Persönlichkeiten 008 - Murray Feshbach, Demograph und Historiker

in #deutsch7 years ago

18. August 2017

Professor Murray Feshbach (geboren am 8. August 1929) ist ein amerikanischer Historiker mit Spezialisierung in der Geschichte europäischer Diplomatie [1]. In seiner Tätigkeit entwickelte er sich zu einem ausgewiesenen Experten für Demographie, Gesundheit und Umwelt, besonders im Bezug auf die ehemalige Sowjetunion. Der Grund, weshalb ich ihn vorstelle, ist die Tatsache, dass er eine Reihe an Büchern und Artikeln über die Sowjetunion geschrieben hat. Die Bücher sind unter anderem

  • National Security Issues of the USSR (Belange der Nationalen Sicherheit der UdSSR). Murray Feshbach (Editor), NATO Workshop November 1986, Martinus Nijhof Publishers, 1987.

  • Ecocide in the USSR: Health and Nature Under Siege (Umweltzerstörung in der UdSSR: Gesundheit und Natur im Belagerungszustand). Zusammen mit Alfred Friendly, Jr. (langjähriger Korrespondent der Newsweek in Moskau), New York, Basic Books, erschienen im April 1992. Auch in Russischer Übersetzung erschienen [2].

  • Ecological Disaster: Cleaning Up the Hidden Legacy of the Soviet Regime (Ökologisches Desaster: Die Sanierung der versteckten Hinterlassenschaft des Sowjetregimes). Murray Feshbach, Twentieth Century Fund, erschienen im Februar 1995.

  • Environmental and Health Atlas of Russia (Umwelt- und Gesundheitsatlas Russlands). Murray Feshbach, erschienen 1995, in englischer und russischer Sprache.

  • Russia's Health and Demographic Crises (Russlands gesundheitliche und demographische Krise). Murray Feshbach, Chemical and Biological Arms Control Institute, erschienen im April 2003.

Eines dieser Bücher - Ecocide in the USSR - lese ich gerade, weil ich mir ein einigermassen wissenschaftlich fundiertes Bild davon machen möchte, wie in der Sowjetunion mit Mensch und Umwelt umgegangen wurde. Zu meinen Eindrücken aus dem Buch werde ich hier Artikel veröffentlichen. Leider sind diese Werke, die gemäss den Kritiken alle mit grosser Hingabe und Akribie erarbeitet und gestaltet wurden, nur in englischer und teilweise noch in russischer Sprache erschienen. Das ist schade, weil man aus dem Beispiel Sowjetunion eigentlich kaum genug lernen kann, leider in den meisten Fällen in negativer Hinsicht.

Nach seiner Studienzeit war Murray Feshbach von 1957-1981 bei der amerikanischen Behörde Census Bureau [3] tätig. Diese Behörde heisst übersetzt Volkszählungsamt und gehört zum Handelsministerium der USA. Feshbach leitete dort den Bereich USSR Population, Employment and Research and Development, Bevölkerung der UdSSR, Beschäftigung und Forschung und Entwicklung. Dieser war in der Foreign Demographic Analysis Division, der Abteilung Analyse ausländischer Demographien, angesiedelt. Heute heisst diese Abteilung Center for International Research.

Nach 1981 arbeitete Murray Feshbach bis zum Jahr 2000 als Professor bei der Georgetown University. In dieser Zeit betrieb er umfangreiche Forschungen zum Thema Umweltverschmutzung und der Demographie in der Sowjetunion, aus welcher die genannten Bücher resultierten. Von 1986-87 war er zudem im Auftrag des Aussenministeriums der USA beim Generalsekretariat der NATO tätig. Seit 2001, nach dem seiner Emeritierung als Professor ist Feshbach bis heute beim Woodrow Wilson International Center for Scholars tätig, einer Organisation der Smithsonian Institution, einer bundesstaatlichen Organisation für Bildung, Forschung und Museen in den USA.

Wer sich diese kurze Biographie ansieht, wird sicherlich bei zwei Namen etwas aufhorchen. Zum einen ist das die NATO, die bekanntlich den Gegner des Warschauer Paktes im Kalten Krieg darstellte und die westliche Partei des Konfliktes verkörperte. Eine umfassende Prägung durch die NATO, denke ich, kann bei Feshbach wohl ausgeschlossen werden. Zu Beginn seiner etwa zwei Jahre währenden Tätigkeit war er bereits 56 Jahre alt und seit 5 Jahren Professor in Georgetown. Das Woodrow Wilson Center soll einer der Top Think Tanks weltweit sein, im Bereich der politischen Forschung. Sicher dürfte sein, dass die Forschung - in Erinnerung an den US-Präsidenten Woodrow Wilson - eher progressiv und global ausgelegt ist.

Wer die Befürchtung hegt, dass es sich bei Murray Feshbach um einen wilden Antikommunisten handeln könnte, der in seiner Forschung die Sowjetunion im Auftrag oder ideologisch motiviert denunzieren wollte, dürfte sich irren. Allerdings ist Feshbach wie seiner Biographie zu entnehmen staatlich und akademisch geprägt. Ich gehe davon aus, dass er, wenn er Umweltzerstörung oder Verfehlungen des Gesundheitssystems in den USA kritisieren sollte, auch nicht besonders positiv schreiben würde.

Wer sich die Bevölkerungszahlen und ihre Entwicklung in der Sowjetunion und ihren Nachfolgeländern ansieht, muss merken, dass es für die abnehmenden Bevölkerungszahlen eindeutig vorhandene Gründe geben muss. Vor allem, wenn man die Bevölkerungszahlen mit anderen Ländern vergleicht, die in derselben Zeitspanne auch nicht ohne Krisen auskamen und es wirtschaftlich nicht nur vorwärts und steil aufwärts ging. 1990 war die Sowjetunion der Staat mit der drittgrössten Bevölkerung, 290 Millionen Menschen, im Jahre 2014 waren es 287 Millionen Menschen. Keinerlei Bevölkerungswachstum in 27 Jahren deutet auf eine schwere wirtschaftliche Krise, Krankheitsepidemien oder Kriege hin. Wer sich den Verlauf ansieht, kann direkt nach dem Zusammenbruch abnehmende Bevölkerungszahlen erkennen, die sich seit 2005 wieder etwas erholen.

Was ich bisher schon gesehen habe, ist, dass Murray Feshbach in dem Buch, welches ich lese, sehr stark die mangelhafte Versorgung der Menschen insbesondere durch das Gesundheitswesen kritisiert, dieses Thema hat er beim Woodrow Wilson Center auch tiefgreifend analysiert. Auf YouTube habe ich zwei Videos mit ihm gefunden. Zum einen gibt es einen Vortrag, vom Juli 2007 [4], ab Minute 37:20 bis 70:15. In diesem spricht er über Tuberkulose in Russland, welche sich nach dem Zusammenbruch in beunruhigendem Masse ausgebreitet hat, auch in extrem resistenten Formen.

Das zweite Video ist wiederum eine Veranstaltung des Woodrow Wilson Centers zum Thema Gesundheit und Demographie in Osteuropa, bei der er am Ende einige Dinge erklärt und Fragen formuliert, ab Minute 102:15 bis 110:20 [5].


[1] https://en.wikipedia.org/wiki/Murray_Feshbach
[2] Ecocide in the USSR: Health and Nature Under Siege ist bei Archive.org für Inhaber eines (kostenlosen) Nutzerkontos als Ausleihversion (14 Tage) zu bekommen: https://archive.org/details/ecocideinussrloo00mart
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/United_States_Census_Bureau
[4] Drug-Resistant TB in Russia. Woodrow Wilson Center YouTube Kanal, 16. August 2013
[5] Eastern Europe’s Most Difficult Transition: Public Health and Demographic Policy. Woodrow Wilson Center YouTube Kanal, 24. September 2014


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