Alfons - Das Fest beginnt.
Das Fest beginnt.
Der große Tag war schließlich gekommen und der Abend näherte sich. Insgesamt fünf Tage sollte der Rummel hier dauern, von Donnerstag bis Montag. Im Vergleich zu anderen Städten im Umkreis war die Dauer also nicht sehr lange. – Andererseits hatte Alfons Vater noch ein paar andere Ziele, die allerdings alle weiter weg lagen. Egal, wichtig war, die fünf Tage hier einigermaßen gut durchzukriegen. Das Wetter schien ihnen jedenfalls diesmal keinen Strich durch die Rechnung zu machen. – Das große Festzelt am anderen Ende des großen Parkplatzes, der zum Festplatz umfunktioniert war, füllte sich allmählich. Die Menschentrauben, die in der ovalen Gasse schlenderten, welche von den Karussellen und Buden umrahmt war, wurden allmählich größer. Es war irgendwie immer etwas Besonderes, immer irgendwie etwas anders, wenn solch ein Rummel zum Leben erwachte – wie wenn ein Clown fertig geschminkt war und die Bühne betrat und seine Vorstellung allmählich begann.
Die ersten Fahrgäste betraten das Karussell, das am Tag zuvor noch von der ganzen Familie überprüft worden war. Das geriffelte Aluminiumblech vibrierte leicht und gab dumpfe Geräusche von sich, als die ersten Gäste durch das Gatter am Geländer schnell auf die einzelnen Fahrtkabinen zugingen. Manche Leute standen abwartend und staunend vor dem Karussell. Ob sie sich an früher erinnerten? Jugendliche sammelten sich in Gruppen in der Nähe des Karussells, lehnten sich teilweise gegen die noch vorgestern von Alfons angebrachten Verkleidungen, standen cool und lässig Kaugummi kauend und mit Gel in den Haaren da, unterhielten sich, schubsten sich leicht, wenn sie im Kreis standen, lachten, und schauten einander teilweise unsicher, teilweise frech an. Was die wohl noch so alles vorhatten?
Gegen etwa 18 Uhr wurde die Musik der einzelnen Fahrgeschäfte und Buden dann wieder ein bisschen leiser, sodass man die Volksmusik vom anderen Ende aus dem Festzelt hören konnte. Es war soweit: der offizielle Beginn des Rummels sollte durch den Fassanstich des Bürgermeisters eingeläutet werden. Am Karusell konnte man die Rede nur bruchstückhaft verstehen. Das war aber nicht so wichtig, da diese nicht so wichtig erschien und ohnehin immer wieder durch Beifall sowie ein kurzes Musikintermezzo der Kapelle unterbrochen wurde. Und nach etwa einer halben Stunde ging es dann wieder richtig los.
Alfons hatte jedenfalls für diesen Abend so etwas wie frei. Das war meistens der Fall am Abend des ersten Tages, da seine Eltern und insbesondere seine Mutter wollten, dass er möglichst viele schöne Eindrücke von dem ganzen Geschehen sammeln konnte. Er genoss diese Zeit. Frisch geduscht und mit sauberen, bequemen Klamotten streifte er umher und folgte den anderen Menschen in der ovalen Gasse, bestaunte die anderen Karusselle und gönnte sich etwas Leckeres von den Imbissbuden. Seine blauen Augen strahlten über einem breiten, zufriedenen Lächeln in seinem Gesicht. Er schaute sich auch das große Festzelt genauer an, insbesondere deshalb, weil dessen Bemalung jedes mal anders und manchmal sogar ziemlich schön war. Er hatte schon erlebt, wie der Stoff aus Leinen innen mit Bergen, ja einer ganzen Alpenlandschaft, Tannen und einer urigen Hütte verziert war. Er mischte sich unter die Menge, saß sich zu den Menschen, lauschte deren Gesprächen und bestellte sich schließlich eine Maß Bier, sein Festbier, zwar teurer als normal, aber erst dann konnte der Rummel beginnen.
Die kleine, stämmige Bedienung in einem Dirndl brachte es ihm nach einer Weile und stellte dabei gleichzeitig die anderen Humpen mit einem stillen Ächzen auf der Biertischgarnitur ab. 8,40 EUR? Boah, nicht billig! Aber egal, immerhin sah die Maß dafür relativ gut voll aus und auch nicht zu schaumig. Also bezahlte er den Preis und kratzte sich die letzten 40 Cent mühselig aus dem Münzfach seines Geldbeutels zusammen, während die Bedienung ungeduldig umherblickte. Geschafft. Er hatte alles Geld beieinander, welches die Bedienung in ihren Geldbeutel steckte und sodann gleich mit strammem Schritt davonmarschierte, sodass sich die biegsamen Holzdielen am Boden des großen Festzeltes unter ihren Schritten jedes mal leicht bewegten. Alfons Fingerkuppen wischten über die kleinen, feuchten fensterhaften Aussparungen an dem großen Krug und er fragte sich kurzzeitig, ob das ein guter Tausch gewesen war. Er nippte vorsichtig und trank das Bier durch den dünnen Schaum hindurch und verzog daraufhin das Gesicht ein wenig. Schmeckte seltsam, irgendwie seltsam. Etwas passte nicht. Das Bier hatte einen merkwürdigen Nachgeschmack.
Ein etwas älteres Ehepaar fragte ihn kurz darauf, ob bei ihm noch frei sei. Alfons nickte und meinte, dass sie ruhig Platz nehmen könnten. Der Mann hatte ihn wohl kurz dabei beobachtet, wie er das Gesicht verzog und antwortete daraufhin: „Ach je, dann ist das Bier wohl wieder gleich wie letztes Jahr! Mit diesem merkwürdigen Nachgeschmack, oder?“
„Ja, das kann schon sein. Ich weiß es auch nicht. Wollen Sie mal probieren?“, antwortete Alfons aufmerksam.
„Oh je“, lachte der Mann kurz auf und schüttelte den Kopf, „nein Danke, das passt schon. Ich glaub‘s Ihnen und lass es Ihnen gern. Böse Zungen munkeln ja, dass die Brauerei hier in der Nähe das Festbier gar nicht extra braut, sondern bloß Pils mit Export zusammenmischt, um zu sparen.“.
Seine Frau schaute beide kurz verschmitzt grinsend an, boxte ihrem Mann sanft in die Seite und bestellte für sich und ihn etwas zu essen.
Alfons schien nicht ganz zu begreifen. So gut kannte er sich mit den verschiedenen Biersorten auch wieder nicht aus, sodass er nur ein ungläubiges und für den Moment leicht bestürzt klingendes „Okay“ herausbrachte.
Für das Ehepaar und insbesondere den Mann war des jedoch genug der Skepsis.
Als eine Bedienung mit dem Essen der beiden wieder zu ihnen kam, bestellte er sich und seiner Frau ein Radler. Das sei besser.
Nachdem Alfons die Maß etwas schneller als gewöhnlich leer getrunken hatte, um nicht allzusehr damit aufzufallen, dass er nicht aus der Gegend war, verließ er das Zelt und den Platz wieder, um ein bisschen die Stadt zu erkunden. Er machte sich auf den Weg Richtung Innenstadt, die zugegebenermaßen relativ einfach zu finden war, da er nur immer in Richtung des Kirchturms zu gehen brauchte. Auf dem Weg dorthin wurde ihm allmählich schwindelig, was wahrscheinlich an dem Bier lag. - Gegenüber fremden Menschen war er meist etwas zurückhaltend, schon fast fremdelnd. - In der Innenstadt angekommen setzte er sich zunächst auf eine Bank, da ihm jetzt leicht übel war. Er verspürte einen merkwürdigen Druck in der oberen Magengegend. Als das jedoch nichts half und weil sich auch eine Gruppe junger Männer näherte, stand er wieder auf und ging weiter. Vielleicht wurde sein Zustand ja durch Bewegung besser. Durch die Innenstadt schlendernd sah er schon die aufgebauten Tribünen, die für den historischen Festumzug am Montag aufgebaut waren. Wer da wohl rauf kam? Bestimmt nur ganz wichtige Leute.
Allmählich lies der Druck in seiner Magengegend nach und er konnte die Innenstadt nun unbeschwerter erkunden. Doch allzu viel zu entdecken gab es nicht, da sie einerseits schnell abgeschritten war und andererseits die meisten Läden aufgrund der örtlichen Festivitäten geschlossen hatten. Also kehrte er zum Festplatz zurück. Doch ans gänzliche Zurückgehen, also zurück zum Wohnwagen, war für ihn noch nicht zu denken. Schließlich bekam er wieder Hunger und außerdem wollte er noch kurz einen guten Platz heraussuchen, von welchem aus man das am Samstag stattfindende Feuerwerk am besten beobachten konnte. Nachdem er sich eine gebratene Bockwurst im Brötchen von einem Imbissstand geholt hatte, marschierte er weiter, quer über‘s Festgelände. Und kurz nachdem er einen großen Bissen von seinem Imbiss genommen hatte und genüsslich kaute, vernahm er ein nicht zu überhörendes „Mahlzeit!“ von der Seite.