Schrecklich schöne Biskaya

in #deutsch5 years ago

¡Hola! ¿Qué tal ?


Der Ritt über die berühmt-berüchtigte Biskaya liegen nun schon ein paar Tage hinter uns, die Zeit in Camaret-sur-Mer scheinen bereits lange vergangen. Trotzdem soll die schöne kleine Stadt im Westen der Bretagne auf der Halbinsel Crozon nicht unerwähnt bleiben. Mit gerde mal 2.500 Einwohnern und ihrem gut erhaltenen Charme als Fischerstädtchen ist Camaret eine willkommene Alternative zu den großen Marinas in Brest. Gut - die Wege sind weit von der Steganlage zum Hafenbüro, Öffnungszeiten nach Gusto des Hafenmeisters, Sanitäranlagen so lala, Einkaufsmöglichkeiten ein gutes Stück mit der Hafen-Harley entfernt. Dafür ist es herrlich ruhig und die Stegnachbarn herzlich.

Bei der Gelegenheit lernen wir Suzanne & Louis aus der Schweiz kennen. Sie sind auf dem Weg nach Lissabon um dort zu überwintern und wir werden wohl die nächsten Wochen gemeinsam Richtung Süden segeln.

Bei der Einfahrt in die weitläufige und gut geschützte Bucht von Camaret fallen gleich der "Tour Vauban" und die Chapelle de Notre-Dame-de-Rocamadour auf, welche auf der langen Hafenmole der Stadt vorgelagert sind. Der Vauban-Turm aus dem 17. Jh wurde einst als Verteidigungsbollwerk der Reede vor Brest erbaut und gehört zu einem weitläufigen Verteidungsring rund um die Halbinsel Crozon. Seit 2008 gehört er zur Liste der UNESCO-Weltkulturerbe. Die trutzige kleine Kapelle wurde 1911 bei einem Brand fast vollständig zerstört und danach erneut aufgebaut. Die ältesten noch erhaltenen Bauteile der Schifffahrtskapelle datieren bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts. Im Inneren sieht man unzählige Votivgaben der Einwohner, meistes Geschenke Überlebender von Schiffsunglücken, wie die filigranen Holzschiffe, die an der Decke baumeln.

Chapelle de Notre-Dame-de-Rocamadour

Le Cimetière de Bateaux - der Schiffsfriedhof - erinnert an die Zeiten als der Fischfang Camaret-sur-Mer zu einem florierenden Hafen der Bretangne wachsen ließ. Diese Zeiten sind jedoch lange vorbei. Der Fischerei-Hafen wurde fast vollständig zurückgebaut und an seiner Stelle die heutige Schwimmsteganlage errichtet.

Am Sonntag mache ich mich bei einer steifen Briese aus Südwest und strahlend blauem Himmel auf den Weg, um die Nord- bzw. Westspitze der Halbinsel Crozon zu erkunden. Natürlich reizt mich ein erster Blick auf die Biskaya, deren Überfahrt für morgen spätestens übermorgen geplant ist. Mit der Hafen-Harley (unser Klappfahrad) geht es zuerst Richtung Pointe de Grand Gouin. Der Küstenweg ist jedoch so steil und für Fahrräder unwegsam, dass ich die Harley kurzerhand am Strand abschließe und zu Fuß weitergehe. Am ersten Aussichtspunkt liegt mir die wunderschöne türkisblaue Ans de Camaret zu Füßen, man kann die gesamte Bucht vom Point Saint Matthieu bis Brest überblicken. Das Plateau ist über und über mit Kratern durchlöchert, die erahnen lassen, was sich hier zum Ende des 2. WK bzw. der Stürmung auf die Normandie zugetragen hat. Wie Krähennester drohnen unzählige teils erhaltene teils massiv zerbomte oder ausgebrannte Verteidungsanlagen hoch über der Küste. Wenn das nur ein "Vogelschiss der Geschichte" gewesen sein soll, dann war das ein unglaublich großer Vogel der alleine hier einen unbeschreiblich beschämenden großen Haufen hinterlassen hat ...

Mein eigentliches Ziel für heute, der Point de Touliguet, ist schon am Horizont auf der nächsten Küstenspitze zu erkennen. Die 4 km will ich aber "schnell" mit dem Radl zurücklegen. Also zurück zum Strand, Fahrrad geholt und los gehts! Die ersten 2 km rauf auf das Plateau, dann wieder runter an den Weststrand und wieder rauf aufs Kap. Eigentlich nicht weit, aber mit einer 1:2 Übersetzung an einem 15-Kilo-Klapprad zumindest zeitaufwändig ... allerdings entschädigt die unglaubliche Aussicht. Am Ponte de Touliguet angekommen ereilt mich dan doch eine mittelgroße Enttäuschung: die gesamte Westspitze inklusive des alterwürdigen Leuchtturmes befinden sich auf militärischem Sperrgebiet - Accès interdit!

Und dann liegt sie doch vor mir, die Biskaya! Von der Ostsee oder unseren Urlaubstörns in der Ägais kennen wir das zwar schon, kein Ufer oder Land am Horizont zu sehen. Allerdings löst dieser Anblick bei mir durchaus neue Gefühle aus: Einerseits freue ich mich auf die bevorstehende Etappe. Immerhin ist es die erste (und küzeste) unserer Mehr-Tages-Touren auf der Atlantikrunde. Andererseits gibt es genügend gruslige Seglergeschichten zur Überquerung der Biskaya, die ja auch den nicht ganz unberechtigten Ruf genießt, ein raues Gewässer zu sein ... wir werden sehen!

Den Montag und Dienstag verbringen wir mit Vorbereitungen wie Einkaufen, Aufräumen, Verstauen und dann wird es Ernst. Dienstag Mittag verabschieden wir uns von Suzanne & Louis, die ebenfalls in ein paar Stunden aufbrechen und uns in La Coruna wieder treffen wollen. Ein letzter Wetter-Check (der 10te etwa heute), der nach wie vor Nord-Ostwind mit 3 - 4 in Böen 5 Windstärken vorhersagt - Perfekt! Ab Donnerstag leicht zunehmend und auf Ost drehend. Bis Freitag sollten wir unbedingt Coruna erreichen, da ab Mittag das nächste Süd-West-Windfeld für mehrere Tage vorhergesagt ist. 14:00 Uhr Leinen los, ich bin angespannt wie ein Flitzebogen!

Die nun folgenden 62 h lassen sich wahrscheinich am Besten aus den Eintragungen im Logbuch nachvollziehen - ein paar Auszüge:

21:40 Uhr 47°47´95 N/ 04°54´98 W, Kurs 200°, RNG 304 sm, TTG: 48 h ...die letzten Lichter der französischen Küste am Cap du Raz sind nur noch als winzige Punkte zu erkennen. Die Sonne ist vor einer Stunde dramatisch schön untergegangen, der Himmel ist sternenklar. Wenn es so bleibt über Nacht, wäre prima! Martin geht heute mal als erster schlafen, wir müssen uns langsam an einen geteilten Wachrythmus gewöhnen ....

00:00 Uhr 47°34´34 N/ 05°02´33 W, Kurs 210°, RNG 290 sm, Wind 16 -24 kn ... der Wind und die Welle sind mittlerweile beachtlich! Erstaunlich wie übertakelt man vor dem Wind fahren kann, am Wind mit voller Genua undenkbar! Selene geigt und rollt recht heftig durch die 2 - 3 m hohe Dünung, hin und wieder beschleunigen uns die Wellen so auf über 9 kn, wenn wir auf dem Wellenberg runter surfen... So schön das ist, wenn wir schnell unterwegs sind, mehr Wind brauch es aber echt nicht...

4:50 Uhr, 47°10´21 N/ 05°26´63 W, Kurs 210°, RNG 260 sm, Wind 23 - 27 kn ...mittlerweile ist Mittwoch und ich bin soooo müde aber ich komme einfach nicht zur Ruhe! Die Fahrtgeräusche des Schiffes, das Heulen des Windes und das vorbeirauschende Wasser sind so laut im Bug - ich kann einfach nicht schlafen. Eben bin ich wie ein Blitz aus der Koje geschossen als in einer größeren Welle Selene sich weit auf steuerbord legte und im Salon einiges der Schwerkraft folgte. Halb so schlimm ... nix kaput! ... Martin hat mir mit einem Augenzwinkern gesagt, ich solle bloß nicht nach draußen schauen - haha, der Witzbold! So hohe Wellen hab ich echt noch nie gesehen (erlebt) und es sieht tatsächlich arg bedrohlich aus, wenn so ein 4 m "Oschie" unaufhaltsam und mit Macht heran rauscht ...ich hoffe nur der Wind nimmt nicht noch weiter zu. Windstärke 6 in Böen 7 reicht vollkommen zu..

25,8 kn + 6 kn Fahrt macht fast 32 kn wahrer Wind

9:45 Uhr, 46°46´28 N/ 05°50´06 W, Kurs 205°, RNG 233 sm, Wind 20 - 25 kn ...die Logge zeigt Geschwindigkeiten zwischen 4,5 - 9 kn an, je nach dem ob uns gerade eine dieser wirklich bängstigend hohen Wellen von der Seite trifft und kurz das Deck flutet oder ob wir geradewegs auf der Welle runter surfen ... ehrlich gesagt, mir gefällt das nicht oder ich muss mich erst noch an diese Art Segeln gewöhnen! Wir sind beide enorm übernächtigt, Kaffee kochen liegt gerade noch im Rahmen des Möglichen, dennoch nicht ganz ungefährlich Wasser zu kochen, wenn man immer eine Hand zum Festhalten braucht ... Martin hat mir eben noch die Vorhersage für morgen gezeigt: 22 - 30 kn Wind, na prima! ....

14:00 Uhr 46°20´81 N /06°04´62 W, RNG 206 sm, Etmal nach 24 h: 134 sm ...mmh, schade! Hätte gedacht das es mehr ist, also durchschnittlich schneller und mehr Strecke! Rein vom Gefühl und den Geräuschen an Bord hätte ich eher an 6 - 7 kn gedacht, der Durchschnitt liegt nur bei 5,5kn ... nach 24 h mit kaum Schlaf für beide stellt sich die erste Gereizheit ein. Noch dazu hätte ich nicht gedacht, dass mir die Überfahrt so zu schaffen macht - der böige Wind und die hohen Wellen geben mir das Gefühl, dem Geschehen so weit draußen auf See relativ machtlos ausgeliefert zu sein ...

21:00 Uhr 45°43´95 N/ 06°33´92 W, 30 h Fahrt, RNG 163 sm ....die Hälte ist geschafft - noch einmal so viel Strecke liegen vor uns! und wir sind ganz schön neben der Spuhr, ich bin müde, mir ist kalt, manchmal leich übel, kann mich zu nichts motivieren und auf nichts konzentrieren - ich hoffe inständig, dass man sich im Laufe der Zeit an diese Bedingungen und den daraus resultierende Bordalltag gewöhnt .... Wind und Welle sind unverändert hoch, keine Abnahme aber Gott sei Dank auch keine Zunahme .... um was Anständiges zu Essen zu machen fehlt die Lust, die Kraft und es ist mir ehrlich gesagt zu gefährlich bei der Schaukelei ... Martin kam vorhin bei einem Blick ins Cockpit die Idee, wir sollten vielleicht mal (irgendwann) ne Notrolle* zusammen stellen - prima, Danke für den Hinweis! Kommt genau zur richtigen Zeit!

*in einer Notrolle sollten sich die (zum Überleben) wichtigsten Dinge befinden wie Trinkwasser, Essen, Satelitentelefon, warme Kleidung, Medikamente, persönlich Dokumente etc. Muss das Schiff aufgegeben und in die Rettungsinsel gewechselt werden hat man in der Notrolle somit die wichtigsten Dinge verstaut und muss sie nicht zeitaufwändig zusammen suchen

4:15 Uhr Do, 19.9. 45°08´39 N/ 07°08´81 W, 36 h Fahrt, RNG 120 sm ....obwohl laut SailGrib ab 2:00 Uhr der Wind nachlassen sollte stehen noch immer 26 kn Wind in Böen 30 - 32 kn an. Mir ist das alles nicht geheuer! Hauptsache das Material hält durch. ... Martin nimmt`s scheinbar gelassen und spielt seit Stunden stoisch Minecraft .... und tatsächlich entwickel auch ich nach vielen Stunden, wo sich nichts an der Situation ändert, eine "schei...-egal-Stimmung"; bis jetzt ist nichts verherendes passiert, also wird es auch die restlichen 120 sm gut gehen

Meine kleine Minecraft-Welt, in der ich immer mal etwas spiele, wenn gar nix anderes zu tun ist...

11:00 Uhr 44°33,90 N/ 07°36´14 W, 45 h Fahrt, RNG 80 sm, TTg 11 - 15 h ...strahleblauer Himmel, die See in einem unergründlich tiefen Blau. Die Wogen sind unverändert hoch und lang. Hin und wieder schafft es eine Welle seitlich in`s Cockpit bzw. über Deck zu klatschen ... bis zur Küste sind es noch gut 50 sm, d.h. es dauert noch gut 7 - 9 h bis wir endlich Land sehen ....

18:00 Uhr 43°51´28 N/ 08°01´08 W, 50 h Fahrt, RNG 39,2 sm, TTG 5 - 6 h LAND IN SICHT! ... plötzlich ist die Küste zu sehen. Man muss schon genau hinschauen um die hoch aufragende Küste nicht mit einem Wolkenband oder Dunstschleier zu verwechseln. Groß und in trübes Licht getaucht erhebt sich vor uns das Kap Ortegal ... sofort hebt sich die Stimmung, kurzzeitig bin ich schon fast munter. Ein Blick auf das Navi sagt jedoch noch mindestens 6 h Fahrt vorraus, also Ankunft in stockfinsterer Nacht - mal wieder

Land in Sicht

Nachdem die Sonne untergegangen ist und wir bereits die spanische Küste an unserer backbordseite haben, lassen zuerst der Wind und später auch die Wellen nach. Wir sind jetzt seit ca. 54h unterwegs (Schlafstunden lassen sich an einer Hand abzählen) und wollen einfach nur noch ankommen. Der Wind tendiert gen Null und so muss die Maschine die verbleibenden ca. 12 Meilen übernehmen. Das sonore Motorgeräusch lassen mich nach wenigen Minuten sofort tief und fest einschlafen. Kurz vor Coruna werde ich wach, irgendwas ist komisch. Martin wirkt gestresst und schnell sehe ich auch warum: zum einen zeigt die Maschinentemperatur über 100°C an - nicht gut, hatten wir schon mal. Zum anderen sind wir in einen so unglaublich dichten Neben gehüllt, dass kein Richtfeuer, kein Leuchtturm, kein Schiff und auch keine Marina zu sehen ist. Martin überprüft an der Maschine was in der Eile überprüft werden kann und kommt zu dem Schluss, dass wohl nur die Anzeige kaputt ist, die Maschine jedoch nicht überhitzt - zum Glück! Wir werden kurz vor der Hafeneinfahrt von einem Fischerboot in vielleicht 30 m Entfernung überholt, bis auf einen milchig dunstigen Lichtschimmer ist nichts davon zu erkennen - total unwirklich und gespenstig. Kein Licht, kein Geräusch, nichts, was auf den wirklich großen Hafen von La Coruna deutet. Irgendwann, wir sind fast dagegen gefahren ist die Steganlage zu erkennen. Zielsicher sneaken wir in den Hafen, rückwärts in die Box, festgemacht, Ruhe! Endlich da! Doch zu früh gefreut - wir haben uns an einen der Schwimmstege für die großen Schiffe gelegt, was wir an der Größe der Stecker für das Landstromkabel erkennen - ich kenne kein Segelschiff was einen 32A Drehstromanschluss braucht ... also nochmal umgeparkt, um 03:00 morgens ist es dann geschafft! Ein Gefühl aus totaler Übermüdung, Stolz, Erleichterung, Dankbarkeit und Erstaunen, dass es doch dann so schnell ging macht sich bei uns breit - und endlich, endlich schlafen!

Camaret sur Mer - La Coruña: 342 sm, 62 h

Im Video gibt es noch ein paar mehr Bilder und Kommentare zu La Coruña - viel Spaß beim schauen ;)

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