Perlen der Literatur – Scylla und Charybdis oder Kommunismus und Faschismus von Bertrand Russel *****
Werte Steemis,
seid behutsam mit diesem Essay, nutzt es mit all eurer Weitsicht und Klugheit - bereitet euch vor!
Gute Bücher und Schriften sind wie Austern, will man an die Perlen gelangen, muss man tief tauchen, Miesmuscheln hingegen, liest man am Strand auf.
Zu den Perlen der Literatur gehört sicher auch Bertrand Russels Buch „Lob des Müßiggangs“, das ihm 1950 den Nobelpreis für Literatur einbrachte. Aus diesem Buch möchte ich euch heute ein besonderes Essay vorstellen „Scylla und Charybdis oder Kommunismus und Faschismus“.
Meine einzige Kritik: Russel sollte in jedem guten Bücherregal zu finden sein, es ist nicht nur ein Vergnügen ihn zu lesen, seine überlegene Intelligenz, ist erschreckend schön.
Bertrand Russel
Scylla und Charybdis oder Kommunismus und Faschismus
Man hört heute vielfach die Behauptung, Kommunismus und Faschismus seien praktisch die einzigen politischen Alternativen und dass wer immer sich nicht für die eine einsetze, damit effektiv die andere unterstütze. Ich befinde mich in Opposition zu beiden und kann mich keiner der beiden Alternativen anschließen, sowenig ich im sechzehnten Jahrhundert entweder Protestant oder Katholik hätte sein können. Ich werde so kurz wie möglich meine Einwände zunächst gegen den Kommunismus, dann gegen den Faschismus und schließlich das, was beiden gemeinsam ist, darlegen. Wenn ich von einem „Kommunismus“ spreche, so meine ich damit einen Menschen, der sich die Doktrinen der Dritten Internationale zu eigen gemacht hat. In gewissem Sinne waren die frühen Christen Kommunisten, und das gleiche gilt für viele mittelalterliche Sekten; dieser Sinn aber ist heute überholt und gegenstandslos geworden. Ich werde jetzt der Reihe nach begründen, warum ich nicht Kommunist bin.
I. Ich kann der Philosophie von Marx nicht beipflichten und noch weniger der Philosophie von Lenins Materialismus und Erfahrungskritik. Ich bin kein Materialist, obwohl ich vom Idealismus sogar noch weiter entfernt bin. Ich glaube nicht an irgendeine dialektische Zwangsläufigkeit in der historischen Entwicklung; diese Überzeugung hat Marx von Hegel übernommen, ohne ihre einzige logische Basis, nämlich das Primat der Idee. Marx glaubte, jede folgende Stufe in der menschlichen Entwicklung müsse in irgendeinem Sinne ein Fortschritt sein. Ich halte aber diese Überzeugung für unbegründet.
II. Ich kann mich weder der Werttheorie von Marx anschließen noch aus der Theorie von Mehrwert, wie er ihn auffasst. Die Theorie, dass der Tauschwert einer Ware proportional dem für ihre Herstellung erforderlichen Arbeitsaufwand ist, die Marx von Ricardo übernahm, hat sich an Ricardos Rententheorie als falsch erwiesen und wurde schon lange von allen nichtmarxistischen Wirtschaftslehren aufgegeben. Die Mehrwerttheorie ist von Malthus' Bevölkerungstheorie abgeleitet, die Marx sonst verwirft. Marx' Wirtschaftstheorie bildet kein logisch zusammenhängendes Ganzes, besteht vielmehr aus älteren Doktrinen, die abwechselnd anerkannt und abgelehnt werden, um je nach Bedarf als Argument gegen den Kapitalismus dienen zu können.
III. Es ist stets gefährlich, irgend einen Menschen für unfehlbar zu halten; daraus ergibt sich zwangsläufig eine unangemessene Vereinfachung. Der traditionelle Glaube an den göttlich inspirierten Bibeltext hat die Menschen für ein neues Evangelium allzu aufnahmebereit gemacht. Dieser blinde Autoritätsglaube steht aber im Widerspruch zum wissenschaftlichen Denken.
IV. Der Kommunismus ist undemokratisch. Was er als die „Diktatur des Proletariats“ bezeichnet, ist in Wirklichkeit die Diktatur einer kleinen Minderheit, die zu einer oligarchisch regierten Klasse wird. Die Geschichte beweist durchweg, dass die Regierungsgeschäfte ausnahmslos im Interesse der regierenden Klasse geführt werden; nur dort, wo die Gefahr einer Machteinbuße ihren Einfluss ausübte, sind Ausnahmen zu erkennen. Das lehrt uns nicht nur die Geschichte, sondern auch Marx. Die herrschende Klasse in einem Kommunistischen Staat ist sogar noch mächtiger als die kapitalistische Klasse in einem demokratischen Staat. Solange sie sich auf das Militär verlassen kann, vermag sie kraft dieser Macht für sich selbst Vorteile zu erzwingen, die ebenso unheilvoll sind wie diejenigen, die sich die Kapitalisten verschaffen. Die Annahme, die regierende Klasse im kommunistischen Staat werde stets im Interesse des allgemeinen Wohls handeln, ist nichts als törichter Idealismus und widerspricht der marxistischen politischen Psychologie.
V. Der Kommunismus schränkt die Freiheit, vornehmlich die geistige Freiheit, stärker ein als jedes andere System, abgesehen vom Faschismus. Das völlige Einswerden von wirtschaftlicher und politischer Macht führt zu einem erschreckend funktionierenden Apparat der Unterdrückung, der keine Ausnahmen mehr zulässt. Unter einem solchen System würde jeder Fortschritt bald zur Unmöglichkeit, da es zum Wesen der Bürokratie gehört, sich jeder Veränderung, von einem Zuwachs ihrer eigenen Macht abgesehen, zu widersetzen. Jede Grundlegende Neuerung ist dann nur irgendeinem Zufall zu verdanken, der einen unbequemen Menschen vor dem Tod bewahrt. Kepler lebte von der Astrologie, Darwin von ererbten Vermögen, Marx von Engels' „Ausbeutung“ des Proletariats von Manchester. Derartige Gelegenheiten, sich aller Unbeliebtheit zum Trotz am Leben zu erhalten, würde jedoch das kommunistische Regime ausschließen.
VI. Wir finden bei Marx, wie allgemein im kommunistischen Denken, eine ungebührliche Verherrlichung der Handarbeiter im Gegensatz zu den Geistesarbeitern. Dadurch sind viele Kopfarbeiter zu Gegnern geworden, die vielleicht andernfalls eingesehen hätten, dass der Sozialismus notwendig ist, und ohne deren Mithilfe die Organisation eines sozialistischen Staates schwerlich möglich ist. Die Marxisten haben den Trennungsstrich zwischen den Klassen, praktisch noch stärker als in der Theorie, in der gesellschaftlichen Skala zu tief gezogen.
VII. Der Klassenkampf wird vermutlich dank der Art, wie er gepredigt wird, in einem Augenblick ausbrechen, da die widerstreitenden Kräfte mehr oder weniger ausbalanciert sind oder sogar, wenn auf seiten der Kapitalisten ein Übergewicht besteht. Bei Vorherrschaft der kapitalistischen Kräfte folgt dann eine Ära der Reaktion. Wenn die Kräfte auf beiden Seiten annähernd gleich sind, wird es wahrscheinlich bei den modernen Methoden der Kriegsführung zur Vernichtung der Zivilisation kommen, wobei sowohl Kapitalismus als auch Kommunismus verschwinden werden. Nach meiner Auffassung sollten sich die Sozialisten in demokratischen Ländern auf die Überzeugungskraft stützen und Gewalt nur anwenden, um der gesetzwidrigen Gewaltanwendung ihrer Gegner zu begegnen. Mit dieser Methode wird es den Sozialisten möglich sein, ein so großes Übergewicht zu gewinnen, dass der kurze und verhältnismäßige ungefährliche Endkampf nicht zur Vernichtung der Zivilisation führt.
VIII. In Marx und im Kommunismus steckt soviel Hass, dass schwerlich zu erwarten ist, die Kommunisten würden im Falle ihres Sieges ein Regime aufrichten, das keine Böswilligkeiten zuließe. Vor allem für den Sieger wird es daher wahrscheinlich so aussehen, als sprächen stärkere Argumente für eine gewaltsame Unterdrückung, als die Wirklichkeit rechtfertigt, vor allem wenn der Sieg das Ergebnis eines heftigen Kampfes mit ungewissen Ausgang war. Nach einem solchen Kampf wird die siegreiche Partei kaum in der rechten Stimmung für einen vernünftigen Wiederaufbau sein. Die Marxisten vergessen nur zu leicht, dass der Krieg seine eigene Psychologie besitzt, die auf Furcht beruht und unabhängig ist von der ursprünglichen Ursache des Streites.
Die Ansicht, man habe nur die eine praktisch mögliche politische Wahl zwischen Kommunismus und Faschismus, scheint mir entschieden nicht in Amerika, England, und Frankreich zuzutreffen, und vielleicht auch nicht in Italien und Deutschland. England hat eine faschistische Periode unter Cromwell, Frankreich unter Napoleon erlebt, aber in beiden Fällen war das kein Hindernis für eine anschließende Demokratie. Politisch unreife Völker weisen nicht gerade die besten Wege in eine politische Zukunft.
Gegen den Faschismus erhebe ich einfachere und im gewissen Sinne fundamentalere Einwände als gegen den Kommunismus. Mit der Absicht, die die Kommunisten verfolgen, stimme ich im großen und ganzen überein; ich wende mich weit mehr gegen die von ihnen angewandten Methoden als gegen ihre Ziele. Bei den Faschisten aber missbillige ich Ziel und Methode gleich stark.
Der Faschismus, als Bewegung, hat viele Gesichter; er findet in Deutschland und Italien sehr unterschiedlichen Ausdruck, und sollte er noch auf andere Länder übergreifen, so wird er vielleicht dort noch andere Gestalt annehmen. Er trägt jedoch gewisse Wesensmerkmale, mit deren Fortfall er kein Faschismus mehr wäre. Er ist antidemokratisch, er ist nationalistisch, er ist kapitalistisch, und er appelliert an jene Teile der Mittelschicht, die unter den modernen Entwicklungen zu leiden haben und annehmen, unter einem sozialistischen oder kommunistischen Regime würde es ihnen noch schlechter gehen. Der Kommunismus ist ebenfalls antidemokratisch, jedoch nur eine Zeitlang, zumindest soweit man in seinen Theorien die Grundlage für ihre politische Verwirklichung sehen darf; darüber hinaus ist er bestrebt, den Interessen der Lohnempfänger zu dienen, die in fortschrittlichen Ländern eine Mehrheit darstellen und wozu nach Absicht der Kommunisten die ganze Bevölkerung werden soll. Der Faschismus aber ist in seiner antidemokratischen Haltung weit grundsätzlicher. Er hält nicht das größte Glück der größten Zahl für das rechte Prinzip der Staatskunst, wählt vielmehr bestimmte Einzelpersonen, Völker und Klassen als „Besten“ und einzig Beachtenswerten aus. Der Rest ist gewaltsam dazu zu zwingen, den Interessen der Auserwählten zu dienen.
Solange der Faschismus um die Macht kämpft, muss er einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung ansprechen. Sowohl in Deutschland wie in Italien entstand er aus dem Sozialismus, wobei er alles Antinationalistische aus dem orthodoxen Programm ausmerzte. Er übernahm vom Sozialismus den Gedanken der Wirtschaftsplanung und der verstärkten Staatsgewalt, aber diese Planung sollte, statt der ganzen Welt zum Segen zu gereichen, nur auf den Vorteil der Oberschicht und des Mittelstandes in einem einzigen Lande berechnet sein. Und diese Vorteile werden weniger durch höhere Leistungskraft erzielt als durch verstärkten Druck sowohl auf die Lohnempfänger als auch auf die unbequemen Teile des Mittelstandes selbst. Bei den Klassen, die nicht seine Unterstürzung genießen, kann er bestenfalls bewirken, was man auch in einem gut geleiteten Gefängnis als Erfolg verzeichnet, darüber hinaus will er gar nichts tun.
Der grundsätzlich stärkste Einwand aber richtet sich gegen das faschistische Prinzip, einen Teil der Menschheit als den einzig wichtigen herauszustellen. Praktisch haben Machthaber zweifellos immer, seit die erste Regierung konstruiert wurde, eine derartige Auslese getroffen; aber das Christentum hat theoretisch stets in jeder Menschenseele einen Selbstzweck gesehen und nicht ein Werkzeug zu Ruhm und Glanz anderer. Und die moderne Demokratie hat aus den ethischen Idealen des Christentums Kraft bezogen und viel dazu beigetragen, die Regierungen von der ausschließlichen Beschäftigung mit den Interessen der Reichen und Mächtigen abzubringen. In dieser Beziehung ist der Faschismus eine Rückkehr zu den schlechten Elementen des alten Heidentums.
Der Faschismus, wenn er sich durchsetzen würde, trüge nicht das geringste dazu bei, die Missstände, die der Kapitalismus bewirkt, zu beseitigen; im Gegenteil, sie würden sich dadurch noch verschlimmern. Die Handarbeit würde nur noch zu Zwangsarbeit bei einem Existenzminimum werden; die Arbeiter selbst würden keinerlei politische Rechte haben, nicht selbst bestimmen können, wo sie wohnen oder arbeiten wollen, und wahrscheinlich nicht einmal dauernd mit ihren Familien zusammenleben können; sie wären praktisch Sklaven. Die Anfänge alles dessen zeichnen sich schon etwa in der Methode ab, mit der man in Deutschland gegen die Arbeitslosigkeit vorgeht; faktisch ist das die unvermeidliche Folge des Kapitalismus, der sich von jeder demokratischen Kontrolle freigemacht hat; und da die gleichen Zwangsarbeits-Bedingungen in Russland bestehen, ist daraus zu schließen, dass es ein unvermeidliches Ergebnis jeder Diktatur ist. In der Vergangenheit ging der Absolutismus stets Hand in Hand mit irgendeiner Form von Sklaverei oder Leibeigenschaft.
All das würde sich ergeben, wenn sich der Faschismus durchsetzen sollte, aber ein dauernder Erfolg dürfte ihm kaum beschieden sein, weil er das Problem des wirtschaftlichen Nationalismus nicht zu lösen vermag. Die stärkste und mächtigste Stütze der Nazis war die Schwerindustrie; speziell die Stahlindustrie, und die chemische Industrie. Die national organisierte Schwerindustrie ist aber die stärkste und einflussreichste, zum Krieg treibende Kraft unserer Zeit. Wenn jedes zivilisierte Land eine Regierung hätte, die die Interessen der Schwerindustrie vertritt – wie es in beachtlichen Maße bereits der Fall ist -, dann wäre ein Kriegsausbruch in Kürze unvermeidlich. Jeder neue Sieg des Faschismus rückt einen Krieg in größerer Nähe; und wenn es zu diesem Krieg kommt, wird er wahrscheinlich den Faschismus und zugleich auch fast alles zur Zeit des Kriegsausbruch Bestehende hinwegfegen.
Der Faschismus ist kein geordnetes System von Überzeugungen, wie das laisser-faire oder der Sozialismus; er ist im wesentlichen ein gefühlsmäßiger Protest, teils der Mitglieder des Mittelstandes (wie etwa der Kleinhändler), die unter den modernen Wirtschaftsentwicklungen leiden, teils von anarchischen Industriemagnaten mit wahnsinnig übersteigerter Machtgier. Er ist insoweit irrational, als er niemals erfüllen kann, was seine Anhänger sich wünschen; man darf daher den Faschismus nicht philosophisch, nur psychoanalytisch sehen. Wenn er sich allgemein durchsetzen könnte, würde sich ungeheures Elend daraus ergeben; da er aber außerstande ist, das Problem des Krieges zu lösen, wird es für ihn unmöglich, über einen kurzen Zeitraum hinaus erfolgreich zu sein.
Ich halte es für unwahrscheinlich, dass Amerika und England faschistisch werden, weil in beiden Ländern die parlamentarische Regierungsform traditionell und zu stark verwurzelt ist, um eine solche Entwicklung zuzulassen. Der Durchschnittsbürger hat ein Gefühl dafür, das die öffentlichen Angelegenheiten auch die seinen sind, und er würde nicht das Recht einbüßen wollen, seine politische Meinung zum Ausdruck zu bringen. Allgemeine Wahlen und Präsidentschaftswahlen sind sportliche Ereignisse wie das Derby, und ohne sie wäre das Leben nicht halb so schön. In Frankreich kann man der Sache nicht so sicher sein. Trotzdem würde es mich überraschen, wenn Frankreich faschistisch würde, es sei denn kurzfristig während des Krieges.
Gewisse Einwände aber – und zwar sind es meiner Meinung nach die stärksten – richten sich gleichermaßen gegen Kommunismus und Faschismus. Beide sind Versuche einer Minderheit, eine Bevölkerung gewaltsam entsprechend einer vorgefassten, schablonenhaften Vorstellung umzubilden. Sie sehen in einem Volk nur, was ein Mann, der eine Maschine zu konstruieren gedenkt, indem dazugehörigen Material sieht: das Material erfährt starke Veränderung, jedoch nach den Absichten des Konstrukteurs, nicht nach einer Material innewohnenden gesetzmäßigen Entwicklung. Wo es sich jedoch um Lebewesen handelt und vor allem um Menschen, hat eine natürliche Entwicklung die Tendenz, bestimmte Ergebnisse zu erzielen, während andere Ergebnisse nur durch eine gewisse gewaltsame Einflussnahme zu erwirken sind. So mag es Keimforschern gelingen, Tiere mit zwei Köpfen oder einer Nase an der Stelle, wo ein Huf sitzen sollte, zu züchten, aber solche Abnormalitäten finden das Leben nicht sehr erfreulich. In gleicher Weise verändern und verbilden die Faschisten und Kommunisten mit ihrer Vorstellung von Gesellschaft als einem ganzen die einzelnen so lange, bis sie sich in die Schablone einfügen lassen; wer sich nicht hinreichend verbilden lässt, wird umgebracht oder in ein Konzentrationslager geschickt. Ich glaube, eine derartige Auffassung, die natürlichen Impulse des Individuums völlig missachtet, ist ethisch nicht zu rechtfertigen, noch kann sie auf Dauer politisch erfolgreich sein. Ein Strauch lässt sich beschneiden bis er Pfauengestalt hat, und die gleiche entstellende Gewalt kann man auch dem Menschen antun. Aber der Busch verhält sich passiv, während der Mensch, was auch immer der Diktator verlangen mag, aktiv bleibt, wenn nicht in der einen, so doch in der anderen Sphäre. Der Strauch kann das was ihn der Gärtner über den Gebrauch der Schere gelehrt hat, niemandem weitervermitteln, aber der verbildete Mensch wir immer noch schwächere zu finden wissen, die er seinerseits entsprechend zurechtstutzen kann. Dieses unnatürliche Umbilden muss beim einzelnen unweigerlich Unbarmherzigkeit oder Gleichgültigkeit erzeugen, vielleicht beides im Wechsel. Und von einem Volk mit solchen Charakteristika ist nichts gutes zu erwarten.
Die moralische Wirkung auf den Diktator ist ebenfalls eine Angelegenheit, der sowohl Kommunisten wie Faschisten nicht genügend Beachtung schenken. Ist er, um damit zu beginnen, ein Menschenfeind, dann wird er von Anfang an übermäßig unbarmherzig sein und im Verfolgen seiner unmenschlichen Ziele vor keiner Grausamkeit zurückschrecken. Wenn er Anfangs Mitleid empfindet mit den Menschen, die er auf Grund seiner Theorien ins Elend bringen muss, wird er entweder einem hartgesottenen Nachfolger Platz machen oder seine menschenfreundlichen Gefühle unterdrücken müssen; in diesem Falle wird er wahrscheinlich noch sadistischer werden als der Mann, der einen solchen inneren Kampf nicht zu bestehen hatte. In jedem Falle wird die Regierung in der Hand unbarmherziger Männer liegen, die ihre Machtgier mit dem Streben nach einem bestimmten Gesellschaftstyp tarnen. Mit der zwangsläufigen Logik des Despotismus wird alles, was an den ursprünglichen Absichten der Diktatur gut gewesen sein mag, allmählich völlig dahinschwinden, und es wird sich mehr und mehr herausstellen, dass es der unverhüllte Zweck des Staatsapparates ist, dem Diktator die Macht zu erhalten.
Auf den intensiven Umgang mit Maschinen ist etwas zurückzuführen, was man als Manipulanten-Trugschluss bezeichnen könnte; das heißt, Individuen und Gesellschaften werden behandelt, als wären sie seelen- und leblos, und Manipulanten, als wären sie göttliche Wesen. Die Menschen verändern sich durch die Behandlung, und die Behandelnden selbst verändern sich auf Grund der Wirkung, die das Behandeln auf sie ausübt. Die gesellschaftliche Dynamik ist daher eine sehr schwierige Wissenschaft, und man weiß weniger von ihr, als notwendig wäre, um eine Diktatur zu stützen. In dem typischen Manipulator ist jedes Gefühl für die natürliche Entwicklung eines Patienten atrophiert; daraus ergibt sich aber nicht, wie er hofft, passives Einfügen in eine Stelle der vorbestimmten Schablone, sondern eine krankhafte, verzerrte Entwicklung, die zu einem grotesken und makabren Modell wird. Das stärkste Argument zugunsten der Demokratie und der Gedlud ist die Tatsache, dass ein Element der freien Entwicklungsmöglichkeit, der Willens- und Bewegungsfreiheit und der unbeeinflussten, natürlichen Lebensweise von wesentlicher Bedeutung ist, wenn die Menschen nicht zu missgestalteten Ungeheuern werden sollten. Und da ich nun einmal glaube, dass die kommunistische und die faschistische Diktatur gleichermaßen abzulehnen sind, beklage ich in jedem Fall die Tendenz, in ihnen die einzigen Alternativen zu sehen und die Demokratie als überholt und veraltet abzutun. Wenn die Menschen die beiden Diktaturen für die einzigen Alternativen halten, wird es soweit kommen, dass sie es werden; wenn die Menschen aber anderer Überzeugung sind, werden sie dadurch diese Entwicklung verhindern können.
Quelle: http://find.nlc.cn/search/doSearch?query=bertrant%20russel&secQuery=&actualQuery=bertrant%20russel&searchType=2&docType=%E5%85%A8%E9%83%A8&isGroup=isGroup&targetFieldLog=%E5%85%A8%E9%83%A8%E5%AD%97%E6%AE%B5&fromHome=true
Quelle: http://www.nl.go.kr/nl/search/search.jsp?all=on&topF1=title_author&kwd=Bertrand+Russell
Quelle: https://search.rsl.ru/ru/search#q=bertrand%20russel
Joe C. Whisper