald. Da wir unsere Motorräder schon gut in Schlamm „verpackt“ hatten und uns sowieso schon das Wasser in den Stiefel stand, war das nun auch egal.

In Mestia angekommen, merkten wir, dass zwar Nachsaison ist, Mestia aber mit Kazbegi der größte Touristenmagnet Georgiens ist. Die im schweizer Chalet Stil neu gestaltete Innenstadt schien nur Touristen zu dienen: fast jedes Haus war entweder „Bar mit Lifemusik“, Restaurant, Hotel, Guesthouse, Pension oder Hostel. Alle 50m suggerierte ein anderer Minibusfahrer mit einem Schild den „Busbahnhof“, um seine (überteuerten) Taxidienste zu offerieren. Und als wir uns in einem Cafe nieder ließen, hatte auch keiner Lust, uns zu bedienen. Das war nicht das Georgien, was wir in den letzten 3 Monaten kennen gelernt hatten!

Wir buchten eine Unterkunft, die abseits vom Trubel lag und meisterten die Anfahrt. Da Mestia in den Hang des Tals hinein gebaut ist, sind fast alle Straßen außer der Hauptstraße mehr oder weniger steil. Unsere war sehr steil. Dumm, wenn man die Kiste auf Zug halten, dabei nach Schildern und Hausnummern Ausschau halten muss, aber nicht anhalten könnte, wenn man müsste. Jan schoss versehentlich in einen falschen Abzweig, ich am Ziel vorbei. Die abenteuerliche Anfahrt zur Unterkunft lohnte aber, denn wer am oberen Ortsrand nächtigt, hat den besten Bergblick und den besten Blick auf all die nachts beleuchteten Wehrtürme im Tal! Wir genossen glücklich die Aussicht und waren uns einig: das war der schönste Fahrtag seit ganz, ganz Langem! Das Frühstück, welches wir am nächsten Morgen serviert bekamen, stellte alle anderen (bis auf das in Wanadsor in Armenien) in den Schatten. Es gab: gebratenes Maisbrot, Weißbrot, selbstgebackenen Kuchen, Sirniki (gebratene Quarkteilchen), Bratkartoffeln, Tomate-Gurke-Salat, Milch, Joghurt, Käse und Sahne von eigenen Kühen, selbstgemachte Marmelade, Omelette, Kaffee, Tee – und Brottüten, in denen man alles, was man nicht schaffte, einpacken musste. Wir nutzen den Moment, in dem Oma die Küche verließ, um ohne Lunchpakete zu flüchten, bevor wir platzten!

Wir verließen Svanetien über die wunderschöne Talstraße und hatten nochmal etwa 120km Kurvenspaß, bevor wir den großen Kaukasus „für immer“ verließen. Es war gut, doch nach Svanetien gefahren zu sein, aber es war auch gut, damit bis Ende September gewartet zu haben. Es ist schon der touristischste Ort, den wir im gesamten Kaukasus gesehen haben, aber die Schönheit der Landschaft und die Besonderheit der Wehrtürme sind es wert, sich in die Massen einzureihen.

Auf unserer Webseite ist nun endlich auch das „alternative“ Georgien-Album verfügbar. In altbekanntem Durcheinander und mit „Dubletten“. Das sortierte und kommentierte Georgien Fotoalbum auf Facebook ist aktualisiert. Jan bastelt gerade am Video zu Svanetien und wir hoffen, es noch aus Georgien online zu stellen! Übrigens: wer bei uns den Überblick verloren hat, wo was ist: wir haben auf unserer Webseite eine interaktive Karte, auf der unsere Highlights mit Fotos oder Videos auf der Karte eingezeichnet sind: Weltreiseroute

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Amazing nature view!!! Such a big mountains, you can enjoy you trip :)

Svanetien ist Klasse :-)

Cooler Bericht und coole Gegend!

Danke! Fahr Mal hin, lohnt! :-)

Hallo @travelove, toller Reisebericht über Georgien. Ist ja dieses Jahr das Gastland der Frankfurter Buchmesse. Liebe Grüße, upvote und follow anbei. Alexa

Hi Alexa, Danke! Ja, Georgien ist daher in Deutschland dieses Jahr echt "in". Wenn Dich Georgien interessiert: ich habe hier noch mehr darüber geschrieben, guck Mal in älteren Blogposts. Ein wunderschönes Land! Und mit WizzAir fürn paar Taler zu erreichen :-)

Hallo ich bin Mikrobi,

dein Beitrag hat mir sehr gut gefallen und du bekommst von mir Upvote.
Ich bin ein Testbot, wenn ich alles richtig gemacht habe, findest du deinen Beitrag in meinem Report wieder.

LG

Mikrobi

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