Marc Elsbergs "Helix"

in #buchkritik6 years ago (edited)

Man nehme eine Buchkritik, mische sie mit Faktencheck und serviere sie zu wissenschaftlichen Überlegungen.


Intro

Ich gestehe: ich lese praktisch ausschließlich Fantasy. Vielleicht, weil ich mich berufsbedingt ohnehin ständig durch Fachliteratur quälen muss, oder, weil mich Populärwissenschaft zu sehr aufregt. In der Freizeit will man sich dann doch eher entspannen, und je weiter entfernt eine Geschichte von der Realtität ist, desto leichter fällt es mir offensichtlich, so richtig schön abzutauchen (was das schöne Gefühl ist, wegen dem ich überhaupt lese).
Dann und wann bekomme ich aber doch mal was anderes geschenkt. Wie letzte Woche. Da kam das hier:



Wenn wer zu Weihnachten einen Gutschein geschenkt bekommt, und den gleich wieder anbringen will, kann das gerne über diesen Link machen, dann hab ich auch was davon. Und natürlich darf ich deshalb auch das Bild verwenden. ;-)

Und siehe da, das Buch fesselt mich. Wenn ich meinen Ausstieg in der U-Bahn verpasse, ist das zwar blöd für mich, aber ein Qualitätskriterium für meinen Lesestoff. ;-)

Die Story

Die Geschichte ist sicher wesentlich massentauglicher als das, was ich sonst so lese. Man könnte sie wunderbar in einen Blockbuster packen, und bräuchte keine 10 Staffeln. Aber es wäre ein guter Blockbuster.

Spoiler Alert:

Der amerikanische Außenminister wird durch ein hochentwickeltes Killervirus ermordet, am MIT nimmt eine hochbegabte Jugendliche reißaus, ein Agrarkonzern entdeckt auf verschiedenen Kontinenten hochentwickelte GMO-Pflanzen und -Tiere, und in Kalifornien bekommt ein kinderloses Ehepaar ein unmoralisches Angebot.
Aus dieser Ausgangsposition laufen die Fäden in einer gated community zusammen, in der Wissenschaftler Designerbabies an reiche Kunden verkaufen, ihnen die ältesten dieser Kinder aber längst über den Kopf gewachsen sind und ihre eigene Agenda durchziehen.

Die Faszination

Noch mehr als durch die Geschichte besticht Elsberg dadurch, dass er seine Leser zwingt, sich mit ethischen Fragen auseinander zu setzen. Gelten für GMO-Menschen denn auch die Menschenrechte? Was, wenn sie uns "klassische Menschen" überflügeln, oder uns gar zur Bedrohung werden und uns ersetzen wollen? Sind sie dann aus ihrer Sicht nicht sogar im Recht?

Und dann wäre da natürlich die Wissenschaft. Sind wir tatsächlich so weit, dass wir uns über diese Fragen den Kopf zerbrechen müssen? Dem bin ich etwas nachgegangen, und habe folgende Fragen gestellt:

Kann man Menschen genmanipulieren?

Natürlich kann man, und zwar mit bestehenden Methoden. Es ist naiv zu glauben, dass das nicht längst möglich wäre. Was bei anderen Tieren funktioniert – und bei Nutztieren wird Gentechnik bereits im großen Stil angewandt – funktioniert auch beim Menschen. Genetisch betrachtet sind wir nur ein ganz gewöhnliches Säugetier.

Noch einfacher wurde die ganze Geschichte mit der Entdeckung von CRISPR/Cas, umgangssprachlich bekannt als „Genschere“. Diese Technik (deren Erklärung hier den Rahmen sprengen würde) ermöglicht das Schneiden des Genoms an einer zuvor exakt definierten Stelle und – wenn gewollt - das Einfügen eines neuen Abschnitts. Im Unterschied zur herkömmlichen Gentechnik, bei der zusätzliche Gene in Form von kleinen Chromosomen (sogenannte Plasmide) eingebracht werden, wird mit CRISPR/Cas also das bereits bestehende Genom editiert.

Die Aktualität von „Helix“ wird auch dadurch unterstrichen, dass erst vor wenigen Wochen der erste Fall eines mit CRISPR/Cas editierten Menschen öffentlich wurde. Ein chinesischer Forscher hat einem Embryo im Alleingang und mit illegalen Methoden ein HIV-Resistenzgen verpasst, und dieser ist gesund auf die Welt gekommen.Ref Inzwischen wird der Forscher übrigens vermisst und bezahlt vermutlich einen hohen Preis für seine 15 minutes of fame.

 

Die DNA. Träger des Erbguts, Segen und Fluch. Pic CC0, Pixabay.

Kann man durch Genom-Editierung den „Supermenschen“ schaffen?

Das ist ein Punkt, an dem ich durchaus skeptisch bin.

Erstens wissen wir nicht, wie weit z.B. kognitive Fähigkeiten überhaupt genetisch optimierbar sind, es gibt ja für alles auch physikalische und chemische Grenzen (Kopfgröße, Abwärme,...), die auch ein Wunder-Gen nicht so einfach erweitern kann. Es ist gut möglich, dass der Mensch mit seiner Hirnleistung jetzt schon an der Grenze des biologisch machbaren lebt. Selbiges gilt auch für den Muskelaufbau, u.v.m.

Zweitens bringt die „Optimierung“ eines Gens oft auch Nachteile mit sich, deren Tragweite den Nutzen übersteigt. Das genmanipulierte Mädchen aus China z.B. ist jetzt zwar resistenter gegen HIV, dafür dürfte es wohl anfälliger gegen andere Viren, wie z.B. die Grippe, sein, was den Nutzen wohl aufheben dürfte.Ref

Drittens – aber das ist ein Einwand mit zeitlichem Ablaufdatum – wissen wir für viele unserer Eigenschaften nicht, welche Gene genau dafür verantwortlich sind. Das betrifft gerade auch kognitive Fähigkeiten. Was man (noch) nicht kennt, kann man nicht gezielt editieren. Aber wie gesagt: daran wird fleißig gearbeitet.

Insgesamt halte ich es für wenig realistisch, dass GMO-Kinder uns „klassischen“ Menschen so haushoch überlegen sind, wie es in „Helix“ beschrieben wird, vor allem schon in der ersten Generation. Aber klar, diese Übertreibung ist erzähltechnisch sicher notwendig, sie stört mich also nicht unbedingt. Ein Roman muss kein Fachbuch sein.

Gibt es „gene drives“ wirklich?

Kurz: ja. Diese durchaus kontrovers diskutierte Methode wird angewandt, wenn man will, dass sich Gene schneller ausbreiten.
Eukaryotische Lebewesen (alles vom Schimmelpilz bis zum Menschen) verfügen bekanntlich über einen doppelten Chromosomensatz, d.h. sie haben jedes Gen doppelt. Nachkommen bekommen nach dem Zufallsprinzip je eines der beiden Gene von jedem Elternteil vererbt. Will man erreichen, dass jeder Nachkomme eines Individuums ein bestimmtes Allel trägt (als „Allel“ bezeichnet man eine bestimmte Variante eines Gens), kommt der gene drive ins Spiel. Dabei modifiziert man das Genom des Individuums so, dass es ein Enzym produziert, dass das alternative Allel des Ziel-Gens heraus schneidet.
Damit das schneidende Enzym das gewünschte Allel von allen anderen Genvarianten unterscheiden kann, wird die für den gene drive codierende DNA-Sequenz gemeinsam mit dem gewünschten Allel „verpackt“. Die Folge: das Enzym eliminiert alle Allele des Gens, die den gene drive nicht in sich tragen.
Theoretisch fehlt dann natürlich ein Gen, was zu schweren Krankheiten führen könnte, wäre da nicht die DNA-Reparatur, über die ich an anderer Stelle schon mal geschrieben habe. Dass DNA beschädigt wird und aus dem Genom geschnitten werden muss, kommt nämlich ständig vor, und daher haben Eukaryoten im Standard-Repertoire auch Enzyme, die solche Fehlstellen wieder reparieren. Da diese Reparaturenzyme aber nicht ahnen können, wie die DNA ursprünglich ausgesehen hat, nehmen sie einfach den Code des noch intakten 2. Chromosoms als Blaupause zu Hilfe, anhand deren sie das geschnittene Chromosom reparieren.
Fazit: Die Zelle trägt jetzt das Wunsch-Allel doppelt, und vererbt dieses DNA-Stück (inklusive gene drive) auf jeden Fall an seine Nachkommen, bei denen sich der ganze Prozess dann wiederholt, wodurch sich das Allel mit der Zeit über die ganze Population ausbreitet.

Eine mögliche Anwendung dieser Technologie besteht in der Ausrottung bestimmter Organismen. So gibt es z.B. recht weit fortgeschrittene (= in „Nature“ publizierte) Überlegungen, der Anopheles-Mücke auf diese Art den Garaus zu machen.Ref

Prinzipiell kann man per gene drives aber auch „positive“ Eigenschaften verbreiten, alle Augen blau färben, oder was auch immer anstellen.

Die Technologie unterliegt aus offensichtlichen Gründen strengen Sicherheitsvorschriften: Einmal freigesetzt, würde sie über kurz oder lang bestimmte Gene in der gesamten Population eines Organismus überschreiben, mit kaum abschätzbaren Folgen. Daher gilt seit 2016 für sie weltweit das „Vorsorgeprinzip“.Ref

Auf Säugetiere wurde der gene drive natürlich noch nie angewandt, aber noch einmal:  was mit Mücken geht, geht prinzipiell auch mit Menschen. Leider.

Aber es wird noch gruseliger:

Kann man einen gene drive in ein infektiöses Virus einbauen?

Spoiler Alert #2:
Eugenes Masterplan zur Umschreibung der Menschheit besteht darin, die „besonderen Gene“ über einen Virus zu verbreiten. Ist das möglich?

Theoretisch ja. Viren sind nichts anderes als DNA (oder RNA), meist verpackt in einer Proteinhülle, damit sie unbeschadet in eine Wirtszelle eindringen können. Theoretisch spricht nichts dagegen, einen gene drive samt gewünschten Gen per Virus zu verschicken… Praktisch hat das natürlich noch nie jemand versucht. Ich würde es auch für ein Verbrechen gegen die Menschheit halten, wenn man daran überhaupt arbeiten würde… denn das wäre so was wie die Wasserstoffbombe der Biowaffen. Wobei man die kriminelle Energie der militärischen Forschung leider niemals unterschätzen sollte, also wer weiß …
Der Forschungsaufwand wäre auf jeden Fall enorm. Nicht nur, dass man die DNA-Sequenz stabil in ein Virus verpacken müsste, müsste man es auch schaffen, dieses die Samenvorläuferzellen attackieren zu lassen. Der gene drive in der Lunge verändert ja die Nachkommen noch nicht. Und kleinste Fehler würden die Menschheit ausrotten. Wäre eine ziemlich Challenge, so was zu entwerfen.

Aber wie gesagt: theoretisch und mit unbegrenzten Mitteln wohl leider nicht unmöglich. Vielleicht mag @chappertron hier seinen Senf dazu geben, denn ich muss offen gestehen, dass ich armer Toxikologe irgendwann auch aussteige, wenn Hardcore-MolBio gefragt ist. Würd mich echt interessieren, was du dazu meinst!

Fazit

Marc Elsberg hat seine biologischen Hausaufgaben gemacht. Die Geschichte ist nice, und vor allem ist das meiste von dem, was er im Buch beschrieben hat, theoretisch durchaus möglich – einiges sogar mit bereits bestehenden Methoden.

Alles in allem bekommt man, wenn man etwas länger darüber nachdenkt, den Eindruck nicht los, dass sich die Frage, ob wir uns mit ethischen Problemen rund um GMO-Menschen rumschlagen müssen, nicht stellt. Die Frage ist eher, wann wir uns damit rumschlagen werden müssen. Murphy’s law ist so real wie die Thermodynamik.
Und genau das macht „Helix“ meiner Meinung nach so lesenswert.



Disclaimer:

In meinem Blog schreibe ich meine ehrliche Meinung als toxikologischer Forscher, nicht mehr und nicht weniger. Ich bin ein Mensch, manchmal unterlaufen mir Fehler. Diskutiert mit mir, seid anderer Meinung – wenn ihr die besseren Argumente bringt, überleg‘ ich gern ein zweites Mal.

 



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Moin sco,

das Buch habe ich letztens auch schon in der Buchhandlung gesehen und will ich mir als nächstes kaufen (lese gerade noch einen Band der Shannara-Chroniken, kennst du bestimmt, oder?). Fand ich gleich total spannend als ich den kleinen Text auf der Rückseite gelesen hatte.

Musste auch direkt an "Der Schwarm" von Frank Schätzing denken. Das hatte ich mir kurz vor einer Zugfahrt noch in der Bahnhofsbuchhandlung geholt und war gleich vom ersten Moment an gefesselt.

Ich bin jedenfalls sehr gespannt auf "Helix". Deine Empfehlung bestärkt mich zumindest darin, dass ich es auf jeden Fall lesen möchte.

LG grizza

Musste auch direkt an "Der Schwarm" von Frank Schätzing denken.

Schätzings Art zu Schreiben war auch meine erste Assoziation.

Es hat sicher gewisse Parallelen zu "der Schwarm", da hast du Recht.

Kreativer Artikel 👍 :)
Ich finde momentan technologische Singularität, dazu gibt's ja auch einige Bücher ^^

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Sehr nicer Artikel. Man die sind bei uns im Radio ja fast ausgerastet wegen den Chinesen. Gott spielen wawawa. Da unterschätzen sie ihren eigenen Gott aber gewaltig. Das bissel Gen-geschneide da :D

Manche sind 4-5mal so stark wie ein normaler Mann und werden durch den Muskeldurchmesser limitiert (Fiederungswinkel wird ab einem gewissen Umfang bei vielen Muskeln schlechter). Mann müsste schon die Ansatzstellen und die komplette Organmorphologie verändern. Die Myostatin-gehemmten Tiere wie Belgian Blues sind ja auch nicht leistungsfähiger, im Gegenteil. Der evolutiv gesetzte Rahmen, wie du sagtest, limitiert glaub ich auch recht schnell. Beim Hirn sowieso.

es gibt ja für alles auch physikalische und chemische Grenzen (Kopfgröße, Abwärme,...), die auch ein Wunder-Gen nicht so einfach erweitern kann

das ist doch eigentlich der Grund für diese praktischen Normalverteilungen die wir in der Biologie haben, weshalb wir mit nem kleinen N auskommen :D?

Danke. Ja, ich glaube eben auch dass der Leistungsfähigkeit Grenzen gesetzt sind. Eher überholt uns die AI als ein GMO-Mensch. Aber trotzdem: Kann man es zu 100% ausschließen? Nein.

Wieder ein sehr spannender Beitrag von dir, der durchaus zum Lesen des Buches anregt. Ich persönlich finde ja das Thema Genediting sehr interessant, weil ich insgesamt schon immer von der Vorstellung eines Super-Menschen begeistert war. Zunächst stellen sich halt sehr viele menschenrechtliche und moralische Fragen. Allerdings würde ich es sehr begrüßen, wenn zumindest dadurch weltweite Krankheiten und Fehlbildungen ausgemärzt werden könnten, damit wir jedem Individuum auf dieser Erde einen gesunden Körper bieten können.

Weiteres fand ich es schon immer spannend, mittels Genediting die Quelle des ewigen Lebens zu finden. Das wir dann, sobald es so weit kommt, viele andere Probleme lösen müssen (Überbevölkerung, Kolonialisierung von anderen Planeten, Versorgung etc.) muss wohl jedem bewusst sein. Eine sehr spannende Zeit, in der wir leben.

Klar, der Fokus der Gentherapie (so wird die Gentechnik an Menschen offiziell genannt) liegt momentan klar auf den Erbkrankheiten. Das muss aber nicht so bleiben. Spannende Zeit indeed.

Klingt sehr interessant! Werde ich lesen, danke für den Tip!
Hmm, ich hätte nicht gedacht, dass Du praktisch ausschließlich Fantasy liest! "Hard SF" (z.B. Greg Egan, Dan Simmons) würde doch eher zu einem Wissenschaftler passen :)

Ich hab' halt offensichtlich eine sehr unwissenschaftliche und mystische Ader. ;-)

100%tige Planbarkeit ist langweilig.
Unbekanntes macht einen Menschen interessant! :)

Solch eine Rezension ist deutlich fesselnder als Klappentext und Vorwort, danke dafür!
Womöglich führt mich der heutige Stadtbesuch an einer Buchhandlung vorbei; ich bin gerade auf dem "support your local dealer" Trip... ;)

Ich mag diese Art von Literatur, die die Wurzel in sich trägt, innerhalb weniger Jahr(zehnt)e von der Fiktion zur Dokumentation zu mutieren...

Ja, das Potential ist wohl vorhanden. Wobei ja nicht immer alles so schlimm kommen muss wie prognostiziert.





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