Perlen der Literatur – „Über Kometen“ von Bertrand Russel – Essay

in #deutsch6 years ago (edited)

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Werte Steemis,

da hier offenbar Weltliteratur mit einem Gang zum Finanzamt verwechselt wird und nicht mit sterndurchbrechenden Sommernächten, ich nicht die Absicht hege; hier den literarischen Opfertod zu erleiden, habe ich mich kurzerhand für ein dünnhäutiges, fast jungfräuliches Essay entschlossen, das wenig bis kaum Sätze aufweist und auch dem Michel eine Leuchte seines geistigen, schwarzen Schreckens sein kann, den er im allgemeinen Geist schimpft.


Merke: „Gute Bücher und Schriften sind wie Austern, will man an die Perlen gelangen, muss man tief tauchen, Miesmuscheln hingegen, liest man am Strand auf“.

Zu den Perlen der Literatur gehört sicher auch Bertrand Russels Buch „Lob des Müßiggangs“, das ihm 1950 den Nobelpreis für Literatur einbrachte. Aus diesem Buch möchte ich euch heute ein kurzes Essay vorstellen „Über Kometen“.

Meine einzige Kritik: Russel sollte in jedem guten Bücherregal zu finden sein, es ist nicht nur ein Vergnügen ihn zu lesen, seine überlegene Intelligenz, ist erschreckend schön.


Essay

Bertrand Russel

Über Kometen


Wäre ich ein Komet, so würde ich die Menschen unseres heutigen Zeitalters für völlig verkommen und degeneriert halten.

In früherer Zeit, ja, da genossen die Kometen noch allgemeinen, abgrundtiefen Respekt. Einer zeigte den Tod Caesars an, ein anderer wies angeblich auf das nahende Ende des Kaisers Vespasian hin. Das war nun allerdings ein klardenkender Mann, der behauptete, der Komet müsse eine andere Bedeutung haben, da er einen langen haarigen Schweif besitze, während er selbst, der Kaiser, leider kahl sei; es gab aber nur wenige Leute, die diese extrem rationale Ansicht zu teilen vermochten. Der ehrwürdige Beda sagte, dass: „Kometen den Sturz von Königreichen, Pest, Krieg, Wind oder Hitze ankündigten“. John Knox sah in den Kometen einen Beweis göttlichen Zorns, und andere schottische Protestanten hielten sie für „eine Mahnung an den König, die Papisten (Katholiken) auszurotten“.

Auch Amerika, und vor allem Neu-England, meldete seinen Anspruch auf angemessene Beachtung von seiten der Kometen an. Im Jahre 1652 erschien ein Komet gerade in dem Augenblick, als der hervorragende Mr. Cotton erkrankte, um mit dessen Tode wieder zu verschwinden. Nur zehn Jahre später wurden die lasterhaften Bewohner von Boston durch einen Kometen nachdrücklich ermahnt, sich „der Wollust und der Schmach für alle guten Gottesgeschöpfe in Form zügellosen Trinkens und ausschweifender Kleidung zu enthalten“. Increase Mather, der bedeutende Theologe, hielt Kometen und Sonnenfinsternisse für Vorboten des Todes von Präsidenten der Universität Harvard und der Gouverneure in Übersee und wies dementsprechend seine gläubige Herde an, zum Herrn zu beten, er möge „nicht Sterne vom Himmel nehmen und ihnen Kometen nachfolgen lassen“.

Dieser ganze Aberglaube wurde allmählich durch Halleys Entdeckung zerstreut, dass zumindest ein Komet die Erde in ordnungsgemäßer Ellipse umkreise wie ein vernünftiger Planet die Sonne, und durch Newtons Beweis, dass die Kometen dem Gesetz der Schwerkraft unterliegen. Eine Zeitlang war es den Professoren der Universitäten älterer Schule verboten, diese Entdeckungen zu erwähnen, aber auf die Dauer ließ sich die Wahrheit doch nicht verheimlichen.

Heutzutage kann man sich schwerlich eine Welt vorstellen, in der jeder Mensch, ob hoch oder nieder, gelehrt oder ungebildet, sich Gedanken über einen Kometen macht oder zutiefst erschreckt, wann immer einer auftaucht. Heute haben sogar die meisten Menschen noch nie einen Kometen zu Gesicht bekommen. Ich selbst habe zwei gesehen, sie haben mir aber weit weniger Eindruck gemacht, als ich angenommen hatte. Schuld an dieser unserer veränderten Einstellung ist nicht nur der Rationalismus, sondern auch die künstliche Beleuchtung. In den Straßen der modernen Stadt sieht man bei Nacht ja überhaupt den Himmel nicht mehr, und über Land fahren wir im Auto mit hellen Scheinwerfern. Wir haben den Himmel ausgelöscht, und nur noch einige wenige Wissenschaftler sind mit Sternen und Planeten, Meteoren und Kometen vertraut. Unsere alltägliche Umwelt ist stärker denn je zuvor ein Werk von Menschenhand. Das bedeutet sowohl Gewinn wie Verlust: der Mensch wird in seinem Herrschaftsbereich trivial-weltlich, anmaßend und leicht verrückt. Aber ich glaube kaum, dass heutzutage ein Komet noch die gleiche moralische Heilwirkung hätte wie im Jahre 1662 in Boston; heute würde es zu diesem Zweck einer stärkeren Arznei bedürfen.

ENDE


Quelle: http://find.nlc.cn/search/doSearch?query=bertrant%20russel&secQuery=&actualQuery=bertrant%20russel&searchType=2&docType=%E5%85%A8%E9%83%A8&isGroup=isGroup&targetFieldLog=%E5%85%A8%E9%83%A8%E5%AD%97%E6%AE%B5&fromHome=true
Quelle: http://www.nl.go.kr/nl/search/search.jsp?all=on&topF1=title_author&kwd=Bertrand+Russell
Quelle: https://search.rsl.ru/ru/search#q=bertrand%20russel


Joe C. Whisper

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