Sid und Nancy und das Ende des Punk

in #deutsch6 years ago

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Im Herbst vor 40 Jahren endete die tragische Love-Story der Punk-Ära mit dem Tod der 20jährigen Nancy Spungen

Als Nancy ihn zum ersten Mal sieht, benimmt sich Sid eben total daneben. Am hellichten Tage springt der stachelhaarige junge Mann, der gerade ein paar Stunden Bassist der Punk-Band Sex Pistols ist, auf einen am Straßenrand stehenden Rolls Royce, hüpft auf der Motorhaube herum und zertritt die Windschutzscheibe.

Nancy Spungen, blond, jung und ein paar Tage zuvor aus den USA nach London gekommen, ist fasziniert von dem dürren, blassen Engländer. Am selben Abend noch pirscht sie sich an ihn heran, nach einer wilden Party sind die beiden ein Paar.

Nicht irgendeines, sondern das Paar des Punk überhaupt. Es ist das Jahr 1977, das Jahr, das die Musikszene durcheinanderwirbeln wird. Mit Drei-Akkorde-Songs wie "God Save The Queen", mit Konzerten, die in wüsten Schlägereien enden, und Fernseh-Interviews, die mehr als einen Journalisten seinen Job kosten, avancieren die Sex Pistols zur Vorzeige-Band der Bewegung. Sid Vicious ist der Bassist der Band - auch wenn er, wie Trommler Paul Cook mehr als einmal stöhnt, "nie dasselbe Lied spielt wie wir".

Dafür ist Sid verrückt. Ein 20jähriger, der nicht fragt, was morgen kommt; der sich freut, berühmt zu sein, ohne zu ahnen, was das bedeuten kann.

So verkörpern Sid und Nancy das Prinzip Punk. John "Sid" Simon Richie, geboren als Sohn einer Botenfahrerin, ist der wilde Chaot, den die Welt nicht kümmert, solange er nur Spaß hat. "Er wollte alles zerstören", beschreibt Pistols-Sänger Johnny Rotten, "und er hat nie kapiert, daß er sich damit selbst zerstört." Nancy, das Mittelklasse-Gör aus den Staaten, sieht in Sid einen geborenen Star. Sie selbst gibt eine neue, selbstbewußte Art von Groupie - abenteuerlustig, aber sich des eigenen Preises bewußt.

Gemeinsam machen die beiden die Szene unsicher. Und die explodiert gerade. Binnen weniger Wochen wird aus dem Häuflein der ersten Punks ein unüberschaubares Heer. Clubs schießen aus dem Boden, Bands gründen sich, Label entstehen, Boutiquen verkaufen kaputte T-Shirts und zerissene Army-Hosen.

Sid und Nancy nehmen Punk ernst. Die Anarchie, die Pistols-Manager Malcolm McLaren als künstlerisches Experiment betrieb - eine Band erfinden, die Welt erobern, viel Geld verdienen und sich ins Fäustchen lachen über die Blödheit der Massen - all das ist für Sid und Nancy echt.

Sid Vicious, der "Bösartige", wie er sich nach einem Hamster nennt, den er als Kind besessen hatte, ist auf der Bühne unberechenbar. Er prügelt sich, schimpft unflätig, ist arrogant und hemmungslos. Doch hinter der Fassade wohnte ein furchtsamer Junge, der die weltläufige Nancy nicht nur liebt, sondern grenzenlos bewundert.

Sie ist es denn auch, die ihm die erste Heroin-Spritze aufzieht - und damit den Vorhang vor dem letzten Kapitel des Dramas. Auch bei den Drogen kennt das Paar bald kein Halten mehr. Alle Bemühungen von McLaren, Sid "verwendbar" für die Zwecke des Managements zu halten, scheitern spätestens bei der desaströsen USA-Tournee, an deren Ende die Pistols auseinanderbrechen.

Mit der Band verliert Vicious wieder ein Stück Halt. Er sucht Trost in den Armen von Nancy und fällt in einen steten Drogenrausch. Nur halb bei Bewußtsein taumelt er beim Videodreh zu seinem ersten und letzten Solo-Hit, einer ruppigen, atonalen Coverversion von Paul Ankas "My Way" durch die Kulissen. Der Versuch, mit einer eigenen Band neu anzufangen, scheitert: Sid kann sich seine Texte nicht merken, die Kapelle probt nicht, die Fans bewerfen ihr Idol mit Bierbüchsen und Geldstücken.

Was in der Nacht des 12. Oktober 1978 im Zimmer 100 des New Yorker Chelsea-Hotel geschieht, ist nie ganz geklärt worden. Hier, wo vor Sid und Nancy große Geister wie Dylan Thomas und Tennesse Williams wohnten, findet Sids Rauschgiftlieferant eine aus zahllosen Messerwunden blutende Nancy, die noch vor dem Eintreffen des Notarztes stirbt.

Sid liegt nebenan und erinnert sich an nichts. Nach kurzer Untersuchungshaft wird der 21jährige auf Kaution entlassen. Doch ein Leben ohne die Frau, die er selbst getötet hat, kann er sich nicht vorstellen. Ein halbes Jahr nach Nancys Tod wird John Simon Richie in Greenwich Village in der Wohnung einer arbeitslosen Schauspielerin gefunden. Es ist der 2. Februar 1979, ein Jahr nach Auflösung der Pistols.

Sid Vicious ist tot. Punk ist Geschichte.

danke an @edje and @illuminati-inc (IINC)

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