Ideologie 042 - Von der falschen Annahme, dass man sich an «Terror» zu gewöhnen habe
25. August 2017
Am Tag nach dem terroristischen Akt in Barçelona [1] von vergangener Woche, erschien beim deutschen Tagesspiegel ein Meinungsbeitrag [2] unter dem folgenden Titel: «Die Gewöhnung an den Terror ist unverzichtbar.»
Ich hielt sowohl den Titel, als auch was im Meinungsbeitrag stand, für ziemlich grossen Unsinn. Denn: An gar kein Unrecht hat man sich je zu gewöhnen, unabhängig davon, wer glaubt, ein Recht zu haben, Unrechtes zu tun. An Unrecht muss man sich nicht gewöhnen, im Gegenteil. Man muss es bekämpfen, wenn man nur im Ansatz will, dass sich die Welt auf der wir leben, entweder so hält wie sie ist oder möglicherweise verbessert.
Um ein Unrecht loszuwerden, muss man es zunächst im eigenen Leben und im eigenen Umfeld beseitigen, damit man glaubwürdig auftreten kann. Im Grossen so wie zuerst im Kleinen. Ob man sich eines vorhandenen Unrechts durch den Kampf dagegen wirklich entledigen kann, ist davon abhängig, wie stark man selber ist und wie stark die, die für das Unrecht stehen. Es kann bei einer Übermacht des Unrechts schon sein, dass man eine schlechte Sache gezwungenermassen erleiden muss. Das heisst aber nicht, dass man nicht trotzdem nach Kräften dagegen vorgehen soll. Es kann sein, dass sich der Kampf dagegen in einer besonders aussichtslosen Situation darauf beschränkt, selber nicht zum Täter zu werden. Auf gar keinen Fall sollte man sich in Gleichgültigkeit üben.
Sich an Terror - in jeglicher Form - zu gewöhnen, halte ich auch deswegen für falsch, weil es einer Erklärung und Hinnahme, dass Terror ein Phänomen der Mitte der Gesellschaft sei, gleichkommen würde. Als Konsequenz aus einer solchen Akzeptanz würde es zunehmend für normal gehalten, wenn jeder, der irgendwelche Bestrafungsphantasien und dergleichen in sich trägt, diese an willkürlich ausgewählten Menschen auslebt. Das kann es nicht sein! Wo Konflikte vorherrschen, dort gibt es auch Auseinandersetzungen, aber diese haben zwischen den Konfliktparteien zu erfolgen. Willkürlich Zivilisten, die man nicht kennt, einfach zur Konfliktpartei zu erklären, ist grober Unfug.
Stattdessen denke man lieber einmal über die Freiheit nach. Dass jede Freiheit, die man sich herausnimmt, auch jedem anderen zuzugestehen hat. Freiheit bedeutet aber auch Risiko, was aber nichts schlechtes ist. Denn, jede halbwegs riskante Entscheidung, die man trifft und die sich als richtig erweist, macht einen automatisch viel stärker.
Aber gerade deswegen täte ich mich sehr schwer damit, wenn ich tatsächlich in einer Machtposition stünde. Die Verantwortung, möglichst vielen Menschen den ehrlichen und guten (hoffentlich) Lebensentwurf, den sie anstreben, nicht zu vermiesen mit den Entscheidungen, die ich unweigerlich zu treffen hätte, würde mich ziemlich schwer belasten. Auch hätte ich Probleme damit, mich legitimiert zu sehen, Entscheidungen in Vertretung anderer zu fällen und denen vielleicht noch zu präsentieren, wie positiv sich das für sie auswirken wird, obwohl es sich möglicherweise genau um etwas handelt, was den Wohlstand des Einzelnen senken wird. Deswegen sage ich auch, die Glaubwürdigkeit eines Politikers sieht man darin, wieviel Reichtum und Wohlergehen er denen, die er vertritt zugestehen will. Will er ehrlich, dass sein Volk das reichste der Welt ist und macht es ihm nichts aus, dass er von diesem vielleicht sogar abgeschafft wird, dann ist er glaubwürdig, sonst eher nicht.
Zum erwähnten Meinungsbeitrag in der deutschen Tageszeitung möchte ich noch ergänzen, dass ich es fast nicht glauben kann, dass ausgerechnet die Leiterin des Kulturressorts einer grossen Tageszeitung davon schreibt, dass es unverzichtbar sei, sich an Terror zu gewöhnen. Terror ist gröbste Unkultur, aber vielleicht ist es gerade der Kontrast zur Kultur, der auch dieser ganz üblen Erscheinung der menschlichen Geschichte noch einen fragwürdigen Reiz verleiht.
Eine weitere seltsame Verirrung legte die Schweizer Tageszeitung Blick an den Tag, als sie über einen Diebstahl berichtete, der sich in Bern ereignet hatte [3]. Ein Tunesier bestahl in der Nacht einen Russen, was dieser nicht ohne Gegenwehr über sich ergehen liess. Nach einer kurzen Verfolgung stellte der Russe mit seinem Kollegen den Tunesier, der ebenfalls einen Kollegen dabei hatte. Die darauffolgende Auseinandersetzung endete mit der schweren Verletzung des Diebes, der danach auch behandelt werden musste. Die erwähnte Zeitung wusste auf diesen Vorfall nichts besseres zu titeln, als mit: Brutale Rache in Bern - Opfer verprügelt Dieb.
Natürlich lässt sich über das Ausmass einer Gegenwehr gegen ein Unrecht diskutieren und deren Verhältnismässigkeit. Aber was nicht diskutiert werden kann, ist, dass jeder das Recht hat, Unrecht, welches ihm angetan wird, mit Widerstand zu verhindern. Und was auch gerne vergessen geht, ohne Aktion gibt es auch keine Reaktion. Keiner hat den einen Menschen gezwungen, als Aggressor (Dieb) tätig zu werden und ohne den Diebstahl hätte es auch die resultierende Konsequenz nicht gegeben.
Jeder einzelne Mensch muss nicht nur das Recht haben, sich einem Unrecht entgegenzustellen, sondern hat auch das Recht, sich in der Öffentlichkeit unversehrt zu bewegen, solange er selber nicht einen anderen schädigen will. Will er das, darf ihm Widerstand entgegengebracht werden. Beim erwähnten Fall war die Rede von einem wehrhaften Russen im besten Alter, der sich physisch gut wehren konnte und das auch tat. Aber was ist mit Kindern, gebrechlichen alten Menschen oder eher klein gewachsenen, physisch nicht besonders robust gebauten Menschen? Was ist mit Behinderten (blind, taub, motorisch, geistig)? Müssten sich diese einfach bestehlen, überfallen und niederdrücken lassen? In einer Gesellschaft, die sich irgendwie noch zivilisiert nennen will, kann ich nur sagen: Auf gar keinen Fall!
Beim Anschlag in Stockholm vom 7. April 2017 [4] wurde soweit mir bekannt, ein taubes Mädchen, welches den Lastwagen wohl nicht heranrollen gehört hat, überfahren. Hatte sie kein Recht darauf, in der Fussgängerzone nicht überfahren zu werden?
Nun ist es ja so, dass die gegenwärtig gerne für terroristische Attacken zweckentfremdeten Liefer- und Lastwagen zu den primitivsten Werkzeugen zur Terrorverbreitung gehören. Es gibt wesentlich feigere Methoden, das zu tun, etwa Sprengsätze, die man an Ort und Stelle fährt oder fliegen lässt, gelenkt oder ungelenkt. Immer dann, wenn Unschuldigen dabei Schaden entsteht, ist die Handlung nicht zulässig.
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Terroranschlag_in_Barcelona_am_17._August_2017
[2] Die Gewöhnung an den Terror ist unverzichtbar. Tagesspiegel, 18. August 2017, von Christiane Peitz
http://www.tagesspiegel.de/politik/paris-berlin-barcelona-die-gewoehnung-an-den-terror-ist-unverzichtbar/20208210.html
[3] Brutale Rache in Bern - Opfer (29) verprügelt Dieb (30). Blick.ch, 17. August 2017 https://www.blick.ch/news/schweiz/bern/brutale-rache-in-bern-opfer-29-verpruegelt-dieb-30-id7163114.html#community_article_comments_default_7163114
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Anschlag_in_Stockholm_2017
Eine schwarze Fläche, die deswegen dasteht, weil ich für diesen Artikel kein Bild vorgesehen hatte. Artikel ohne Bild in der Vorschau sehen auf der Blogseite immer schlechter aus, als solche mit Bild.
Bisherige Posts in der Rubrik «Ideologie».
Übersicht über alle Rubriken.
mein vote hast du für den guten Artikel. Wer will sich noch nicht an das alles gewöhnen ausser ich?
1984 - Eine schöne neue Welt...
oben ist unten und unten ist oben u.s.w.
Wirklich sehr schön...
Mir kommt vieles, was aktuell passiert gar nicht so neu vor, vielleicht weil es diese beiden Bücher gibt. Es sieht für mich eher nach Revivals aus. Das Wiederaufkommen vieler geistiger Verwirrungen, die in der Geschichte auch schon aufgetaucht sind. Aber natürlich kombiniert mit den heutigen Möglichkeiten der Technik.
Ich habe mir in letzter Zeit einige Inhalte von Prof. Jordan B. Peterson angesehen, der absolute «Liebling» der linken Aktivisten in Nordamerika. Er spricht oft davon, dass viele Menschen einen ziemlich grossen Nihilismus in sich tragen, aber gleichzeitig von irgendwelchen Ideologien überzeugt sind, die sie gerne auch mittels Zwang (z. B. mit Willkürgesetzen) verbreiten möchten.
Viele junge Menschen wurden offenbar so erzogen, im alternativlosen oder dem schwarz-weissen Denken. Aus diesen Menschen wächst leider kaum etwas neues, das wirklich positiv ist, und zwar nicht nur, weil sie selber alles verbockt häten. Das sage ich deswegen, weil man genau dieselbe Planlosigkeit auch in der Politik erkennen kann, da gibt es auch keine klaren Ziele für die Zukunft, die die Gesellschaft weiter voranbringen, eher im Gegenteil. Über möglicherweise inoffiziell verfolgte Pläne wird ja nicht diskutiert. Eine löbliche Ausnahme ist vielleicht Liechtenstein, wo der Fürst ein Buch über die Rolle des Staates im 3. Jahrtausend herausgegeben hat.
Dieser Artikel gehört wirklich zu Deinen @saamychristen besten - und das bei Deinem konstant hohen Niveau. Unglaublich, daß Du sowas mal "nebenbei" rauslassen kannst, wenn ich Dich da richtig verstanden habe.
Du hast wirklich Talent
[- obwohl das ja so aufgefasst werde könnte, als seist du zwar begabt und hättest diese Begabung noch nicht umsetzen können, was ja bei Dir nicht der Fall ist, was jeder hier auf Steemit sehen kann; somit sollte ich besser sagen: "Du hast es echt drauf!" - ]
und könntest meiner Meinung nach sofort bei Tichy's Einblick o.ä. veröffentlichen. Wer weiß, vielleicht passiert dies ja auch in bälde...??? ;-)
Auf jeden Fall werde ich diesen Artikel resteemen.
Danke für das Lob!
Natürlich kann ich ganz ohne Vorbereitung keine solchen Artikel schreiben, aber es gehört zum täglichen Ablauf, dass ich zu den meisten Dingen, die ich lese, Notizen mache. Dann muss man einiges reflektieren und ein paar Tage später kann man etwas halbwegs Fundiertes schreiben, direkt aus dem Nichts heraus geht es nicht.
Seit ich vor bald 4 Jahren die Ausbildung beendet habe, übe ich das sehr regelmässig. Ich hoffe schon, dass ein Fortschritt spürbar ist. Bei Steemit fühle ich mich im Moment gar nicht unwohl, da ich eigentlich wirklich tun kann, was ich möchte. Auch etwas unperfekt und spontan.
Wenn ich hier etwas mitbewegen möchte, muss ich vor allem weiterhin präsent sein und fleissig publizieren.
Ja klar, es wäre schon super, wenn Du hier weitermachst. Aber ein Freelancer Job müßte ja auch nicht exklusiv sein. ;-)
Der Klassiker von 43 votes und 9 views, wobei das eh viel ist 😊 könnte man hier von voting Terror sprechen? 😀
Danke für den Kommentar! :-)
Das wäre eine Taktik des Mainstreams, um möglichen Einsteigern bei Steemit diesen Einstieg zu vergraulen. Indem sie Beispiele von Nutzern zeigen, die Opfer des brutalen Voting-Terror wurden...
Warum der Artikel heute in Sachen Votes ziemlich gut läuft, weiss ich auch nicht. Er war sicher keiner der wirklich aufwendigen. Bei mir fluktuiert das ziemlich stark.
👌👌👍👍
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