Neuer Ort, Teil 3

in #deutsch7 years ago

würfel.jpg

Ich bleibe stehen und warte. Quälend langsam löst sich die Silhouette aus dem Nebel. Endlich erkenne ich, dass es sich um einen sehr, sehr alten Mann handelt. Alles an ihm ist grau, in Staub gehüllt. Er wirkt so zerbrechlich, als ob die kleinste Berührung ihn zerfallen lassen könnte. Dennoch trägt er einen riesigen Rucksack, an dem er schwer zu schleppen scheint. Er scheint mich noch nicht wahrgenommen zu haben – da merke ich, dass er gar nicht in meine Richtung geht, sondern direkt zum Zaun. Ich warte, etwas abseits. Mit kleinen Schritten nähert er sich und schliesslich erblickt er mich. Er verharrt, dann hält er auf mich zu und ruft etwas. Das heißt, er versucht es, denn nur ein Krächzen ist zu hören. Er schlurft näher, so schnell seine gebrechlichen Beine es ihm erlauben. Als er mich schliesslich erreicht, bricht vor mir zusammen. Rasch trete ich hinzu, um ihn aufzufangen. Vorsichtig bette ich ihn, so gut es geht, auf den harten Boden. Ich nehme seinen Rucksack ab und durchsuche ihn, auf der Suche nach etwas, das ihm (und mir) helfen könnte. In einer Seitentasche finde ich, eingewickelt in ein Tuch, kleine Würfel. Aus irgendeinem Grund, der mir selbst nicht klar ist, weiß ich, dass sie Proviant sind. Ich nehme das Tuch und lege es unter den Kopf des Mannes, einen der Würfel schiebe ich an seinen Lippen vorbei und in seinen Mund. Die Wirkung ist schlagartig. Er öffnet die Augen. Sie sind überraschend klar und wach. Er sieht mich an – und strahlt. Sein faltenzerfurchtes staubgraues Gesicht mit dem verfilzten Bart ist voller Freude. Er spricht, diesmal verständlich, doch in einer mir unbekannten Sprache. Ich schüttle den Kopf. Er wechselt, anscheinend mehrmals, die Sprache. Ich schüttle wieder und wieder den Kopf. Schließlich sagt er: „Verstehen Sie mich?“ Ich nicke, und erleichtert hält er inne. Seine Augen schließen sich, und eine Art Friede überzieht sein Gesicht.
Ich knie neben ihm, händeringend und weiß nicht, was zu tun ist. Dieser Mann ist meine einzige Hoffnung. Es wäre nicht auszuhalten, wenn er jetzt vor meinen Augen sterben würde. Doch schließlich erwacht er wieder und seine zittrige Hand langt in Richtung der Tasche mit den Würfeln. Ich reiche ihm noch einen. Er schluckt ihn herunter. „Nehmen Sie auch einen. Sie sehen schlecht aus.“ rät er mir. Ohne groß über die Bemerkung nachzudenken schlucke ich einen der Würfel – er schmeckt nach nichts. Sofort macht sich eine Wärme und Fülle in meinem Magen breit, als ob ich eine komplette Mahlzeit zu mir genommen hätte. Ich fühle mich satt und auch mein Durst ist gestillt.
„Was ist das?“ bringe ich verdutzt heraus.
„Das weiss niemand genau, aber damit werden wir am Leben gehalten.“ erfahre ich.
Ich habe so viele Fragen an ihn, dass ich nicht weiß, wo ich anfangen soll. „Wer sind Sie, wo sind wir, warum sind wir eingesperrt, von wem, warum liegen da hinten so viele Menschen einfach nur herum?“ sprudelt es aus mir heraus. Er berührt mich mit beiden Händen an den Schultern, als ob er sich vergewissern will, ob ich real sei.
„Eines nach dem anderen“ antwortet er „Eines nach dem anderen, wir haben viel Zeit und es ist eine lange Geschichte“.
Dann beginnt er zu erzählen…

Dies ist Teil 3 eines Fotsetzungsromans, bisherige Teile:
Teil 1
Teil 2

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