Aus der Reihe - „Lachende Literaten“ – „Der Untermensch“ von Rudolf Presber

in #deutsch6 years ago

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Werte Steemis,

aus der Reihe „Lachende Literaten“ und nach all der Schaffenskraft, die ich für euch leiste, muss ich mir eine kurze, erholsame Auszeit gönnen, damit ihr euch in dieser Zeit nicht langweilt, bekommt ihr selbstverständlich, ermunternden Lesestoff geboten.

Heute für euch - Rudolf Presbers „Der Untermensch“.

Kritik: ruht – wenn ich ruhe


Rudlof Presber

Der Untermensch


Als »Übermensch« ist nicht mehr viel zu holen. Selbst nicht, wenn man sich »Über-Mensch« schreibt. Die Konkurrenz ist zu groß. Es gibt eben schon gar zu viele Über-Menschen. Na und erst die Übermenschen, die sind schon so häufig, wie die Hummern bei Helgoland!

Ich will ja nicht gerade sagen, daß so ein Übermensch, der seinen Zarathustra gelesen hat und sich redlich bemüht, danach zu leben, gerade überall und zu allen Zeiten ein Übermensch zu sein braucht. Ach nein. Ich habe solche Übermenschen sich recht allgemein menschlich, wenn ich so sagen darf, recht »durchschnittlich« benehmen sehen. Ein »Wischer« von oben – denn auch für den Übermenschen gibt's, so wenig man's glauben sollte, noch ein Oben – oder eine versalzene Suppe, oder ein hohler Zahn haben plötzlich alle hohen Empfindungen in ihm getötet. Er ist wieder Mensch, ganz gewöhnlicher Mensch, sogar ohne bestimmte Abzeichen einer begnadeten Individualität. Er schneidet Gesichter – wie ein Mensch. Er schimpft – wie ein Mensch. Er flucht – wie ein Mensch. Und nicht einmal wie ein besonders begabter.

Solche Übermenschen sind mir stets ein Hauptspaß gewesen. Ich nenne sie »partielle Übermenschen.« Sie haben ihr ganz kleines, engumzirkeltes Gebiet, auf dem sie Übermenschen sind, eine imponierende Mischung von Genie und Verruchtheit. Auf allen anderen Gebieten sind sie arme Narren, die sich drucken und ducken und im Leben nicht mucken.

Da ist zum Exempel der »häusliche Übermensch.« Er ist irgendwo ein kleiner Angestellter, der nichts zu sagen und nichts zu bedeuten hat. Er kann sich von seinem knappen Gehalt nur alle drei Jahre einen neuen Paletot kaufen. Er wechselt dann ab: drei Jahre trägt er einen Sommer-Paletot und friert darin in den Weihnachtstagen, wie ein Schneider; die drei folgenden Jahre trägt er einen Winterpaletot und schwitzt im Frühjahr darin, wie ein Suahelineger.

Auf dem Bureau hat er neben seinem Haufen Arbeit nur eine Pflicht: den Mund zu halten. Er hat zwei direkte Vorgesetzte, die häufig wechseln. Aber es trifft sich immer so, daß der eine davon ein aufgeblasener Esel ist, der den armen, schlechtgenährten Kerl, der um sein karges Brot zittert, siebenmal im Tag anschreit, ihm dreimal mit Entlassung droht und ihm alle unangenehmen Arbeiten zuschustert.

Im Wirtshaus, das er an Sonn- und Feiertagen besucht, um in ein paar fettigen, illustrierten Journalen zu blättern, behandeln ihn die Kellner wegwerfend und argwöhnisch, wie einen Zechpreller, weil er nur fünf Pfennig Trinkgeld gibt und in einer zweistündigen Sitzung nur einen Schnitt konsumiert.

Aber – zu Hause!

Ja, zu Hause! Da ist er eben der Übermensch.

Er hat eine schmächtige, kleine Frau, glatt und reizlos, die aussieht, als hätte sie viele Jahre in einer alten Kiste zwischen sporfleckigen Folianten eingequetscht und vergessen gelegen. Es käme kein Mensch auf den Einfall, daß dieses kümmerliche Wesen einmal jung gewesen sein könne. Aber sie altert auch eigentlich nicht. Sie bleibt immer, was und wie sie war: blaß, platt, das Gesicht übersät von Sommerflecken, mit einem armen schmalen Mund und den flehenden Augen des getretenen Hundes.

Ihren Mann betet sie zitternd an. Lieben – nein, das ist kein Wort dafür. Wenn er sie mit einer Zärtlichkeit, einer flüchtigen Liebeswallung beehrt, so klopft ihr armes Herzchen im Takt: Mahadöh, der Herr der Erde, Kommt herab zum sechstenmal ...

Das schöne Käthchen von Heilbronn ist nicht so demütig vor seinem hohen Herrn gewesen, wie diese gedrückte, sommersprossige kleine Frau vor ihrem Eheherrn, der doch außerhalb seiner vier Wände ein armer Teufel ist, den kein Mensch ernst nimmt.

Zu Hause aber hat er Macht und Größen Ja, er hat sogar eine »Vergangenheit.«

Er deutet das nur an; er redet nie in klaren Worten darüber. Aber »die Weiber« haben in seinem Leben eine große Rolle gespielt; das erfährt sie oft. Er wäre beinahe an ihnen zugrunde gegangen. Gottlob, nur beinahe! Da fand er den Retter Nietzsche. »Wenn du zum Weibe gehst, vergiß die Peitsche nicht!« las er. Er las es und stammelte nach. Das rettete ihn. Die kleine Frau denkt zitternd, was aus dem Herrlichen geworden wäre, wenn er Nietzsche und die Peitsche nicht gefunden hätte.

Nicht, daß er sie selbst schlägt – o nein. Die Peitsche ist nicht so wörtlich zu nehmen; er gibt das zu. Er straft mit den Augen. Seine Blicke peitschen; und seine zornigen Worte, aus denen die tiefe Verachtung der niedrigen weiblichen Psyche spricht, geißeln ...

Seine ganze Philosophie baut sich auf diesem einzigen, krampfhaft vom Gedächtnis umklammerten Satze auf. Über Gott und Welt, über Zeit und Ewigkeit denkt er nicht weiter nach. Er hat nur den einen Stolz: ein Mann zu sein, und als Mann ein Übermensch, der mit der Peitsche zum Weibe geht.

Er gedenkt die Lehre Nietzsches in dieser Richtung »auszubauen.« Demnächst. Nietzsche hat mit der Peitsche gezüchtigt; er aber wird mit Skorpionen züchtigen.

Nur vorerst – er hat zu wenig Zeit; zu wenig frische, unverkümmerte Arbeitslust. Das Bureau nimmt ihm alle guten Stunden. Und er ist die Seele dieses Bureaus. Vorgesetzte – pah, er und Vorgesetzte! Die sollen's wagen, ihm gegenüber durchblicken zu lassen, daß sie sich für was mehr halten, für was besseres! ...

Und der arme Märtyrer seiner Phantasie, der sich vor einer Stunde noch von seinem Direktor hat behandeln lassen wie ein dummer Junge und in seiner würdelosen Hundeangst demütig vor dem ärgerlichen Hansnarren gedienert hat, erzählt jetzt dem Weib, wie er alles und alle unter die Launen seiner Herrennatur zwingt.

An der ängstlichen Bewunderung dieser wasserblauen Augen erhitzt sich seine Phantasie. Er schwärmt von seinen »Neuerungen,« die er eingeführt, von der brutalen Energie, mit der er das ihm gut dünkende durchsetzt. Er erzählt, wie alle die armen Hungerleider um ihn zu ihm aufsehen, wie zu einem Befreier. Denn er ist gütig nach unten, rücksichtslos nach oben. Und wie er bei der geringsten Veranlassung damit droht, seinen Posten niederzulegen, den Kerlen den Bettel vor die Füße zu schmeißen ...

»Um Gottes willen, du wirst doch nicht ...« wagt die kleine Frau im Tone heißer Herzensangst zu unterbrechen.

»Nein; sie dauern mich. Ich werde bleiben.«

. . . Einmal hat er mit seiner Frau einen Sonntagsspaziergang auf der Chaussee gemacht. Er redet gerade davon, daß der echte Mann nur zweierlei liebt: Gefahr und Spiel. Das Weib aber ist das gefährlichste Spielzeug. Er weiß nicht recht, stammt der hübsche Gedanke von Zarathustra oder schon von ihm selbst. Der Mann soll zum Kriege erzogen werden, und das Weib zur Erholung des Kriegers. Alles andere ist Torheit.

Da will's der Teufel, daß just sein Vorgesetzter mit Familie daherkommt. Der Übermensch wird ganz blaß; er hört im Geiste den Vorgesetzten morgen schon poltern: »Ja, spazieren laufen auf der Chaussee, das können Sie; aber hier was leisten ...!«

Und er reißt seinen alten, abgegriffenen Hut vom Kopf, und in tiefster Devotion mit feierlichem Bückling läßt er den Gestrengen vorbei.

Der dankt kaum.

Die Kinder hinter ihm lächeln über den grotesken Mann, der die kleine, schmächtige Frau fast in den Graben wirft beim Gruß.

Dann gehen die beiden weiter. Keiner redet ein Wort.

Knapp vor der ehelichen Wohnung, deren Anblick ihm neuen Mut gibt, fragte der Übermensch: »Hast du bemerkt, Weib, welchen souveränen Hohn ich vorhin in meinen Gruß gelegt habe?«

Und das »Weib« hat es bemerkt . . .

Brave, kleine Frau!

Wenn der Übermensch vor dir stirbt, wirst du ihm einen prächtigen Grabstein auf Abzahlung setzen lassen. Und wenn du an schönen Frühlingstagen hinaus gehst mit dem grünen Gießkännchen, die dunklen Stiefmütterchen zu tränken, dann wirst du ehrlich trauern um einen großen Mann, der unter einem günstigeren Stern ein Cäsar oder Napoleon geworden wäre.

Und du wirst ein bißchen weinen darüber, daß keiner mehr da ist, dir die armselige Geschichte zu erzählen von der Peitsche, die nicht vergessen werden darf.


ENDE


Quelle: http://gutenberg.spiegel.de/buch/der-untermensch-und-andere-satiren-885/2


Joe C. Whisper

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