Irre? Wenn Gesellschaftsnormen zum Diagnose führen

in #deutsch6 years ago (edited)

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Psychische Störungen —

eine Epidemie des 21. Jahrhunderts?

Unlängst, als ich noch mich im Grundstudium der Humanmedizin befand, kam in der Psychologie und Soziologie Vorlesung die Frage, was wir für die häufigste Ursache von Arbeitsunfähigkeit in Deutschland vermuten würden. Die Top 3 Antworten, die wir gaben waren - Herzprobleme, Rückenbeschwerden und Erkältung. Das war total daneben! Wir haben nicht schlecht gestaunt als wir erfuhren, dass laut Statistiken der Krankenkassen, psychische Erkrankungen als ein nicht einholbarer Sieger die Liste anführen. Wo früher psychisch Kranke statistisch wenig waren, ist im 21. Jahrhundert dies eine zu häufige Erscheinung. Gründe dafür sind nicht nur ein besseres Verständnis und Weiterentwicklung der Psychologie und Medizin, sondern auch die soziologische und demographische Entwicklung unserer Gesellschaft.

Leistungsgesellschaft - ein Begriff das oft in aller Munde ist, gleichzeitig ein Begriff der zur gleiche Teile komplett falsch und eindeutig zutreffend interpretiert wird. Klingt ganz schön verwirrend, oder?

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Wenn man etwas verstehen will, was in der Theorie logisch klingt, aber in der Praxis so gar keine Erfahrung empirisch beziffern kann, hat sich das Experimentieren als eine gute Möglichkeit erwiesen den Sachverhalt verständlich zu veranschaulichen. So würde ich Euch einen Experiment vorschlagen, das so einfach ist, dass man es fortlaufend anwenden könnte um das was ich behaupte zu belegen (oder widerlegen?).

Man stelle möglichst viele "normale" Mitmenschen aus möglichst unterschiedlichsten Alters- Sozial- und Berufsklassen die Frage, welcher der unten genannten Personen sie unter eideutig "psychisch krank", bzw- "psychisch gestört" einordnen würden.

Man beobachtet folgende Situation in der die betreffende Person:

    a). ein Gespräch führt, mit jemand der nicht da ist , bzw. mit einer "imaginären" Stimme od. Person
    b). ein Gespräch mit sein Haustier führt
    c). mit seine Gartenpflanzen redet, während er diese pflegt.
    d). mit sich selbst redet, oder sich selbst beschimpft /ggfls. lobt., sich Fragen stellt.

Was würdet ihr als Antwort da erwarten?

Bevor wir zu den möglichen Ergebnissen bei den obigen Experiment kommen, schauen wir uns vorerst wie die korrekte Definition von "Psychische Störung" lautet:

"Unter einer psychischen Störung versteht man eine deutliche Abweichung von der gesellschaftlichen oder medizinischen Normvorstellung psychischer Funktionen. Betroffen sind das Denken, das Fühlen und die Wahrnehmung, sowie potentiell auch das Verhalten. Sowohl die betroffene Person selbst, als auch die Umwelt können unter der Symptomatik leiden."

Quelle: DocCheck Flexikon

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Das schwierige an der ganze Sache ist, dass die Definition eine Richtlinie für die Erkennung der typischen Merkmale darstellt, und keineswegs eine eindeutig abgrenzbare Definition. Denn die Ursachen dafür liegen meist an einem komplexen Zusammenspiel aus mehrerer Faktoren. Lediglich die organische Ursachen, und die chemischen Prozesse, die fehlerhaft ablaufen können faktisch durch bildgebende- und Labordiagnostik belegt werden.
Es ist aber in der Diagnosebezeichnung das Wort "psychisch" enthalten, was leider keine exakte wissenschaftliche Messungen sich unterziehen lässt. Das macht es umso schwieriger Betroffene Patienten korrekt zu therapieren.

Es stellt sich nun unvermeidlich folgende Frage:

Womit misst und vergleicht man die Symptome des Patienten um ihn die Diagnose - "psychisch gestört" zu stellen oder widerlegen?

Der Knackpunkt ist aber derer dass die Gesellschaft enormen Beitrag beisteuert, ob und inwieweit jemand in seine freie Empfindung sich durch ein Verhalten was für ihn normal und angenehm empfunden wird, bei der Mehrheit als angepasst oder eher störend definiert wird. Allein 3 der 5 gewichtigsten Merkmale für das korrekte Diagnostizieren einer psychischen Erkrankung sind nicht durch exakte Ergebnisse - wie Labor und Bildgebung belegbar und unterliegen daher der Einflüsse durch die in der Gesellschaft definierte Normen. Diese wiederum werden stets durch die geschichtliche, demographische, technologische und kulturelle Entwicklung geändert und durch der Geist der emotionale Gegenwart diktiert.

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Nun, da kommen wir der Kern der Sache - auf die ich aufmerksam machen wollte ein Stück näher. Erstmal will ich kurz auf die Weiterentwicklung in der Medizin was die Begrifflichkeit des "Gesund seins" angeht hinweisen. Eigentlich ist das auch ein großes Thema, weil ich immer wieder im Berufsalltag feststelle, wie oft man an alte Normen festhält, aber das würde den Rahmen hier sprengen. Dennoch ist es immer bedeutsamer die Definition von Gesundheit im Allgemeinem, aber auch individuell stets zu überprüfen und diese regelmäßig an der Qualität der Zeitalter, neueste Erkenntnisse und an der sozioökonomische Entwicklung, Ethikverständnis und die aktuellste Dynamik der Normentwicklung der Gesellschaft anzugleichen.

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Von Takahe CC BY-SA 3.0, Link

Geschichtlich macht die Lehre der Heilung von Menschen enorme Entwicklung durch. Wir unterscheiden uns im Wesentlichen von den Tieren, indem wir unser Leben größtenteils durch die Beherrschung unserer Emotionen und Triebe mittels logisches Denken und soziales Teilhabe absolvieren. Mitgefühl und die Fähigkeit zu teilen und auf Dinge zu verzichten um Mitmenschen zu helfen hat uns auf ein so hohes evolutionäres Level aufsteigen lassen. Wo früher der Glaube an das Göttliche die Forschung verhinderte, konnte dies seit dem Mittelar bis hin zu naher Vergangenheit unser Weltblick so verändern, dass wir Fortschritt und Faktenwissen solches Stellenwert vergeben, dass wir unser Geist völlig vernachlässigten. Hippokrates von Kos, der mit seiner Humoralpathologie die Entstehung der heutige Wissenschaft in die Wege leitet und der griechische Arzt Galen, der die Hippokratische Lehre - die hauptsächlich auf körperliche Ursachenforschung basiert, durch die Temperamentenlehre die den Charakter in das Krankengeschehen miteinbeziehen sind bis heute die Basis für die Verantwortung der Mediziner sich für eine Gesundheit des Menschen auf wissenschaftlicher aber auch geistig-ethischer Basis hinzugeben. Sicherlich waren beide damals viel mehr an einem Reichtum von Erkenntnisse als an Reichtum aus materiellen Wirtschaftsgüter interessiert.

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Bild stellt der Persönlichkeitskreis von dem Psychologen Hans Jürgen Eysenck der sein Modell an Hippokrates Körpersäfte-Theorie und Galens Temperamentlehre angelehnt hat.


Nun kommen wir zu der Bedeutung von "Gesundheit".

Die Gesundheitsdefinition der WHO (1948):

"Gesundheit ist ein Zustand völligen psychischen, physischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen. Sich des bestmöglichen Gesundheitszustandes zu erfreuen ist ein Grundrecht jedes Menschen, ohne Unterschied der Rasse, der Religion, der politischen Überzeugung, der wirtschaftlichen oder sozialen Stellung."

Dieses Zitat bildet mit seinem Ansatz für die Gesundheitsförderung, die Grundlage für die 1986 formulierte Ottawa-Charta.

Wer sich dafür interresiert - hier der Link zur ofizielle Dokument der autorisierte deutsche Übersetzung der Ottawa-Charta

Warum ich auf die Definition von Gesundheit eingehe, ist weil diese ein Paradoxon beinhaltet. Einerseits ist die Art und weise wie wir uns selbst betrachten ausschlaggebend für unsere psychische Stabilität, andererseits unterliegen wir unweigerlich der Macht der Gesellschaft in der wir leben, die eine bereits festgelegte Vorstellung beinhaltet was "gesund" und "normal" ist - je nach kulturelle Besonderheiten.

Unabhängig vom Bedeutungskontext ist Gesundheit vor allem ein subjektiv empfundener Zustand abseits der diagnostischen Nachweisbarkeit. Hier werden Krankheit und Gesundheit durch Grauzonen miteinander vereint: Man kann krank sein, sich aber - vor allem bei Abwesenheit von Symptomen - gesund fühlen. Umgekehrt kann ein Patient sich krank fühlen, aber klinisch betrachtet vollkommen gesund sein.

Quelle: DocCheck Flexikon




Diese Tatsache, wirft nun endlich die konkrete Frage, über die ich hier zur Diskussion anregen wollte.

Wenn das Gesundheitsempfinden subjektiv ist, die Gesellschaft die Rahmenbedingungen vorgibt und wir uns entscheiden unser Wohlbefinden nicht an diesen Rahmenbedingungen anzupassen, sind wir dann zurecht als "verrückt" und psychisch gestört anzusehen, bloß weil man somit eine Minderheit, bzw. Abweichung darstellt?

Zugegeben, diese Fragestellung ist nicht neu. Jedoch wird sie immer wichtiger werden, da die Gesellschaft immer mehr Menschen dazu bringt sich von der Norm zu distanzieren, besonders wenn diese Norm durch Unzufriedenheit in Folge des Globalisierung, die Annäherung an der totalistich und populistisch geführte Regime, die ihre Bürger mit ihren Interessen übergeht, das Vertrauen durch Manipulation und Einschränkung der Rechte verspielt und versucht mit allen Mittel die kulturelle Identität der Menschen zu unterdrücken und sie gegeneinander Aufhetzt.

Wer bestimmt in solch einer Zeit der Wandel was sich gehört und was nicht? Wichtig auch zu überlegen, kann man denn selber sich je sicher sein, dass bei so viel Ungerechtigkeit und Ausweglosigkeit die sich breit machen wollen in unsere Gesellschaft, man noch immer objektiv und gerecht bleiben kann und ob wir es schaffen als Freunde, Bürger, Nationen das zu verhindern, was die Großmächte bei ihren rücksichtslosen GeoSchachspiel uns aufhetzen - Krieg, Hass, Extremismus, Leistungsdruck für Hungerlohn, Handel mit unsere Identität -sei es digital oder in echt.
Der Dialog der wenigen die sich trauen darüber zu reden wird zensiert und erschwert, man rüttelt an alles was man als Idealvorstellung sich je erhofft hat erreichen zu wollen in dem man den Alter bereits in der Jugend stiehlt und den Wunsch viele Menschen, deren Verdienst kaum zum Leben reicht wegreist zumindest im Alter sich etwas Ruhe zu gönnen. Kann ich in solch einer Zeit wirklich vertrauen, dass die Normen die wir als Gesellschaft vorgeben nicht nur immer mehr Menschen als "Irren" diagnostiziert, stigmatisiert, diskriminiert und ihnen das Leben erschwert?



Nun, vielleicht liefert unser Experiment von vorhin eine Erklärung, ob wir wirklich klar beurteilen können, wer unter uns psychisch krank ist, und wer vielleicht die Welt einfach anders als die Mainstream wahrnimmt

Was hätten Sie geantwortet?
Was hätten Sie gedacht würden die Mehrheit als Antwort geben?

Ich habe diese Frage bereits in Vergangenheit im Rahmen eines Projekt Menschen gestellt. Die Meisten hatten sich für Antwort a). entschieden, wobei auffallend großer Anteil dieser Menschen die das gewählt hatten eher mittleren bis hohen Alter hatten. Jüngere Menschen waren einige wenige die entweder auf "Alle" ,"Keiner" oder auf d.) getippt hatten, dieser Anteil ist aber statistisch verschwindend gering...

An dieser Stelle beende ich den Post, mit eine Überlegung bezüglich der Experimentergebniss das ich hatte, und bin gespannt was Ihr darüber denkt - es wäre toll mal interessante Meinungen darüber zu lesen.

Hier was ich mir gedacht habe:

Wenn die meisten, die ich fragte wem sie den Stempel "Psycho" aufdrücken, sich für die Person entschieden haben, die mit imaginären unsichtbaren Stimme/Mensch/Jemand redet, gleichzeitig zu 85% Christliche und Muslime sind, und regelmäßig zu Gott beten - der weder zu sehen, noch zu hören ist - sind sie dann nicht selbst alle reif für die Anstalt????

Ein deutscher Arzt, der jahrelang in Psychiatrie gearbeitet hat, hat ein interessantes Werk geschrieben, das ich sehr mag - "Irre! Wir behandeln die falschen!" von Dr. Manfred Lütz

Ein lustiger Vorgeschmack was euch im Buch so erwarten würde, wenn ihr es kaufen wollt ist ein altes Video von einer seiner Auftritte wo er über Geschichten aus der Psychiatrie erzählt:
Irre! Das Problem sind die Normalen

Sort:  

Ich fand den Artikel anfangs sehr interessant, weil die Frage nach der Objektivität pychischer Diagnosen natürlich sehr spannend ist.

Nachdem du dich dann aber dazu versteigst, das Ganze anhand deiner persönlichen politischen Sichtweise zu interpretieren, verlässt du den Boden der wissenschaftlichkeit, und dem entsprechend voted @de-stem hier nicht.
Am copyright der Bilder hätte es auch gehakt.

Naja ich wusste nicht, dass Wissenschaftler keine eigene Meinung äußern dürfen. Letztendlich geht es in den Artikel darum genau diese Meinung zu hinterfragen und nicht einfach Fakten rauszuhauen. Ich halte hier keine Doktorarbeit oder so, sondern spreche ein Thema an das genau durch eigene Meinung der Leser zu Diskutieren anregen sollte.WS die Bilder angeht - ich habe ausschließlich lizenzfreie Bilder verwendet, und auch eigen kriierte! Ich wollte das Thema weiter führen, aber jetzt werde ich nicht mehr in de-stem Posten, und werde mich auf die üblichen Kanäle beschränken, gut zu wissen.

Naja ich wusste nicht, dass Wissenschaftler keine eigene Meinung äußern dürfen

Kann man schon, die Frage ist halt, wie man es macht und ob man lediglich auf einer reinen Behauptungsebene bleibt oder die eigene Meinung anhand der verfügbaren Daten auch entsprechend stützen kann. Ansonsten bleibt es tatsächlich nur eine Meinung ohne wissenschaftliche Relevanz.

Als kleine Anmerkung dazu:
Manfred Lütz ist innerhalb der klinischen und empirisch arbeitenden Psychologie übrigens recht umstritten. Seine Schlussfolgerungen sind meist zu generalisiert oder widersprechen dem aktuellen Stand empirischer Forschung. Gerade im Hinblick auf psychische Erkrankungen kann die Psychologie sehr viel leisten.
Mir kommt es häufig so vor, dass vor allem jene Menschen "das System" infrage stellen, die selbst noch nie ernsthaft mit psychischen Erkrankungen zu tun hatten (entweder selbst betroffen oder bei nahestehenden Personen). Wer einmal erlebt hat, wie sehr z.B. passende Medikation einem Schizophrenen helfen kann, ein normales Leben zu führen, der ist sehr dankbar dafür, dass es genau diese Möglichkeiten gibt.
Sicherlich, kein System ist ideal und man kann im Detail immer verbessern, doch das ist eher eine technische Frage denn eine gesellschaftliche.

Ja nur hatte ich bereits mit psychischen Erkrankungen zu tun. Ich habe schon einiger Zeit in der Psychiatrie gearbeitet, und bin aktuell in der Notaufnahme. Es ist nicht so als ob ich meine Meinung aus der Luft gegriffen hätte. Aber ich habe auch gesehen wie viel auch mit der Medikation übertrieben wird wenn es darum geht jemand einfach nur mal ruhig zu stellen. Auch sollte man meiner Meinung viel mit Angehörigen arbeiten was oft nicht der Fall ist. Abgesehen von Schizophrenen und die ähnlich ernste psychische Krankheiten, ist es heute so dass viele Menschen die durch den Leistungsdruck, soziale Umgebung und die Lebensweise Probleme haben, und statt diesen Menschen zu helfen, werden sie in einer Reihe mit psychisch kranke gesteckt und mit Medikamente behandelt! Nehmen wir auch Diagnosen wie Burn-Out, ADHS etc. Wie schnell wird da zu Medikamentöse Behanlung gegriffen? Sicherlich hilft es manche wenn man die Pille nimmt. Ich habe aber gesehen, dass eine Umstellung der Lebensweise und Miteinbezug der Angehörigen solche Zustände auch ohne Pillen verbessert und heilt. Ich will nicht generalisieren, aber ansprechen dass man ein Paar Gedanken darüber verschwendet ob wir nicht eventuell dazu beitragen als Gesellschaft dass der Wachstum psychisch kranker zunimmt.

fast alles richtig gemacht, es macht Sinn Sachen Korrektur zu lesen oder lesen zu lassen weil viele Fehler drin sind, weiter viel Erfolg...

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