Ideologie 031 - Warum sich zur Denunziation vage Begriffe besonders eignen
22. Mai 2017
Wer sich heute eindeutig ausserhalb des Bereiches bewegt, der einschlägig als "politische Korrektheit" bekannt ist, begibt sich in Gefahr, mit stigmatisierenden Begriffen verbal abgeurteilt zu werden. Typische Schlagworte aus diesem Bereich sind ...
Rückständigkeit
Hinterwäldlertum
Ewiggestrigkeit
Homophobie
Rechtsextremismus
Rassismus
Xenophobie
Nazi.
Was mir an der Auswahl dieser Begriffe auffällt, ist die Tatsache, dass sie in der Praxis weit gefasst, also nicht eng begrenzt definiert sind. Dazu werden sie vor allem dann verwendet, wenn derjenige, der einen solchen verwendet, sich davon erhofft, den Gegner mithilfe eines solchen Schlagwortes in einem Zug erst einmal unglaubwürdig darstellen oder gar mundtot machen zu können. Aus meiner Sicht ist eines der Geheimnisse der Wirksamkeit der stigmatisierenden Worte, dass sie nicht eng definiert sind. Deswegen werden sie bevorzugt unliebsamen Mitmenschen oder solchen, die unerwünschte Ansichten und Meinungen vertreten, nachgesagt und angehängt, um ihnen ein Etikett der Unseriosität, der Unglaubwürdigkeit oder gar der geistigen Verwirrung zu verpassen. Ich für meinen Teil kann sagen, dass ich, sollte ich von jemandem ein solches Etikett angehängt bekommen und die Gelegenheit habe, darauf zu reagieren, unmittelbar eine genaue Definition des Begriffs und genaue Angaben zu meinen Übereinstimmungen mit dem Stigma verlange. Das Wort Stigma entstammt dem Griechischen stigma (στíγμα) und bedeutet wörtlich Stich-, Punkt-, Wund- oder Brandmal, es ist also nicht nur ein temporär vorhandener, abwaschbarer Stempel gemeint.
In der Folge werde ich kurz auf die oben genannten Begriffe eingehen und beim einen oder anderen eventuell Gedankenanstösse geben, wie man sich dagegen wehren kann. Eine Anmerkung möchte ich noch zur Satire loswerden. Es wird gerne gesagt, sie dürfe alles. Ich für meinen Teil muss sagen, dass ich den Witz von (angeblicher) Satire dann kaum nachvollziehen kann, wenn sie für mich keinen erkennbaren Bezug zur Wahrheit hat. Sie darf definitiv die Wahrheit komplett überzeichnen oder überakzentuieren. Wenn die hergestellte Verbindung aber falsch ist, habe ich ein Problem damit. Vor kurzem wurde die Spitzenkandidatin der AfD für die Bundestagswahl, Alice Weidel, in einer Episode von extra3 als Nazischlampe bezeichnet, für mich ein Beispiel nicht nachzuvollziehender, sogenannter Satire. Das zugehörige Video findet sich unterhalb verlinkt [2]:
Warum halte ich diese Art von Satire nicht nachvollziehbar? Weil derjenige, der die Aussage von sich gegeben hat:
- keinen einzigen Nachweis dafür zustande gebracht hat, inwiefern Frau Weidels Positionen Überschneidungen mit denen von Nationalsozialisten aufweisen. Ich kann dazu nur sagen, dass ich mir, wenn ich auf reiner Faktenbasis Überschneidungen von Frau Weidels Positionen mit dem 25 Punkteprogramm der NSDAP und ihren Taten finden sollte, eher die Zähne ausbeissen denn eine Reihe von Gemeinsamkeiten finden würde [3].
- er keinen Nachweis dafür erbringt, inwiefern Frau Weidels Lebenswandel mit dem einer Schlampe [4] vergleichbar ist. Da ihr äusseres mindestens auf mich nicht im Ansatz schlampig wirkt, müsste er schon etwas über ihr Privatleben wissen, das in genannte Kategorie fällt, aber auch hier gibt es keine Informationen, deswegen ist der Begriff Nazischlampe auch satirisch gemeint, kaum zulässig. Immerhin fragt derjenige, der den Ausdruck bringt, unmittelbar danach, ob er unkorrekt genug sei. Er räumt mit dem Wort unkkorrekt also selber ein, dass der Ausdruck wohl nicht ganz passend gewählt wurde.
Zur Partei AfD kann ich anmerken, dass ich ihr aufgrund einiger Inhalte und Parteimitglieder, die ich kennenlernen durfte, eher freundlich gesonnen bin. Ich halte diese Partei für eine für das heute in Deutschland vorherrschende System notwendige Bewegung. Nicht zuletzt deswegen, weil in ihr (vor-)revolutionäre Potentiale in der bürgerlichen Gesellschaft abgefangen und, wenn sie sich zuvor bereits aus der Politik verabschiedet hatten, teilweise wieder ins politische System integriert werden. So zu tun, als ob sich in dieser Vereinigung nur Idioten, gescheiterte Existenzen und Arbeitslose einfinden würden, stimmt meiner Erfahrung nach überhaupt nicht. Die Leute, mit denen ich bisher Kontakt hatte, waren zwar zumeist politische Amateure, aber beruflich sehr gut qualifizierte Leute und Akademiker. Mich überrascht es nicht, wenn sich unter Parteimitgliedern einige mit seltsamem Menschenbild und fragwürdiger Einstellung befinden. Wenn es sich um ein Prozent der Gesamtzahl handelt, wären das im Falle der AfD etwa 270 Mitglieder.
Doch nun zu den acht von mir am Anfang aufgelisteten Schlagworte.
Rückständigkeit
Rückständigkeit gilt in meiner Wahrnehmung für Menschen, die keinerlei Empfänglichkeit für Weiterentwicklungen und positive Veränderungen zeigen. Dazu fehlt oft die Fähigkeit zur Selbstreflextion. In solchen Fällen die Bezeichnung angebracht.
Hinterwäldlertum
Für mich ist ein Hinterwäldler einer, der ein abgeschottetes Leben führt und kaum Interesse an Mitmenschen und ihrem Leben in Städten zeigt oder seine ganz eigene Form von Zivilisation lebt.
Ewiggestrigkeit
Natürlich gibt es Menschen, die in extremer Weise in der Vergangenheit leben oder ihre Lebensweise an der vergangener Kulturen orientieren. Da ich persönlich längst nicht überall in hohem Masse sogenannt progressive Positionen vertrete, aber es mir gleichzeitig wichtig ist, die gegenwärtige Realität unverfälsch wahrzunehmen, würde ich mich dagegen wehren, wenn man mich als einen Ewiggestrigen bezeichnen würde.
Homophobie [5]
Ich persönlich habe keine Probleme, jedem Menschen die Beziehungsform, in der er leben möchte, frei zu wählen. Allerdings bin ich nicht der Ansicht, dass gleichgeschlechtliche Beziehungen als völlig gleichwertig zu denen zwischen beiden Geschlechtern bezeichnet werden sollen. Aus dem einfachen und einleuchtenden Grund, dass aus den erstgenannten keine Kinder hervorgehen können. Wer mir dabei widersprechen möchte, möge mir ein Beispiel davon sagen, wie ein Kind aus dem Erbgut zweier Frauen oder Männern entstanden ist und mir die entsprechende wissenschaftliche Publikation zukommen lassen.
Rechtsextremismus
Da ich mit allen Ideologien, die den einzelnen Menschen vor allem als Rädchen im grossen Getriebe sehen, wenig Gemeinsamkeiten erkenne, kann ich auch mit Rechtsextremismus sehr wenig anfangen. Dazu gefallen mir die Überhöhungen der Errungenschaften der eigenen Ethnie bei gleichzeitiger Geringschätzung anderer überhaupt nicht.
Kulturleistungen sollen gewürdigt werden, auch ich gehöre zu denen, die immer wieder auch ältere Texte lesen, neben französischen und englischen vor allem auch deutsche. Es ist so, dass mich die Lektüre von alten europäischen Texten immer wieder mit einem gewissen Stolz erfüllt, aber gleichzeitig lässt sich aus den Biographien vieler der heute bekanntesten Autoren aus früheren Zeiten herauslesen, dass sie sich mit den dort vorherrschenden Verhältnissen nicht besonders gut arrangieren konnten und einer Vielzahl von Widrigkeiten aufgrund grosser Voreingenommenheit und wenig Freiheitsliebe ausgesetzt waren. In mir lösen grosse Leistungen aus der Vergangenheit mehr Ansporn, selber etwas gutes zu leisten aus, als nationalistische Phantasien.
Die von mir hier auch schon erwähnte, amerikanische Vereinigung John Birch Society [9] wird in der deutschen Wikipedia auch als rechtsradikal bezeichnet. Diese ist aber vor allem streng antikommunistisch, US-patriotisch, christlich und marktwirtschaftlich. Mit den oben erwähnten Rechtsextremisten haben JBS-Mitglieder höchstens einen Hang zu Verschwörungstheorien gemeinsam, wobei sie diese vor allem hinsichtlich kommunistischer oder unfreiheitlicher Umtriebe in ihrer eigenen Regierung formulieren, soweit mir bekannt aber nie gegen einzelne Ethnien oder religiöse Gruppen.
Rassismus
Da es aber kaum zu bestreiten ist, dass es verschiedene Ethnien von Menschen gibt, ist es nicht besonders sinnvoll, diese Tatsache einfach zu leugnen und den, der von Rassen spricht, bereits als einen übel gesinnten Rassisten zu verunglimpfen. Ich habe schon mit einigen Menschen aus unterschiedlichen Kulturen zu tun gehabt und habe bis auf die Tatsache, dass wir alle Menschen mit zumeist gleich vielen Knochen sind, grosse Unterschiede feststellen können. Das meine ich absolut nicht negativ. Von Gleichheit zu sprechen, weil alle menschlichen Zivilisationen aus Menschen bestehen, ist aufgrund der Vielfalt an Kulturen mindestens aus meiner Sicht nicht angebracht.
Der einigermassen bekannte YouTuber Hagen Grell hat vor einigen Monaten ein Video dazu veröffentlicht [11], in dem er selber Vorschläge zur Verbesserung oder Präzisierung der verwendeten Begriffe in den Raum stellt. Den Inhalt des Videos halte ich teilweise für etwas polemisch, wobei er die einelnen Begriffe gut definiert. Sein erster Begriff ist das Rassendenken, unter dem die Unterscheidung von Menschen nach naturwissenschaftlichen Kriterien vorgenommen wird. Dieses beinhaltet keine Idealisierung einzelner Rassen und auch keine Geringschätzung anderer. Sein zweiter Begriff war die Rassenidealisierung, unter welcher Unterscheidungen in der Wertigkeit vorgenommen werden, die dann zur Bevorzugung einzelner Rassen führen. Hagens dritter Begriff war der Rassenhass, unter welchem Menschen aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit starke Abneigung entgegengebracht wird.
Für mich ist heute nicht ganz klar, wo genau die Richtlinien liegen. So weit mir bekannt, waren Eugeniker [12] vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 1920er Jahre politisch und gesellschaftlich höchst angesehene Menschen, was sich in der Folge stark änderte. Spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg war das Thema kaum mehr öffentlich diskutierbar. Trotzdem gibt es heute noch Forschung, in der etwa die Intelligenzquotienten von Menschen in Abhängigkeit der ethnischen Herkunft analysiert wird. Der emeritierte englische Professor Richard Lynn [13] hat zu diesem Thema mehrfach publiziert, wobei er damit durchaus Kontroversen ausgelöst, aber nie deswegen verklagt wurde.
Xenophobie
Ich persönlich habe kaum je eine richtige Angst vor Fremden empfunden, allerdings halte ich es schon nicht ganz einfach, mich mit Menschen zu unterhalten, deren Sprache und Kultur ich nicht verstehe. Da schwingt bei mir immer eine gewisse Distanz (typisch schweizerisch) und ein grösserer Respekt mit. Weil ich einfach in Ungewissheit bin, wie sich dieser Mensch genau verhält und ich es nicht unbedingt für sinnvoll erachte, von Beginn weg grösstes Vertrauen zu schenken.
Nazi
Für mich ist klar, wenn diese Beschimpfung ausgesprochen wird, dem, den diese trifft, eine Nähe zur Ideologie der NSDAP auch nachgewiesen werden muss. Am einfachsten gelingt dies, mit dem Konsultieren des 25 Punkte-Programms dieser Partei. Wichtigste Eigenschaften dieses Programms sind für mich: Kollektivismus; Ideologie des Forderns nicht der Eigenleistung; Einforderung von Privilegien für das eigene Volk, welches ethnisch bestimmt ist; offene Feindschaft gegen die jüdische Religion, deren nicht ethnisch definierte Angehörige werden fälschlicherweise als Rasse bezeichnet; kaum freiheitliche Forderungen und Ideen; Forderung eines autoritären Staates; keine freie Marktwirtschaft.
Wer heute zum Beispiel dafür plädiert, dass ein Staat seine ihm ureigenen Aufgaben Sicherheit nach innen und aussen und das Einrichten einer unabhängigen Justiz erfüllen soll und die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft in Richtung möglichst freier Märkte ohne Privilegien ändert, hat sehr gute Chancen, inhaltlich kaum mit klassischen Nazipositionen übereinzustimmen, ist aber trotzdem nicht vor dieser Stigmatisierung gefeit.
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Stigma
[2] extra 3 Alice Weidel AfD - Nazischlampe. Abwehrzentrum gegen Desinformation, 03. Mai 2017
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/25-Punkte-Programm
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Schlampe
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Homophobie
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Gruppenbezogene_Menschenfeindlichkeit
[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Rechtsextremismus
[8] https://de.wikipedia.org/wiki/Rechtsextremismus
[9] https://de.wikipedia.org/wiki/John_Birch_Society
[10] https://de.wikipedia.org/wiki/Rassismus
[11] RASSISMUS - der NEUSPRECH Kampfbegriff. Hagen Grell, 20. Juli 2016