Interview zur Lage in Lateinamerika: “Der PetroCoin ist nur ein politisches Instrument”
Lateinamerika ist ein Kontinent der Gegensätze. Nirgendwo sonst auf dem Globus befinden sich reich und arm so nah beieinander. Politischer Populismus, schlechte Wirtschaftspolitik, Inflation und Korruption sind seit Jahrzehnten die zentralen Probleme für lateinamerikanische Länder. Besonders Argentinien und Venezuela kämpfen mit starker Inflation und einer kontinuierlichen Abwertung ihrer jeweiligen Staatswährungen, des Bolivars und des argentinischen Pesos. Dieser Umstand macht Kryptowährungen besonders attraktiv für viele Lateinamerikaner, die nicht wollen, dass ihre Ersparnisse über Nacht ihren Wert verlieren.
Chile bildet jedoch die Ausnahme in Südamerika. Eine relativ gut geführte liberale Wirtschaftspolitik, stabile politische Verhältnisse und eine konservative Währungspolitik durch die chilenische Zentralbank,sorgten in den letzten Jahrzehnten für einen wirtschaftlichen Aufschwung. Viele Nachbarländer nehmen sich dies als Beispiel. Chile ist prädestiniert dazu, eines der Hubs für neue Entwicklungen in Lateinamerika zu sein. Wie ist in einem wirtschaftlich stabilen Land wie Chile also der Blick auf Kryptowährungen und die Blockchain-Technologie?
Wir befragten dazu Mario Basaure und Guillermo Torrealba. Mario Basaure hält einen Abschluss in Business Engineering an der „Universidad Catolica de Chile“ und ein MBA an der Schweizer IMD. Guillermo Torrealba ist der Gründer von Sur-BTC, heute BUDA, welches die erste Kryptowährungsbörsen in Chile und eine der ersten in Lateinamerika ist.
Blockchain wird “alles Dagewesene verändern”
Wie seid ihr beide auf das Thema Kryptowährungen und Blockchain gestoßen?
Mario: Ich war damals als Leiter eines Family Office tätig, welches nach zusätzlichen Investitionsfeldern abseits ihres Kerngeschäfts den Real Estate und Bauwesen gesucht hat. Wir entschieden uns damals, die FinTech-Branche genauer zu erforschen, da wir ein großes Wachstumspotential in diesen Bereich erkannten. So kam ich an einen gemeinsamen Bekannten von mir und Guillermo, der ebenfalls bei Buda tätig ist.
Beide fingen gerade mit Buda an und stellten uns ihre Idee vor. Das Family Office, für das ich damals tätig war, investierte in Buda. Ich wurde der Geschäftsführer und verließ daraufhin meinen damaligen Arbeitgeber. Was das Thema Blockchain angeht, habe ich nach mehreren Monaten intensiven Studiums der Materie den Gedanken gehabt: „Das wird alles Dagewesene verändern!“ Ab da gab es für mich keinen Weg zurück.
Faszination am Thema Blockchain
Guillermo: Ich habe das erste Mal im Jahr 2014 von der Blockchain gehört und die Technologie hat mich sofort fasziniert. Sie steht konträr zu vielen der ökonomischen Paradigmen, die mir in der Universität beigebracht wurden. Dies wird mit technologischen Argumenten untermauert, die für mich eindeutig waren. Die Kryptowährungen sind nicht irgendein Hirngespinst der „Millenials“, die nicht von den Banken abhängig sein wollen. Sie sind vielmehr von Akademikern entwickelt worden, die nach der Finanzkrise 2008 die Dringlichkeit gesehen haben, unseren Finanzmarkt von vielen korrupten Elementen zu befreien.
Guillermo, die chilenische Wirtschaftsförderungsbehörde CORFO hat euch Seedcapital für die Gründung von Sur BTC, heute Buda, erteilt. Kann man diesen Akt als eine wohlwollende Politik in Bezug auf Kryptowährungen und der Blockchain-Technologie seitens der chilenischen Regierung werten?
Guillermo: Ich würde es nicht so werten, da ich sehr stark anzweifle, dass man damals bei CORFO viel von der Materie verstanden hat. CORFO vertraut vielmehr in gute Projekte von gut ausgebildeten Entrepreneuren. Beides traf auf uns zu. Nichtsdestotrotz unterstützen sie heute mehr Projekte, die Kryptowährungen als Geschäftsgegenstand haben, da CORFO mittlerweile bewanderter in der Materie ist.
Blockchain wird sich durchsetzen
Mario, du bist als Investor eines Family Office mit Buda und somit mit Guillermo in Kontakt getreten. Was hat dich damals bewegt, als FO-Leiter in Sur BTC zu investieren ?
Mario: Abgesehen von meinen Ausführungen zu deiner ersten Frage haben wir im Bitcoin eine Erfindung erkannt, die das Potential besitzt, alles zu verändern. Wir haben auch erkannt, dass die Investition in Kryptowährungen mit enormen Risiken verbunden ist – obwohl wir fest davon überzeugt sind, dass sich die Blockchain-Technologie durchsetzen wird. Im Jahr 2015 war das Thema noch viel unsicherer, als das heute der Fall ist. Der Schock und die Folgen durch den Fall von Mt. Gox waren noch spürbar. Deshalb sahen wir die Unternehmensform Exchange als sicherer an, da wir gegebenenfalls auch andere Coins integrieren können. Dies erlaubte uns, der Technologie an sich, und weniger dem BTC folgen zu müssen.
Guillermo, Buda ist die erste Exchange in Chile und eine der ersten in Lateinamerika. Was bewegte dich damals, Sur BTC zu gründen?
Guillermo: Die Exchanges sind das wichtigste Glied in der Wertschöpfungskette einer Wirtschaft, die auf Kryptowährungen basiert. In Chile gab es keine, also beschloss ich da anzusetzen.
Krypto-Investoren sind in südamerikanischen Ländern eher selten
Mario, gibt es andere chilenische oder lateinamerikanische Family Offices, von denen du weißt, dass sie in diesen Bereich investieren?
Ich weiß von einigen Family Offices, die in Kryptowährungen wie Bitcoin investieren. Diese Family Offices sind allerdings solche, die ein Risikoschwerpunkt in ihrer Anlagestrategie verfolgen. Ich kenne keine genauen Zahlen, aber ich denke, dass sie einen kleinen Teil der Gesamtinvestitionen ausmachen, was ich persönlich vernünftig finde.
Wie empfindet ihr die momentane Politik Chiles in Bezug auf die Blockchain-Technologie? Was würdet ihr euch von der chilenischen Regierung wünschen?
Mario: Chile ist zwar ein offenes Land, was neue Technologien angeht, wird aber auf keinen Fall einer der Pionier-Staaten, um diese zu legalisieren. Mein Eindruck ist, dass der chilenische Staat eine „Wait and See“-Politik verfolgt und lediglich versucht, die Steuerthematik, die sich durch die Kryptowährungen auftut, zu regulieren. Chile wird aus meiner Sicht ein Mitläufer-Staat werden und kein Pionierstaat.
Momentan keine klare Stellungnahme aus Chile
Guillermo: Es gibt momentan keine klare Stellungnahme seitens der chilenischen Regierung zu Kryptowährungen oder der Blockchain. Es sollte allerdings Klarheit darüber geben, wie der chilenische Staat und die Regierung diese Technologie betrachten. Dies sollte aber nicht zwangsläufig eine Regulierung implizieren. Bitcoin und die anderen Kryptowährungen brauchen keine extra Regulierung. Man sollte vielmehr entscheiden, welche bestehenden Regulierungen auf Unternehmen anzuwenden sind, die im Blockchain-Bereich arbeiten.
Chile “im Verlgeich schlecht aufgestellt”
Chile ist eines der politisch und wirtschaftlich stabilsten Länder in Lateinamerika. Darüber hinaus verfügt Chile über eine sehr hoch entwickelte Finanzwirtschaft sowie ein sehr gutes Level an gut ausgebildeten Fachkräften. In Anbetracht der eben genannten Punkte, denkt ihr, dass sich Chile als das lateinamerikanische Crypto Valley entwickeln kann? Was denkt ihr, müsste Chile tun, um dies zu werden?
Mario: Wir haben mit der Zeit herausgefunden, dass eines der größten Probleme und Engpässe in dieser Industrie der Mangel an geeigneten Fachkräften ist. In diesem Sinne hat Chile einen relativen Konkurrenzvorteil gegenüber seinen Nachbarn. Wenn wir aber das große Ganze betrachten, sind wir im Vergleich zu den führenden Industriestaaten im Bereich Blockchain-Technologie noch sehr schlecht aufgestellt. Ich glaube, dass Chile durchaus das Potenzial besitzt, um Wegweiser in dieser Industrie zu werden. Allerdings braucht es immer einen Blick auf die führenden Staaten in dieser Industrie. Eine weitere Thematik, die man nicht außer Acht lassen darf, ist der Fakt, dass wir in Lateinamerika keine nennenswerte Risikokapital-Industrie haben. Das hängt mit unserer Geschäftskultur zusammen.
Guillermo: Das könnte gut sein, aber Kryptowährungen entsprechen einer Generation und Ära, die digital und global stattfindet – ohne Grenzen. Deshalb ist das Konzept „Valley“ in einer Welt, die zu 100 % online stattfindet, zunehmend überholt.
Gastarbeiter stellen großen Teil der Zielgruppe dar
Was ist die Target Group von Buda und, allgemeiner gefragt, der typische Krypto-Anleger in Chile?
Mario: Eine große Gruppe stellen für uns Gastarbeiter aus anderen lateinamerikanischen Ländern dar wie z. B. aus Venezuela, die über unsere Plattform Geld zu ihren Familien in die Heimat schicken und so die enormen Gebühren von Unternehmen wie Western Union umgehen. Dazu haben wir Langzeitanleger mit einer Buy-and-Hold-Strategie und Trader mit einer großen Risikofreude.
Was ist das gesamte Kryptowährungs-Transaktionsvolumen von Buda?
Guillermo: Ungefähr eine Million US-Dollar täglich.
Guillermo, Buda agiert auch in Peru und Kolumbien. Wie waren deine bisherigen Erfahrungen in diesen Ländern und wo liegen die Unterschiede zu Chile?
Guillermo: Chile verfügt über ein sehr fortgeschrittenes Bankenwesen. Rund 70 % der Menschen benutzen dieses. Online-Überweisungen erfolgen sofort und sind kostenlos. Dies ist ein großer Unterschied zu anderen Ländern aus der Region.
Petrocoin wird “grandios” scheitern
Wie beurteilt ihr die allgemeine Situation von Kryptowährungen und Blockchain in Lateinamerika? Venezuela hat ja angekündigt, dass Sie einen eigenen Coin herausbringen werden, den sogenannten PetroCoin. Wie ist eure Meinung dazu?
Mario: Lateinamerika war aus der Not heraus eines der Pionier-Kontinente in Bezug auf das Investieren in Kryptowährungen. Durch die fragile ökonomische Lage von Ländern wie Venezuela und Argentinien waren viele Privatanleger sehr offen gegenüber Alternativen wie Bitcoin. Verglichen mit Europa oder den USA, die beide eine sehr starke Währung besitzen, ergibt es für uns mehr Sinn, den eigentlichen Use-Case von Kryptowährungen zu nutzen, nämlich als Währung.
Petrocoin ist ein zentralisiertes Projekt
Der Fall von Venezuela ist ein ziemlich besonderer. Der PetroCoin ist nichts als ein weiterer Versuch, ein zentralisiertes Projekt mit dem Begriff Blockchain zu schmücken, in diesem Fall für politische Zwecke. Der wahre Vorteil des Bitcoins ist aus meiner Sicht, dass es sich um eine „freie“ Währung handelt, dezentralisiert und unmöglich zu kontrollieren. Der PetroCoin ist keines von den eben genannten Dingen. Ich sage diesem Projekt ein grandioses Scheitern voraus und hoffe, dass sich der verursachte wirtschaftliche Schaden für das schon sehr angeschlagene Venezuela im Rahmen halten wird.
Gemeinsame Währung würde Südamerika große Vorteile bringen
Welche Vorteile und Anwendungsgebiete von Kryptowährungen seht ihr als besonders attraktiv in Südamerika? Seht ihr zum Beispiel anhand von ICOs die Möglichkeit, dass mehr Start-ups aufkommen, die sich sonst nicht finanzieren könnten? Könnt ihr was zur Mining-Situation in Lateinamerika sagen?
Mario: Die Anwendungsgebiete für Kryptowährungen sind unendlich. Das Anwendungsgebiet, das auf der Hand liegt, ist das als Währung. In einer so großen Region wie Lateinamerika eine gemeinsame Währung zu haben, würde enorme Vorteile mit sich bringen. Vor allem deshalb, weil unsere lokalen Währungen nicht die stabilsten sind. Ich sehe auch großes Potenzial im Bereich Smart Contracts für Lateinamerika, da es bei den staatlichen Organismen sehr viel Ausbaupotenzial gibt. Hierbei könnte die Blockchain-Technologie die nötige Abhilfe im Punkt Sicherheit bieten. Was die ICOs angeht, so finde ich, ist es prinzipiell ein gutes Tool.
Bei ICOs ist Vorsicht geboten
Ich habe aber zwei konkrete Kritikpunkte dagegen. Auf der einen Seite gibt es den Hype um alles, was den Begriff Blockchain beinhaltet. Deshalb tendiere ich dazu, alles, was aus dieser Richtung kommt, kritisch zu hinterfragen. Man muss eine tiefgründige Due Diligence durchführen, um als Investor rauszufinden, ob das Projekt Hand und Fuß hat. Zusätzlich finden ICOs parallel zur regulären chilenischen Legislation statt, die die Kapitalaufnahme für Unternehmen regelt. Dies ist in Chile besonders streng reguliert, wenn die Investorengruppe eine bestimmte Anzahl übersteigt. Was das Mining angeht, kenne ich bis auf ein paar Personen, die das hobbymäßig machen, keine professionellen Miner.
Buda will expandieren
Was ist das Ziel von Buda für dieses Jahr?
Mario: Als Kurzeitziel wollen wir in noch mehr lateinamerikanische Länder expandieren und uns auf diese Weise als eine der größten Exchanges der Region etablieren. Zusätzlich dazu wollen wir noch mehr Kryptowährungen in unsere Handelsplattform implementieren, die aus unserer Sicht Potenzial haben und interessant sind. Wir denken als weiteren strategischen Schritt darüber nach, unser Dienstleistungsangebot als Unternehmen über unsere Exchange-Dienstleistung hinaus zu entwickeln und wollen komplementäre Geschäftsfelder erschließen.
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