Geographie 004 - Der Aralsee I, Vorgeschichte

in #deutsch7 years ago (edited)

01. April 2017

Einleitung

Dieser Artikel soll sich um den Aralsee drehen und trotz des Datums kein Scherz sein. Denn in dieser Region hat sich im 20. Jahrhundert eines der übleren Beispiele für vom Mensch herbeigeführte Umweltzerstörung ereignet, mit Folgen, die bei einer normalen Haftungspflicht der Verursacher wohl bestenfalls als nicht bezahlbar bezeichnet würden. Während in der Region um die Nuklearkatastrophe in Tschernobyl zwar die menschliche Besiedelung etwas dünner wurde, hat sich am Aussehen der Landschaft trotz Radioaktivität kaum etwas geändert. In der Region um den Aralsee hat sich aber so manches unmittelbar sichtbar verändert. Vieles wird bereits im deutschsprachigen Artikel bei Wikipedia erklärt [1], den ich für aussergewöhnlich gut halte.

Der Aralsee bis mitte des 20. Jahrhunderts

Bei diesem See handelte es sich um einen leicht brackigen, abflusslosen Steppensee im Tiefland von Turan [2], einem riesigen, etwa 1,9 Mio. km2 umfassenden Flachland in Zentralasien. Dieses Flachland liegt auf dem Gebiet dreier Länder: Kasachstan, Turkmenistan und Usbekistan. Die Gebiete um den Aralsee und seine beiden Hauptzuflüsse Amu-Darja [3] im Süden und der Syr-Darja [4] im Norden sind die wichtigsten fruchtbaren Regionen in diesem Tiefland, das sonst vorwiegend aus Sand- und besonders lebensfeindlichen Salzwüsten besteht. Die Fläche des ursprünglichen Sees teilen sich die Länder Kasachstan im Norden und Usbekistan im Süden.


Klimakarte des Nahen ostens nach Köppen [5]. In der Region um den Aralsee herrscht das kalte Wüstenklima BWk. Auch als der See noch in seiner vollen Grösse vorhanden war, fielen in der Region nur wenig Niederschläge.

Noch in den 1960er Jahren wies der Aralsee eine Fläche von etwa 68'000 km2 auf, die ihn zum viertgrössten aller Binnenseen der Erde machte. Mit 70 Metern maximaler und ca. 10 Metern durchschnittlicher Tiefe war die von ihm beherbergte Wassermenge allerdings nicht extrem gross und die Verdunstung im Vergleich zum Volumen sehr hoch. Im Mittelalter um 1200 soll der See schon einmal praktisch ausgetrocknet sein, da eine Siedlung namens Kerderi, die an der Seidenstrasse lag, 20 Meter unterhalb des vor der Austrocknung vorherrschenden Seespiegel gefunden wurde.


Der Aralsee in einer Luftaufnahme von 1985 [6], Blickrichtung von Norden nach Süden.

Stalin's Grosser Plan zur Umwandlung der Natur

Wie es sich für einen echten Gewaltherrscher des 20. Jahrhunderts gehört, war der sowjetische Diktator Josef Wissarionowitsch Stalin (1878-1953) [7] nicht nur ausgewiesen enthusiastisch, wenn es um die Beseitigung seiner möglichen Gegner ging, die in Millionenzahlen das zeitliche segneten, sondern auch ein grosser Anhänger von Grossprojekten [8]. In den 1950er Jahren zählten vor allem neue Staudämme, Kanäle und Bewässerungsanlagen zu den Grossprojekten. Das Tiefland von Turan wurde auserkoren, mittels umfangreicher Bewässerung ein Grossstandort für landwirtschaftliche Produktion zu werden. Reis, Melonen, Getreide und Baumwolle sollten auf diesem Weg angebaut werden. Um auch in der Karakumwüste bewässern zu können, wurde der 1'445 km lange Karakum-Kanal vom Amu-Darja-Fluss durch den damals ausgetrockneten Sarykamyschsee [10] ins Kaspische Meer zu bauen.

Die landwirtschaftlichen Projekte wurden vorwiegend von (Pseudo-)Agrarwissenschafter Trofim Lysenko [11] gestaltet, der erst lange nach Stalins Tod zu Recht diskreditiert wurde. Lyssenko war nicht nur von bereits damals widerlegten biologischen Theorien mit der Verbohrtheit eines Ideologen überzeugt, sondern war auch ein gewiefter Politiker mit sehr guten Beziehungen zum sowjetischen Innenministerium NKWD und zu Stalin. Via diesen Hebel gelang es ihm, einige seiner Rivalen loszuwerden. Auf sein Konto gingen unter anderem eine Reihe von Missernten, was den chinesischen Diktator Mao aber nicht daran hinderte, im Zuge des Grossen Sprungs nach vorne die Anwendungen von Lyssenkos Methoden in der Volksrepublik China zu befehlen. Lyssenkos von Wunschdenken geprägtes Vermächtnis ist auch unter dem Begriff Lyssenkoismus [12] bekannt geworden.

Nun, vor allem bei der Aufstellung der Massenbilanz mussten die sowjetischen Planer einige Fehler gemacht haben. Durch den Karakum-Kanal verlor der Amu-Darja über Jahrzehnte etwa 400 km3/s, was der mittleren Abflussmenge des Hochrheins bei meiner Heimatstadt Schaffhausen entspricht. Dazu wurden die Bewässerungskanäle in mieser Qualität gebaut, wobei seit Jahrzehnten die Ressourcen für jegliche Modernisierung fehlen.


[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Aralsee
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Tiefland_von_Turan
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Amudarja
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Syrdarja
[5] Diese Datei ist gemeinfrei (public domain), da sie von der NASA erstellt worden ist. Die NASA-Urheberrechtsrichtlinie besagt, dass „NASA-Material nicht durch Urheberrecht geschützt ist, wenn es nicht anders angegeben ist“. Urheber ist die NASA, gefunden wurde die Datei unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Aralsee
[6] https://en.wikipedia.org/wiki/Great_Plan_for_the_Transformation_of_Nature
[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Josef_Stalin
[8] https://en.wikipedia.org/wiki/Great_Construction_Projects_of_Communism
[9] https://de.wikipedia.org/wiki/Karakumkanal
https://en.wikipedia.org/wiki/Main_Turkmen_Canal
[10] https://de.wikipedia.org/wiki/Sarykamyschsee
[11] https://de.wikipedia.org/wiki/Trofim_Denissowitsch_Lyssenko
https://en.wikipedia.org/wiki/Trofim_Lysenko
[12] https://de.wikipedia.org/wiki/Lyssenkoismus

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