Ohne Netz und doppelten Boden

in #deutsch6 years ago

Ja Hallo! Öch bön wieda daa!

Aufgrund ausserhäuslicher Umstände war ich gezwungen wochenlang auf das www zu verzichten.
Und.
Es.
War.
Die.
Hölle.

Zuerst die Vorgeschichte:

Ich habe aufgrund meiner Depressionen und der derzeitigen familiären Lage nach dem Abrechnungsmonat vergessen die Stadtwerke zu bezahlen. Ja, das sollte man immer zuerst erledigen aber ich und andere Familienmitglieder waren einfach zu niedergeschlagen über die gesundheitliche Entwicklung eines nahestehenden Menschen der uns allen viel bedeutet.

Dann war mein Spülkasten einige Zeit defekt und habe ein Mehrfaches an Wasser verbraucht was die Rechnungskosten in die Höhe getrieben hat. Natürlich versuchte ich eine Ratenzahlung mit den Stadtwerken zu vereinbaren, die sich jedoch weigerten. Die Stadtwerke drohten mir zuerst das Wasser abzustellen wenn ich nicht innerhalb von einer Woche den Defekt reparieren lasse.

Wir alle wissen und kennen die Kosten eines Handwerkers und das Geld musste ich erst zusammensparen. (Inzwischen weiß ich das diese Kosten auf den Vermieter zurückfallen) Ohne nachgewiesene Reparatur stellte man mir also eine Woche später das Wasser ab. Warmwasser lief danach nur noch über den Vermieter. Ihr könnt euch sicher vorstellen das dies nicht einfach ist aber mit ein wenig Eimerarbeit ist auch das zu schaffen. Natürlich überprüfte ich meine Finanzen und mehr als 20,- kann ich im Moment nicht zurücklegen.

Nun die Hauptgeschichte:

Nach zwei Monaten kam die erste Mahnung über die ausstehende Zahlung und habe als Zeichen des guten Willens 100,- überwiesen. Am nächsten Tag versuchte ich für die Nachzahlung eine Ratenzahlung zu vereinbaren, welche abgelehnt wurde. Zu diesem Zeipunkt wusste ich nicht weiter und jemanden in der Familie nach einem Kredit zu fragen während alle auf ein gesundheitlich sehr stark angeschlagenes Familienmitglied fokussiert war, kam mir falsch vor. Eine geringe Bonität verhinderte dann auch die Möglichkeit einer anderen Kreditaufnahme.

Und so wurde mir nach dem Eingang der zweiten Mahnung schließlich der Strom am 5.4.2018 abgestellt. Natürlich habe ich gleich darauf versucht mit den Stadtwerken zu reden, die sich allerdings quer stellten. Glücklicherweise hatte meine Schwägerin mir zwei Tage vorher ihr Netbook geliehen, sodaß ich wenigstens an den zwei einzigen Orten in diesem abgelegenen Scheißkaff an denen es Wi-Fi gibt, mich im Internet schlau zu machen. Die eine Möglichkeit ist ein Eiscafe 500m entfernt und ein anderes Cafe beim EDEKA in einer Entfernung von 3Km.

Und dort fand ich heraus, dass es die Möglichkeit eines Antrags auf ein Darlehen für Energieschulden beim Jobcenter gibt. Das machte ich dann am 6.4.2018 dann auch. Und wie es so ist fehlten mir einige Dokumente. So saß ich das erste Wochenende ohne Strom und Wasser in meiner Wohnung.

Am Montag war ich sofort morgens beim JC, wo man mir erklärte das eine schriftliche Ablehnung der Ratenzahlung seitens der Stadtwerke fehlte. Nächster Halt: Wieder Stadtwerke, wobei der Sachbearbeiter mir das Scheiß Schreiben natürlich am letzten Donnerstag hätte mitgeben können, damit das ganze schneller vonstatten geht, denn ich bin wahrscheinlich nicht der erste oder einzige der in solch einer Scheißlage gewesen ist. Aber Nein, sowas muss man beantragen um den Schrieb zu bekommen.


Am Dienstag dann denn Wisch im JC nachgereicht(Anträge gehen bis 9 Uhr in die Bearbeitung)
Und dann hiess es warten...
Am Donnerstag den 12. 4. fragte ich nachmittags(ich recherchierte den ganzen Vormittag) nach, wie weit mein Antrag bearbeitet sei. Da gab es die Nachricht das ich(oder mein Vermieter) erst den defekten Wasserkasten bis zum 29.4. reparieren müsse bevor der Antrag weiterbearbeitet werden kann. Ich bin mir nicht sicher ob das JobCenter mir diese
Auflage machen durfte. Zu diesem Zeitpunkt wurde ich schon mehr als sauer. Laut meinen Internetrecherchen muss das JC nämlich die Notlage zügig beheben, egal ob die Energieschulden selbst verantwortet wurden oder nicht. Mit der Stromsperre tritt eine Notlage ein, die mit Obdachlosigkeit gleichzustellen ist.

Zu diesem Zeitpunkt hatte ich etwas über 50,- für die Reperatur zusammengespart und konnte mir 30,- bei jemanden aus der Familie borgen. Ich vermutete schon das die Kosten 80-100,- betragen würden, wovon das meiste sicherlich auf die Personalkosten fallen würde. Selbstverständlich wollte ich den Schaden so schnell wie möglich beheben lassen und nahm die Kosten auf meine Kappe. Donnerstag nachmittags fand ich keinen Klempner mehr...


Freitags(13.4.) morgens dann einen Klempner gefunden ... der erst am Montag nach dem Wochenende einen Termin frei hatte.
Das war dann das zweite Wochenende ohne Wasser und Strom.
Nun war ich fast am Durchdrehen: Keine Dusche seit mehreren Wochen und bei den sommerlichen Temperaturen auch keine Möglichkeit Essen zu kühlen oder zu kochen, und abends bei Kerzenlicht rumsitzen.Den Kühlschrank hatte ich schon Tage vorher ausräumen müssen und den vergammelten Inhalt am liebsten den Sachbearbeitern im JC über die Köpfe gekippt. Eine Notlage zu beseitigen hat für das JC in meinem Ort anscheinend keine Priorität.

Kurzerhand fragte ich meine Eltern ob ich ein Wochenende lang bei ihnen übernachten könnte, was bedeutete, das ich ihnen die missliche Lage erklären musste. Sie hatten Verständnis und als Ausgleich half ich etwas Haushalt aus. Gleichzeitig hatte ich ein Auge auf das erkrankte Familienmitglied. Meine Eltern besitzen ein grosses Rasenstück und einen, inzwischen weniger genutzten Garten wo ich einige Zeit verbrachte und etwas Aufräumarbeiten durchführte.

Den Montag darauf musste ich den Klempnertermin wahrnehmen, und der Klempner kam sogar eine halbe Stunde eher. Wie ich vermutet hatte, betrugen die Kosten knappe 80,-. Nach Abgang des Klempners ging ich sofort zum Büro des Klempners, bezahlte und fertigte eine Kopie der Rechnung an. Am Dienstag darauf war ich gleich morgens beim JC. Endlich waren alle Hindernisse beseitigt dachte ich. Doch am Donnerstag war noch immer nix passiert, denn der Scanservice des JC braucht zwei Tage um aus einem Scan eine elektronische Akte zu machen. Man gab mir zu verstehen, das der Antrag vor dem nächsten Wochenende nicht bearbeitet werden würde und das am 20.4. das JC ab 10 Uhr wegen einer Veranstaltung geschlossen hätte. Den zuständigen Sachbearbeiter sagte mir das mein Antrag erst noch dem Teamleiter vorgelegt werden müsste und das der Antrag und daraufhin der Strom nächste Woche wieder angestellt werden würde.


Viel Vertrauen hatte ich nicht in diese Aussage, hatten sich die Beamten doch bisher eher als langsam in ihrer Arbeitsweise qualifiziert.

Und so war mein Puls auf 180 und das dritte Wochenende ohne Strom und Wasser stand bevor. Daraufhin suchte ich den nächsten Rechtsanwalt auf ... der jedoch in Urlaub war. Seine Sekretärin druckte mir freundlicherweise einen Beratungsschein für das Amtsgericht aus. Natürlich muss man hierzu wieder seitenlange Dokumente sammeln, bevor dieser bewilligt wird. Doch es war Freitag und nix lief mehr in diesem Scheißkaff mit zehntausend Einwohnern.


Bevor mir selbst die Sicherung durchbrennen konnte, rief ich noch mal meine Eltern an und bat um eine Übernachtungsmöglichkeit. Es war der 20.4.2018. Diesmal mähte ich das Rasenstück komplett, was ungefähr die Größe von 500qm2 hat, half das Unkraut zu jäten und andere Kleinigkeiten rund ums Haus zu erledigen. Endlich konnte ich auch wieder eine gründliche Körperreinigung vornehmen und etwas warmes essen.
Diese Pause tat mir gut und ich versuchte den Ärger währenddessen zu vergessen.

Bis zum 25.4 schlief ich bei meinen Eltern und kreuzte die Finger als ich wieder zuhause war. Gespannt ging ich die Meter zu den Sicherungskästen, schaltete das Licht an und suchte den Stromzähler auf.

Und ratet mal was ich sah ... der Strom war immer noch nicht entsperrt und Wasser lief auch keines.


Nein, von einer schnellen Beseitigung einer Notlage kann man beim ortsansässigen Jobcenter wirklich nicht sprechen.
Und deswegen sitze ich bei batteriebetriebener LED Beleuchtung am Mittwochabend hier und schreibe euch diese Zeilen damit ihr wisst warum ich solange offline war und nichts habe posten können. Mittlerweile haben wir den 28. April und gestern Mittag wurde endlich der Strom wieder freigeschaltet ... Allerdings soll ich einen Klempner beauftragen der die Rohre durchspült weil durch die lange Nicht-Entnahme des Wassers sich eventuell Keime gebildet haben. Dauert also noch eine Weile bis ich wieder duschen kann.

Das Ende?

Wie heisst den der Ort mögt ihr euch fragen, wo das Jobcenter die Notlagen Bedürftiger so lange wie möglich in die Länge zieht?
Es ist das achso wunderschöne Bad Pyrmont, welches in Denken und Verhalten immer noch im vorletzten Jahrhundert verweilt. Wo die jungen Leute wegziehen weil es weder Jobs noch Freizeitangebote für sie gibt. Wo die Straßen und Bürgersteige Schlaglöcher und Risse haben, und Senioren und Patienten mit Gehilfen ständig unsicheren Schrittes
mit gesenkten Köpfen gehen; wo im Winter kein Streugut vorhanden ist und die Alten mit den Rollatoren nicht durch den Schnee oder vereisten Flächen kommen; wo Geld für einen Schulneubau ausgegeben wird obwohl die Schulanmeldungen rückläufig sind; wo Angriffe auf Schüler auf Anordnung aus dem Rathaus unter den Teppich gekehrt werden damit keine schlechte Publicity aufkommt; wo es fünf Jahre dauert bevor es zu einer Entscheidung kommt um eine kleine Brücke zu ersetzen; wo Arbeitslose eim Jobcenter blöde Sprüche an den Kopf geworfen werden; wo 1,-Jobs dazu benutzt werden in den Altersheimen die Plätze von ausgebildeten Fachkräften zu besetzen oder an Drittstellen ausgeliehen werden; wo eine Klüngelschaft aus "hochrangigen" Leuten sich schnellstens die besten Stücke schnappt wenn das AIBP(Arbeitsloseninitiative Bad Pyrmont) eine Wohnungsauflösung durchführt; wo das Wasser so hart ist, das man jede Maschine, die mit Wasser zu tun hat, in der Hälfte der Zeit ersetzen muss als in anderen Orten; wo die besten Ärzte aus den Krankenhäusern mit Intrigen vertrieben werden; wo die Geschäfte immer wieder geschlossen werden da die Vermieter immer noch denken das sie als Kurort eine höhere Miete verlangen können; wo die Polizei dich an eine andere Dienststelle verweist, weil sie ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr tätig ist; wo vor Jahren das Schützenfest abgeschafft wurde, weil es immer wieder zu Schlägereien und Messerstichereien kam derer die Politik und Justiz nicht habhaft werden konnten; wo die Sparkasse viele Events sponsort, weil die Stadt es nicht mehr kann oder will; wo die Anzahl an günstigen Wohnungen nicht vorhanden ist ... und wo Menschenhändler Thailänderinnen zur Prostitution gezwungen haben.

Bad Pyrmont hat sich von einem schönen Kurort in eine abgehängte Gemeinde entwickelt und einige Geschäftsinhaber und andere, mit denen ich gesprochen habe, sehen keine Zukunft mehr. Vor zwei Monaten ist mein letzter Kumpel weggezogen, denn er hat woanders eine bessere Arbeitschance bekommen. Aus der alten Clique ist nun keiner mehr da. Die Tage und Abende sind zu hohlen Stunden verkommen. Die anfänglichen Zusagen, dass man in Kontakt bleibe, verlaufen alle nach kurzer Zeit im Sand. Verständlich, denn wenn man irgendwo neu anfängt hat man andere Sachen zu tun. Neue Arbeitskollegen, neue Arbeitszeiten, neue Wohnung, Kindergartensuche, neue Freundschaften schliessen.


Die Re-orientierung führt zum Abbruch der Brücken und zurück bleibt nur der Aschegeschmack aus den Ruinen von den Dingen die das Leben lebenswert gemacht haben.

Ich hasse dieses Kaff.

Euer

Arzon Cnaster

Sort:  

man man man , da gab es ja ne Menge zu tun. Ich kenn das... Mit Rechnungen nicht bezahlen... Hatte das bei Gas einmal... Problem dabei war, wir hatten sogar Gasöfen.... nun stehst da und und die wollen dann gleich noch Heizungsbauer etc damit die wieder angeschlossen werden können.... Abenteuerlich... Aber dennoch welcome back.

Dankeschön. Ja, einmal nicht gezahlt, geht das ganze System den Bach runter und bestraft dich mit noch mehr Rechnungen und anderem Mist. Man kommt sich vor wie ein Höhlenmensch aber man merkt wie stark abhängig von solchen Dingen ist.

tut mir sehr leid, dass es grad so scheiße läuft bei dir Arzon. Wünsche dir und deiner Familie wieder bessere Zeiten!

Dankeschön. Ohne schlechte Zeiten würden wir die guten nicht zu schätzen wissen.

Hm, ich glaube Menschen mit eigenen Gedanken haben es meist schwerer. Es ist die Frage was uns wichtig ist und für was wir einstehen, wie sehr wir uns beugen oder beugen lassen müssen. Ich schätze man findet irgendwann eine vernünftige Balance für sich. Es ist gut, dass du auch komplizierte Lebenssituationen mit einem gewissen Humor nimmst.

Es überlebt nur, wer sich anpassen kann: In bestimmten Situationen muss man biegsam wie ein Grashalm sein, in anderen dagegen standhaft. Es bringt nix sich wie ein Irrer auf einen Tsunami stürzen zu wollen ... es sei denn man ist Aquaman. Ansonsten sollte man lieber die Beine in die Hand nehmen.
Ohne Humor könnte niemand den Wahnsinn überleben.

Volle Zustimmung!

harte story.
Aber irgendwann gehts wieder aufwärts

Jo, das sehe ich auch so. Es kann ab hier nur noch aufwärts gehen ... denke ich.

Hi,

alles zur Kenntnis genommen - STOP -
Willkommen im Club der realen WLAN Nomaden - STOP
Hab hier auch so ein ähnliches Program, nur nicht mit Ämtern - STOP
Laß dich nicht unterkriege und dreh den Spieß rum.
Fang an DIE zu nerven. STOP

Herr @leroy.linientreu hat da sicher für den eine oder anderen Vorgang schon Muster Roadmaps, ob Behörden oder die halbprivaten Schwachbackenvereine, wie Stadtwerke und Co.

Das schöne Kurstädtchen Bad Pyrmont kann sich doch gar keine schlechte PR leisten ;)

Wenn ich dir helfen kann - du weißt wie der Memokram funktionakelt.
;) Alternativ der Zwitschervogel. Müsste ich eh mal wieder rein schauen.

Instructions unclear: Spieß umgedreht und in den Fuß gepiekst.
Danke für den Zuspruch. Werde versuchen aus diesem Kaff so schnell wie möglich weg zu kommen.
Die Suche läuft bereits.

Das ist schon mal eine guter Ansatz.

Ich hab ne Brieftaube geschickt.
Vielleicht kommst da zwischendurch besser ran.
TweepTweep

Wenn die Kacke einmal losgeht, kommt es immer alles auf einmal. Alles Gute, Mann.

Jo, das Universum liebt es, Domino mit seinen Bewohnern zu spielen.
"Ui, guck mal, bei dem da, das sieht gut aus. Was passiert wohl wenn jemand hier, genau hiiieer einen Stein umfallen lassen würde? Och nu, da geht das grosse Gestresse los. Hübsch wie die Steinchen fallen"
So oder ähnlich muss das sein wenn dem Universum langweilig ist.

wow well story i like this keep it up and thanks for shareing

Thanks for reading. Keep it up.

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