Aus der Reihe - „Lachende Literaten“ – „An die Eitelkeit“ von David Kalisch

in #deutsch6 years ago

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Werte Steemis,

aus der Reihe „Lachende Literaten“ und nach all der Schaffenskraft, die ich für euch leiste, muss ich mir eine kurze, erholsame Auszeit gönnen, damit ihr euch in dieser Zeit nicht langweilt, bekommt ihr selbstverständlich, ermunternden Lesestoff geboten.

Heute für euch - David Kalisch „An die Eitelkeit“.

Kritik: ruht – wenn ich ruhe


David Kalisch

An die Eitelkeit


Hohe Göttin, die du die Herzen der Menschen lenkest und beherrschest; Allgewaltige, die du die Opfer gekrönter Häupter empfahest und selbst von dem Bettler angebetet wirst, dessen Haupt kein Obdach findet; Großmächtige, der sich schlechte Poeten und alte Sängerinnen ergeben; Allumfassende, die du die Huldigungen des schönen Geschlechts empfängst; Schutzpatronin der Modejournale, der parfümierten Salons und der Soirées musicales; große Schwester des Hochmuts und Erfinderin der Schminke; Hochhinstrebende, der die Welt einst die Schönpflästerchen, die Allongenperrücken und die Reifröcke zu verdanken hatte; hohe Erzeugerin der unzähligen deutschen Orden und Titel: vor dir lieg' ich jetzt voll bitterster Reue im Staube. Ich habe dich verletzt und bin mit Recht gestraft worden von denen, so dir huldigen und die Gewalt in Händen haben. Jetzt erst sehe ich ein, dass du die gewaltigste Herrscherin bist; denn du bist es, die selbst die gewaltigsten Herrscher beherrschet. An deinem Altare gelob' ich jetzt in tiefster Zerknirschung, dir immerdar zu huldigen. Ich werde von nun an die Galle meines Tadels in süßen Zucker der Anerkennung verwandeln. Ich werde von kleinen Komödianten mit Ehrfurcht und von großen Tyrannen mit Begeisterung sprechen. Ich werde die deutschen Schlafmützen preisen, weil sie die Schwächen der deutschen Köpfe bedecken. Jedes Land des lieben deutschen Vaterlandes will ich in ein gelobtes verwandeln, wo die Milch deutscher Zufriedenheit und der Honig deutscher Seligkeit fließt. Ich will nichts tadeln als den Tadel und selbst das heißeste Lob soll mir noch nicht heiß genug sein. Ich will den Zucker verzuckern und die süßeste Süßigkeit versüßen. Ich will Confekt reden und Manna sprechen. Ich will Hymnen anstimmen und Psalmen singen. Ich will Smollis mit der Censur trinken und dem geheimen Justizverfahren die zierlichsten Verse widmen. Ich will die ewige Finsternis im rosigen Lichte betrachten und über die Blößen der deutschen Politik den Mantel christlicher Liebe hängen. Ich will mich so benehmen, dass ich selbst im Kurfürstentum Hessen mit gutem Gewissen leben kann. Ich will alles tun, was man von einem deutschen Untertan begehrt. Ich will meine Wildheit ablegen und wie ein zahmer Bär nach jeder Pfeife tanzen. Ich will aufhören ein Deutscher zu sein. Ich will alles tun, was ein Sterblicher tun kann: – ich will ein Teutscher werden.


ENDE


Quelle: http://gutenberg.spiegel.de/buch/schlagschatten-7108/4


Joe C. Whisper

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