Zitate 043 - Nigel Farage in Berlin

in #deutsch7 years ago (edited)

09. September 2017

Gestern war der sehr bekannte englische Politiker Nigel Farage [1] in Berlin zu Gast bei Beatrix von Storch [2], Kandidatin für den Bundestag und Mitglied des Bundesvorstandes der Partei Alternative für Deutschland (AfD). Er hielt dort eine wie von ihm gewoht lebendige, energiegeladene Rede [3], aus der ich ein paar wenige Zitate herausgreifen möchte. Neben der Rede beantwortete Farage auch einige Fragen aus dem Publikum und nahm an der Pressekonferenz von Beatrix von Storch teil [4]. Diese ist gelernte Rechtsanwältin mit Spezialisierung auf Insolvenzrecht, aber seit langem politisch aktiv, zunächst in der Freien Demokratischen Partei (FDP), seit 2013 in der AfD. Beatrix von Storch dürfte eine der am besten vernetzten Politikerinnen der AfD sein, sie gilt als rechtskonservativ mit marktwirtschaftlicher Ausrichtung. Sie betreibt mit ihrem Mann auch eigene Vereine. Sie ist eine Kritikerin des vorherrschenden Finanzsystems, des Euros, der Europäischen Zentralbank und jeglicher damit verbundener Rettungsmassnahmen.

Nigel Farage ist in Deutschland kein Unbekannter. Bevor er sich ab den 1990er Jahren der Politik als Quereinsteiger in der Partei UK Independence Party widmete, war er im Rohstoffhandel tätig und oft zu Gast in Deutschland. Seine Ehefrau ist eine Deutsche. Die Rede und die Fragerunde sind unterhalb als Videos angefügt [3]. Es ist wahrscheinlich, dass ich dazu noch einen oder zwei weitere Artikel veröffentliche.

Die Pressekonferenz [4]:

Wie immer gibt es bei Übersetzungen zuerst das englische Original, dann meine Übersetzung, die ich bezüglich des Sinnes sehr nahe am Original zu halten versuche, in der Gestaltung aber der deutschen Sprache und der guten Lesbarkeit anpasse.

(1:09)

«I think, 2016 will be one of those great standout years. One of those years, in which two remarkable events happened. The first, and I still sometimes have to pinch myself to realize that it actually happened, took place on June 23rd in the United Kingdom in 2016 and it was called Brexit. It happened despite of the fact, that our major so-called political parties all said, that we should vote to remain. It happened in spite of our major broadcast media clearly favouring one side of the argument over another. It happened in the face of the entire trade union movement, saying we should vote to remain. And all the big businesses, saying we should vote to remain. And all of the so-called business organizations saying we should vote to remain. And Mrs. Merkel saying we should vote to remain. And Jean Claude Juncker daring to say nothing, because he knew, if he turned up, he would put us up a couple of points. And, of course, the President of the United States, Barack Obama came to the United Kingdom, sneared down his nose at us and said: if you dare vote to become an independent, proud, sovereign, self-governing democratic nation, we will put you to the back of the queue.»

«Ich denke, dass 2016 eines der herausragenden Jahre war. Eines dieser Jahre, in denen zwei bemerkenswerte Ereignisse stattfanden. Das erste ereignete sich am 23. Juni 2016 im Vereinigten Königreich, ich muss mich noch heute immer wieder kneifen, um mir zu vergegenwärtigen, das es wirklich geschehen ist, es wurde Brexit genannt. Es geschah, der Tatsache zum Trotz, dass unsere grösseren politischen Parteien alle sagten, wir sollten für den Verbleib in der EU stimmen. Es geschah, obwohl unsere grossen Rundfunk-Medien eindeutig die eine Seite favorisierten. Es geschah im Angesicht des ganzen Gewerkschaftsbewegung, die auch sagte, wir sollten bleiben. Und alle grossen Konzerne und Organisationen. Frau Merkel, sagte, wir sollten in der EU beiben. Jean Claude Juncker wagte es, nichts zu sagen, weil er wusste, wenn er es täte, er uns gleich ein paar (Prozent-)Punkte heben würde. Und natürlich kam auch der amerikanische Präsident Obama ins Vereinigte Königreich, grinste höhnisch und sagte: Wenn ihr es wagt, dafür zu stimmen, wiederum ein unabhängiges, stolzes, souveränes und sebstbestimmtes, demokratisches Land zu werden, werden wir euch an das hintere Ende der Schlange stellen.»

(3:16)

«And do you know what we thought? We were being spoken to by global leaders, liberal media and establishment politicians and being told we were not big enough, we were not strong enough, we were not good enough to run our own country and make our own decisions. We thought, to hell with all of you...»

«Wissen Sie, was wir uns gedacht haben? Uns wurde von globalen Führungsleuten, liberalen Medienorganisationen und etablierten Politikern gesagt, dass wir weder gross genug, noch stark, noch gut genug waren, um unser eigenes Land zu betreiben und unsere eigenen Entscheidungen zu treffen. Wir dachten, zur Hölle mit euch allen...»

(3:48)

«It was that seismic shock of Brexit, that led on to the events in the United States of America on November 8th last year. And again, it was the same playbook, wasn't it? It is impossible. Trump cannot win. The media hated him, the unions hated him, the big banks hated him, the multinationals hated him. Many, in fact, in his own Republican Party, hated him. And yet he stood for a message. It was a message, that there is nothing wrong with bein proud of having a nation state. There is nothing wrong in being proud of having your own flag. There is nothing wrong or shameful in government standing up and defending not just its own people, but indeed, its own culture. (before taking a dram of water) I haven't drunk water for years...
It was a message, that resonated. And the more they attacked him, the better he did and he won. Again, it was another massive, seismic shock in western politics.»

«Es war die seismische Erschütterung des Brexit, welche den Weg für das Ereignis in den Vereingten Staaten von Amerika vom 8. November letzten Jahres bereitete. Noch einmal, lief das nicht nach dem gleichen Schema ab? Es ist unmöglich. Trump kann nicht gewinnen. Die Medien hassten ihn, die Gewerkschaften, Grossbanken und multinationalen Konzerne auch. Sogar in seiner Partei, der republikanischen, hassten ihn einige. Trotzdem stand er für ene Botschaft. Eine Botschaft, dass nichts daran falsch ist, stolz zu sein, einen Nationalstaat zu haben, seine eigene Flagge zu haben. Dass nichts falsch oder beschämend an einer Regierung ist, die aufsteht und nicht nur die eigenen Leute verteidigt, sondern auch die eigene Kultur. (bevor er sich einen Schluck genehmigt) Ich habe seit Jahren kein Wasser getrunken... Es war eine Botschaft, die Resonanz fand. Je mehr man ihn angriff, umso besser und stärker wurder er und gewann schliesslich. Das war die zweite, massive Erschütterung in der westlichen Politik.»

Nach den wenigen Zitaten möchte ich noch eine Anmerkung zu einem Kommentar über den Wahlkampf der AfD abgeben, der gestern bei der Zeit online erschienen ist [5]. Dort wird Nigel Farage als ein Rechtsradikaler bezeichnet, was ich für grob verfehlt halte und mir auch die Mühe mache, zu erklären warum. Der Verfasser des Kommentars erwähnt ihn zusammen mit Erika Steinbach, die ebenfalls kein Mitglied der AfD ist, aber in den letzten Wochen Werbung für diese Partei gemacht hat. Erika Steinbach war bis zu ihrem Austritt aus der CDU wohl eines der konservativsten Mitglieder dieser Partei. Um sie politisch einschätzen zu können, fehlt mir leider die ausichende Kenntnis der genauen Inhalte, für die sie steht. Als dritten erwähnt er Alexander Gauland, der Mitglied im Bundesvorstand der AfD ist und neben Alice Weidel Spitzenkandidat für den Bundestag. Mit ihm bin ich nie so richtig warm geworden, aber er scheint die konservativen AfD-Wähler wohl zu erreichen und bei denen gut vernetzt und akzeptiert zu sein, sonst wäre er nicht Spitzenkandidat. Diese drei erkennt der Verfasser als Rechtsradikale, was für ihn ein Grund ist, zu behaupten, die AfD hätte deswegen keine Zukunft. Wer Rechtsextreme für sich werben lässt, hat keine Zukunft, so lautet seine Gleichung. Ich bin der Ansicht, dass von den Wählern entschieden wird, wer eine Zukunft hat und wer nicht.

Es gibt in seiner Argumentation allerdings zwei in meinen Augen gewichtige Probleme.

Zum einen definiert er mit keinem Wort den Begriff rechtsradikal. Dies ist insofern ein Problem, als dass man mit rechtsradikal und rechtsextrem in Deutschland in der Regel nicht besonders nahe an den Wurzeln des Konservatismus stehende Menschen meint, sondern Anhänger des nationalen Sozialismus. Wer etwa Nigel Farage zuhört, ich habe dies bereits stundenlang getan, der kann merkt, dass es sich um einen Menschen handelt, der sich durchaus wertkonservativ, aber gleichzeitig sehr antikorporatistisch und wirtschaftsliberal positioniert. Er ist dazu ein erklärter Gegner der grossen Kartelle, die nach seiner Meinung von der Gesetzgebung in der EU, UK und USA am meisten profitiert haben, währenddessen viele kleinere Betriebe, Unternehmer und Selbständige mit einer unzumutbaren Flut an Regelungen in ihren Möglichkeiten eingeschränkt werden. Farage ist sicherlich kein Sozialist, auch nicht im nationalsozialistischen Sinne. Das Dritte Reich stand bekanntlich ausgeprägt für Kartellwirtschaft und nicht für Marktwirtschaft und freies Gewerbe.

Dass Farage britischer Patriot ist, bezweifle ich nicht, er verkörpert zumindest in meinen Augen auch den typischen, britischen Händler ziemlich gut. Als Nationalisten habe ich ihn bisher nicht wahrgenommen, aber als Kämpfer für möglichst viel Selbstbestimmung des Individuums, auch der kleinen Menschen. Nicht nur in seinem Heimatland übrigens, sondern eben auch in Deutschland, der Schweiz und den USA, um einige zu nennen, in denen er aufgetreten ist. Das kommt aus meiner Sicht definitiv nicht einer nationalistischen Verherrlichung seines Heimatlandes gleich.

Zum anderen fällt dem Autor als letztes "Argument" ein, dass das, was Herr Farage vertritt, rückwärtsgewandt sei, es sei eine Politik von gestern. Da es viele verscheidene Versionen von "gestern" gibt, die Welt hat bereits politische Systeme vom Königreich über den klassischen Liberalismus bis zum Faschismus und Sozialismus gesehen. Das aktuell vorherrschende Dilemma liegt für mich darin, dass die Eliten in der Politik eher mir reaktionär erscheinende Politik betreiben. Für mich scheinen sie aktuell auf grössere Ereignisse zu reagieren, erscheinen also nicht selbst in der Rolle der mächtigen Gestalter. Das kratzt an iher Autorität. Es wirkt seit spätestens 2008 nicht mehr so, als gäbe es eine wirklich positive Vision, die alle (die Mehrheit in allen Bevölkerungsschichten) als positives, erstrebenswertes Ziel versteht, da hinmöchte und dafür an einem Strick zu ziehen und vielleicht das eine oder andere Opfer zu bringen bereit ist. Wenn es das nicht gibt, braucht sich keiner darüber wundern, wenn Entwürfe aus dem einen oder anderen "Gestern" an Beliebtheit zunehmen.


[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Nigel_Farage
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Beatrix_von_Storch
[3] AfD bekommt Schützenhilfe von Nigel Farage "Mr. Brexit". HSM2k2 YouTube Kanal, 08. September 2017
[4] AfD Pressekonferenz mit Nigel Farage & Beatrix von Storch. HSM2k2 YouTube Kanal, 08. September 2017
[5] Nigel Farage: Alternative von gestern. Zeit online, 08. September 2017, von Tilman Steffen http://www.zeit.de/politik/deutschland/2017-09/nigel-farage-beatrix-von-storch-afd-berlin-wahlkampf/komplettansicht

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Danke für den ausführlichen und genauen Bericht! Du hast Dir viel Arbeit gemacht und das Thema gründlich aufgearbeitet. Vor allem die Kritik der hohlen Diskreditierungsversuche des Mainstreams gegen unliebsame Stimmen finde ich sehr treffend.
Im Grunde ist das genau die journalistische Arbeit, die dieser Herr Steffen von der ZEIT eben nicht macht. Übrigens vermute ich stark, daß die in diesen Medien (noch) Beschäftigten auch gar nicht mehr echten Journalismus betreiben dürfen (!), weil sie sonst um ihren Job fürchten müßten. Da bleiben nur noch die übrig, die immer wieder zeigen, daß sie treu der vorgegebenen Linie folgen.
Mit der immer gleichen, monoton wiederholten Sichtweise, die sehr nach dem Muster der monotonen, in der Sache zumeist falschen Dauer-Stimmungsmache gegen US-Präsident Donald Trump abläuft und die Leser durch vorgegebene Denk- und Fühlregeln nicht aufklärt, sondern verdummt, graben sich diese ehemals seriösen Medien nur noch selbst das Wasser ab. Wirklich intelligente Nachforschungen, die den Leser bereichern und zu mehr eigenständigem Reflektieren ermuntern, sind aus diesen Medien aufgrund der erzwungenen Einhelligkeit mit der offiziellen politischen Sicht komplett verschwunden.
Der aufgeklärte Leser will erfahren, was und wie ein Nigel Farage wirklich denkt und sich dazu ein eigenes Bild machen - aber dazu müßte man seinen Gedanken überhaupt erst eine Chance geben und sie angemessen darstellen.

Danke für den Kommentar!
Ob das eine gründliche Aufarbeitung ist, weiss ich nicht, beim Redeinhalt bin ich ja nicht weit gekommen und spät war's am Ende auch. Da muss ich nochmals über den Text und Fehler korrigieren. Die Analyse des Zeit-Berichtes konnte ich rasch aus dem Ärmel schütteln, weil ich denke, dass ich in das Verständnis politischer Positionierung einiges an Zeit investiert habe und deswegen nicht mehr ganz ahnungslos bin.

Ich fand das, was im Zeit-Kommentar stand, erstaunlich banal. Ticken die dort wirklich so? Ich habe folgende Gleichungen so für mich ausgemacht, die natürlich nicht in gänze stimmen müssen.
Rechts = rückwärtsgewandt
Rechtsradikal = keine Zukunft, ewiggestrige Verlierertypen
Rechtspopulist = gefährlicher Demagoge, der keine Lösung anbieten will, aber Menschen verführen möchte
EU = zukunftsorientiertes, wettbewerbsfähiges Bündnis zum Wohle Europas

Wenn ich damit Recht habe, tönt das nicht in einem beträchtlichen Masse nach Pipi Langstrumpf? Dann könnte man eigentlich auch einmal den Begriff des pipiesken Weltbildes einführen...

höre mir viele verschiedene Stimmen an und lese viel auf und von allen Seiten - und lasse dann noch mein eigenes mitsprechen... hinsichtlich der = Aufstellung, die du aufgezeigt hast, fällt mir spontan ein Zitat ein, von dem ich leider nicht weiß, welcher große Geist es als erster ausgesprochen hat, aber ich möchte es hier hinterlassen, weil ich es für so fundamental wichtig halte: Tradition bedeutet nicht die Asche weiterzugeben, sondern das Feuer ;-)

Danke für den Kommentar und willkommen auf Steemit!

Das Zitat habe ich auch schon gesehen und weiss, von wem es ist:

Gustav Mahler (1860-1911) [1, 2]:

«Tradition ist Bewahrung des Feuers und nicht Anbetung der Asche.»

Man könnte es auch anders formulieren, wichtig ist die Erhaltung der Lebendigkeit des Feuers, dass man sich um Brennstoff kümmert, nicht um Lagerhäuser für die Asche. Das Sammeln toter Asche kann es definitiv nicht sein, daraus erwächst nichts, auch wenn vielleicht noch ein paar Nährstoffe darin enthalten sind. Man kann damit nicht die Lebendigkeit des Feuers erklären.


[1] https://www.aphorismen.de/zitat/26221
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Gustav_Mahler

das ist es - danke dir!!! - und genau das ist es auch - die Erhaltung der Lebendigkeit des Feuers :-) muss jetzt selber nochmal ein bisschen Gustav Mahler anschauen und hinschauen!

Es ist ein starres ideologisches Schema, das ich seit einigen Jahren hinsichtlich der Auseinandersetzungen in den USA mitverfolge. Ich werde die Seite "Der Neusprech des sozialistischen Mainstreams" https://www.reschke.de/neusprech.php noch mehr ausarbeiten.

Buen post :)

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