Carnuntum am Donau-Limes: Heerlager und zivile Stadt an der Grenze eines Weltreiches

in #deutsch6 years ago (edited)

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In diesem Sommer hatte ich die Gelegenheit die "Römerstadt Carnuntum" zu besichtigen. Im heutigen Petronell-Carnuntum und Deutsch Altenberg wird an drei Museumsstandorten (und weitere interessanten Orten ringsherum) die spätantike Geschichte Niederösterreichs präsentiert. Zu besichtigen sind Nachbauten römischer Gebäude der Zivilstadt, die ausgegrabenen Reste des Amphitheater der Militärstadt und das eigentliche Museum Carnuntinum mit den Ausgrabungsfunden.

Carnuntum als Kastell am Donau-Limes

Im Jahre 15 v. Chr. wurde das Königreich Norikum als eines wenigen Gebiete einvernehmlich in das Römische Reich eingegliedert. Bis Mitte des 1. Jahrhunderts wurde die Provinz unter dem Namen Illyricum inferius geführt. 103 oder 106 erfolgte die Teilung der Provinz Pannonia in Pannonia superior und Pannonia inferior.

Panonnien lag damals an der Nord-/Ostgrenze Römischen Reiches, die gegen einfallende Barbarenstämme aus dem Norden und Osten verteidigt werden mußte. Der Abschnitt militärisch gesicherte Grenze entlang der Donau vom heutigen Bayern bis nach Rumänien wird als Donau-Limes bezeichnet und war mit Kastellen, Hilfskastellen, Legionslagern und Wachtürmen gesichert. Einer der bedeutendsten Militärstandorte war für vier Jahrhunderte das aus einem militärischen und einem zivilen Bereich bestehende Carnuntum an der Kreuzung von Limes- und Bernsteinstraße, zweier bedeutender Handelswege.

Seit dem 1. Jahrhundert n. Chr. waren im Militärlager von Carnuntum römische Legionen und Auxiliartruppen dauerhaft stationiert: Die Legio XV Apollinaris - mit Unterbrechungen - von 39/40 bis 114 n. Chr., danach die Legio XIV Gemina Martia Victrix bis zum Zusammenbruch der Donaugrenze im Jahre 433. Die Legio X Gemina war ab ca. 64 für vier Jahre in Carnuntum stationiert.

Die Legio XV Apollinaris wurde von Gaius Julius Caesar im Jahre 53 v. Chr. während des gallischen Krieges aufgestellt und unter seinem Nachfolger und Erben Octavian im Jahre u.a. im Römischen Bürgerkrieg gegen seinen Gegenspieler Sextus Pompeius eingesetzt, nahm später an den Kämpfen gegen die Parther und um Jerusalem teil und wurde schließlich nach Satala verlegt.

Die wahrscheinlich um 40/41 v. Chr, ausgehobene Legio XVI Gemina Martia Victrix hatte zuvor ihre Standorte in Cenabum (Orleans), Mogontiacum (Mainz) und war an den Auseinandersetzungen mit keltischen und germanischen Stämmen beteiligt. Sie nahm auch an der Eroberung Britanniens teil. Danach wurde sie zur Sicherung der zunehmend gefährlicher werdenden Donaugrenze nach Pannonien verlegt, war dort u.a. in Vindobona (Wien) und zuletzt in Cartunum stationiert. Dort gehörte sie zu den Legionen, die am 9. April 193 den damaligen Statthalter von Pannonia superior, Septimius Severus, zum Gegenkaiser zu Didius Julianus ausriefen, der das Amt nach der Ermordung seiner beiden Vorgänger bei den Prätorianern ersteigert hatte. Er marschierte mit den Donaulegionen ohne Widerstände bis nach Rom und wurde vom Römischen Senat im Amt bestätigt. Septimius Severus begründete das Herrscherhaus der Severer. Kaiser Valerianus machte Cartunum zu seinem Hauptquartier für den Feldzug gegen die Markomannen in den Jahren 364 bis 378, an dem wahrscheinlich auch die Legio XVI beteiligt war. Anfang des 4. Jahrhunderts wird die Legion aus Cartunum abgezogen, ihre Spur verliert sich.

Cartuntum als politisches Zentrum Pannoniens

Anfangs hatte Carnuntum noch zur benachbarten Provinz Noricum gehört, wurde aber von Kaiser Tiberius Pannonien angegliedert und zum Verwaltungszentrum der Provinz. Die Zivilstadt, die sich parallel zur Garnison entwickelte, wurde im Jahre 124 zur autonomen Stadt (Municipium Aelium Carnuntum) erhoben. Unter der Herrschaft der Severer von 193 bis 235 erlebte Cartunum seine Blütezeit. Septimius Severus erhob das Municipium zur Colonia (Colonia Septimia Aurelia Antoniniana Karnuntum) und damit zur bedeutendsten Stadt der Provinz Pannonia superior.

Am 11. November 308 war Carnuntum Schauplatz der Kaiserkonferenz. Der bereits drei Jahre zuvor abgedankte Kaiser Diocletian hatte sie einberufen, um die Streitigkeiten um seine Nachfolge zu beenden. Doch bereits wenige Jahrzehnte nach diesem historisch denkwürdigen Ereignis in der Geschichte Carnuntums setzte der Niedergang ein: Seit Kaiser Konstantin im Jahre 330 Vandalen in der Provinz angesiedelt hatte, verfielen die Städte Pannoniens zunehmend. Immer mehr Soldaten wurden zum Schutz der Römischen Kerngebiete von der Grenze abgezogen. Als in der Mitte des 4. Jahrhunderts ein schweres Erdbeben Carnuntum in Mitleidenschaft zog, wurden vor allem nur noch die militärischen Anlagen wieder aufgebaut und die Zivilstadt bereits damals in großen Teilen aufgegeben. In seinen Aufzeichnungen charakterisierte der römische Historiker Ammianus Marcellinus Carnuntum im Jahre 375 als "desertum, quidem nunc et squalens", verfallenes, schmutziges Nest.

Zwischen 380 und 401 wurden nunmehr verbündete Barbarenstämme im Gebiet der Provinz angesiedelt. 395 Carnuntum wurde durch einen neuerlichen Einfall der Markomannen zerstört. 405 wurde Pannonien durch die Goten, die nach Italien zogen, erneut verwüstet: Die römischen Bürger Pannoniens flohen vor den westwärts ziehenden Eindringlingen.

Begünstigt durch den Abzug der römischen Legionen kam es 406 zu einem Aufstand barbarischer Sklaven und freier Bauern. Nachdem 409 für kurze Zeit die römische Herrschaft wiederhergerstellt werden konnte, überfluteten zwischen 410 und 420 nunmehr die Hunnen nach und nach das Land. Im Jahre 433 überließ der weströmische Feldherr Aetius schließlich im Eigeninteresse das Gebiet von Pannonia prima (nach der Aufteilung der Provinzen Pannonia superior und Pannonia inferior im Jahre 296 entstanden), zu dem auch Carnuntum gehörte, offiziell dem Hunnenfürsten Rua, damit dieser ihm im Kampf gegen seine persönlichen Feinde unterstützt.

Wie konnte es zum Verlust der Provinz kommen?

Der Niedergang von Pannonia prima und Cartunum sind beispielhaft für den Niedergang und Auseinanderfall des Römischen Reiches, der vor allem durch folgenschwere, aber vermeidbare politische Fehlentscheidungen und offenkundiges Versagen seiner Kaiser und der sie tragenden Eliten zurückzuführen ist.

Kaiser Caracalla hatte im Jahre 212 n. Chr. in der Constitutio Antoniniana allen freien Bewohnern seines Reiches das römische Bürgerrecht - quasi die Staatsangehörigkeit der damaligen Zeit - verliehen. Und zwar deshalb, weil er so neue Einnahmen generieren konnte: Allein die Erbschaftssteuereinahmen sollen sich verdoppelt haben. Um welche Summen es dabei ging, kann man sich ausmalen, wenn man weiß, daß mit einem Federstrich des Kaisers 30 Millionen Neu-Römer als Steuerzahler hinzukamen!

Das römische Bürgerrecht konnte freilich nur mit der Folge derart aufgebläht werden, daß die Bürger ihre bisherigen Privilegien gegenüber den Nicht-Bürgern verloren. Das alte, in Jahrhunderten sorgfältig zu einer stabilen Grundlage des Staatswesen austarierte System, das dem Einzelnen eine durchaus realistische Chance auf gesellschaftlichen Aufstieg einräumte, funktionierte nicht mehr. Das Bürgerrecht war mit einem einem Schlag nichts mehr wert. An seine Stelle trat ein neues System der Unterscheidung in "Ehrbare" und "Geringere". Für die Ärmeren und Einflußlosen unter den Alt-Bürgern hatte das verheerende Folgen: Waren sie bisher durch ihr Bürgerrecht geschützt, so konnten sie nun - wie ehemals nur Sklaven oder Nichtrömer - gekreuzigt oder ausgepeitscht werden.

An Stelle des verfaßten Miteinanders von Römern und Nicht-Römern trat der Gegensatz zwischen den wohlhabenden Privilegierten und den Armen, minderberechtigten Massen. Rom war nicht mehr das ewige Rom, sondern fortan Schauplatz eines vormodernen Klassenkampfes. Barbareneinfälle, Epedemien, Bürgerkriege, aber auch eine lähmende Bürokratisierung, machten die Krise im 3. Jahrhundert, aus der sich das Reich nie wieder erholen sollte.

Das Bürgerrecht, das das zerbröckelnde Weltreich hätte zusammenhalten können, hatte Caracalla ohne Not ein Jahrhundert zuvor aufgegeben: Bis zum Jahre 212 das Bürgerrecht vielleicht der wichtigste Integrationsanreiz für die Bewohner des Römischen Imperiums, da es mit all seinen weitreichenden Privilegien als Belohnung für Loyalität, langjährige Verdienste und erfolgreiche Assimilation verliehen werden konnte. Dieser Anreiz war nun weggefallen, sodaß eine Identifikation des Einzelnen mit der römischen Kultur und Lebensweise als verbindendes Element, ja letztlich dem Gemeinwesen als solchem, nicht mehr erstrebenswert war.

Bereits vor seinem Tod teilte Kaiser Theodosius im Jahre 395 das Reich unter seinen beiden Söhnen auf: Arcadius bekam den Osten, Honorius den Westen. Während sich das Oströmische Reich stabilisieren konnte, war zunehmend den Einfällen von Germanenstämmen ausgesetzt. 410 eroberte Westgotenkönig Alarich schließlich Rom. Gemeinsam schlugen Römer und Germanen 451 Hunnenkönig Attila in der Schlacht auf den Katalaunischen Feldern. Ein weiteres Mal kam es zur Plünderung von Rom, diesmal durch die Wandalen. In dieser Zeit lag die wahre Macht bereits bei germanischen Heerführer, während die Kaiser schwach waren. Der letzte oströmische Kaiser Romulus Augustulus wurde schließlich im Jahre 476 durch Odoaker abgesetzt.


Museum Carnuntinum, Deutsch Altenburg

Ein Fazit?!

Mir liegt es völlig fern, hier den Zeigefinger zu schwingen und irgendwem meine Interpretation der Geschichte aufdrücken zu wollen. Jeder von uns ist in der Lage selbst zu denken und seine eigenen Schlüsse zu ziehen. Ein paar kleine Anregungen will ich aber trotzdem geben.

Bei Besuch der verschiedenen Ausstellungen und Lokalitäten in Carnuntum-Petronell/Deutsch Altenburg war für mich zunehmend beunruhigend: Wird es in gut 2000 Jahren jemanden geben, der vielleicht die Reste unsrer Bauten ausgräbt und die Funde in Museen unterbringt? Wer wird in umfangreichen wissenschaftlichen Abhandlungen darüber sinnieren, warum und wieso Deutschland, Europa, ja vielleicht das christliche Abendland untergegangen ist?

Der Niedergang und Untergang einer Nation, seiner Kultur und letztlich der damit verbundene Rückschritt von Wissenschaft, Technik, Kultur und Zivilisation für Jahrhunderte ist eine Gefahr, die uns in ähnlicher Weise aktuelle ebenfalls bedroht. Noch schlimmer: Rom hat sich und seine Grenzen lange Zeit wenigstens aktiv verteidigt!

Zum Verhängnis ist den Römern letztlich ein mehrfaches Versagen geworden:
  • Versagen der politischen Führung/schwacher Kaiser/Dekadenz und Korrumpierung der Eliten
  • Aufgabe des bislang erfolgreichen "Integrationsdrucks" auf Nichtrömer durch Entwertung des Bürgerrechts bei gleichzeitiger/nachfolgender massenweise Ansiedlung völlig kulturfremder Stämme
  • Aufgabe der stabilen, über Jahrhunderte bewährten Rechts- und Verfassungsordnung, was zu einer Verschlechterung der rechtlichen Stellung und Lebensverhältnisse des römischen Mittelstandes führte
  • Barbareneinfälle von außen
  • Bürgerkriege
  • Epidemien

Quellen:

Veröffentlicht bei: https://olet-lucernam.de/2018/07/29/carnuntum-am-donau-limes-heerlager-und-zivile-stadt-an-der-grenze-eine-weltreiches/
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