Aussteiger auf dem Weg nach Neu Australien
Immer wenn die Lebensumstände unerträglich werden, machen sich Menschen auf den Weg um eine neue Bleibe zu suchen. Manchmal geht es nur bis ins Nachbardorf, ein anderes Mal in ein fremdes Land oder gar auf einen anderen Kontinent.
Angeregt durch eines der ersten Bücher in der internationalen Sprache Esperanto von L.L Zamenhof folgte ich einer Spur von Siedlern, die am Ende des 19.Jhd. zu einem verheißungsvolles Land aufbrachen.
Im Fundamenta Krestomatio (Sammlung von kurzen Berichten, 1903) von L. Zamenhof, in Kapitel V „Aus dem Leben und der Wissenschaft“ fand ich einen Artikel über eine kommunistische Kolonie von australischen Auswanderern in Paraguay. Beschrieben wird eine neu gegründete Kolonie, auf 40 Quadratmeilen in der Nähe der Stadt Villarica, am Fluss Tebikuara. Bis 1894 würden dort 400 Familien mit insgesamt 2000 Menschen leben. Der von gemeinsamer Arbeit erzielte Gewinn würde unter allen geteilt, auch zwischen Männern und Frauen. Für allgemeine Regeln gebe es eine Abstimmung beider Geschlechter. Auch wäre Religionsfreiheit gewährt. Die Gründungsgesellschaft würde über ausreichende Ressourcen verfügen bis zur ersten Ernte der Felder ... Soweit der knappe Bericht.
Diese Nachricht aus der Neuen Welt hatte Zamenhof sehr beschäftigt. War er doch selbst als früher Zionist bestrebt für das jüdische Volk in Amerika, in der Neuen Welt, ein neues Zuhause zu finden. Im alten Europa herrschten Zwietracht und Progrome.
Um die genaueren Umstände des Projektes zu verstehen hilft es, sich etwas die Geschichte anzusehen.
Bereits in den späten Jahren des 19.Jhd. waren die Lebensbedingungen der australischen Arbeiter so schlecht, dass für einige führende Köpfe der Arbeiterbewegung Auswanderung der einzige Weg schien, ihre sozialutopischen Ideale zu verwirklichen. Andere beschlossen, im Lande zu bleiben und eine Arbeiterpartei zu gründen. William Lane, ein Journalist und Gründer des ersten australischen Arbeitermagazins, regte einen Auswanderverein an. Ziel war die Koloniegründung im Ausland. Die Kolonie Neues Australien würde gemeinsam kontrolliert, gemeinsam wäre auch Vermögen und Einkommen. Es würde eine Bruderschaft von englischsprachigen Weißen sein; lebenslange Ehe, Alkohol- und Religionsverbot würden eine solide Basis geben.
Schließlich waren 238 Menschen, die auf ein besseres Leben hofften, bereit ihre Heimat zu verlassen. Paraguay litt zu dieser Zeit selbst unter großen wirtschaftlichen Problemen und versuchte diese unangenehme Situation durch Einwanderung zu verbessern. Die Regierung vergab kostenlose und steuerfreie Grundstücke für Neuankömmlinge. Zwei Gruppen aus Deutschland waren bereits zuvor angekommen.
Aber selbst mit fruchtbarem Boden gesegnet, war das Leben für die Kolonisten nicht leicht; die Lebensbedingungen waren schwierig und die tägliche Arbeit sehr anstrengend. Es gab nicht genug Frauen und Alkohol war streng verboten.
Schon nach wenigen Monaten brach das gesamte Unternehmen fast zusammen. Der autokratische Führungsstil von W. Lane und persönliche Streitigkeiten führten letztlich 1894 zur Auflösung der Kolonie.
W. Lane gründete zusammen mit anderen Mitgliedern eine neue Kolonie, genannt Cosme. Beide Projekte waren nie wirklich wirtschaftlich selbständig. Selbst wenn sie ihr eigenes Geldsystem hatten (nach anfänglichen geldlosen Wirtschaftsversuchen). Auch war die sehr schlechte wirtschaftliche Lage in Paraguay nicht sehr hilfreich.
1897 wurde der Siedlungsgrund von Neu Australien öffentlich versteigert und die wenigen verbleibenden Siedler erhielten ein kleines Stück Land für ihren privaten Gebrauch. Die Cosma- Kolonie existierte noch bis zum Jahr 1909.
Heutzutage leben hier noch die Nachfahren der australischen Kolonisten, die sich mit der lokalen Bevölkerung vermischten. Der australische Autor Ben Stubbs besuchte die Standorte und berichtet davon in seinem Buch Ticket to Paradise, 2012. Die australischen Auswanderer waren nicht die Einzigen, die ihr Glück in Paraguay versuchten. Es gab dort auch das Neues Japan, ein Neues Deutschland und andere utopische Projekte.
Als L. Zamenhof die Nachrichten über Neu Australien in sein Buch aufnahm, hatte er wahrscheinlich nichts Neues über das weitere Schicksal der Kolonie herausgefunden und war möglicherweise auch versucht an ein idealistisches Projekt zu glauben, dass irgendwo begonnen würde, selbst im entferntesten Ort der Welt.
Fotos: 1. nationaltreasures.nla.gov.au, 2. Commons. wikimedia
Australische Auswanderer, was es nicht alles gibt... Gerade ende des 19. gab es doch genug Platz in Australien selbst, warum haben die ihre Kolonie nicht dort gegründet? Nunja wer weis... Anderswo ist das Gras immer grüner.
Stimmt mit dem grueneren Gras. Aber ich denke, das das Land laengst aufgeteilt war unter den vermoegenden Weissen in Australien. Die Aussiedler waren Proletarier.
Was in den heutigen Geschichtsbüchern häufig übersehen wird, wenn über das Leid der Fabrikarbeiter in den Großstädten gesprochen wird, ist, dass es den einfachen Landarbeitern noch viel, viel schlimmer ging. Ich find es toll, dass der technische Fortschritt es heute ermöglicht solche mehr oder weniger autarken Gemeinschaften zu gründen. Auch wenn ich jene ohne autokratischen Führungsstil interessanter finde.
Kennst Du The Factor e Farm, ein sozial-technisches Experiment auf 30 ac in der Naehe von Kansas City, US ?
Habe mir gerade einen TedX Talk angesehen. Ich bin wirklich beeindruckt von der Idee und der Umsetzung. :)