Aus der Reihe „Lachende Literaten“ – „Schwermütiger Brief der Sonne an den Mond“ von David Kalisch

in #deutsch6 years ago (edited)

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Werte Steemis,

aus der Reihe „Lachende Literaten“ und nach all der Schaffenskraft, die ich für euch leiste, muss ich mir eine kurze, erholsame Auszeit gönnen, damit ihr euch in dieser Zeit nicht langweilt, bekommt ihr selbstverständlich, ermunternden Lesestoff geboten.

Heute für euch - David Kalisch „Schwermütiger Brief der Sonne an den Mond“.

Kritik: ruht – wenn ich ruhe


David Kalisch

Schwermütiger Brief der Sonne an den Mond


Von dem Licht kommt das Gefunkel,
Und der Dünkel kommt vom Dunkel;
Laß das Licht, o Menschheit funkeln,
Dann wird Dünkel nicht mehr dunkeln.
Anonymus.

Mein lieber Mond! Der Überbringer dieser Zeilen, ein angehender Komet mit viel versprechenden Anlagen, sei dir herzlich empfohlen. Er hat sich bereits in verschiedenen Tierkreisen bewegt und weiß sich zu benehmen. Dass ich Dir, mein treuerer Mond, schon so lange nicht geschrieben, liegt in meiner Stimmung, die eine höchst verdrießliche ist. Ich lebe zwar in sehr glänzenden Verhältnissen und bin so zu sagen der Mittelpunkt, um welchen sich manche vornehme Welt bewegt; allein das ist noch lange nicht genug zur Zufriedenheit. Im Gegenteil! die Zudringlichkeit dieser Körper macht mich höchst unglücklich; besonders gilt dies von der Erde, deren Trabant du bist. Diese Erde, die sich täglich mit so viel Wohlgefallen um sich selbst dreht, wie viel Kummer hat sie mir schon gemacht! Du weißt, dass ich den Menschen von jeher gewogen war; aber wie undankbar, wie gemein benehmen sie sich gegen mich! Sie achten an mir wie an ihren Mitgeschöpfen nur den Schein und missbrauchen mein leuchtendes Angesicht zu nichtsnutzigen Dingen. Sie haben jetzt ein Instrument erfunden, Daguerreotyp genannt, und ich bin verdammt der Nachwelt Köpfe zu bewahren, welche nicht wert sind, dass ich sie bescheine. Du weißt ferner, wie angelegen ich mir's stets sein ließ, den Menschen da unten ihr täglich Brot zu bescheren, wie sehr ich jeden Keim liebevoll aus der Erde lockte und gedeihen ließ, damit sich die Erdensöhne satt essen können. Aber es scheint, dass ihnen meine Güte nicht sehr angenehm. Sie haben da unten eine Klasse von Menschen, die in der irdischen Sprache Wucherer genannt werden. Diese Wucherer machen ein verdrüßliches Gesicht, wenn sie das meinige heiter sehen. Sie scharren die goldene Frucht zusammen, die durch meinen Gnadenblick gereift und spekulieren auf den Hunger der Menschheit. Welch' niederträchtiges Geschlecht! Das unvernünftige Tier sammelt doch nur den Vorrat, um seine nötigsten Bedürfnisse zu befriedigen; das Wucherergeschlecht aber vermünzt den Schweiß des Landmanns und macht die Quelle des Elends zur Quelle seines Reichtums. Und solche Schufte wandeln ungehängt auf dieser Erde herum und sehen mit Verachtung auf diejenigen herab, deren Wohlfahrt sie verschlingen. So geht's überhaupt auf dieser Erde. Das Laster ist dort gewöhnlich die Leiter des Reichtums, und hoch steht nur der, welcher sich auf die Schultern des Andern stellt.

Sie verehren auf dieser Erde eine Göttin, welche sie die Gerechtigkeit nennen. Diese Gerechtigkeit ist blind und hält eine Wage in der Hand. Wenn sie nicht blind wäre, hätte sie gewiss schon lange diese Wage fortgeschleudert, deren Zunge so sehr selten die Wahrheit spricht und in deren Schale das Gold spezifisch schwerer ist als die Tugend. Sie erweisen mir die Ehre, mich immer in Gesellschaft ihrer Gerechtigkeit zu nennen; aber diese Sonne der Gerechtigkeit ist nur eine Nebensonne, eine bloße Lufterscheinung, und die irdischen Gerichtshöfe sind wie die Höfe des Mondes und der Sonne nur feuchter Nebel. Die albernen Menschen glauben gewöhnlich, die Gerechtigkeit sei nur da, um dem Unrecht zu steuern; allein die Gerechtigkeit verhält sich zum Unrecht wie der Arzt zum Patienten. Es gibt nämlich nicht so viele Ärzte der Patienten wegen, sondern umgekehrt. Woher sollten denn die Ärzte leben, wenn sich die Menschen nicht von ihnen behandeln ließen? Ein guter Arzt macht erst krank, bevor er heilt, und die irdische Gerechtigkeit schafft erst das Unrecht, um es dann abzuschaffen.

Wo man viele Götter verehrt, kennt man die wahre Gottheit nicht, und wo man viele Rechte findet, wird man das wahre Recht vergebens suchen. Sie haben auf der Erde ein Staatsrecht und ein Kirchenrecht; sie haben aber auch sogenannte Menschenrechte. Diese Menschenrechte werden vom Staatsrecht und Kirchenrecht so innig an's Herz gedrückt, dass ihnen der Athem ausgeht. Damit sie nicht vergessen, dass sie Rechte besitzen, führen sie Bücher darüber. Eines dieser Bücher wird Corpus juris genannt, das ist ein schwerfälliger Körper, der fest gebunden werden muß, wenn er zusammenhalten soll. Dieser Körper hat schon manchem Geiste viele Beschwerden verursacht.

Du weißt, mein treuerer Mond, dass es einst eine Zeit gab, wo man mich, die Spenderin des Lichtes, angebetet. Damals kannten die Menschen die Aufklärung nicht. Jetzt, da sich die Menschen der Aufklärung rühmen, scheinen sie keinen Gefallen an meiner Klarheit zu finden. Als Du Anno 1842 durch Deinen Schatten mein Licht der Erde entzogen, liefen sie voll Freude herbei, um das schöne Schauspiel zu betrachten. In Wien, wo damals eine totale Finsternis herrschte, wurde mir sogar vom ganzen Publikum applaudiert. Sie waren mit meiner Gastrolle höchst zufrieden. Da ich aber die Rolle der Finsternis nicht wieder übernehmen wollte, wurde ich nicht engagiert. Ein sonderbares Volk, diese Menschen! Die Erdfinsternis nennen sie Sonnenfinsternis! Weil sie mein Licht nicht sehen, glauben sie, ich hätte den Glanz verloren. So machen sie es mit ihren großen Geistern ebenfalls. Was sie nicht verstehen, nennen sie dunkel. Mein Anblick ist ihnen unerträglich, nicht etwa, weil mein Glanz zu stark, sondern weil ihr Auge zu schwach ist.

Licht ist Leben. Als die Gottheit das Universum in's Dasein rief, war ihr erstes Wort: Es werde Licht! Das Urwesen schafft nichts ohne Klarheit, und wo sich Gott und das Leben offenbart, da ist es hell, sonnenhell. Nun gibt es aber unter ihnen ein besonderes Geschlecht, dem mein klares, helles und warmes Wesen durchaus nicht behagt. Dies Geschlecht schlägt die Binde um das Auge der Menschen und führt sie dann unaufhörlich im beschränktesten Kreis herum. Wie das arme Pferd in der Mühle, drehen sich dann diese armen Menschen rastlos um denselben Fleck, und wenn der Abend gekommen, stehen sie noch immer da, wo sie am frühen Morgen gestanden. Da sich aber mein hellstrahlendes Licht nicht fortleugnen lässt, lehrt dies Geschlecht, ich sei ein bloßes Blendwerk und verderbe die Augen und der Weg zum wahren Lichte führe nur durch die Finsternis.

Mein treuerer Mond! Es hat auf der Erde unten eine Zeit gegeben, wo man glaubte, die Erde stünde still und ich drehete mich jahraus jahrein um sie herum. Als damals ein Mann behauptete, ich, die Sonne, das hellste Gestirn, sei der Mittelpunkt des Firmaments und alle Welten strebten nach meiner Nähe, um sich zu erleuchten und zu erwärmen: legten sie ihn auf die Folter; denn die Bewegung und das Streben nach dem Lichte taugte nicht in ihren Kram. Damals, teuerer Mond, hielten die Menschen gar manches für eine Erleuchtung, was doch nichts war, als ein nichtsnutziger Irrwisch, der auf dem Grabe der Vernunft herum hüpfte. Am Tage schwindet jeder Glanz vor meinem Glanze; in dunkler Nacht aber glänzt auch das faule Holz.

Wenn ich nun über diese und noch andere irdische Zustände nachdenke, werd' ich recht verdrießlich und ich würde der Erde schon längst mein Licht versagt haben, wenn nicht auch einige darauf wandelten, die sich gerne des Lichts erfreuen. Soviel aber ist gewiss, treuerer Mond, wenn ich denen da unten einst zu nahe komme, sie würden mich wegen meiner liberalen Ideen gewiss confiserien. Du, lieber Mond, hast nichts zu fürchten. Du bist in Deutschland namentlich eine sehr angenehme Erscheinung. Dein sentimentales Licht, das nur leuchtet, um die Nacht zu zeigen, aber nicht zu verscheuchen, füllt verliebte Herzen mit sanftem Troste. Du bist der Schutzpatron der deutschen Lyrik. Du unterrichtest die deutschen Jünglinge in den Anfangsgründen der Liebe und der Prosodie, und deine blonden Strahlen haben Reime ausgebrütet, welche an Zahl fast den deutschen Zensurgesetzen gleichkommen. Zwar bist auch Du in neuester Zeit etwas vernachlässigt worden, und die politische Poesie hat Dich sogar in die Acht erklärt, aber fürchte nichts, guter Mond! Du spielst noch immer die Hauptrolle im Kalender, und wenn Du voll bist, bewahrst du manchen schwachen Geist, der sich in ähnlichem Zustande befindet, vor vielem Kopfzerbrechen.

Ich würde Dir noch einige Bemerkungen schreiben; allein ich will dem Überbringer doch nicht zu viel anvertrauen. Sein etwas unregelmäßiger Wandel könnte ihn der Erde zu nahe bringen, und dann würde er, wenn man den Brief bei ihm entdeckt, gefänglich eingezogen werden, oder er käme gar unter polizeiliche Aufsicht, was einem angehenden Stern die künftige Laufbahn ganz zerstören kann.

Ich erwarte, mein teurer Mond, deine lieben Zeilen und küsse Dich mit den feurigsten Küssen.

Deine unwandelbare Sonne.


ENDE


Quelle: http://gutenberg.spiegel.de/buch/schlagschatten-7108/7


Joe C. Whisper

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