Klassiker der Weltliteratur – Edgar Alan Poe – Der Geschäftsmann

in #deutsch6 years ago

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Werte Steemis,

mit der Reihe „Klassiker der Weltliteratur“ und nach all der Bosheit und Niedertracht, die ihr erfahren durftet, möchte ich euch heute eine geistige Entspannung bieten, ein literarisches Weinträubchen reichen, dazu gibt es zarten Elchkäse, einen satten, trockenen Rotwein und knuspriges Pariser-Brot.

Es ist eine kurze Geschichte von Edgar Allan Poe „Der Geschäftsmann“, einige von euch werden sie kennen, andere nicht und nur wenige verstehen - doch seid versichert, Poe gehört zu den ganz großen Schriftstellern.

Merke: „Gute Bücher und Schriften sind wie Austern, will man an die Perlen gelangen, muss man tief tauchen, Miesmuscheln hingegen, liest man am Strand auf“.

Kritik: Die Literatur könnte m. M. n. denkbar und ohne größere Einbußen, auf einige Weltliteraten verzichten, aber keinesfalls auf Poe.


Kurze Geschichte

Edgar Allan Poe

Der Geschäftsmann


Ich bin ein Geschäftsmann – ein Mann von Methode. Methode ist die Hauptsache im menschlichen Leben. Niemanden verachte ich herzlicher als die exzentrischen Narren, die Methode predigen, ohne selbst eine Ahnung von ihr zu haben. Sie halten sich gewöhnlich streng an den Buchstaben und vergewaltigen seinen Sinn. Diese Burschen tun die hirnverbranntesten Dinge – wie sie behaupten ›mit Methode‹. Das ist jedoch ein richtiges Paradoxon. Wirkliche Methode kann man nur auf alltägliche und klar auf der Hand liegende Dinge anwenden, niemals auf phantastisches, verrücktes Zeug. Oder ist vielleicht ein methodischer Guckindiewelt, ein systematischer Faselhans, ein Ding der Möglichkeit?

Dass ich so vollständig klare Betrachtungen über das Thema ›Methode‹ anstellen kann, verdanke ich einem glücklichen Zufall, der sich in meiner ersten Kindheit ereignete. Eine gutherzige alte Amme (die ich in meinem Testament nicht vergessen werde) nahm mich eines Tages, als ich wieder einmal unnötig viel Spektakel vollführte, bei den Fersen, schwang mich einige Male in der Luft herum, wünschte mich in die Hölle und stieß mich schließlich wiederholtermaßen mit dem Kopfe gegen einen Bettpfosten, dieser Vorfall entschied meines Erachtens mein Schicksal. Es zeigte sich nämlich plötzlich eine Beule an meinem Schädel, die sich zu einem so prächtigen Ordnungsorgan entwickelte, wie man es sich nur an schönen Sommertagen ausdenken kann. Daher rührt jener unbezwingbare Heißhunger nach System und Regelmäßigkeit, der mich zu dem ausgezeichneten Geschäftsmanne gemacht hat, als der ich heute vor aller Welt dastehe. Wenn ich etwas auf Erden hasse, so ist es das Genie. Eure Genies sind lauter herumirrende Esel – je größer das Genie, um so größer ist auch der Esel! Und diese Regel kennt keine Ausnahme. So könnt ihr zum Beispiel aus keinem Genie einen Geschäftsmann machen, ebenso wenig wie Geld aus einem Juden oder Pfeffernüsse aus Tannenzapfen. Diese Geschöpfe, diese Genies, kommen plötzlich mit irgendeiner phantastischen Idee oder lächerlichen Spekulation, die von Grund auf im Widerspruch zur ›Zweckmäßigkeit der Dinge‹ steht; und sie betreiben Geschäfte, die man überhaupt nicht als solche ansehen kann. Man kann diese Charlatan-Charaktere gleich an der Natur ihrer Beschäftigungen erkennen. Finden Sie zum Beispiel einen Mann, der sich als Kaufmann oder Fabrikant niederzulassen gedenkt oder irgendein anderes exzentrisches Geschäft betreibt, wie das eines Schnittwarenhändlers, eines Seifensieders, eines Juristen oder Arztes, so ist er unfehlbar ein Genie und, der Regel zufolge, also – ein Esel.

Nun bin ich durchaus kein Genie, sondern ein regelrechter Geschäftsmann. Mein Journal und mein Hauptbuch würden es auf der Stelle beweisen. Ich muss gestehen, sie sind in bester Ordnung, und was Akkuratesse und Pünktlichkeit anbetrifft, da kommt mir keiner gleich. Überdies standen meine Beschäftigungen immer in Einklang mit den Gebräuchen meiner Mitmenschen. Nicht, als ob ich mich meinen überaus schwachköpfigen Eltern für diese hervorragende Eigenschaften verpflichtet fühlte, nein, sie hätten im Gegenteil sicher auch so ein umherirrendes Genie aus mir gemacht, wäre mir nicht mein Schutzengel beizeiten zu Hilfe gekommen. In einer Biographie ist wohl jedes Wort wahr und in einer Autobiographie erst recht, und doch wird man mir schwerlich glauben, wenn ich hier konstatieren muss, dass mein armer Vater mich mit fünfzehn Jahren in ein Bureau schickte, in dem es, wie er sich ausdrückte, durchaus anständig und ehrenhaft herginge. Die Folgen dieses Wahnsinns blieben denn auch nicht aus: Nach drei Tagen musste man mich meiner vernagelten Familie zurücksenden mit hochgradigem Fieber und heftigen und gefährlichen Schmerzen in meinem Schädel, die sich hauptsächlich in der Gegend des besagten Ordnungsorganes bemerkbar machten. Damals war es fast um mich geschehen; sechs Wochen lang schwebte ich zwischen Tode und Leben; die Ärzte und Konsorten gaben mich überhaupt schon auf. Aber obwohl ich sehr litt, siegte doch am Ende meine prächtige Konstitution. Ich blieb vor dem Schicksal bewahrt, ein unständiger, ›ehrenhafter Kaufmann‹ zu werden, und war gegen die Beule, die das Mittel zu meiner Rettung gewesen, wie gegen das gutherzige Weib, das mir zu diesem Organ verholfen hatte, von innigster Dankbarkeit erfüllt.

Die meisten Knaben verlassen ihr Vaterhaus mit zehn oder zwölf Jahren, aber ich wartete, bis ich sechzehn alt war. Ich wäre wahrscheinlich selbst dann noch nicht gegangen, wenn meine alte Mutter nicht davon gesprochen hätte, mich als Zigarrenhändler selbständig zu machen. Man denke – als Zigarrenhändler! So beschloss ich nun kurzerhand, mich nach irgendeiner ordentlichen Beschäftigung umzusehen, ohne Rücksicht auf die überspannten alten Leute, bei denen ich noch Gefahr lief, zu einem Genie gemacht zu werden. Mit diesem Entschluss hatte ich gleich beim ersten Versuche Glück, und als ich achtzehn Jahre alt geworden war, betrieb ich das ausgedehnte und einträgliche Geschäft einer ›wandelnden Reklame‹ für ein Konfektionshaus.

Nur durch ein streng systematisches Vorgehen wurde es mir möglich, die beschwerlichen Pflichten, die ein solcher Posten mit sich brachte, zu erfüllen. Gewissenhafte Methode charakterisierte meine Handlungen wie meine Berechnungen. In meinem Falle war es die Methode, nicht das Geld, was den Mann machte oder wenigstens alles an ihm, was nicht von dem Schneider, bei dem er angestellt, gemacht worden war. Um neun Uhr morgens zog ich meine Kleidung an. Um zehn Uhr befand ich mich auf irgendeiner belebten Promenade oder in einem öffentlichen Vergnügungslokal. Die präzise Regelmäßigkeit, mit der ich meine schon damals recht ansehnliche Person nach den verschiedenen Richtungen drehte, um meinen Anzug zur Geltung zu bringen, erntete allgemeine Bewunderung bei meinen erfahrenen Kollegen. Kein Morgen verging, ohne dass ich meinen Prinzipalen, den Herren Schnitt und Beutelschneider, einen Kunden zugeführt hätte. Ich erzähle dies voll Stolz, doch mit Tränen im Auge, denn besagte Personen bewiesen sich als die undankbarsten Kreaturen, die je die Sonne beschienen. Die kleine Rechnung, wegen der wir uns entzweiten und die den endgültigen Bruch zwischen uns herbeiführte, wird von keinem Menschen als Überforderung angesehen werden können, der Sach- und Fachkenntnis hat. Es verschafft mir eine stolze Genugtuung, den Leser selbst urteilen zu lassen. Meine Rechnung lautete wie folgt:

Herrn Schnitt und Beutelschneider,
Konfektionshaus,
von Peter Profitlich, Wandelnde Reklame.


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Den Hauptanlass zu unseren Meinungsverschiedenheiten gab die für Papierwäsche ausgelegte Mark. Mein Ehrenwort, es war nicht zuviel für diese Wäsche, für das sauberste, niedlichste Vorhemdchen, den entzückendsten Kragen, den ich je gesehen und dem allein der Verkauf von wenigstens drei Flausröcken zuzuschreiben ist. Der ältere Kompagnon der Firma, Herr Schnitt, wollte mir nur fünfzig Pfennige bewilligen und die anderen fünfzig schneiden; er begründete sein schäbiges Verhalten mit der Behauptung, er könne aus einem Bogen Propatriapapier gerade viermal soviel Wäsche anfertigen. Es ist wohl überflüssig, noch einmal zu versichern, dass ich meinem Prinzip treu blieb. Geschäft ist Geschäft. Und in dem ihren schien absolut kein System zu sein, da Sie es wagten, mir so einfach fünfzig Pfennig abschwindeln zu wollen. Das war doch eine offenkundige Unterschlagung von fünfzig Prozent, und noch dazu eine ohne die geringste Methode.

Ich trat also sofort aus der Firma Schnitt und Beutelschneider aus und suchte meinen Lebensunterhalt durch Bauspekulationen zu verdienen. Meine strenge Rechtlichkeit und Sparsamkeit, meine festen Geschäftsprinzipien kamen mir auch hier wieder sehr zustatten und verschafften mir bald einen Ruf. Mit Kleinigkeiten gab ich mich überhaupt nicht ab und betrieb das Geschäft mit der an mir bekannten Klugheit und Übersichtlichkeit. Leider wurde ich auch aus diesem mir lieb gewordenen Wirkungskreis allzu bald durch eine missglückte kleine Geschäftsspekulation, wie sie dies Gewerbe so mit sich bringt, wieder herausgerissen. Wenn irgendein alter, reicher Hungerleider, ein verschwenderischer Erbe oder irgendeine Gesellschaft einen Palast aufbauen will, so gibt es bekanntlich nichts Eiligeres zu tun, als sie irgendwie zu behindern; jeder gescheite Mensch weiß das. Sobald also irgend solch ein Bau projektiert ist, muss sich ein guter Spekulant einen kleinen Teil des in Aussicht genommenen Platzes oder eine Baustelle gleich gegenüber verschaffen. Dann wartet er, bis das betreffende Gebäude zur Hälfte aufgeführt ist, und lässt nunmehr von einem geschickten Architekten einen reich mit Schmierornamenten versehenen Schuppen, Schweinestall oder irgendein anderes phantastisches kleines Gebäude dort hinsetzen. Er kann natürlich die Sache nicht wieder abreißen lassen, ohne eine Entschädigung von fünfhundert Prozent auf den Kaufpreis der Baustelle und des Gebäudes zu beanspruchen. Oder kann er es vielleicht? Mit dieser Frage wende ich mich an jeden wirklichen Geschäftsmann. Es wäre unvernünftig zu behaupten, dass man es doch könnte. Und trotzdem gab es eine Gesellschaft, die niederträchtig genug war, das von mir zu verlangen. Ich antwortete nicht einmal auf ihre Vorschläge; nur hielt ich es für meine Pflicht, in der folgenden Nacht hinzugehen und ihren ganzen Palast schwarz anzustreichen. Jedoch verklagte mich diese blödsinnige Bande daraufhin, und ich musste einige Zeit bei Wasser und Brot leben. Als man mich wieder auf freien Fuß gesetzt hatte, vermieden es meine Geschäftsfreunde ängstlich, mit mir in Beziehung zu treten, wodurch ich gezwungen war, diese Berufstätigkeit niederzulegen.

Nun kam ich auf die Idee, aus tätlichen Beleidigungen pekuniären Vorteil zu ziehen (was tut man nicht alles, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen?); aber meine schwächliche Konstitution gebot mir nur zu bald Einhalt. Auch diesem Geschäfte hatte ich mich mit frischem Mut gewidmet und dank meiner methodischen Genauigkeit auch da meinen Verdienst gefunden. Ach, ich wäre wirklich der schändlichste Mensch, wenn ich die famose alte Amme, die mir zu meinem Ordnungsorgane verhelfen, in meinem Testamente vergessen würde! Wie gesagt, durch mein streng systematisches Vorgehen in jeder Angelegenheit, durch meine unvergleichliche Buchführung, gelang es mir, auch in dieser Branche mich recht gut einzuarbeiten. Ich schmeichle mir, dass wohl wenige Personen ein saubereres Geschäft betrieben. Damit ich nicht gezwungen bin, mein eigenes Lob zu singen, will ich eine kleine Abschrift von meinem Journal geben, und wohlbemerkt: ein Journal lügt nie:

  1. Januar. Neujahrstag. Traf auf der Straße Walter Feist betrunken. – NB. er ist gut. – Traf Walter Dürr kurz darauf sinnlos betrunken. – NB. auch gut. – Trug beide in mein Hauptbuch ein und eröffnete mit jedem eine laufende Rechnung.

  2. Januar. Traf Dürr bei der Bank, ging auf ihn zu und trat ihn auf die Zehen. Schlug mich mit der Faust nieder. Famos! – stand wieder auf. Kleine Auseinandersetzung mit Quatsch, meinem Rechtsanwalt. Ich verlange tausend Mark Entschädigung, aber er meint, dass man für solch einfaches Niederschlagen nur fünfhundert verlangen könne. NB. muss den Quatsch loswerden; Mann hat auch kein System.

  3. Januar. Ging ins Theater, um Feist zu treffen. Sah ihn in einer Seitenloge auf dem zweiten Rang zwischen einer dicken und einer dünnen Dame. Starrte die ganze Zeit durch mein Opernglas hinüber, bis ihm die dicke Dame errötend etwas zuflüsterte. Trat dann in die Loge und brachte meine Nase in die Nähe seiner Hand. Wollte sie durchaus nicht boxen. Ich stieß ihn an – es half nichts. Dann setzte ich mich und nickte der dünnen Dame zu, worauf ich dann endlich die Genugtuung hatte, dass er mich beim Kragen nahm und ins Parterre hinunterwarf. Hals verrenkt und rechtes Bein bedeutend geschunden. Fuhr in höchster Wonne nach Hause, trank eine Flasche Sekt auf Feists Wohl und buchte den jungen Mann für fünftausend Mark. Quatsch ist damit einverstanden.

15 Februar. Fall Dürr kam zum Ausgleich. Betrag im Journal gebucht, l,- Mk.

16 Februar. Fall Kleist erledigt. Der Elende schenkte mir zwanzig Mark. Kosten sechzehn Mark und fünfzig Pfennige, bleiben als Verdienst drei Mark fünfzig Pfennige.“

Jeder sieht klar, dass ich in ganz kurzer Zeit allein durch Feist und Dürr einen baren Verdienst von vier Mark und fünfzig Pfennigen aufweisen konnte; und ich versichere noch einmal feierlichst, dass ich diese Auszüge aufs Geratewohl aus meinem Journal genommen.

Aber ein altes und wahres Sprichwort sagt, dass Gesundheit mehr wert ist als Geld. Die Anforderungen, die dieser Beruf an meine Konstitution stellen, erwiesen sich mit der Zeit doch als zu stark für meinen empfindlichen Körper. Ich war vollständig aus dem Façon geschlagen und wusste nicht recht, was ich anfangen sollte. Als mich meine Freunde, wenn sie mich auf der Straße trafen, nicht mehr erkennen konnten, wurde es mir klar, dass ich diesen Erwerbszweig doch besser mit einem anderen vertauschte, und wurde also Straßenkehrer.

Das Unangenehmste bei dieser Beschäftigung war der Umstand, dass zu viele Menschen eine Vorliebe für dieselbe hatten und dadurch die Konkurrenz zu groß wurde. Jeder Dummkopf, der herausgefunden hat, dass er nicht genügend Gehirn besitzt, um sich als wandelnde Reklame oder Bauspekulant seinen Unterhalt zu suchen oder gar aus Körperverletzungen Vorteil zu ziehen, hält sich immerhin noch für befähigt, Straßen zu kehren. Und doch ist es durchaus irrig zu glauben, diese Tätigkeit bedinge keine geistigen Gaben. Vor allen Dingen gehört Methode dazu. Ich hatte bloß ein Detail-Geschäft, und doch fand ich mit Hilfe meines Systems dabei mein gutes Auskommen. Ich wählte mir die nächstliegende Straßenkreuzung und setzte meinen Besen prinzipiell auf keinen anderen Platz der Stadt. Ich trug Sorge, dass immer eine kleine Pfütze in meiner Nähe war. Verfehlte je ein Mensch, mir die üblichen Pfennige zu geben, so kam er sicher nicht mit sauberen Beinkleidern über meine Kreuzung. Und da meine Geschäftsprinzipien in diesem Punkte allgemein bekannt waren, machte keiner den Versuch, sich zu widersetzen. Ich habe nie jemanden betrogen und brauche mir also auch keinen Betrug von anderen gefallen zu lassen. Die Unterschlagungen an den Banken kann ich allerdings nicht verhindern. Wenn sie ihre Zahlungen einmal einstellen sollten, wäre ich ruiniert. Aber das sind ja keine Personen, sondern Gesellschaften, und Gesellschaften haben ja bekanntlich weder Körper, die man treten, noch Seelen, die der Verdammnis anheimfallen könnten.

In einem unglücklichen Augenblicke gab ich denn auch diesen Erwerbszweig, obwohl er mir genügend Geld einbrachte, auf und wurde Stiefelputzer, was wohl ein ähnliches, aber bei weitem kein so achtbares Gewerbe ist. Die Stelle, die ich mir aussuchte, war sicherlich eine der vorteilhaftesten im Mittelpunkte der Stadt; dazu hatte ich Wichse und Bürsten erster Qualität. Mein kleiner Hund war wohlgenährt und sehr gut dressiert. Unser Geschäftskniff war folgender: Viehchskerl – so hieß der Hund – saß, nachdem er sich recht im Schmutz gewälzt hatte, an einer Ladentüre und wartete, bis er einen Herrn mit blankgeputzten Stiefeln herkommen sah. Eiligst lief er auf ihn zu und brachte sein Fell in innigste Berührung mit besagten Stiefeln. Der Herr stieß dann gewöhnlich einige kräftige Flüche aus und sah sich nach einem kräftigen Stiefelputzer um. Natürlich war er glücklich, mich gleich vor sich zu sehen, und im Handumdrehen hatte ich fünfundzwanzig Pfennig verdient. Das ging eine Zeitlang gut –; ich war wirklich nicht habgierig, leider aber war es mein Hund. Ich hatte ihm ein Drittel vom Einkommen bewilligt, Viehchskerl aber bestand auf der Hälfte. Da sich diese Forderungen mit meinen Prinzipien nicht vereinbaren ließen, gerieten wir in Streitigkeiten und trennten uns.

Darauf versuchte ich es mit Drehorgelspielen, wobei ich auch wieder mein gutes Auskommen fand. Es ist eine einfache Beschäftigung und erfordert keine besondere Geschicklichkeit. Man braucht sich nur eine Drehorgel zu kaufen, die eine einzige Melodie spielt und mit einem Hammer einige Male in das Werk hineinzuschlagen. Letzteres macht den Ton für geschäftliche Interessen erst wirklich brauchbar. Dann zieht man durch die Straßen, bis man ein Haus findet, dessen Schellenknopf mit Trauerflor umwunden und dessen Läden fest geschlossen sind. Dort fängt man an zu spielen, als ob man nie wieder aufhören wolle. Gleich öffnet sich ein Fenster, jemand wirft ein Zehnpfennigstück heraus mit der Bemerkung, man möge aufhören und weggehen. Manche Orgelspieler sollen wirklich schon für diese Summe fortgehen, aber ich habe es immer zum Geschäftsprinzip gemacht, es nicht unter zwanzig bis dreißig Pfennigen zu tun. Dies Geschäft betrieb ich längere Zeit, doch befriedigte es mich nicht vollständig, und ich sah mich nach einem anderen Erwerb um.

Zwischendurch war ich dann einige Monate stellenlos, doch gelang es meinen geschickten Bemühungen bald, Anstellung bei der ›falschen Post‹ zu bekommen. Meine Pflichten waren sehr einfach und recht einträglich: Früh am Morgen fertigte ich ein Paket falscher Briefe an. In jedem steckte ein Zettel mit einigen möglichst mysteriösen Worten, unterzeichnet Ypsilon Smith. Dann siegelte ich dieselben und versah sie mit falschen Postmarken und Poststempeln aus Peking, Kapstadt, London oder irgendeinem anderen weit entfernten Orte. Drauf lieferte ich die Briefe in den großen Häusern ab, und ließ mir das Überporto einhändigen. Niemand zögerte zu zahlen – die Menschen sind nun einmal so dumm –, und ich fand immer noch genügend Zeit, um die nächste Ecke zu verschwinden, ehe man den Brief geöffnet hatte. Unangenehm bei dieser Beschäftigung war nur, dass ich so viel und so schnell gehen musste und außerdem meinen Weg immer zu verändern hatte. Dazu stellten sich Gewissensbisse bei mir ein. Ich kann nun einmal nicht vertragen, dass unschuldige Menschen beschimpft werden – und die Art und Weise, wie die ganze Stadt bald über Ypsilon Smith fluchte, spottet jeder Beschreibung. Ich wasche also meine Hände in Unschuld.

Meine achte und letzte Spekulation war die Katzenzucht. Sie erwies sich als angenehmes und lukratives Geschäft. Unsere Stadt ist bekanntlich sehr reich an Katzen, und ihre Zahl ist in letzter Zeit so bedenklich gewachsen, dass man eine Petition eingereicht hat, dieser Plage Einhalt zu tun. In der letzten Stadtratssitzung wurde sie verhandelt und schließlich die Katzen-Akte aufgesetzt. In ihrer ursprünglichen Fassung war der Vorschlag gemacht worden, eine Prämie von vierzig Pfennigen auf jeden Katzenkopf auszusetzen. Das wurde dann dahin umgeändert, dass die Schwänze anstatt die Köpfe bezahlt werden sollten, und diese Änderung wurde vom Stadtrat einstimmig gebilligt und angenommen.

Kaum hatte der Oberbürgermeister diesen Paragraphen unterzeichnet, da wusste ich nichts Eiligeres zu tun, als alle Miezen und Pussies der Umgebung einzufangen. In der ersten Zeit konnte ich keine kostspieligere Nahrung als Mäuse für sie erschwingen, doch erfüllten sie die Weissagung der hl. Schrift in so ausgedehntem Maße, dass ich schließlich imstande war, sie mit Turteltauben zu füttern. Ihre Schwänze verschaffen mir ein gutes Einkommen, denn ich habe ein Verfahren entdeckt, vermittels dessen ich drei Stutzschwänze im Jahre erzielen kann. Zu meinem Entzücken bemerkte ich übrigens bald, dass sich die Tiere in erfreulicher Weise an die Operation gewöhnten, ja, dass sie sich ohne Schwänze wohler fühlten als mit den lästigen Anhängseln. Ich darf mich daher schon als gemachter Mann betrachten und stehe denn auch augenblicklich in Unterhandlungen, die wohl zum Ankauf einer Villa führen werden.

ENDE

Quelle: https://www.lernhelfer.de/sites/default/files/lexicon/pdf/BWS-DEU2-0806-08.pdf

Joe C. Whisper

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