Mit einem zukünftigen Top-Designer auf eine Melange

in #deutsch7 years ago (edited)

Zu Weihnachten habe ich einen grünen mysteriös schillernden Samtstoff bekommen. Ich habe selbst leider wenig Ahnung wie man mit so etwas umgeht, aber ich hatte sofort eine klare Vorstellung davon, was ich gerne hätte: So ein langes Kleid, dass sich eng an den Körper anschmiegt, mit einem geraden tiefen Ausschnitt und hauchdünnen Trägern. Eben so etwas, wo sich alle umdrehen, sobald man den Raum betritt.

Was also tun?

Ich hatte sowieso schon ewig einen Kaffee mit ihm ausständig, meinem langjährigen Freund aus Kindergartenzeiten, also packte ich heute Morgen den Stoff ein, sowie eine Zeichnung mit meinen Vorstellungen und ab ging es in die Stadt. Der Freund besucht eine Modeschule in Wien und wird ab nächstem Jahr an der Angewandten Mode studieren. Im Sommer hat er, mit dem beachtlichen Alter von 19 Jahren, in der Kostümdirektion der Salzburger Festspiele gearbeitet. Er zeichnet, schneidert und fotografiert, und das sehr gut.

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Man erkennt ihn von der Ferne, denn seit mittlerweile einem Jahr ist seine ganze Kleidung selbstgeschneidert. Ein modebewusster Mensch würde sich auf der Straße fragen: Was trägt der? Chanel? Dior? Fendi? Er trägt aber die luxuriöseste haute couture überhaupt. Selbstgemacht, nach eigenen Wünschen, einzigartig.

Nachdem wir über mein Kleid gesprochen haben, das er zu meinem Entzücken übernehmen wird, kamen wir zum Thema Mode oder besser Modeindustrie und hier wird es interessant.

Er begutachtete meinen Mantel für 5 Sekunden und meinte nüchtern, dass er bei der schlechten Verarbeitung einen Vierer in der Schule bekommen hätte. Er meinte, dass seitdem er sich mit Mode beschäftigt, er in keinen H&M oder Zara mehr hineingehen kann. Der Chemikaliengestank mit dem die Kleidung gefärbt wird, der die Haut verätzen kann, wird überdeckt von billigem Parfum. Menschen werden nicht nur ausgenutzt, sondern sterben mal einfach bei der Arbeit, wie als unlängst eine mehrstöckige Nähfabrik in sich zusammenfiel. Am schlimmsten für ihn: Die Kleidung ist dermaßen schlecht verarbeitet, dass er Schmerzen beim Hinsehen bekommt. Die Nähte sind offen, das Garn reißt. Und überhaupt: Die Stoffe sind hauptsächlich nur aus Kunststoff, in dem sich die Haut beim Tragen selbst vergast. Warum Kunststoff? Aus Kostengründen gibt es ja nur drei Konfektionsgrößen: S, M, L. Und damit da auch jeder reinpasst, müssen die Stoffe eben aus Elasthan oder sonst was sein…
Die Kleidung selbst hält dann vielleicht ein oder zwei Jahre, bis sie zerfällt, aber das ist ja eh egal, denn die Trends wechseln ja schneller als das Wetter.

Ich, naiv, meine: Ja gut, aber H&M und Zara, das ist ja klar… Was ist wenn ich mich dazu überwinde mehr auszugeben, zum Beispiel für Mittelpreissegment, wie Armani oder Ralph Lauren.

Er lacht nur, und meint: Kannst du vergessen. Ariane, du bist ja Patriotin. Wenn du Kleidung willst, die in Europa unter normalen Umständen produziert wird, dann bleiben dir eben Chanel, Dior, ein paar wenige Traditionsunternehmen im Hochpreissegment und Trachtenläden.

Chanel wäre natürlich super chic, aber ich habe leider keine 4.850 Euro für eine winzig kleine Tasche… (Vielleicht, wenn die Kryptos steigen)

Aus Interesse frage ich, was am schlimmsten ist. Ich möchte den Tiefpunkt dieser verrückten Industrie kennen.

Er erzählt mir, dass H&M eine Kampagne betrieben hat, wo es hieß: Die Kleidung dieser Linie ist fair produziert, alles wird in Portugal hergestellt. Blöderweise hat sich dann herausgestellt, das H&M lediglich einen Frachter vor der portugiesischen Küste angemietet hat, um auf dem Schiff tausende Asiaten, ja, fast zu versklaven.

Was tun, wenn man nicht in das erwähnte hochklassige Preissegment möchte oder kann. Es gibt im Prinzip zwei Lösungen:

  1. Du machst die Kleidung einfach selbst, wie mein Freund, der zukünftige Modedesigner. Es schaut genauso aus, wie du es dir wüscht. Es ist genau deine Größe, und dein liebster Stoff. Du kannst stolz darauf sein und außerdem prahlen, dass du nur Maßgeschneidertes trägst.
  1. Du trägst Vintage. Das besondere an Vintage: Früher waren die Stoffe qualitativ besser, die meisten Sachen wurden in europäischen mittelständigen Unternehmen gefertigt. Außerdem: Wenn dir ein altes Kleidungsstück ins Auge springt, das dir gefällt, muss es wohl Stil haben. La mode se démode, le style jamais. Mode kommt aus der Mode, der Stil niemals. (Coco Chanel)

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Also: Investiere in Stil, nicht in Modetrends. Investiere in hochwertige Materialien. Manche Materialien haben ihren Wert.

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