Ein Trauermarsch, der ein Stück Demokratie zu Grabe tragen mußte - Teil 2: Mein real-sozialistisches Déjà-vu

in #deutsch6 years ago (edited)

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Mit dem feigen Mord an Daniel Hillig kroch vor über einer Woche ein Geist aus der Flasche, der längst endgültig unter den Irrungen der Geschichte begraben schien. Der Geist ist ein Ungeist. Ein Gespenst aus Ideologie und Machtversessenheit, das den Bürgern der DDR mit allerlei raffinierten und gewaltträchtigen Methoden über Jahrzehnte ihre Freiheit nahm.

Ich fühle mich in die letzten Monate der DDR zurückversetzt. Damals hatten selbst die Staatstreuen längst erkannt hatten, daß das Land wirtschaftlich vor dem Kollaps stand. Trotzdem ließen sie sich vor den Karren eines Regimes spannten, um wenigstens nach außen hin, den schönen Schein bewahren zu können. Zugleich wuchs aber die Bürgerbewegung und das Heer an offen auftretenden Regimegegnern von Tag zu Tag. Bevor sich die Bürger schließlich zu Tausenden im Herbst 1989 auf die Straßen wagte und dem faulen Zauber ein Ende setzten, bäumte sich die sterbende Diktatur ein letztes Mal auf.

Am 5. Februar 1989 wurde 20jährige Chris Gueffroyals als letztes Todesopfer der DDR bei einem Fluchtversuch über die Berliner Mauer erschossen.

Am 7. Mai 1989 fand eine Kommunal"wahl" statt, bei der im Nachhinein erstmals eine Wahlfälschung öffentlich gemacht wurde.

Am 7. Oktober 1989 beging die DDR mit dem 40. Jahrestag ihrer Gründung das letzte große Propagandafest. Damals wurden 100.000 Jugendliche aus dem ganze Land nach Ost-Berlin gekarrt, um ihre Systemtreue öffentlich zur Schau zu stellen. Viele von ihnen fuhren aber hauptsächlich deshalb mit nach Ost-Berlin, weil es für sie eine seltene Abwechslung darstellte und die "Hauptstadt der DDR" ein attraktives Reiseziel war, weil sie in allem bevorzugt wurde. Während die Staatsführung um Honecker, Mielke, Krenz, Schabowski und wie sie alle hießen mit ihren Gästen (darunter Gorbatschow) bei Militärparade und Jubelfeier zugegen sein, formierte sich in den Straßen der Stadt der Protest.

Damals fanden sich neben zehntausenden Staatstreuen in bester Feierlaune am Nachmittag des 7. Oktobers auch etwa 7.000 meist jugendliche Regimegegner auf dem Alexanderplatz ein, um gegen den Wahlbetrug bei den Kommunalwahlen vom 7. Mai zu protestieren. Mit Sprechchören wie „Gorbi, hilf uns“, „Wir sind das Volk“, „Keine Gewalt“ und „Freiheit“ versuchten sie sich Gehör zu verschaffen. Zunächst blockierte die Staatsmacht mit mehreren Polizeiketten lediglich den Vormarsch der Menge in Richtung "Palast der Republik", wo die Staats- und Parteiführung mit ihren Gästen - darunter Michael Gorbatschow - feierte. Mit Mühe gelang es, den Protestzug nach Norden, Richtung Prenzlauer Berg abzudrängen.

Während die SED-Schergen darauf warteten, dasß Gorbatschow endlich zum Flughafen abgefahren war, wurden bereits vergitterte LKWs, Wasserwerfer und zahlreiche Krankenwagen aufgefahren. Eine Blamage vor den Genossen aus Moskau sollte um jeden Preis verhindert werden.

Als schließlich "die Luft rein war", gab Stasi-Chef Erich Mielke den Befehl zum Angriff mit den Worten: „Jetzt ist Schluss mit dem Humanismus.“ Die Menge wurde eingekesselt und die Sicherheitskräften gingen auf die Demontranten los und schlugen wahllos auf sie ein. Dabei wurde kein Unterschied gemacht, ob die Betroffenen tatsächlich an den Protesten beteiligt waren, sich aus anderen Gründen gerade in diesem Bereich aufhielten oder den Bedrängten nur helfen wollten.

Es kamen Wasserwerfer und die neu entwickelten Räumgitter-Fahrzeuge zum Einsatz, um die Demonstranten auseinander zu treiben. Hunderte wurden festgenommen und mit den LKWs zunächst auf verschiedene Polizeireviere in der Nähe verschleppt. Als neben den Zellen dort sogar die Garagen voll waren, wurden die Menschen in ganz Ost-Berlin verteilt eingesperrt.

In der sozialistischen Einheispresse hieß das dann so:

„In den Abendstunden des 7. Oktober versuchten in Berlin Randalierer, das Volksfest zum 40. Jahrestag der DDR zu stören. Im Zusammenspiel mit westlichen Medien rotteten sie sich am Alex und Umgebung zusammen und riefen republikfeindliche Parolen. Der Besonnenheit der Schutz- und Sicherheitsorgane sowie der Teilnehmern an den Volksfesten ist es zu verdanken, dass beabsichtigte Provokationen nicht zur Entfaltung kamen. Die Rädelsführer wurden festgenommen.“

Quellen:
Veröffentlicht bei: https://olet-lucernam.de/2018/09/03/ein-trauermarsch-der-ein-stueck-demokratie-zu-grabe-tragen-musste-teil-2/
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Offenbar muss jede zweite Generation der Deutschen da durch

Danke für die Reminiszenz.
Mir waren "Gorbi hilf uns" und "„Keine Gewalt“" nicht bewusst.
Da man das zweitere heute wieder hört, trägt das wohl zum deja vu bei...

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