Ideologie 113 - Pikettys Plädoyer für EU-Steuern

in #deutsch5 years ago (edited)

07. Januar 2019

Der sehr bekannte französische Ökonom Thomas Piketty (geboren 1971) [1] - dessen 2014 erschienenes Buch Das Kapital im 21. Jahrhundert [2] wohl im Überfluss in jeder Buchhandlung Europas feilgeboten wurde - hat aktuell ein Manifest veröffentlicht [3, 4], in welchem es um die Zukunft der supranationalen Institution Europäische Union geht. Herr Piketty hat sein Projekt auch in einem kurzen Video vorgestellt [5].

Das erwähnte Buch habe ich nicht gelesen, wohl aber einige kritische Betrachtungen dazu [6, 7]. Speziell marktorientierte Ökonomen und Institute, etwa das Mises Institute oder das Cato Institute - lassen kaum ein gutes Haar an den offenbar sehr staatsorientierten und sozialistischen Ideen Pikettys. Beim Cato-Institute ist 2017 sogar ein ganzes Buch mit dem Titel Anti-Piketty [8] erschienen.

Dass Herr Piketty eigentlich ein Genie ist, bezweifle ich nicht, sein Werdegang ist mustergültig, er wurde bereits im Alter von 22 Jahren promoviert und wurde an sehr renommierten Instituten beschäftigt. Da er aber ausschliesslich für Universitäten gearbeitet hat, kaum eigene Wertschöpfung im markwirtschaftlichen Umfeld realisiert hat und sehr eng mit dem Staatswesen verflochten ist, unterstelle ich ihm Einseitigkeit in fortgeschrittenem Ausmass und eine wenigstens sehr beschränkte Fähigkeit, sich in die alltäglichen Sorgen der Arbeiter und Unternehmer im unteren bis mittleren Mittelstand (Jahreseinkommen in der EU wohl € 10'000-500'000, ich fasse das lieber hoch, um viele Menschen in das gleiche Boot zu setzen - Anm.) hinversetzen zu können.


Nun aber zum Manifest [3], dessen Lektüre ich empfehle, da ich Herrn Piketty einen überdurchschnittlichen Einfluss auf die Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik der EU attestiere. Piketty schrieb das Manifest durchgehend in der ersten Person Plural, der Wir-Form, die unterstreichen soll, dass es sich nicht um das Anliegen einer einzelnen Person handelt, sondern um einen kollektiven Aufruf, der auch unterzeichnet werden kann. Zu den Erstunterzeichnern gehört auch die Professorin und Institutsleiterin für Europapolitik Ulrike Guérot [9], der ich schon einmal einen Artikel gewidmet habe [10].

Zum Anfang des Manifests wird die Dringlichkeit des Anliegens präsentiert. Da in EU-Mitgliedsstaaten offen EU-kritische Parteien in Parlamente und Regierungen gewählt werden und mit Grossbritannien ein Land den Austritt beschlossen hat, bedürfe es einer Änderung der Strategie. Zentrum dieser Strategie soll ein EU-Haushalt sein, der bei 4 % des BIP festgesetzt werden soll. Dieser soll die die Finanzierung vieler europäischer Projekte ermöglichen, nicht für zusätzliche territoriale Umverteilung genutzt werden, aber dennoch die Ungleichheit verringern.

Es werden einige Projekte genannt, darunter ohne weitere Erläuterung ein ambitioniertes Investitionsprogramm zur Neugestaltung unseres Wachstumsmodells. Worin besteht heute eigentlich das Wachstumsmodell der EU? Die Demographie ist fast überall lausig, Migranten, die die Produktivität der Einheimischen übertreffen sind nicht in grosser Zahl verfügbar und viele Freiräume für marktwirtschaftliche Innovationen sind auch nicht vorhanden.

Die angeblich uneingeschränkte Liberalisierung und Ausweitung des Wettbewerbs auf allen Ebenen sei schädlich. Daraus folge, dass soziale Zielvorstellungen fehlten, weswegen sich Menschen abgehängt vorkommen. Wenn ich mir zum Vergleich Videos des bekannten Unternehmers Horst Lüning ansehe [11], in denen er über seinen unternehmerischen Alltag spricht, dann erzählt er nicht selten von grossen Hindernissen im Handel zwischen EU-Mitgliedsstaaten, die es etwa ihm nahezu verunmöglicht, mit seinem Versandhandel über Deutschland hinaus tätig zu sein. Auch ich persönlich, der ich mich schon oft über fehlende politische Visionen und Zukunftsorientierung in Europa beschwert habe, sage, dass ich soziale Zielvorstellungen nicht brauche, solange sie sich nicht auszahlen. Wenn sie mich in hohem Masse motivieren und/oder ich mich davon ernähren kann, dann bin ich dabei, wenn es mir wie unrealistisches Geschwätz erscheint, das von meinem erlebten Alltag abweicht, interessiert es mich nicht.

Weiter erscheint mir das Manifest entgegen der eingangs erwähnten, offenbar notwendigen strategischen Änderung vor allem als ein Aufruf zur Fortführung des in der EU eingeschlagenen Weges. Umverteilung von den sogenannten Gewinnern der Globalisierung zu Gunsten ihrer angeblichen Verlierer. Dass Piketty die sehr niedrigen Steuern anprangert, die grosse Unternehmungen im Vergleich mit Mittelständlern bezahlen, halte ich für komplett richtig. Es braucht diese Privilegierungen eigentlich nicht. Dass es angeblich so sein soll, dass Menschen mit extrem hohem Einkommen (kein Betrag angegeben, ich schätze > € 10 Mio. und mehr pro Jahr) keinen höheren Beitrag leisten, ist hingegen tatsächlich falsch. Denn es gibt in nahezu jedem Mitgliedsstaat der EU eine progressive Einkommenssteuer und damit muss es tatsächlich so sein, dass die Grossverdiener nicht nur den überwiegendsten Teil der Steuern generieren, sondern auch überproportional bezahlen. In der Folge wird nach den höchsten Einkommen noch die Zahl € 200'000 und bei den höchsten Vermögen € 1 Mio. genannt, was ich für viel zu tief angesetzt halte. Wenigstens dürfte Thomas Piketty selbst in diese Kategorie fallen. Deswegen ging meine erste Schätzung direkt einen Faktor 50 höher. Dass ich so schätze liegt wohl an den sehr hohen Immobilienpreisen in der Schweiz, die für mich bei weitem unerreichbar sind.

Als eine weitere Forderung wird die Gründung einer Europäischen Versammlung zur Überwindung der technokratischen Sackgasse genannt. Wobei ich deren Notwendigkeit nicht wirklich erkennen kann, da es bereits ein EU-Parlament mit über 700 Abgeordneten gibt, welches nicht unbedingt überlastet ist. Mir erscheinen die Ausführungen nicht unbedingt geeignet, um tatsächlich zu einer breiter abgestützten EU zu gelangen. Die Kritiker stellt man damit nicht zufrieden, man macht auch keinen Schritt auf diese zu. Nur schon durch die EU-Steuern würden sich diese noch mehr eingeengt vorkommen und das Vorhaben bekämpfen. Zustimmung gäbe es vielleicht für eine fiskalische Neuordnung der ganzen EU mit Flat-Tax von beispielsweise ca. 16 % für die nationalen Steuern und 4 % für die EU ohne Möglichkeit die Steuern zu erhöhen. Wenn die Befugnisse bei den Nationalstaaten bleiben, wird sich aber nichts an der aktuellen Situation ändern, die besagt, dass es für die EU als supranationale Organisation keine Befugnisse gibt, Steuern zu erheben und diese Rechte bei den Nationalstaaten verbleiben.


Ein interessantes Gespräch mit Thomas Piketty ist 2015 bei der Zeit erschienen [13]. Er hat darin gesagt, dass der deutsche Staat seine Schulden nie zurückbezahlt habe und sich deswegen nicht moralisch über andere EU-Länder erheben dürfe. Das dürfte wohl nicht gänzlich falsch sein, aber um zu erzwingen, dass der Staat seine eigenen Schulden begleichen muss, hätte man auf EU-Ebene jegliche Zugriffsrechte auf die privaten Vermögen der Bürger komplett verbieten müssen, anstelle genau dies im Zuge der letzten Finanzkrise zu erlauben.

Im selben Gespräch ist Piketty auch auf die Weltkriege eingegangen und es kam hervor, dass diese wirtschaftlich, politisch und rechtlich bis heute nicht vollständig gelöst sind. Frankreich und andere Alliierte haben Deutschland bis heute keinen echten Friedensvertrag angeboten, in den Statuten der Vereinten Nationen wird Deutschland gemäss meinem Wissen bis heute als Feindstaat geführt [14] und dennoch haben neue Realitäten die alten längst abgelöst. Deutschland und besonders die Deutschen Bürger haben auch ziemlich viel bezahlt, wie etwa dem Buch Beuteland [15] des Historikers Bruno Bandulet zu entnehmen ist.

Für interessant halte ich die Frage, genaue Kenntnisse dieser Geschichte habe ich nicht, warum sich Frankreich bereits 1951 mit der Gründung der Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Montanunion) [16] bereits wieder mit Deutschland eingelassen hat, nur gerade ein Jahrzehnt nach der schmählichen Niederlage, im Zuge derer man temporär die Kontrolle über das ganze Kernland verloren hatte.


[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Thomas_Piketty
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Das_Kapital_im_21._Jahrhundert
Das Kapital im 21. Jahrhundert. Thomas Piketty, C. H. Beck Verlag, 2. Auflage 2018. https://www.amazon.de/dp/3406688659/ref=cm_sw_r_tw_dp_U_x_v9UmCb26C5242
[3] Meinung - Zukunft des Staatenverbunds - Die EU muss eigene Steuern erheben dürfen. Welt.de, 06. Januar 2019 https://www.welt.de/debatte/kommentare/article185231242/Thomas-Piketty-Die-EU-muss-eigene-Steuern-erheben-duerfen.html
[4] Manifeste pour la démocratisation de l'Europe: http://tdem.eu/
[5] T-Dem:the project. TDEM 2018 YouTube Kanal, 09. Dezember 2018
[6] The Piketty-ism – a Childhood Illness for the 21st Century. The Market for Ideas, 2016, von Ion Pohoață http://www.themarketforideas.com/the-piketty-ism-a-childhood-illness-for-the-21st-century-concluding-reflections-on-capital-in-the-twenty-first-century-a37/
[7] Thomas Piketty's Sensational New Book. Mises Wire, 23. April 2014, von Hunter Lewis https://mises.org/wire/thomas-pikettys-sensational-new-book
[8] Anti-Piketty: Capital for the 21st Century. Jean-Philippe Delsol, Nicolas Lecaussin, Emmanuel Martin, Cato Institute, 2017. PDF-Datei: https://object.cato.org/sites/cato.org/files/pubs/pdf/anti-piketty.pdf
[9] https://de.wikipedia.org/wiki/Ulrike_Guérot
[10] Zitate 065 - Ulrike Guérot - Professorin und Institutsleiterin für Europapolitik. @saamychristen, 12. März 2018 https://steemit.com/deutsch/@saamychristen/zitate-065-ulrike-guerot-professorin-und-institutsleiterin-fuer-europapolitik
[11] https://www.youtube.com/user/UnterBlog/videos
[12] Thomas Piketty: "Deutschland hat nie bezahlt". Zeit.de, 25. Juni 2015, Gespräch mit Georg Blume https://www.zeit.de/2015/26/thomas-piketty-schulden-griechenland/komplettansicht
[13] https://de.wikipedia.org/wiki/Feindstaatenklausel
[14] Geschichte - Seit 1945 unverändert - Deutschland für UN noch "Feindstaat". Welt.de, 19. September 2012, von dpa/N24 https://www.welt.de/geschichte/article160307764/Deutschland-fuer-UN-noch-Feindstaat.html
[15] Beuteland - Die systematische Plünderung Deutschlands seit 1945. Bruno Bandulet, Kopp Verlag, 2016 https://www.amazon.de/dp/3864453070/ref=cm_sw_r_tw_dp_U_x_63VmCbF0P6PMZ
[16] https://de.wikipedia.org/wiki/Europäische_Gemeinschaft_für_Kohle_und_Stahl


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Ein klassischer Vertreter der scheinintellektuellen Sozialisitischen Utopisten, die mit ihrem Realitätsverlust und Weltbeglückungsphantastereien ganze Länder und Ökonomien ruinieren.

Herr Piketty würde in der freien Wirtschaft abseits seinen akademischen Elfenbeinturms vermutlich sofort Schiffbruch erleiden. Aber wegen seiner sozialistischen Ergüsse macht er natürlich die typische Karriere eines Scheinintellektuellen, der sich der Unterstützung seiner Gesinnungsgenossen sicher sein kann und die er ja auch offensichtlich einfordert in dem er sich anmaßt meint für alle sprechen zu müssen.

Ein Schwätzer und Besserwisser wie er im Buch steht - da wird einem beim zuhören schon schlecht...

Danke für den Kommentar!

Genau das ist es, was mich auch empört. Intellektuelle müssten eigentlich für besseres Verständnis sorgen und ihre Intelligenz für das Vorankommen der Menschen in ganz praktischen Angelegenheiten einsetzen.

Stattdessen kümmert man sich vor allem um idealisierte Gesellschaftsarchitektur und bedient politischen Aktivismus, obwohl die gängige Praxis in ihrer Komplexität längst über die Theorien der meisten Intellektuellen hinaus geht. Ich bin überzeugt, dass man dies als *Normalmensch" nicht würdigen, sondern kritisieren sollte.

Ich habe bekanntlich einige Texte gelesen, die in den 1980ern in der UdSSR erschienen sind. Kritik war damals erlaubt, Ressourcen um etwas umzusetzen gab es keine. Es kam genau das gleiche heraus. Keine Anleitung zur Produktivität, stattdessen ein riesiges Lamento des tatsächlich bedenklichen Status Quo und Kampagnen gegen halbgare Verbesserungen, die einen ersten bescheidenen Anfang hätten darstellen können.

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