Die Todesbotin

in #challenge508 years ago (edited)

„Dort entlang!“
Daren fragte nicht, woher Aryn das wusste. Ihre Fähigkeiten waren ihm nur zu gut bekannt. Schweigend bedeutet er seinem Pferd, der Stute seiner Herrin auf dem linken Pfad zu folgen.
Es war vor einer guten Stunde gewesen, als Aryn ihren Schimmel plötzlich zum Stehen gebracht und ihre Aufmerksamkeit in die Ferne gerichtet hatte. Ihr Seufzen hatte Daren alles gesagt, was er wissen wusste.
Seitdem waren sie der Spur gefolgt, die nur diese Frau wahrnehmen konnte.

Als Daren endlich das Schweigen brechen wollte, hörte er etwas von der Seite. Er schaute sich um und sah einen Soldaten durch die Büsche huschen.
„Herrin!“, rief er, da brachen die Soldaten schon durch den Busch. Wahrscheinlich eine Patrouille. Sie trugen das Wappen des Grafen.

„Wer seid ihr und was wollt ihr hier?“, fragte ein Unteroffizier mit Helmbusch, der die Zehnergruppe anführte.
Aryn mochte keine Barschheit und die nahen Ereignisse machten ihr schlechte Laune. So schlug sie lediglich mit ihrer behandschuhten Hand den Umhang zurück, mit dem sie normalerweise ihre Identität verbarg und richtete sich hoch auf.
„Kennt ihr dieses Zeichen, Soldat?“, fragte sie barsch.
Der Offizier klappte den Mund auf, offenbar empört, dass zwei Reisende ihn so behandelten, doch dann erkannte er wen er vor sich hatte und erbleichte.


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Daren hatte schon viele Männer gesehen, die bei der unerwarteten Begegnung mit seiner Herrin auf die Knie fielen, doch dieser hier hatte sich besser in der Gewalt. Er machte nicht einmal das Zeichen des Kreises, wie einige seiner Soldaten.
„Hohepriesterin“, verneigte er sich, ihren Rang anerkennend, scheinbar ungerührt. Doch die Knöchel der Hand, mit der er seinen Speer hielt, waren weiß, so stark griff er zu.
„Ich glaube, ich muss nicht erläutern, was ich hier tue“, sagte die oberste Priesterin des Totengottes ruhig. „Ich fände es höflich, würdet ihr mir einen eurer Männer geben, um mir den Weg zu dem Ort zu zeigen, wo ihr eure Verwundeten versorgt.“
Der Offizier sparte sich jedes Wort und winkte einem seiner Männer.
Der arme Junge kam mit zitternden Knien nach vorne und fragte sich wahrscheinlich, mit was er seinem Vorgesetzten verärgert hatte.
„Bring sie hin, wo immer sie will“, war der lapidare Befehl, dann verschwand der Hauptmann mit seinen restlichen Soldaten, die nur zu froh waren, von der Dame weg zu kommen.
„Bitte geht voraus und zeigt uns den Weg“, wies Aryn ihn freundlich an. „Wir reiten einfach hinterher.“
Der Junge salutierte und lief los. Aryn ließ ihn zehn Meter Abstand gewinnen, bevor sie ihm folgte.
Daren setzt sich an ihre Seite und sah Aryn besorgt an.
„Viele?“, fragte er leise, damit es der junge Soldat nicht hörte.
Aryn nickte schweigend und mit verkniffenem Gesicht.

Selbst Daren kannte nicht alle Geheimnisse, die diese Frau, die er so verehrte, mit dem Todesgott verband. Doch er wusste, sie konnte spüren wenn Menschen starben. Besonders wenn es auf gewaltsame Art geschah. Vor ihnen musste ein ziemlich großer Kampf stattfinden.
Doch so seltsam diese Wahrnehmung auch war, es war nichts im Vergleich zu der Gabe – oder dem Fluch – die ihr noch vom Todesgott verliehen worden war. Diese Gabe war der Grund, warum die Soldaten sie fürchteten, denn eine einzige Berührung von Aryn brachte einem jeden Menschen den Tod. Jedem, außer ihrem Begleiter und Beschützer Daren.
Sie verließ nie ihre persönlichen Räume ohne ihre Fingerhandschuhe anzuziehen und in ihrem Gepäck fand sich in jeder Ecke ein Paar. Das war fast Paranoia, aber sie war begründet.

Der Soldat brachte sie zu einem großen Farmhaus, gebaut im hiesigen Vierseitenstil. Er war völlig erschöpft vom Rennen, aber sowohl Daren als auch Aryn wussten, dass es nichts gebracht hätte ihm zu sagen, dass er langsamer laufen konnte.
Aryn entließ ihn und ging allein in den Hof des Bauerngutes, gefolgt von Daren. Besorgte und verängstigt aussehende Bauern liefen hastig hin und her, schleppten schmutzige Wäsche, Eimer voll Wasser und blutverklebte Verbände. Zudem schien der Strom der Verletzen nicht abzureißen.
Aryn wandte sich nach rechts und ging zum Inneren des Hauses, dorthin, wo wohl die ersten Verletzten eingeliefert worden waren.

Niemand kümmerte sich um sie. Aryns Umhang verbarg wieder ihre offizielle Kleidung und so fiel sie nicht auf. Die Soldaten dachten, die beiden gehörten zu den Bauern. Die Bauern dachten, sie gehörten zu den Soldaten oder hatten schlicht zu viel Angst und zu viel zu tun, um sich irgendwelche Gedanken zu machen.

Sie betraten einen großen Raum, in dem ein Mann mit Autorität in der Stimme von Verletzten zu Verletzten ging um Diagnosen zu stellen und Behandlungen anzuordnen. Er kam die Reihe zu ihnen hinab und beugte sich über einen Soldaten, dem ein blutiger Verband um den Leib gewickelt war und der vor Schmerzen wimmerte.
„Dieser Mann wird die Nacht nicht überleben“, sagte Aryn leise. Dennoch vernahm der Arzt ihre Stimme.
„Wer seid ihr, dass ihr es wagt, vor mir eine Diagnose zu stellen?“, fragte er grantig und sah auf. Doch der Zorn auf seinem Gesicht wich Überraschung. Sein Blick huschte zwischen Aryn und Daren hin und her bis er sich auf Aryns Händen festsetzte.
„Ihr seid das...“, sagte er düster.
Aryn war erstaunt. Im Moment waren alle Abzeichen ihres Ranges verdeckt.
„Ihr wisst, was ich bin?“
Die Augen des Arztes blieben weiter auf ihre Hände gerichtet, aber er zeigte nicht die Angst, die die meisten Männer hatten wenn sie wussten, was diese Hände vermochten.
„Ich bin ein paar Dutzend Meilen südlich von hier aufgewachsen. Meine Eltern hatten ein Gasthaus. Am Tag nach meinem zwölften Geburtstag griffen rote Kultisten das Dorf an. Ihr beide wart damals Gäste in unserem Gasthaus.“
„Ich verstehe...“
Endlich wagte es der Mann, die Augen auf Darens Herrin zu richten.
„Das ist mehr als dreißig Jahre her. Aber ich habe euer Gesicht nicht vergessen. Niemals werde ich das. Es ist also wahr, ihr seid unsterblich.“
„Mein Gott meint lediglich, ich sei noch nicht bereit, das Meer zu überfahren.“
Der Arzt stand mühsam auf, die Müdigkeit stand auf sein Gesicht geschrieben. Formell verbeugte er sich vor Aryn.
„Bitte tut für diese armen Seelen, was ihr könnt, so wie ich das Beste meiner Kunst tun werde.“
Aryn nickte ebenso formell und legte den Mantel ab, der ihre Identität bisher verborgen hatte. Daren nahm ihren Mantel und packte ihn in seinen Rucksack, aus dem er Schreibzeug und Papier holte. Ein Raunen ging durch den Raum, als den Menschen gewahr wurde, wer dort neben Daren stand.

Aryn kniete sich neben den Soldaten, der die Nacht nicht überleben würde. In seinen Schmerzen hatte er ihre Ankunft noch nicht bemerkt, doch als sie jetzt direkt neben ihm war, erkannte er das Symbol auf ihrer Kleidung, bemerkte Aryns Blick und sein Wimmer diesmal hatte nichts mit seinen körperlichen Schmerzen zu tun.
„Ich werde sterben?“, sagte er, doch es war keine Frage.
„Ja“, antwortete sie sanft. Als Verkörperung des Todesgottes auf dieser Welt machte sie keine Ausflüchte. „Habt ihr noch einen letzten Wunsch?“
„Ich… ich habe eine Verlobte!“, stammelte der Soldat.
Daren kniete sich zu seiner Herrin.
„Ich werde eure Botschaft aufschreiben.“


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„Das war alles?“
„Ja.“
Sorgfältig faltete Daren das Papier und schrieb den Empfänger auf die Außenseite. Seine Aufgabe war beendet. Für seine Herrin fing der schwerste Teil erst an.
„Möchtet ihr, dass ich eure Schmerzen beende?“, fragt Aryn den Soldaten, der bei diesen Worten noch einmal vor Angst zu schluchzen anfing.
„Ja, bitte macht, dass diese Schmerzen aufhören“, bat er dann unter Tränen.
„So sei es.“
Langsam hob Aryn die rechte Hand und begann, ihren Handschuh auszuziehen.
Daren war immer wieder davon fasziniert, wie die Sterbenden in diesem Augenblick ihre Schmerzen vergaßen und oft lautlos den Bewegungen der Hohepriesterin folgten. Auch dieser hier folgte den Bewegungen wie hypnotisiert.
„Seid ihr euch sicher?“, fragte Aryn noch einmal. Der Soldat konnte nur noch nicken, seine Stimme versagte.
„Dann geht in Frieden auf die andere Seite.“
Sanft wie eine Mutter ihr Neugeborenes berührte Aryn mit den Fingerspitzen die Wange des Soldaten. Seine Augen weiteten sich, sein Mund klappte auf und dann verschwand das Leben aus seinem Körper und die Leiche sackte sichtbar zusammen.

Aryn zog den Handschuh wieder an und stand auf. Als sie ging folgten ihr viele Augen um zu sehen, bei wem sie Halt machen würde.
Daren wusste, dass viele seine Herrin falsch verstanden und ihr die Schuld am Tod gaben. Manche sagten sogar, sie habe Spaß am Töten, doch nichts lag Aryn ferner. Daren wusste, spät in dieser Nacht, oder vielleicht auch erst am nächsten Tag, wie lange es auch immer dauern mochte, würde Aryn sich in seine Arme kuscheln und große, nasse Tränen weinen, bis sie irgendwann vor Erschöpfung einschlafen würde.
Aryn war für die Sterbenden da, und Daren war für Aryn da. Das würde so lange so sein, wie der Gott des anderen Ufers es so wollte.


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Great job..I follow you now :D

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oh ** lol
Yes, was the intention. I guess it feels longer :D
Too bad you can't change the first tag.

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