Rechts und Links
Ich beschäftige mich seit über 20 Jahren mit der Frage, was denn "rechts" und "links" im politischen Kontext genau bedeuten. Es ging damit los, dass ich mich selbst als Teenager als "links" sah. Das war für mich damals absolut selbstverständlich, da die "Linken" ja - zumindest in ihrer Eigenwahrnehmung - auf der Seite der Armen und Schwachen stehen. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ich mich damals sehr gewundert habe, dass nicht einfach alle "Links" sind. "Rechte" mussten wohl irgendwie "böse" sein. Brauchbare Definitionen konnte ich aber schon damals nicht finden. Wer irgendwann in irgendeinem Proto-Parlament auf welcher Seite gesessen hatte, schien mir nicht als Erklärung zu taugen, warum z.B. meine Oma eben nicht "Links" war. Meine Oma mochte Franz-Joseph Strauss und das konnte meine linke Mutter überhaupt nicht fassen. Ich fand das aber irgendwie passend, weil meine Oma eben ein etwas kühlerer Mensch war, als meine äußerst warmherzige Mutter. Allerdings war meine Oma schon damals nicht "rechts", zumindest nannte sie sich selbst nicht so, sondern nannte sich selbst "konservativ", was zwar etwas langweilig, aber nicht besonders böse klang. Meine Oma war auch kein Nazi. Sie war im Gegenteil z.B. sehr stolz darauf, dass ihr Vater als Landgerichtspräsident ein Hitler-Portrait aus dem Gerichtssaal abhängen ließ. Außerdem hatte sie 3 von 4 Brüdern im Krieg verloren (worüber ich erst recht spät in der Lage war Trauer zu empfinden, da ich früh gelernt hatte, dass "wir Deutschen" selber schuld gewesen seien, egal ob Nazis oder nicht). Suspekt waren mir die Rechten trotzdem, speziell weil man offenbar zum Nazi entarten konnte und die Kommunisten aus meiner damaligen Sicht es wenigstens "gut gemeint" hatten.
Als mir mit Anfang 20 der Libertarismus begegnete und mir die schrecklichen Schattenseiten des "Links-Seins" ins Mark gefahren sind, weil mir klar wurde, dass in mir ein autoritäres Monster mit besten Absichten steckt, schien mir die Lösung auf die Frage nach "rechts" oder "links" ein klares WEDER NOCH. Was genau "links" und "rechts" bedeuten, kam mir aber weiterhin extrem nebulös vor, dafür dass diese Vokabeln so omnipräsent waren und sind und ich damals noch naiverweise davon ausging, dass die Menschen im Fernsehen und Zeitung schon wissen wovon sie reden und ich einfach nur Verständnisprobleme haben musste.
Ich hatte immer mehr den Eindruck, dass "Rechts oder Links" eine recht vage Geschmacksache sei und keine rational begründbare klare politische Einstellung, wie es z.B. der Libertarismus ist. Ich war entsprechend verwundert, als mir zum ersten Mal Streitigkeiten innerhalb der libertären Szene begegneten, wo manche auch wert darauf legten, Recht- oder Links-Libertäre zu sein. Auch hier schien es mir eher um subjektive Geschmacksachen zu gehen, denn um klare Prinzipien. Vor allem aber fand ich, dass mal die eine, mal die andere Seite für mich mehr Sinn ergab. Mich für eine der Seiten zu entscheiden, fühlt sich für mich bis heute wie die Aufforderung an, doch nur auf dem einen oder anderen Bein durchs's Leben zu humpeln, anstatt beide Beine abwechselnd zu benutzen.
Offenbar lag ich mit diesem Eindruck garnicht so falsch, wie mich jüngst Professor Peterson lehrte:
Er beschreibt beide Seiten als charakterliche Grundzüge, mit den beiden Antipoden Chaos (Links) und Ordnung (Rechts), wobei "Chaos" keine negative Konnotation hat, also wertneutral zu verstehen ist, da beide - Chaos wie Ordnung - Medaillen mit zwei Seiten sind.
Wenn dem so ist, was mir einleuchtend erscheint, dann sollten Linke wie Rechte eigentlich besonders aufmerksam zuhören, wenn die andere Seite redet, da beide Seiten ein Handicap haben und unvollständig sind. Stattdessen bestehen beide Seiten darauf, dass nur schlechte Menschen auf dem rechten oder linken Bein hüpfen.
Natürlich könnte man auch einfach ganz auf diese recht nutzlosen Schubladen verzichten und einfach den aufrechten Gang erlernen.
Damit mache ich mich vielleicht unbeliebt, aber das deutsche System von Links und Rechts ist stark verbogen. Die historische Interpretation hat ihren Sinn eingebüßt, alle Parteien sind mittlerweile Republikaner und keine ist mehr kaisertreu.
Ein Koordinatensystem sollte im besten Falle aus orthogonalen Achsen bestehen. In so einem System wären Freiheit und Gleichheit Rechts und Links. Beide können nicht gleichzeitig existieren (Gleichheit meint hier nicht Gleichberechtigung). Keine der beiden Seiten ist gut oder böse. Will man Einordnungen jenseits davon einführen, so passiert das wieder mit einer unabhängigen Achse, zB: international und national.
Auf diese Weise kann man auch paradoxe Situationen auflösen, wie zum Beispiel: "rechtsextrem und linksextrem sind gleich", das hört man sehr oft. Tatsächlich sind beide, in vielen Medien links und rechts grnannten, links. Die eine Seite ist aber national und die andere international.
Es gibt leider Kräfte, die so ein System ablehnen, weil man dann anerkennen müsste, dass die Nazis links wären (was nach ihrem Selbstverständnis damals auch nicht abwegig ist).
Wie nannte Kuehnelt-Leddihn doch sein Buch so schön: "Leftism, From de Sade and Marx to Hitler and Marcuse". Gibt es hier als PDF zu downloaden: https://mises.org/library/leftism-de-sade-and-marx-hitler-and-marcuse
:D
Danke, das schaue ich mir mal an. :)
Ich rätsel gerade, an welchem Punkt Dich Deine Einschätzung bei wem unbeliebt machen könnte. Bei mir schonmal nicht :-D
Ach, ich habe vermutlich zuviele Erfahrungen an der Uni und zu wenige auf Steemit gemacht. ;)
Im heutigen, dem Mainstream folgenden allgemeinem Verständnis, gilt (oder besser IST) rechts=böse und links=gut. So werden die wenigen Menschen, die sich freimütig als "rechts" bezeichnen, entgegen aller Toleranzgebote sofort "ausgegrenzt". Wie du schon geschrieben hast, sind die Vokabeln Sozialismus, Kommunismus, Kapitalismus, Nationalismus, rechts, links, liberal, freiheitlich im allgemeinen Sprachgebrauch absolut unscharf. Nach links darf man ungeächtet abdriften, denn dann will man ja gut sein, aber rechts ist verpönt. Durch diese offensichtliche Schieflage des Koordinatensystems wird jeder sachbezogene Diskurs a priori zerstört. Auch bei der Religiosität verhält es sich ähnlich: Man darf für jeden Glauben frei werben und jede noch so absurde Theorie vertreten, aber eine ebenso klare Positionierung GEGEN Glaubenssätze wird im Extremfall sogar mit dem Vorwurf der Volksverhetzung gemaßregelt:
https://www.welt.de/politik/deutschland/article167510531/Staatsanwaltschaft-ermittelt-gegen-AfD-Politikerin.html
Kommunismus etc sind ja vergleichsweise scharf umrissen, im Vgl. zu "rechts" und "links", aber ja, sehe es ansonsten ähnlich.
Imagine the scale right - left is horizontal. There is only about this a widespread discussion. But the real issue is the vertical dimension free versus unfree. Libertarian cant be placed into the horizontal scale. I think that is the solution for your question.
Gut geschrieben, schön auf den Punkt gebracht! Ich bin wohl nicht der einzige, der so eine Entwicklung durchgemacht hat :)
Irgendwo starten viele (fast alle?) jung als Linke mit dem Selbstverständnis zu den Guten zu gehören. Und ich gebe dir vollkommen recht, dass die libertäre Szene leider nicht vom Rechts-Links-Denken verschont bleibt. Ich hab auch das Hinzufügen einer zweiten Dimension (Autoritär - Libertär) nie als befriedigende Erweiterung empfunden. Eher im Gegenteil: man versucht durch das nächst-komplexere Modell wieder ein reduzierendes Schema zu finden. Und anstelle von Argumenten geht es um Identifikation, das Sich Einordnen und politischen Geschmack.
Artikel wie deiner sind super geeignet, um Substanz in die Diskussion zu bringen und solche Schemata zu überwinden.
Natürlich könnte man auch einfach ganz auf diese recht nutzlosen Schubladen verzichten und einfach den aufrechten Gang erlernen. - Das hast du sehr treffend gesagt!
Je mehr Informationen ich aufsauge, besonders jetzt auch über den Libertarismus, desto mehr empfinde ich ähnlich wie du und mag deine Metapher beide Beine zu benutzen. Wie wäre es mit "konservativ" und "progressiv"? Es gibt immer Situationen, in denen es gut ist, Sachen zu ändern, aber ebenso Situationen, in denen es gut ist, an funktionierenden Mechanismen festzuhalten. Zu wissen, wann was angebracht ist, ist der Clou, und da finde ich deinen Vorschlag, einander zuzuhören und miteinander zu reden, sehr gut.
Ja, diese beiden Vokabeln kenne ich und finde sie einigermaßen nützlich, wobei ich es ziemlich hochmütig finde, sich selbst als fortschrittlich zu bezeichnen, denn das macht die Gegenseite rückschrittlich. Die einzige Partei in Deutschland, die ich ev wählen würde, ist die Partei der Vernunft (PDV) und da stört mich dieser Hochmut auch, obwohl ich insgeheim der Meinung bin, dass sie ja recht haben.
Ansonsten bin ich ganz Deiner Meinung!
Do you know that the former chief of the PDV, Oliver Janich, called out to elect the AfD??
No I didn't, but I makes some sense, as the AfD is the only party I know of with some Classical Liberals in their ranks (no, I don't see any in the FDP).
Der Punkt ist meiner Meinung immer der, wem kommt eine Maßnahme zugute bzw. welche Auswirkungen hat sie auf das Land & das Volk.
Do you mean "Maßnahme" = Interaction of government? If yes, the less Maßnahmen the better for the people. :-)
yes, i do.
Im Grunde ist jede Ideologie von Übel, egal wie sie sich nennt. Denn sie geht immer davon aus, das einzig richtige zu vertreten. Genau wie Religionen, und oft sind die Grenzen ja auch fließend.
Was meist nicht erkannt wird - und auch nicht erkannt werden soll - ist, das immer einzelne Personen dahinter stecken, die davon profitieren. Wenn man dies im Auge behält, entlarven sich die meisten Ideologien schnell von selbst.
Im Prinzip fängt das Elend immer damit an, das jemand was "bewirken" oder "verändern" will. Denn eigentlich brauchen die Menschen keine Regierung, etwas gesunder Menschenverstand reicht völlig.
Vereinfacht könnte man sagen: die Gesellschaft funktionert nicht weil sie regiert wird, sonder trotzdem sie regiert wird.
Ich habe die Ideologie der Freiheit gewählt, weil es die einzige mir bekannte ist, deren Kernbotschaft "Leben und leben lassen" ist.
Leben und leben lassen ist ja eigentlich selbstverständlich und gehört in die Kategorie "Gesunder Menschenverstand". Aber zugegeben, nicht alle Meschen scheinen dafür zugänglich zu sein. Ich glaube auch nicht, das sich das ändern läßt. Deshalb plädiere ich dafür, nicht zu versuchen andere zu bessern, sondern sich auf das eigene Verhalten zu konzentrieren. Das ist oft schon schwierig genug...
Guter Beitrag!
Einerseits denk ich, dass es Sinn macht, sich von den horizontalen Begriffen zu distanzieren und sich einfach libertär zu nennen. Andrerseits seh ich damit auch eine gewisse Mutlosigkeit in Verbindung stehen. Wenn alles Links sein muss, dann darf man auf keinen Fall rechts sein, aber man will auch nicht links sein, ach dann ist libertär davon losgelöst... ist es aber nicht. Libertär kommt durch die vertikalen Linien. Deshalb macht für mich der political compass Sinn. Du kannst auch Tests in der Bevölkerung machen, wie Leute zum Voluntarismus (der ja praktisch einhegehend mit Libertarismus ist) stehen und beobachten, welche Seite sich eher für Zwang entscheidet und Freiwilligkeit für eine Schwachsinnsbasis hält. 3 Mal darfst du raten. Das ist für mich die entlarvendste Frage. Und noch was zu rechts und links : Ich werde bald in ein Land gehen, dass mAn recht rechtsautoritär ist - und das wird mich immer wieder ankotzen, weil dieses rechts auf kollektiver Basis stattfindet und die Bevölkerung zu Konservatismus erzogen wird (durch zB hohe Steuern auf Alkohol o.ä.). Aber dieses Land steht zumindest sehr stabil da, während Länder, die vorwiegend Links sind, auseinanderklappen. Wenn man mich fragen würde, welchen Land ich mir eher aussuchen würde: das, wo du zu Gesundheit genötigt wirst oder das, wo du verhungern wirst, dann würd ich wohl ersteres nehmen.
Diese Kategorisierungen haben schon längst ausgedient. Spätestens mit der Einführung der Agenda 2010 (Schröder /Fischer) muss der letzte Zweifel bzgl. Links ausgeräumt sein.
Rechts war ohnehin eine kaum greifbare Kategorie bzw. darunter verstand man in meinem Aufwachsen eher die Alt-Nazis & Monarchisten.
Der Begriff konservativ als Cluster für die besitzende Klasse ist spätestens mit der Dekulturalisierung und Umvolkung durch Merkel ad absurdum geführt worden. Soziologisch verlaufen die Linien ohnehin anders.
Im politischen Bereich beurteile ich Parteien bzw. ihre Maßnahme nicht mehr nach ihrer Selbstbeschreibung, sondern ob sie für das Land & Volk arbeiten oder andere Interessen verfolgen.