Räum‘ deine Zellen auf! Der beste Schutz gegen Altern, Krebs, Alzheimer & Co: 3. Autophagie: Räum‘ deine Zellen auf oder lebst du zuhause auch in deinem eigenen Dreck?

in #deutsch6 years ago

Hallo! Schön, dass du wieder reinschaust, denn jetzt wird es allmählich ernst. Jeder kennt das vielleicht. Permanent wird man ermahnt ordentlicher zu sein, die Wohnung muss quasi immer glänzen, aber wenn’s um Sauberkeit geht wo es wirklich angebracht wäre, ist es bei vielen Leuten nicht sehr weit her. Die Rede ist natürlich von eurem Körper, eueren treusten Begleiter und wichtigsten Schatz.
Eines vielleicht noch kurz vorweg. Zellbiologie und Physiologie sind äußerst komplexe Themengebiete, die noch nicht vollständig verstanden sind. Diese Artikelserie hier soll jedem Menschen die Möglichkeit geben in diese Gebiete einsteigen zu können. Wenn der Artikel zu umfangreich wird, werden viele Leute am Ende des Textes resigniert hinschmeißen. Was nicht in meinem Interesse ist. Ich möchte daher alle Biocracks darum bitten es mir nachzusehen, wenn ich bewusst Details weglasse einfach um allen Menschen einen Einblick zu ermöglichen. In Zukunft wäre es aber schön, wenn wir auch etwas mehr ins Detail gehen könnten, uns vernetzen und die neusten Erkenntnisse auf diesem und anderen Feldern austauschen könnten.
Ich denke eines der häufigsten Probleme für das Verständnis auf so ziemlich jedem Gebiet ist, dass die Anschaulichkeit fehlt. Die Leute werden mit vielen Fachbegriffen und komplizierten Zusammenhängen gefüttert ohne, dass sie auch nur ansatzweise verstanden haben worum es tatsächlich geht. Fangen wir aus diesem Grund am besten mit den grundlegendsten Einblicken in die Zellbiologie an. Egal was euch eure Lehrer oder wer auch immer erzählt hat, jede Zelle ist prinzipiell mit dem normalen Leben um uns herum vergleichbar. Es gibt in der Zelle, wie auch in deiner Stadt oder deinem Land, essentielle Einrichtungen ohne die es einfach nicht funktionieren würde. Die wichtigsten sind dabei u.a.:

  1. Eine Einrichtung, welche in der Lage ist die Zelle zu managen. Diese Stelle muss sicherstellen, dass alles in Ordnung ist und dies umfasst vor allem folgende Aufgabenbereiche: Die korrekte Buchführung, sowie die fehlerfreie Archivierung von essentiellen Informationen in Form eines genetischen Codes. Die exakte Bilanzierung, welche für eine gesunde Funktionsweise notwendig ist. Sowie die Aufnahme, Verarbeitung und Weitergabe von Informationen innerhalb der Zelle und darüber hinaus. Ist auch nur eine dieser Grundfunktionen gestört wird in dieser Machtzentrale, genannt Zellkern, ein Selbstmordprogramm (die Apoptose) ausgeführt, welches die Zelle zerstört um schlimme Entartungen zu verhindern.
  2. Einheiten, welche die Herstellung, Verteilung und das Qualitätsmanagement der Zelle gewährleisten. Die Zelle besteht im Wesentlichen aus Fetten, Cholesterin und Proteinen. All diese Bausteine müssen in ausreichender, aber nicht inflationärer Menge vorhanden sein. Darüber hinaus ist der korrekte Aufbau, sowie deren korrekte Anordnung, Funktionsweise und Lokalisierung eminent. Die Logistik wird von vielen verschiedenen Strukturen, vor allem aber vom Endoplasmatischen Retikulum (ER), dem Golgi-Apparat, von Ribosomen, dem Chaperonsystem, verschiedenen Feed-Back-Zyklen und Ähnlichem kontrolliert. Falls dir diese Sachen noch nichts Genaueres sagen, kein Problem, wir kommen in dieser Artikel-Reihe und an anderer Stelle ausführlicher darauf zu sprechen.
  3. Eng mit der Logistik ist natürlich eine ausgereifte Infrastruktur notwendig. Diese Infrastruktur ermöglicht den Transport und die Verteilung von Proteinen, Fetten und anderen Strukturen in der Zelle. Außerdem ist die Infrastruktur auch an der Formgebung und Stabilisierung der Zelle, sowie an der Informationsübertragung beteiligt. Die wichtigsten Vertreter dieser Infrastruktur sind Aktin, Tubulin, Intermediärfilamente und viele assoziierte Faktoren. Auch die Infrastruktur wird uns noch häufiger begegnen.
  4. Jeder weiß, dass für das Leben vor allem eines entscheidend ist und das ist natürlich die Energie. Wenn die Zelle auch über verschiedene Möglichkeiten zur Energiegewinnung verfügt, die mit Abstand bedeutendste ist die Energiegewinnung über Mitochondrien. Um ehrlich zu sein, ich liebe diese Dinger. Seit einiger Zeit arbeite ich mit diesen Dingern zusammen um Leuten zu helfen die Ursache für ihre gesundheitlichen Probleme zu erkennen und ich kann euch nur eines raten: Passt auf eure Mitochondrien auf! Diese kleinen Helfer sind je nach Zelltyp und Person für mehr als 90% eurer Energie verantwortlich. Deren optimale Funktionsweise ist also DAS A und O in eurem Leben. Ursprünglich handelt es sich bei Mitochondrien übrigens um Bakterien, welche es sich vor Milliarden von Jahren in unseren Zellen gemütlich gemacht haben. Aber ich will es abkürzen und werde euch dafür an anderer Stelle mehr darüber erzählen.
  5. Jetzt kommen wir aber erstmal zu der Einrichtung um die es in diesem Artikel eigentlich gehen sollte und das ist euere Abfallentsorgung.

basic cell deutsch.png

Stellt euch mal vor in eurer Stadt käme von heute auf morgen keine Abfallentsorgung mehr vorbei. Für viele Menschen ist dies leider tägliche Realität und niemand wird ernsthaft mit ihnen tauschen wollen. Auch das Abwassersystem, Umweltschutz, Recycling sind Teil einer effizienten Abfallwirtschaft und direkt mit eurer Lebensqualität korreliert. Alle diese vermeintlich trivialen Dinge sind so essentiell für uns, dass bei Ausfall auch nur einer oder mehrerer dieser Faktoren das tägliche Leben zunächst stagnieren, dann resignieren und schließlich kollabieren würde. Dies ist jedem von euch bewusst und deshalb wird es auch niemand so einfach hinnehmen, wenn diese Mechanismen wegbrechen würden. Was ist aber, wenn ich euch sage, dass wahrscheinlich die Mehrheit, die diesen Artikel gerade ließt es zwar nicht akzeptieren würde, wenn deren Müll vorm Haus liegenbleibt. Gleichzeitig aber die Vermüllung eurer Zellen überhaupt kein Thema ist. Das mit der Vermüllung eurer Zellen ist aber nichts was ihr sofort merkt, ihr könnt jahrelang damit leben ohne, dass es zum Problem für euch wird. Doch seit euch darüber im Klaren, dass viele der gesundheitlichen Probleme welche unser Fortschritt mit sich brachte, vor allem dadurch verursacht sind, weil eure Zellen total verdreckt sind oder nicht effizient gereinigt werden. Wir kommen im nächsten Artikel über mTOR noch näher auf die Ursachen zu sprechen. Eines sei aber vorweggesagt: Ursache für die Vermüllung eurer Zellen ist ein permanentes Überangebot von Nährstoffen und Wachstumsfaktoren, sowie ein gestörter Rhythmus in eurem Leben! Bei einer ausgewogenen Lebensweise (wir werden im fünften Artikel dieser Serie näher darauf eingehen) ist der Körper prinzipiell in seiner Mitte. Er kann gedeihen, sich entwickeln und etwas leisten. Gleichzeitig, aber schafft er es sich den notwendigen Freiraum zu gönnen reine zu machen. Und diese Aufräumaktionen sind essentiell, denn sie gewährleisten, dass
a) eure Erbinformationen immer das beste Qualitätsmanagement erfährt und sich erst weiterverbreitet, wenn tatsächlich alles dafür bereitsteht.
b) Werden Probleme in eurer Logistik erkannt und bereinigt, so dass nichts zu viel produziert, nichts blockiert und nichts verschwendet wird.
c) Damit einhergehend wird wie im echten Leben auch die Infrastruktur gewartet und ausgebessert oder neu arrangiert, so dass der Verkehr immer ohne Probleme fließen kann.
d) Werden die Kraftwerke eurer Zellen immer wieder auf Effizienz überprüft und bei gravierenden Fehlleistungen ersetzt. Dies ist übrigens besonders wichtig, denn eure Mitochondrien fangen bei Störung an Radikale zu produzieren (da gehen wir an geeigneter Stelle aber nochmal drauf ein). Diese Radikale jedenfalls hacken im Überschuss alles, egal ob Proteine, Fette oder auch DNA kurz und klein, sodass die betreffende Zelle entweder stirbt oder entartet.
Erinnert ihr euch noch an die Packman-Analogie im ersten Artikel dieser Serie? Euch ist sicherlich klar, dass der Packman in unserem Falle die Abfallentsorgung darstellt. Das Problem ist, dass Packman nur dann arbeiten kann, wenn er nicht permanent von Gespenstern behindert wird. Dazu muss die Zelle jedoch in einen Zustand kommen wo sich unser zellulärer Packman erstmal ungestört aufbauen kann. Das Problem dabei ist leider, dass bei totalem Chaos ausgelöst durch eine unkontrollierte Gespenster-Invasion Packman keine Chance hat sich richtig zu im zellulären Gefüge zu etablieren. Er taucht zwar hier und da auf, aber letztlich verhindern die Gespenster, dass er einmal komplett durch die Zelle fegt um seine Arbeit zu verrichten. Die Folge: Verlust genetischer Stabilität & Kontrolle, Stagnation & Zusammenbruch von Logistik & Infrastruktur, sowie Havarie in euren zellulären Kraftwerken. Bevor Packman also seine Arbeit machen kann muss gewährleistet sein, dass die Gespenster in ihrem Treiben gezügelt werden und dies kann nur einer gewährleisten und das sind Du und Dein Lifestyle!

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Die Gespenster in deinen Zellen sind eine Konsequenz aus schlechter Ernährungsweise, Exposition zu Toxinen und Umweltverschmutzung, sowie chronischer Stress. Natürlich gibt es auch genetische Ursachen, allerdings ist euer Lifestyle etwas was jeder beeinflussen kann und daher hat man bis zu einen gewissen Grad auch die Kontrolle über die Gespenster. Es ist als wenn ihr bei einem Computerspiel den Schwierigkeitsgrad einstellt. Ihr habt die Kontrolle über das Menu, welches in euren Zellen festlegt ob eure Zellen sich bei einem lockeren Packmanspiel regenerieren oder ob ihr immer auf der Stelle tretet bis eure Zellen keine Lust mehr auf das Spielchen haben. Die Konsequenzen sind ein erhöhtes Diabetisrisiko, schnellere Alterung, erhöhte Krebsanfälligkeit, zu wenig Energie und dadurch schlechte Leistungen im täglichen Leben. Außerdem schlechter Schlaf, erhöhtes Risiko für neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson, schlechte Haut, schlechte Laune. Die Liste an schlechten Sachen kann endlos fortgeführt werden.
Doch wie bildet sich dieser Packman in uns? Unser zellulärer Packman steht stellvertretend für den Mechanismus der Autophagie und ist ein genetisches Programm zur Abwehr von Stress, zur Rückgewinnung kostbarer Ressourcen und zur Vermeidung von schädlichen Entwicklungen, wie Entartungen, Zelltod oder der übermäßigen Bildung von Radikalen. Dutzende Gene, vor allem die sogenannten Atg’s (autophagy-related genes) sind daran beteiligt. Gene wiederum sind definiert als die Abfolge von Informationen in der DNA (Basenabfolge) deren Nutzung die Bildung biologisch-aktiver Moleküle bewirkt. Solche biologisch-aktiven Moleküle sind vor allem Proteine (aber auch RNA, mehr dazu an anderer Stelle vielleicht) und hier besonders die Enzyme. Atg’s kodieren ihrerseits vor allem für ganz besondere Enzyme und diese Enzyme bauen letztlich den Packman zusammen.

expression of atgs deutsch.png

Es ist aber wichtig zu wissen, dass die Gespenster dies nicht ohne Weiteres zulassen. Sie verhindern nicht nur den Zusammenbau des Packman, sie stören auch seine Arbeit und verhindern sogar das Ablesen der Information zum Zusammenbau auf Ebene der Chromosomen (DNA). Das spannende an diesem Prozess ist nebenbei bemerkt, dass die Gene für die Autophagie auf mehrere verschiedenen Chromosomen kodiert sind. Wenn ich mich nicht verzählt habe, dann sind diese Gene (≥33) auf mindesten 14 Chromosomen verstreut. Trotzdem spielen letztlich alle wie in einem Orchester zusammen um den Packman bzw. die Autophagie zu ermöglichen. Aber was genau ist dieser Packman eigentlich? Im Wesentlichen handelt es sich bei unserem zellulären Packman um eine Art Vakuole wie wir sie schon im zweiten Artikel kennengelernt haben. Diese besondere „Spezial-Vakuole“ wird auch als Autophagosolysosom bezeichnet und ist prinzipiell ein Fetttropfen, welcher durch das Zusammenspiel zahlreicher Proteine entsteht (siehe dazu die nächste Abbildung).

Packman entsteht deutsch.png

Wie im Bild zu sehen beseitigt unser Packman hier gekonnt ein paar fehlerhafte Mitochondrien, die außer schlechter Luft (in Form von Freien Radikalen) wenig oder nichts brauchbares mehr für uns herstellen und daher vor allem schädliche Ressourcenfresser sind. Dieser als Mitophagie bezeichnete Vorgang ist einer der wenigen recht gut verstandenen selektiven Autophagiemechanismen. Packman kann aber auch nicht-selektiv einfach mal querbeet Müll wegschaffen. Ein wahrer Alleskönner also. Im Wesentlichen ist lediglich erforderlich, dass der initiale Komplex (ein Großkomplex aus verschiedenen Atg-Proteinen), welcher durch die Gespenster ausgebremst wird, frei agieren kann. Sobald er sich vom Einfluss der Gespenster losreißen konnte, greift er sich Membranfragmente (also kleine Fettstückchen wenn ihr wollt) und rekrutiert weitere Atg-Proteine zu dieser initialen Membran. Diese weiteren Proteine bewirken dann eine Vergrößerung der Membran und vermitteln die Aufnahme potentieller Autophagie-Opfer. Mehr und mehr bewirken diese Proteine die fortlaufende Vergrößerung dieses sogenannten Autophagosoms, sowie die Rekrutierung von Opfern. Dadurch werden immer mehr der zum Untergang geweihten Opfer eingeschlossen bis schließlich ein abgeschlossenes Tröpfchen mit Müll im Inneren entstanden ist. Dieses Tröpfchen fusioniert schließlich mit einem sogenannten Lysosom (auch ein Fetttröpfen) zum Autophagolysosom. Das Lysosom bringt, neben seinem sauren Inneren, eine ganze Reihe weiterer Enzyme mit, die in der Lage sind biologische Moleküle abzubauen. Diese Enzyme (auch als Hydrolasen bezeichnet) verdauen schließlich den gesammelten Abfall, wie die beschädigten Mitochondrien in unserem Falle. Was übrig bleibt ist nun nicht mehr schädlich für die Zelle und kann zur Energiegewinnung oder für andere Aufgaben verwendet werden.
Wir haben nun also gesehen wie dieser Packman entsteht, was er eigentlich ist, was er grundsätzlich so treibt und wo er so seine Schwierigkeiten hat. Wir haben aber noch nichts über Packmans härteste Gegner „Die Gespenster“ erfahren. Im nächsten Artikel schauen wir uns deshalb diese lästigen Zeitgenossen etwas genauer an und im letzten Artikel werden wir dann gemeinsam beurteilen auf wen ihr am besten zählen solltet. Wie ihr vielleicht Packman mehr Raum lassen könnt und die Gespenster am effizientesten vertreibt.
Bis dahin vielen Dank, dass ihr bis hierher gelesen habt. Ich hoffe wir sehen uns auch in den nächsten Artikeln wieder. Falls ihr auch ein paar tolle Beiträge zum Thema habt, lasst es mich bitte wissen.

Bis zum nächsten Artikel

Euer Chapper

Quellen:

Das Bild mit den einzelnen Organisationseinheiten der Zelle, sowie das Bild mit der Gespenster-Invasion hab‘ ich selbst-gebastelt und kann ohne Bedenken frei verwendet werden. Es wäre aber schön, wenn ihr diesen Artikel hier zitieren könntet. Danke sehr 😉

Die DNA, das Abfallsymbol, sowie das Elektrizitätszeichen in den ersten beiden Bildern stammen von Pixabay und können ebenfalls frei verwendet werden.

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Die beiden Abbildungen in denen sich Packman bildet hab‘ ich auch selbstgebastelt, allerdings stammen die gezeigten Proteine von Protein data base, weshalb jene gesondert verlinkt sein sollen.

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Falls ihr euch weiter zum Thema belesen wollt, dann schaut doch einfach mal die folgenden Artikel an oder fragt mich direkt.

Jan Osterkamp; Nobelpreis für Physiologie oder Medizin: Abfallcontainer für den zellulären Recyclinghof; Spektrum der Wissenschaft 12.16; S. 25-26

Bill Gifford; Gerontologie: Der Methusalem-Effekt; Spektrum der Wissenschaft 2.17; S. 42-49

Marino, G., et al., Self-consumption: the interplay of autophagy and apoptosis. Nat Rev Mol Cell Biol, 2014. 15(2): p. 81-94.

Dikic, I. and Z. Elazar, Mechanism and medical implications of mammalian autophagy. Nat Rev Mol Cell Biol, 2018. 19(6): p. 349-364.

Bezüglich der Atgs kann man hier nachschlagen

Viel Spaß

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