… und jetzt beginnt die Leichenfledderei

Es hatte sich bereits im letzten Jahr angedeutet. Mein Baum, der Schattenspender, der Lieferant köstlicher Nüsse, dazu auch noch beliebtester Spielplatz für die Eichhörnchen und mein Katze, offenbarte Symptome wie Lustlosigkeit, kein Interesse an den wechselnden Jahreszeiten und einem für ihn lebenswichtigen Wasserkreislauf.
Ich Idiot dachte zuerst, dass er einfach nur Zicken macht, mich ein wenig ärgern will oder ganz einfach nur nach lecker Futter giert. Sehr wohl wissend, was ich einem treuen Freund schuldig bin, bat ich meinen Nachbarn um eine Fuhre Mist. Sozusagen als Trostpflaster, Dank und Hilfeleistung in einem Paket.

Wir verabschiedeten uns gemeinsam in den Winter. Er verlor seine leider sowieso nur noch raren Blätter und aus einer Art Solidarität heraus trennte ich mich von meinen langen Haaren.
Der Frühling erwachte, meine Haare wuchsen (auch weiterhin an Stellen, wo der Mann sich fragt, was Haare da überhaupt zu suchen haben), doch mein Walnussbaum hatte für sich beschlossen ganz einfach nicht mehr zu erwachen.

Ich weigerte mich einfach zu akzeptieren, dass ein weiterer Freund mich verlassen hat. Den ganzen Sommer über wartete ich darauf, dass er mir zumindest mit einem Blatt ein Lebenszeichen übermittelt. Jedem dieser Gaffer, die einen Blick auf das sich anbahnende Elend warfen und mir zur Motorsäge rieten, hätte am liebsten mit der geforderten Kette die eigene Arschfurche verlängert.

Doch jetzt hält der Herbst Einzug - und noch immer kein Lebenszeichen von meinem Freund.

Mir brach es gestern fast das Herz, aber es war Zeit um Abschied zu nehmen.
Und kaum war er von seinen nicht mehr funktionierenden Wurzeln getrennt, kamen sie auch schon angekrochen - die Leichenfledderer.

Das Schlimme ist, das an der Krone, dem Blättermeer, das mir immer so viel Schatten und Früchte spendete, keiner der Geier interessiert ist. Nur schleichen sie um den Stamm, aus dem sie Furniere für billigste Unterhölzer fertigen wollen.
Aber die ganz Lästigen sind die, die nach den Wurzeln gieren. Sie stehen jederzeit bereit all das rauszureißen, aus was mein Freund einst sein Leben saugte. Und was fertigen sie aus diesen Lebensadern? Griffe für die Waffen, die Menschen und Tiere töten werden!
Dieser Welt ist jegliche Würde abhanden gekommen. Keiner der Leichenfledderer versteht warum ich ständig immer nur noch “Nein” sage.

Ein nun einsamer Platz. Möge das Efeu übernehmen.