Wie ich aus meiner Schwäche eine Stärke machte

Vor ca. 5 Jahren, also 2011-2012 war ich kurz davor bei Strongman-Wettbewerben teilzunehmen; für diejenigen, die nicht wissen, was das ist; das sind die verrückten, übergewichtig aussehenden Männer, die LKWs durch die Gegend ziehen, schwere, unhandliche Steine herumschleppen, Waschmaschinen schmeissen usw.

Ich hatte mir zum Ziel gesetzt, nur dann an einem Wettkampf teilzunehmen, wenn die realistische Chance besteht, unter die ersten 5 zu kommen. Um dieses Ziel zu erreichen habe ich jahrelang hart trainiert. Irgendwann war ich dann soweit, dass meine Trainingsleistungen so gut waren, dass ich mit diesen Leistungen locker unter die ersten 5 in jedem Wettkampf gekommen wäre. Also war es an der Zeit, diese Leistungen auch in Wettkämpfen zu zeigen.

Kurz vor dem ersten Wettkampf bin ich dann aber gestolpert und habe mir dabei das rechte Handgelenk verletzt. Nach ein paar schmerzvollen Wochen und zwei Fehldiagnosen stellte sich am Ende heraus, dass ich SLD (scapholunäre Dissosation) hatte. Ich will hier nicht zu medizinisch werden, daher nur eine kurze Erklärung, SLD ist die am häufigsten vorkommende Verletzung des Handgelenks; ein winzig kleine Band zwischen zwei Knochen am Handgelenk zerreist; wenn es innerhalb der ersten sechs Wochen nicht behandelt wird, sprich Operation, besteht keine Möglichkeit auf Heilung.

Zudem, dass es äussert schmerzhaft ist, wird auch die Beweglichkeit der Hand sehr stark eingeschränkt. Es gab Phasen während dieser, in denen ich meine rechte Hand nur zum Zähneputzen und Essen benutzen konnte. Selbst alltägliche Dinge wie das Tragen einer Einkaufstasche oder das Heben einer Flasche waren nicht möglich.

Ich beschloss, mich operieren zu lassen und hatte auch schon einen Termin für die Operation, doch da ich eine Person bin, die bevor sie derartige Entscheidungen trifft, lange forscht und sucht bin ich tagelang im Internet gewesen auf der Suche nach SLD-Patienten, die sich operieren liessen und ihre Erfahrungen teilen.

Die Tatsache, dass ich mehrere Sprachen spreche half mir dabei sehr. Ich wurde auf deutsch nicht fündig; auf englisch hatte ich in einem Kampfsport-Forum die Geschichte eines jungen Mammes gelesen, der sich operieren liess und dem es daraufhin anfänglich sehr gut ging. Aber nach einiger Zeit hatte er dieselben Probleme wieder, nur dass diesmal eine Operation nicht möglich war, da das Band so klein ist, dass einfach nichts mehr ging.

Schliesslich fand ich einen Mann aus Paris, der schrieb, dass er, obwohl die Operation sehr gut verlaufen war, seine Hand keinem Stress aussetzten kann; so hat er z.B. sein Hobby, BMX-Fahren aufgeben müssen, weil das Gelenk die Stösse nicht abfangen kann.

All die geschichten, die ich gelesen habe, waren von leuten, die innerhalb der ersten 6 Wochen operiert worden waren. Da bei mir schon knapp 4 Monate verstrichen waren, war mir bewusst, dass das Ergebnis bei mir noch schlechter sein musste.

Mit diesem Wissen, suchte ich die Adressen und Telefonnummern von allen für Handverletzungen spezialisierten Kliniken und Ärzte in Deutschland, Österreich und der Schweiz und verbrachte die nächsten 3 Tage mit e-mail schreiben und telefonieren. Da die meisten dieser Kliniken und Ärzte Privatkliniken waren, war die Standardantwort etwas wie: "Da lässt sich sicher etwas machen! Machen Sie einen Termin!"

Letztendlich telefonierte ich mit der Sprechstundenhilfe eines Arztes im Ruhrgebiet und schilderte ihr meinen Fall, worauf sie sagte, der Herr Doktor wird Sie in ein paar Minuten zurückrufen. Ich hatte zwar nicht daran geglaubt, dass er zurückrufen wird, aber tatsächlich klingelte nach ein paar Minuten mein Handy. Dieser Arzt nahm sich mehr als 20 Minuten Zeit und riet mir von einer Operation ab mit der Begründung (kurz gefasst), eine Operation sollte vermieden werden, wenn der Ruheschmerz erträglich ist!

Also sagte ich die geplante Operation ab! Da ich meine Hand die folgenden Wochen und Monate radikal schonte, häufig mit Eis behandelte und zudem noch Akupunktur anwendete (darüber werde ich, so Gott will, einen extra Artikel schreiben; dieser hier ist sowieso schon viel länger geraten als ich wollte) hielten sich die Schmerzen in Grenzen und irgendwann war ich dann auch fast schmerzfrei.

Natürlich konnte ich die Hand nicht für viele Dinge verwenden, aber ich konnte alle kleineren alltäglichen Tätigkeiten ohne Schmerzen ausführen. Andere Dinge, wie z.B. meine damals 18 Monate alte Tochter auf den Arm nehmen ging hingegen nicht.

Natürlich hatte das Ganze auch zur Folge, dass meine Karriere im Strongman-Sport zu Ende war bevor sie überhaupt begonnen hatte. Durch die Schmerzen habe ich natürlich auch aufgehört zu trainieren. Aber knapp zwei Jahre später, also 2014, habe ich mich dann wieder angefangen zu trainieren, da ich diesen Sport, bzw. das mich selber gegen die Gravitation messen zu sehr vermisste; ich nenne es auch Eisenmangel;)

Selbstverständlich war ein auch nur annähernd ähnliches Training zu früher nicht möglich. Zwar war meine rechte Hand meist schmerzfrei, und ich konnte sie auch immer mehr für alltägliche Dinge verwenden, doch Gewichttraining ist nicht denkbar. Deshalb musste ich das Training der Hand anpassen und eben nicht mit dem Ziel, an einem Wettkampf teilzunehmen.

Zu Beginn machte ich eigentlich nur eine einzige Übung - die Kniebeuge. Im Laufe der Zeit überlegte ich dann, was ich noch ins Training einbauen kann ohne meine rechte Hand zu belasten und irgendwann stiess ich dann auf das einarmige Kreuzheben.

Beim einarmigen Kreuzheben geht es darum, eine Hantel vom Boden zu heben, so dass die Endposition der Hantel über den Knien ist, und wie der Name schon sagt, das Ganze mit einem Arm bzw. einer Hand.

Diese Übung passte wie angegossen für meine Bedürfnisse. Meine Schwäche, dass ich meine rechte Hand nicht benutzen konnte, wurde in dieser Übung meine Stärke. Im Laufe der Zeit beherrschte ich diese Übung immer besser und konnte einiges an Gewicht draufpacken.

Zur Zeit liegt meine Bestleistung bei 165 kg, was für gut 2 Jahre Training gar nicht mal so übel ist. Ihr könnt ja mal versuchen die selbe Übung mit 2 Händen zu machen und mir dann ein Kommentar da lassen, wie viel ihr geschafft habt. Würde mich wirklich sehr interessieren.

Mein Ziel ist es nun, den Welkrekord für meine Gewichtsklasse in dieser Disziplin zu brechen, der bei 200 kg liegt. Es sind zwar "nur" noch 35 kg bis dahin, aber es wird ein sehr langer und harter Weg. Aber ich weiss, dass ich mit Gottes Hilfe dieses Ziel erreichen werde (falls keine anderen unvorhergesehenen Dinge geschehen), denn meine Schwäche, nur eine Hand verwenden zu können ist in diesem Fall meine Stärke, denn ich kann mich voll und ganz auf dieses Ziel konzentrieren und muss mich nicht auch in anderen Übungen verbessern.

Danke für eure Geduld, wenn ihr bis hierher gelesen habt.

Ich wünsche euch allen eine friedliche und gesunde nächste Woche und hoffe, dass ihr etwas aus meiner Geschichte mitnehmen konntet.

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Bilderquelle 1, 2, 3, 4