Zertifizierung der Gesinnung: Kommt „der bunte Engel“?

in #deutsch5 years ago

Isabella Klais / Aufbruch - Wir für Deutschland!

Der Boykott als Waffe in der politischen Auseinandersetzung wurde wiederentdeckt und kommt immer häufiger zum Einsatz. Preis und Qualität einer Ware oder Dienstleistung treten dagegen vermehrt hinter die politische Gesinnung ihres Anbieters zurück. Da ist der Weg im Grunde vorgezeichnet für eine amtliche Zertifizierung durch Verleihung des „bunten Engels“.

Doch, Vorsicht! Dieses Mittel wirkt auch reziprok. Begnügt man sich dann mit einer schlecht(er)en und / oder teuer(er)en Lieferung, wenn sie nur vom Lieferanten kommt mit der richtigen politischen Einstellung, die selbstverständlich der eigenen entspricht?
Es resultiert nicht nur in einer Selbstbenachteiligung der Boykotteure, sondern führt auch zu gesamtwirtschaftlichem Schaden, wenn andere Kriterien als Güte und Preis zum dominanten Faktor werden.

Sehr lesenswert in dieser Hinsicht ist der am 22. 10. 2019 in der Neuen Züricher Zeitung erschienene Artikel von Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann:

Rohe Reflexe gegen Handke

von Konrad Paul Liessmann

Eine komplizierte Welt wird schnell einfacher, wenn man es sich angewöhnt hat, nur noch auf wenige Schlüsselreize mit standardisierten Verhaltensweisen reflexartig zu reagieren. Die Logik der moralischen Empörung, die den Mediendiskurs beherrscht, ohne dass deshalb die Welt besser würde, gehorcht zunehmend diesem Prinzip. Kaum hatte die schwedische Akademie verkündet, dass Peter Handke den Nobelpreis erhalten sollte, schnurrte das Lebenswerk des Dichters auf eine politisch prekäre Episode zusammen, die angeblich alles andere in den Schatten stellt und den Nobelpreis in ein schräges Licht rückt.

Abgesehen von der Frage nach dem Verhältnis von Politik und Moral war man gar nicht willens, genauer hinzusehen. Handke hat sich mit dem Bösen gemeingemacht, und da das Böse bekanntlich rechts steht, hat eine österreichische Qualitätszeitung den Kommunisten und Sozialisten Slobodan Milosevic flugs in einen Rechtspopulisten verwandelt, um zu zeigen, wie böse Handke wirklich ist. Eine lächerliche Episode fürwahr – aber wenn man schon auf dieser Ebene Geschichtsfälschung betreiben muss, um seine moralischen Ansprüche plausibel zu machen, sind die Empörungen das Papier nicht wert, auf dem sie sich tummeln. Während man theoretisch wortreich die Ambiguitätstoleranz beschwört, ist man praktisch auf eine Eindeutigkeit fixiert, die keine intellektuelle Redlichkeit, sondern nur noch rohe Reflexe kennt.

Der Empörungsreflex zeitigt auch andere tragikomische Effekte. In der grossen wie in der kleinen Welt äussert sich die moralische Entrüstung gerne in einer Handlung, der man eine gewisse Angemessenheit an den Geist unserer Zeit nicht absprechen kann: dem Boykott. Als Reaktion auf das Verwerfliche verweigern wir jeden Umgang mit diesem. Ob es sich um den Boykott von Wirtschaftsbeziehungen zwischen Staaten handelt oder um den Aufruf, die Produkte eines missliebigen Unternehmens nicht zu kaufen – das Prinzip ist das gleiche: Schliesse das Böse aus dem Warenverkehr aus. Dass manche keine Orangen aus Israel kaufen wollen, gehört ebenso in diese Kategorie wie die ökonomische Ächtung eines Biobauern, der Mitglied der AfD ist, und dass man in einer Buchhandlung nicht mehr auftreten kann, wenn ruchbar wird, dass die engagierte Betreiberin sich selber als konservativ und bürgerlich bezeichnet, versteht sich für einen moralisch sensiblen Schriftsteller von selbst.

Die alte römische Weisheit, dass Geld nicht stinke, gilt nicht mehr in einer Welt, in der in der Ware nicht, wie noch Marx glaubte, die Arbeitskraft, sondern die moralische oder politische Gesinnung der Produzenten steckt. Vielleicht sollte vorgeschrieben werden, neben der Liste mit den Inhaltsstoffen einen Aufkleber mit den politischen Präferenzen der Hersteller an allen Konsumgütern anzubringen, auch an Büchern. Dann hätte das Nobelpreiskomitee ohne Nachdenken die richtige Entscheidung treffen können.

Reflexartig war auch die Empörung, als bekanntwurde, dass ein Kabarettist es in einer Kabarettsendung gewagt hatte, einen harmlosen Witz über Greta Thunberg zu machen. Merke: Wenn es heiss wird, hört jeder Spass auf. Der Kabarettist hatte überdies gegen ein ehernes Gesetz des deutschen Kabaretts verstossen: Lachen darf man nur über die Bösen – und diese gibt es eben nur rechts von der Mitte. Dass der Witz, zumindest nach Sigmund Freud, eine Regung des Unbewussten ist und dem Tabuisierten einen Ausdruck verleihen kann, ist in einer freudlos gewordenen Welt vergessen. Aber den grossen Psychoanalytiker sollte man wahrscheinlich ohnehin wieder einmal ein wenig boykottieren – ein Blick in die Untiefen der Seele könnte das Empörungsgeschäft empfindlich stören.

Konrad Paul Liessmann
Professor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Universität Wien

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