Paradise Found

in #deutsch7 years ago

Guten Abend, Menschen!

Hier beginnt eine Reihe aus meinem Roman Paradise Found. Ich werde immer wieder mal zwischendrin ein Kapitel posten.

Heute starte ich mit dem ...

Prolog

Marvin Manson hatte insgesamt eine Stunde hinter einem Vorhang gelauert,

der sich auf dem schmalen Weg von der Arena zu den Umkleidekabinen befunden hatte, bevor er sein Vorhaben – es war der sechste Januar 1994 gewesen - in die Tat umsetzen konnte. Sein Herz hatte schnell geschlagen. Er war sehr aufgeregt gewesen; und wütend. Die schwarze eiserne Stange, die er in der Hand gehalten hatte, war mit dem Schweiß seiner rechten Hand unangenehm klebrig geworden. Er hatte sie sich zwischendurch immer wieder mal an seiner Jeans abgewischt. Er hatte eine Zigarette gewollt. Um ganz sicher zu gehen, nicht entdeckt zu werden, hatte er sich schon früh ins Gebäude hineingeschlichen und sich das Versteck gesucht. Und wünschte, noch etwas gewartet zu haben, denn das Verlangen nach Nikotin ließ ihn nicht zur Ruhe kommen.

Tracy Brannagan, die Frau, die bald von der Eisenstange getroffen werden würde,

ahnte nichts von ihrem Schicksal, sie hatte auf der Eisfläche des Detroiter Stadions ihre letzten Pirouetten gedreht, beim Auslaufen ihr Tempo vermindert und war dann am Durchgang der Bande angehalten, um vom Eis zu treten. Über die Kufen ihrer Eiskunstlaufschuhe kamen die obligatorischen Schoner, Tracy hatte fröhlich in die Hand ihres Vaters eingeschlagen, der beim Training für die US-Meisterschaften dabei gewesen war und dann war sie in Richtung Umkleideraum gegangen. Weil gleich im Anschluss ein Interview mit ihr stattfinden sollte, war ein Kamerateam vor Ort gewesen. Kaum, dass sie ein paar Schritte gegangen war, hörte sie hinter sich ein Geräusch. Sie hatte sich umgedreht, da war ein großer Mann auf sie zugestürmt und schwang etwas in ihre Richtung. Tracy hatte automatisch die Hände gehoben, um ihren Kopf zu schützen und wurde mit voller Wucht am rechten Bein getroffen. Sofort war sie zu Boden gegangen. Und hatte geschrien.

Binnen weniger Sekunden hatte sich eine Menschenansammlung um sie herum gebildet, während der Attentäter den langen Flur entlang gelaufen, eine geschlossene Tür aus Plexiglas durchbrochen hatte und nach draußen verschwunden war.

Tracy wurde umringt, die Kamera des TV-Teams sofort eingeschaltet und ihre unmittelbare Reaktion auf den Anschlag innerhalb kürzester Zeit in allen Nachrichtenredaktionen - erst in den Vereinigten Staaten und später weltweit - verbreitet. Während sie weinend und verzweifelt und von Schmerz geschüttelt auf dem Boden gehockt hatte, hatte sie gerufen:

"Warum? Warum ich? Warum jetzt?“

Gute Frage, Tracy. Allerdings nicht die erste dieser Art.
Hatte angeblich nicht schon Jesus von Nazareth eine ähnliche Frage gestellt? Zu dem Zeitpunkt - am Kreuz festgenagelt - mag es allerdings für ihn persönlich schon reichlich spät gewesen sein, zudem ebenfalls mit großem Schmerz verbunden. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“, soll er gerufen haben.

Oder Double You, der “Why did you do that thing to me?” sang und es – zumindest in seinem Liedtext - im Unklaren ließ, an wen er seine Anklage gerichtet haben mag.

Haben sie alle vielleicht dasselbe gemeint?

Betrachtet man sich die jeweiligen Auswirkungen der Geschehnisse, kommt man erneut auf einen gemeinsamen Nenner: Alle diese Personen wurden prominent. Jeder auf seine Weise.

So bekam Tracy als Folge der Attacke werbewirksame Auftritte in den Medien, die sich in der bemerkenswerten Summe von elf Millionen Dollar niederschlugen und die einen Disney Kinofilm nach sich zog.

Jesus wurde der Legende nach Märtyrer und ist bis heute der berühmteste Mann, den es je gegeben haben soll. Hinsichtlich der Anzahl an Verfilmungen, in denen er eine Haupt- oder Nebenrolle spielt, übertrifft er Tracy fraglos. Double You wird zumindest auch jetzt noch im Radio gespielt.

Die Frage nach dem „Warum?“ ist damit noch immer ungeklärt.

Eine mehr oder weniger verständliche Antwort gibt die Kosmologie beziehungsweise stellt sie zunächst eine andere Frage; nämlich:

Warum halten sich Dunkle Energie und Dunkle Materie gerade noch so die Waage,

dass unser Universum in seiner jetzigen Form bestehen kann?
Einige humorvolle Astrophysiker titulieren dies als "Tracy-Brannagan-Frage", um nicht immer wieder auf Jesus zurückkommen zu müssen; aus verständlichen Gründen.

Die offiziellen Vertreter des christlichen Glaubens - realistisch genug, die Wissenschaft nicht länger als Teufelswerk an den Pranger zu stellen - haben sich darum längst auf die Moderne eingestellt. Was bedeutet, dass der Vatikan sich eine eigene Sternwarte leistet, um die doch traditionell mit der Religion verbundene Frage zu klären und dabei Kosmologie und Schöpferglaube miteinander irgendwie in Einklang zu bringen. Ganz so neu ist die Warte nicht und auch nicht die Idee, sich den Himmel einmal genauer anzuschauen.

Schon 1891 gründete Papst Leo XIII. die Specola, vielleicht gar in der Hoffnung, Gott zu erblicken. Heute zieren zwei Kuppeln den Palast innerhalb des Vatikans, darin beherbergen sie ebenso viele Teleskope. Weil die aus den fünfziger Jahren stammen, ist es nicht sehr weit her mit einem ungetrübten Blick. Und so unterhält der Vatikan – hoch gelegen auf einem Berg in Arizona – ein Observatorium, mit dem man tiefer ins Universum schauen kann.

Fleißige Jesuiten beschäftigen sich mit der Auswertung der Daten und veranstalten Konferenzen. Kürzlich lud der Vatikan sogar eine Reihe von Astrophysikern ins Castel Gandolfo ein. Damit dürfte klar sein, dass die Institution als Oberhaupt der katholischen Kirche vielen ihrer christlichen Anhängern in einem Tempo vorauseilt, zu dem man „Bravo!“ rufen möchte. Dahinter könnte man auch einen cleveren Schachzug vermuten, um nachwachsende Christen beziehungsweise die heutige Jugend an sich zu binden.

Bewegungen, wie „wir sind Papst!“ hat es ja bereits gegeben. Selbst wenn es so wäre, käme das nicht einmal einem Beinbruch gleich. Wenn die Kirche eine so hohe Bereitschaft zeigt, sich von innen zu entwickeln und in den eigenen Reihen ausgebildete Wissenschaftler beschäftigt, ist das ein großer Schritt für die Menschheit. Damit hat die Kirche weit mehr erreicht, als es zum Beispiel das deutsche Parteiensystem von sich behaupten kann. Allerdings muss man Letzterem zugute halten, dass es dafür keine zweitausend Jahre Zeit hat.

So etwas wie Hoffnung dürfte bei allen aufkeimen, die ganz sicher nie davon geträumt haben, dass eine von ihnen kritisch beäugte kirchliche Institution derartig aufgeschlossen ist.

Fast ist man in Versuchung, den Atheismus abzulegen,

nur, um irgendwie Teil dieser positiven Entwicklung zu sein. Dann schaut man aber – obwohl man es nicht vorhat - in eine andere Richtung und muss resigniert feststellen, dass einem der Sündenfall, unter dem klangvollen Namen „Kreationismus“ getarnt, auf der Straße begegnet und einem irgendwie die ganze Sache vergällt – obwohl die Katholiken wirklich nichts dafür können. Schlimmstenfalls aber dort, wo einst ein politisches Staatsoberhaupt das höchste Amt im Land inne hatte – wenn man denn stärker auf den „Bush“ klopfen möchte.

ToHuWaBoHu!

Im engeren Kreis des Kreationismus, zu nennen sind da die Evangelikaner, herrscht eine wortwörtliche Interpretation der heiligen Schrift, nach der sich entweder die Schöpfung aus dem Nichts erklärt oder aber aus einem zuvor bestehenden Chaos, dem Tohuwabohu. Sie gehen sogar so weit, zu behaupten, dass wissenschaftliche Erkenntnisse die Schriften des Buches Genesis oder des Koran untermauern. Man könnte fast von Missbrauch der Wissenschaft sprechen.

Tracy Brannagans Bein jedenfalls genas und sie dürfte ihrem Schöpfer im Nachhinein dafür gedankt haben, die Unterbrechung ihrer sportlichen Karriere derartig gebührend entschädigt zu sehen.
Was Double You macht, ist unbekannt.

Und Jesus? Der schert sich derweil einen Teufel um derartige Geschichten, ist höchstens froh darüber, dass man ihn zu keinem Zeitpunkt seines Lebens irgendwo festgenagelt hat und macht sich ansonsten einen lauen Lenz. Zumindest so lange, bis der nächste Event ansteht.

... Fortsetzung folgt

Photo by Jakob Owens on Unsplash

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