🌫️ “Was ist bloß mit meiner Wäsche los?”
Schopenhauer hatte definitiv keine Ahnung, wie Leben wirklich funktioniert.
Um überhaupt keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, bei dem folgenden Beitrag handelt es sich um eine Satire, fern jeglicher Realität. Etwaige Ähnlichkeiten mit noch lebenden Personen sind daher zu ignorieren.
Ich habe mir sozusagen die Geschichte von der Leine, über den Kopf in die Schreibhand geschüttelt.
Eine Wäscheleine unter Spannung
In etwa vergleichbar mit der Situation, wenn Erna Koslowski in Berlin-Tegel ihren Nachbarn bittet, in der Zeit, in der sie nicht in ihrer Wohnung weilt, sondern viel lieber die Nerven ihres Schwiegersohnes in Neukölln strapaziert (ein Prozedere, das sich lockerst vom 22.12. im alten bis zum 02. 01. im neuen Jahr hinziehen kann), Ernst, ihren altersschwachen Wellensittich mit Unterhaltung, Futter und Herztropfen zu versorgen, genau so bitten Nachbarn im Dorf, mich um deren Tiere zu kümmern, falls Krankheit, Besuche bei der Verwandtschaft oder sonstige Unannehmlichkeiten sie aus dem heimischen Stall oder aus der warmen Stube ins selbstgewählte Exil treiben.
So hat es schon beinahe Tradition, dass ich mich um die beiden Katzen einer Nachbarin kümmere, die die Wintermonate lieber im 11. Stock ihrer Stadtwohnung in Zagreb verbringt, dort die Fernwärme genießt und dabei keinen Gedanken an das Spalten von Brennholz verschwenden möchte. Da das Anwesen der älteren Dame jedoch ganz weit draußen vor den Toren des Dorfes liegt, bleibt mir der tägliche Fußmarsch natürlich nicht erspart. Er birgt jedoch gleichzeitig den Vorteil in sich, falls ich überhaupt eine Menschenseele treffe, im Dorf immer das zu erfahren, was noch nicht bis zu mir vorgedrungen ist.
Eifersüchteleien, Streitereien, plötzlich aufgetauchte schwere Krankheiten wie Heiserkeit und Schnupfen, bald anstehend Todesfälle, auf die es sich lohnt vorbereitet zu sein oder einfach nur das ganz große Leid mit der Erkenntnis, vom Leben nicht übervorteilt worden zu sein. Und da ich als guter Zuhörer geschätzt werde und für die Damen über 70 immer drei oder vier frisch polierte Komplimente aus der Hosentasche zaubern kann, bin ich ein immer gern gesehener Ansprechpartner am frühen Morgen.
Das einzig nicht so wirklich angenehme an der ganzen Angelegenheit ist die Tatsache, dass der Hunger der Katzen sich nicht nach dem Wetter richtet. Egal ob Regen, Schnee, Sturm oder heiß wie Sau, der Fußmarsch bleibt mir nicht erspart. Und der Dezember ist nun mal nicht bekannt für eine erträgliche Tagestemperatur und lang anhaltende, sonnige Sequenzen mit der Gute-Laune-Garantie für den Aufenthalt im Freien. Stattdessen liegt seit fast 10 Tagen an jedem Morgen ein kalter, nasser Frühnebel auf der Landschaft, der bei mir das Gefühl hinterlässt, mich in einer Sauna zu bewegen, in der vergessen wurde das skandinavische Monstrum anzuheizen, aber der Aufguss trotzdem vollzogen wurde. Entsprechend gering daher auch die Aussichten auf Klatsch und Tratsch. Jeder ist einfach nur froh den Hinten in der Nähe des Ofens geparkt zu haben.
Sich dieser Tatsache völlig bewusst, richten sich dann meine Sinne den Dingen zu, die ansonsten gerne übersehen oder vielleicht registriert, aber auch sofort wieder vergessen werden. Wie zum Beispiel die Wäsche von Lucia, einer Bäuerin, die mit ihrem Mann eine Milchwirtschaft zirka 100 Meter Luftlinie von meinem Zuhause betriebt. Lucias Wäsche hing in der vergangenen Woche bereits den 5. Tag unangetastet unter dem Vorbau des ehemaligen Stalles. Ich dachte anfänglich, Lucia warte mit dem Abnehmen der Wäsche, bis in den gängigen Modezeitschriften die Wiederauferstehung von Schiesser-Feinripp gefeiert wird. Denn, für jeden Passanten klar erkennbar, ist sie aus der Kollektion bestens ausgestattet, wobei vielleicht anzumerken ist, die Teile nur noch an der Webart, aber nicht mehr an der Form zweifelsfrei zuzuordnen sind.
Ein Tag später, der Nebel hatte sich zwar verzogen, die Textilien hingen jedoch noch immer wie Säcke an der Leine, wandern meine Gedanken bereits in Richtung ewige Ruhestätte. Auf dem Land die Wäscheleine 6 Tage unter Hochspannung zu halten ist ungefähr gleichbedeutend mit einem hoffnungslos überfüllten Briefkasten in der Stadt. Und was denkt sich in diesem Fall der besorgte Nachbar: Hier hat mit Sicherheit der Sensenmann seine Finger im Spiel.
Doch war diese Variante nach normalen Kriterien eigentlich auszuschließen, da ich am Tag zuvor noch unsanft von Lucias Kofferradio aus meinen Tagträumen gerissen wurde. Dieses Unikum (vergleichbar mit einem uralten Ghettoblaster für Arme aus den 80er Jahren) und seine Besitzerin sind nahezu unzertrennlich. Ob die Kühe gemolken, die Schafe gefüttert oder der Ehemann an seine Unfähigkeit das Leben meistern zu können erinnert wird, es kann passieren was will, aus der blauen Kiste mit Strombedarf dröhnen nahezu ständig bosnische Lieder der Sonderklasse. Wenn mich irgendwann etwas möglicherweise vom eingeschlagenen Weg des Pazifismus abbringen kann, dann wird es dieses tägliche Gejaule in Überlautstärke sein.
Aber Lucia liebt diese Musik, denn es ist die Musik ihrer Kindheit. Was wohl bedeutet, dass sie eine sehr schwere Kindheit gehabt haben muss, denn das zu überleben, das zeugt von enormer Willenskraft. Was liebt diese Frau außer ihrem Radio noch? Mit Sicherheit ihre Schafe, ihre beiden Kinder, das Enkelkind und vielleicht dicke Bohnen mit Speck. Nein, der Ehemann, den sucht man in der Auflistung vergeblich. Ist jedoch kein Grund sich den Kopf zu zerbrechen, da von solchen Gefühlen sowieso noch nie die Rede war.
Es gibt aber auch Dinge, die Lucia überhaupt nicht mag. Dazu gehören auf jeden Fall Zahnarztbesuche, Kleidung, die auch nur annähernd mit der Weiblichkeit in Verbindung zu bringen wäre und Menschen, die unverschämterweise behaupten von etwas mehr Ahnung zu haben, als das, was sie mit sich durch den Alltag schleppt. Außerdem kann sie es überhaupt nicht leiden ihren Körper in Konturen gefangen zu sehen, die auch nur im entferntesten Sinne mit einer erotischen Ästhetik Erwähnung finden könnten. Aber vielleicht präsentiert sich mir meine Nachbarin unglücklicherweise nur immer von ihrer unvorteilhaften Seite? Das wirklich Schöne zu erkennen, kann oft richtig anstrengend sein. Mein Ratschlag: nur nie aufgeben. Aus diesem Grund erhält Lucia von mir Tag für Tag eine neue Chance.
Vielleicht wäre es einfacher für mich, wenn der elende Ghettoblaster das Zeitliche segnen würde.
Dann bestünde jedoch die Gefahr, ihrem nicht zu verachtenden Damenbart mehr Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Auch darauf bin ich nicht wirklich erpicht.
Mich beschleicht hier im Moment das Gefühl, mich langsam aber sicher vom eigentlichen Anlass meiner Schreiblust zu entfernen. Dem gilt es entgegenzuwirken, da ich damals Lucia schließlich keinen Heiratsantrag machen, sondern nur meine Sorgen um ihren Feinripp mit ihr zu teilen gedachte. Und exakt diese Möglichkeit offenbarte sich mir an diesem verhältnismäßig sonnigen Morgen. Die Herrin über Mann, Kühe, Kinder und Co. schob einen vollbeladenen Schubkarren mit Herbstheu in Richtung Schafstall, als unsere Wege sich kreuzten. Dem Austausch von besten Wünschen für den noch vor uns liegenden Tag folgte meine durchaus ernst gemeinte Frage, wie es mit der Gesundheit so bestellt ist. Zehn Minuten später bekam ich eines ihrer berühmten, breiten Lächeln geschenkt und war bestens über Krampfadern, Verdauungsstörungen und den noch immer aktiven Monatszyklus informiert. Eigentlich mehr Stoff, als mein Kopf überhaupt am frühen Morgen so verarbeiten kann. Und trotzdem war mein Hunger noch nicht gestillt, denn die Wäsche hing ja noch immer keine zwanzig Meter von uns entfernt auf der Leine.
“Lucia, warum lässt du eigentlich deine Wäsche so viele Tage hier draußen hängen?”
Um die eigene Neugierde zu befriedigen oder überhaupt etwas in Erfahrung zu bringen, darfst du hier auf dem Land keine ausschweifenden, verbalen Exkursionen rund um einen Sachverhalt aufbauen, um dich dann ganz vorsichtig von hinten dem Thema zu nähern. Dann hast du nämlich bereits verloren. Spätestens an der dritten Abzweigung wirst du auf ein Themenfeld gezogen, das du eigentlich überhaupt nicht betreten wolltest, aber nun freundlich und geduldig mit beackern musst. Nein, hier bringt dich nur der unmissverständliche Frontalangriff zum schnellen Erfolg, dem aber auch schwere Nebenwirkungen anheften können.
Ich möchte es an einem kleinen Beispiel verdeutlichen, wie es auch laufen könnte:
“Lucia, würdest du mir bitte verraten, wieso du so unfassbar dumm bist?”
Wie erhofft, folgt kein Themenwechsel, sondern die sofortige Reaktion steht in den Startlöchern.
“Wer behauptet, dass ich dumm bin?”
Jetzt bieten sich mir zwei Möglichkeiten.
- Ich zaubere ganz flott den Namen eines Anwohners aus dem Nachbardorf aus dem Hut (was den einen entscheidenden Schritt näher zur eigenen Grabstätte bringen wird) oder
- ich stelle mich meiner eigenen Unverschämtheit und lasse mir von Lucia ohne Widerrede die Mistgabel in den Bauch rammen.
Obwohl ohne wirklich die Antwort erhalten zu haben, die ich mir erwünscht habe, gehe ich aus der Sache schlauer hervor, als ich sie angegangen bin.
Achte bei direkten Fragen immer auf die Gleichverteilung der zur Verfügung stehenden stechenden Argumente!
Mit der Wäsche schien ich mich jedoch weit außerhalb verminten Terrains zu bewegen. Die Gabel blieb im Herbstheu stecken. Die Angesprochene entzog mir ihre gesamte Aufmerksamkeit und schenkte ihrer Feinripp-Reizwäsche einen fast traurigen Blick.
“Die wird und wird einfach nicht trocken. Ich weiß auch nicht mehr, was ich machen soll. Im Sommer, Wolfram, im Sommer ist das überhaupt kein Problem. Am Morgen auf die Leine und am Abend ist das Zeug trocken. Ich weiß auch nicht, was ich jetzt davon halten soll?”
In Anbetracht der greifbaren Waffe entschied ich mich nicht zu einer Frage, sondern versuchte es ganz vorsichtig mit einem Vorschlag, von dessen Umsetzung ich mir revolutionäre Dinge erhoffte.
“Lucia, warum machst du die Wäsche nicht ganz einfach am späten Nachmittag ab, anstatt sie hängenzulassen, damit sie über Nacht sich wieder gut mit Feuchtigkeit vollsaugen kann?”
Die Antwort, die mir dann über das Heu hinweg gereicht wurde, ließ, dank der in ihr verpackten Logik, kein Platz für erweiternde Ratschläge oder gar Rückfragen.
“Nachmittags muss ich mich auf der Weide mit meinen Schafen unterhalten, da die sonst glauben, keiner würde sich um sie kümmern und danach geht es direkt in den Stall. Wenn du jedoch kommst und ausmistest und danach die Kühe melkst, dann kann ich auch die Wäsche von der Leine nehmen.”
Mir fiel dabei auch auf, bei der eventuell infrage kommender Arbeitsaufteilung weder den Namen von ihrem Mann, noch den der Kinder vernommen zu haben. Also nur Lucia und ich. So viel in Aussicht gestellter Intimität war mir dann doch ein Happen zu heftig. Ich machte meiner Nachbarin Hoffnung auf den angebrochenen Tag, an dem ein warmer Südwind prognostiziert war.
Um nicht unhöflich zu erscheinen und mich endlich in Richtung bereits wartender Katzen zu begeben, überließ ich Lucia noch eine unabnutzbare Floskel:
“Dann hoffen wir, dass alles gut wird.”
Jetzt servierte mir diese Frau eine philosophische Offenbarung, die Schopenhauer hätte erblassen lassen.
“Ach, Wolfram, am besten ist es immer, wenn alles gut ist!”
Danke für diese Geschichte du hast ein Schmunzeln in meinen Tag gebracht!
Genau das war meine Absicht.
Ich weiß nicht, warum mir in den Sinn kommt, dass Ernas Nachbar mit Ernst im Gesprächs vielleicht ohne weite Wege auch solch tiefgründige Erkenntnisse erlangen könnte. Natürlich würde der Sex-Appeal fehlen.
Aber was soll's? Deine Geschichten sind sowieso immer am besten, wenn sie gut sind ;-)
Liebe Grüße,
Christiane
Mit Ernst ist das so eine Sache. Wenn Frauchen nicht in der Nähe ist, dann wird er leicht bockig und bringt meist nur unanständige Wörter über den Schnabel.
Die Frage, wer die ihm beigebracht hat, erübrigt sich somit.
Liebe Grüße
Wolfram
Hihi, der ist hammermäßig gut! Gratuliere dir, Elfmeter versenkt sozusagen. ;-) Lieben Gruß, Kadna
Uups, danke! Bei so viel Sportsgeist ist es dann ja notfalls zu verkraften, wenn der Meister schmollt ;-)
Wenn du immer so lange Geschichten schreibst... wie soll ich dann irgendwann mal dein Buch lesen?
Am Chaos Wohlgefallen finden - dein Füllfederhalterspruch kommt wie gerufen für meinen Bücherstapel am Bett - mit dem Armmuskel-Trainierbuch mittenmang! ;-)
Das Problem ist halt, dass offensichtlich der Weg von meiner Fantasie über die Schreibhand bis zum Papier verhältnismäßig kurvenreich zu sein scheint. Bis da all das Gewusel in meinem Kopf sich durchgeschlängelt hat, ist das Papier bereits voll. Und nachher wegschmeißen will man ja auch nicht!
Dein "Problem" ist deine Gabe.
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Wunderbar geschüttelt und es fällt schwer daran zu glauben, das diese Geschichte reine Fiktion sei. 🤔
Egal, die Dame hat ja sowas von Recht wenn Sie sagt:
... und gerade, nach dem Lesen Deiner unterhaltsamen Fiktion, ist alles gut!
Wäsche, Schafe und Lucia sind real - der ganze Rest ist "Geschichte".
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nach deinem text,brauch ich ne bierpause :-)
ich lade dich mal herzlichst auf unseren bootcamp weihnachtskalender ein.....schöne preise jeden tag....lg
Servus,
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Hallo Wolfram, vielen Dank für die wirklich schöne Geschichte, konnte mir Lucia richtig gut vorstellen. Liebe Grüße Alexa
... ich glaube, besser nicht!
Nur ein Gettoblaster? Hab hier ne Roma-"Famile" (besser Clan), die haben das Ding in Groß. Da hört das Gras auf zu wachsen wenn die feiern.
Und die Chefin? Lucia 2.0!
Manchmal glaube ich (oder ich rede es mir nur ein), dass mich das Tohuwabohu wohl am Leben hält. Ich muss jedoch eingestehen, auf die Zigeunermusik in deiner Nachbarschaft richtig neidisch zu sein, da du nicht ahnen kannst, was Lucia 'das Original' an Tönen in die Freiheit entlässt.